Freitag, 12. August 2011

Ian Fleming


Als ich vor Jahrzehnten der Freiin ➱Gisela von Stoltzenberg erzählte, dass ich etwas über den englischen Spionageroman schreiben wollte, sagte sie plötzlich: Der Ian kam ja aus einer guten Familie. Der Ian war natürlich Ian Fleming. Sie hatte ihn natürlich gekannt, so wie sie James Joyce, Eamon de Valera und Wystan H. Auden gekannt hatte. Leider hat sie nie ihre Lebenserinnerungen aufgeschrieben. Als ich ihr das Kapitel über Ian Fleming schickte, schrieb sie mir: Ich finde es schade, dass Ian sein schriftstellerisches Talent nicht für Besseres verwertete – aber das konnte er vielleicht nicht, denn er hatte es anfänglich versucht (vor dem Krieg). Da fehlte es ihm immer an Stoff. – Nach dem Krieg warf er sich das auf das, was ihm leicht fiel und was ihn amüsierte, und blieb dabei, weil es ihm Geld einbrachte. Geldnot hatte er zwar nie gekannt, denn er war aus reichem Hause. So kurz und trocken hat niemand Ian Fleming beschrieben. 

Seine wichtigsten saving graces, so die Baronin, seien der völlige Unernst und der gute Stil gewesen. Vielleicht hat er das selbst auch so gesehen, als er Raymond Chandler schrieb: Probably the fault about my books is that I don't take them seriously enough... you after all write "novels of suspense" - if not sociological studies - whereas my books are straight pillow fantasies of the bang-bang, kiss-kiss variety. Die Times plaziert ihn heute auf ihrer Liste der wichtigsten englischen Autoren nach 1945 auf Platz 14, sechs Plätze vor Anthony Powell. Aber natürlich gehörte der Autor von ➱A Dance to the Music of Time (dessen erste Bände gleichzeitig mit den ersten James Bond Romanen erscheinen) eher auf Platz 1. Und Ian Fleming wäre sicher auf dem 50. Platz auch noch gut aufgehoben.

Ian Flemings Bruder Peter erscheint gar nicht auf der Liste, eigentlich ist der der bessere Schriftsteller von den beiden Brüdern. Hat sogar 1951 einen satirischen Spionageroman geschrieben, den er seinem Bruder widmete. Vielleicht hat das Ian auf den Geschmack gebracht. Sein erster Spionageroman Casino Royale erschien zwei Jahre nach Peter Flemings The Sixth Column. Die sechste Kolonne kam 1953 auf den deutschen Markt, der Übersetzer war kein Geringerer als Arno Schmidt. Vielleicht hätte der auch die James Bond Romane übersetzen sollen, denn die ersten deutschen Übersetzungen waren nicht so großartig. Es kümmerte die Verlage noch nicht so sehr, die ersten Bond Romane waren keine Sensation auf dem Markt. Das kann man sich heute, wo James Bond ein weltweiter Markenartikel geworden ist, kaum vorstellen.

Casino Royale war von einem Günther Eichel übersetzt worden, der in den fünfziger Jahren ein viel beschäftigter Übersetzer war, er übersetzte auch Eric Ambler und Henry Slesar. Und Agatha Christie. Seine Übersetzung ist sicherlich korrekt, trifft aber nicht den Ton und den Stil des Originals. Flemings Sprache ist einfacher, lakonischer, man hat das Gefühl, dass er viel Raymond Chandler gelesen hat (was er ja auch getan hat). Ich zitiere hier einmal zum Vergleich den Anfang von Casino Royale:

The scent and smoke and sweat of a casino are nauseating at three in the morning. Then the soul-erosion produced by high gambling – a compost of greed and fear and nervous tension – becomes unbearable and the senses awake and revolt from it.
   James Bond suddenly knew that he was tired. He always knew when his body or his mind had had enough and he always acted on the knowledge. This helped him to avoid staleness and the sensual bluntness that breeds mistakes. He shifted himself unobtrusively away from the roulette he had been playing and went to stand for a moment at the brass rail which surrounded breast-high the top table in the salle privee.

   Um drei Uhr morgens ist der Geruch nach Parfüm, Rauch und Schweiß betäubend. Der Nervenverschleiß, den das Spielen um hohe Einsätze mit sich bringt und der sich aus der Summierung von Gier, Angst und nervöser Spannung ergibt, wird um diese Zeit unerträglich, und die Sinne erwachen und revoltieren dagegen.
   James Bond wusste plötzlich, dass er erschöpft war. Er wusste immer, wenn Körper oder Geist genug hatten, und er richtete sich auch danach. Es half ihm, jegliche Überanstrengung zu vermeiden – aber auch jene gefühlsmäßige Dumpfheit, aus der die Fehler entstehen.
   Unauffällig verließ er den Rouletttisch, an dem er gespielt hatte, und blieb einen Augenblick an einem Messinggeländer stehen, das den Tisch im »Salle privée«, an dem um höchste Einsätze gespielt wurde, in Brusthöhe umgab.


Der erste Satz hatte Fleming Mühe gekostet. Aller Anfang ist schwer. Die erste Version hieß: Scent and smoke and sweat hit the taste buds with an acid thwack at three o'clock in the morning. Bei einem der Autoren der Black Mask hätte man das um 1930 durchgehen lassen, aber der junge Autor merkte selbst, dass das nix war. Viel zu bemüht, colloquial zu wirken. Die zweite Version war: Scent and smoke and sweat can suddenly combine  together and hit the taste buds with an acid shock at three o'clock in the morning. Eine lahme Ente von einem Satz. Aber irgendwann kam The scent and smoke and sweat of a casino are nauseating at three in the morning, und das ist es natürlich, ein einfacher, klarer Satz. Der aber auch durchscheinen lässt, dass der Autor sich in den Spielkasinos dieser Welt auskennt. Alle Sätze bei Ian Fleming handeln vom Sich Auskennen in dieser Welt.

Nicht in der wirklichen Welt, auch nicht in der Welt Chandlers, nicht down these mean streets a man must go. Flemings Kunstfigur 007 lebt in einer künstlichen Welt. Es ist eine Welt der Namen. Namen von Clubs, Savile Row Schneidern und Jermyn Street Firmen, Automarken, Spielcasinos. Wir erfahren alles über die Getränke der fünfziger Jahre, als ein Martini (shaken, not stirred) eine tolle Sache war. Das Nennen von Markennamen, feinen Adressen und Weinjahrgängen ist noch nicht so ausgereizt wie in Bret Easton Ellis' American Psycho, aber wir sind auf dem Weg dahin. Romane, die Adressbuch, Who's Who, Reiseführer und Werbeprospekt in einem sind, hatte es bis dahin noch nicht gegeben. Obgleich Boileau/Narcejac das auch schon im französischen Krimi Jahre vor Ian Fleming beobachtet haben wollen.

Alles, was der Leser Anfang der fünfziger Jahre in diesen Romanen ersehnenswert fand, ist nicht nur die Welt von James Bond, es ist auch die Welt von Ian Fleming. Die Welt eines upper class Engländers, der nie in seinem Leben etwas richtig hinbekommen hatte. In Eton rausgeflogen, das Gleiche an der Offiziersakademie von Sandhurst. Den Höhepunkt seines Lebens hat er als Reserveoffizier der Marine während des Zweiten Weltkriegs, eine Position, die er auch nur seinen gesellschaftlichen Verbindungen verdankt. Andrew Lycett überschreibt das entsprechende Kapitel seiner Biographie mit dem Titel Chocolate Soldier. Er wird den Dienstgrad Commander (wie James Bond) erreichen, und er wird beim Geheimdienst tätig sein (wie James Bond). Und er wird sich die wildesten Geschichten ausdenken. Wie später in seinen Romanen.

Der renommierte Kritiker Anthony Boucher (der seit 1937 selbst Krimis schrieb) sagte in der New York TimesFleming, in a style suggesting a more literate version of Cheyney's "Dark" series, manages to make baccarat clear even to one who's never played it and produced as exciting a gambling sequence as I've ever read. But then he decides to pad out the book to novel length and leads the weary reader through a set of tough clichés to an ending which surprises nobody save Operative 007. You should certainly begin this book; but you might as well stop when the baccarat game is over. Anthony Boucher war nicht der einzige Kritiker, der die Romane von Peter Cheney erwähnte. Französische Kritiker hielten James Bond schlichtweg für ein Plagiat der Romanfigur Hubert Bonisseur de la Bath (Agent OSS 117) von Jean Bruce. Von dem hat Bond ja eine ganze Menge Eigenschaften, auch seine Dienstnummer klingt ähnlich. Bond Fans werden mich jetzt wahrscheinlich hassen, aber ich glaube, für Fleming war der erste Roman ein literarischer Spaß. Da machte es nichts, dass er sich hemmungslos bei jener populären Literatur bediente, die uns Helden larger than life serviert.

Für den Ullstein Verlag war der Playboy des englischen Geheimdienstes (der im gleichen Jahr wie Hugh Hefners Playboy das Licht der Welt entdeckt hatte) 1960 noch kein Markenzeichen, kein cultural hero, mit dem man werben konnte. So hieß es auf dem Buchrücken der deutschen Erstausgabe (Erstmalig in deutscher Sprache! stand vorne drauf): Casino Royale [ist] eine der harten, im amerikanischen Stil geschriebenen, abenteuerlichen Stories, mit denen der englische Autor Ian Fleming sich seinen Platz in der ersten Reihe der beliebtesten Kriminalautoren gesichert hat. Auf die Verwandtschaft zur amerikanischen hard-boiled school hatte Fleming selbst in einer Vielzahl von Interviews hingewiesen: I wanted my hero to be entirely an anonymous instrument and to let the action of the book carry him along. I didn’t believe in the heroic Bulldog Drummond types. I mean, rather, I didn’t believe that they could any longer exist in literature. I wanted this man more or less to follow the pattern of Raymond Chandler’s or Dashiell Hammett’s heroes—believable people, believable heroes.

Aber ist James Bond wirklich believable? Der Held der ersten Roman, kalt und grausam (Fleming hat die Figur später leicht verändert), scheint eher aus der Mottenkiste der gothic novel zu kommen, er hat in seinem Narzissmus etwas vom Byronic hero an sich. Fleming hat seinen Helden nicht so sehr gemocht, that cardboard booby hat er ihn genannt. Und in einem ➱Gespräch mit Raymond Chandler sagte er 1958: Your hero, Philip Marlowe, is a real hero. He behaves in a heroic fashion. I never intended my leading character, James Bond, to be a hero. I intended him to be a sort of blunt instrument wielded by a government department who would get into bizarre and fantastic situations and more or less shoot his way out of them, or get out of them one way or another. But of course he’s always referred to as my hero. I don’t see him as a hero myself. On the whole I think he’s a rather unattractive man..

Fleming ist mit einem gewissen Unernst an das Schreiben seines ersten Romans herangegangen (aber bei allem Unernst: er hat wie sein Geschöpf James Bond keinerlei Humor). Den Roman hat er in einem Stück, jeden Tag 2.000 Wörter, auf seiner Schreibmaschine in dem gerade gekauften Haus Goldeneye auf Jamaica getippt. Er hat Casino Royale geschrieben, weil er sich langweilte, das Schreiben war roughly the equivalent of digging a very large hole in the garden for the sake of exercise, wie er einem Freund anvertraute Das Manuskript hat er mit seinem Füllfederhalter durchkorrigiert und sich später in blauem Maroquinleder binden lassen. Sechs Tage vor seiner Hochzeit mit Lady Anne Rothermere war er mit dem Roman fertig. Er wusste nicht einmal, ob er das Ganze veröffentlichen sollte, aber sein Freund William Plomer, der als Berater für den Jonathan Cape Verlag (der auch Peter Flemings Verlag war) arbeitete, hat ihn dazu überredet. Der Rest ist Geschichte. Als er mit dem Roman fertig war, hat er sich - das ist sicherlich eine symbolische Handlung - bei der Royal Typewriter Company in New York für 174 Dollar eine goldüberzogene Schreibmaschine bestellt. Die er zuerst sorgfältig wegschloss. Die Schreibmaschine wurde 1995 für 56.250 £ bei  Christie's in London verkauft. Hemingways Schreibmaschine (auch von der Royal Typewriter Company) brachte vor vier Jahren nur 2.750 Dollar. War aber nicht vergoldet.

Ian Lancaster Fleming, der Schöpfer von James Bond, einer Figur, die längst nichts mehr mit den ersten Romanen zu tun hat, ist heute vor 47 Jahren gestorben. Seine Schöpfung lebt noch immer, auch wenn sie immer wieder andere Formen annimmt.

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