Samstag, 20. August 2011

Martin Opitz


Die deutsche Barockforschung begann für die Germanistik mit dem berühmten Seminar von Julius Petersen im Wintersemester 1927/1928, aus dem eine ganze Generation von Germanisten hervorgegangen ist. Leute wie Wolfgang Kayser, Hans Pyritz, Richard Alewyn, Benno von Wiese, Erich Trunz. Mein erstes Barockseminar war in den sechziger Jahren ein Proseminar Das europäische Drama und Theater des Barock bei dem Hamburger Theaterwissenschaftler Dr. Diedrich Diederichsen. Der war auch der Leiter der 1940 gegründeten Theatersammlung, die zu dem Lehrstuhl für Germanistik in Hamburg gehörte. Es hatten sich in dem Sommer nur wenige Studenten in sein Seminar verirrt, was sicher ein Fehler war, denn es war ein hervorragendes Seminar. Bei dem der Schwerpunkt nicht auf der Literatur des Barock, sondern auf dem Theater und der Aufführungspraxis lag.

Einen Aspekt davon hatten ja wenige Jahre zuvor Alewyn und Sälzle in ihrem Rowohlt Band Das große Welttheater behandelt, der schnell zu einem Standardwerk geworden ist: Ein jedes Zeitalter schafft sich ein Gleichnis, durch das es im Bild seine Antwort gibt auf die Frage nach dem Sinn des Lebens und in dem es den Schlüssel ausliefert zu seinem Geheimnis. Die Antwort des Barock lautet: Die Welt ist ein Theater. Großartiger kann man vielleicht von der Welt, aber schwerlich von Theater denken. Kein Zeitalter hat sich mit dem Theater tiefer eingelassen als das Barock, keines hat es tiefer verstanden. In keinem Stoff aber auch hat das Barock sich völliger offenbart als im Theater. Es hat das Theater zum vollständigen Abbild und zum vollkommenen Sinnbild der Welt gemacht. Ich las mich in jenem Sommer durch das deutsche Drama des 17. Jahrhunderts. Das hat keinerlei Schäden hinterlassen, so richtig fetzig ist das aber auch nicht. Und nicht in jedem Stück kommt ein Pickelhäring vor, der für comic relief sorgt. Ich möchte auch davon absehen, dem geneigten Leser Leseempfehlungen zu geben. Denn wenn wir ehrlich sind: mit William Shakespeare und seinen Zeitgenossen können unsere deutschen Dramatiker nicht mithalten.

Mit den Gedichten unserer Barockschriftsteller, die Günter Grass in einem Roman 1647 in dem kleinen Kaff Telgte zusammenkommen lässt, ist das eine ganz andere Sache. Da haben wir schon etwas vorzuzeigen. Und da heute der Todestag von Martin Opitz ist, dachte ich mir, ich stelle hier einmal ein Gedicht von Opitz ein. Das hat vor zwei Jahren am 20. August MartininBroda in seinem Blog auch gemacht, und das hat mir gefallen. Das Gedicht, das keinen Titel hat, ist eine Art Vorzeigestück aus dem Buch von der Deutschen Poeterey, wo Opitz es im 7. Capitel zitiert, wenn er das Sonett behandelt:

Ihr / Himmel / Lufft vnd Wind / jhr Hügel voll von Schatten /
Ihr Hainen / jhr Gepüsch' / vnd du / du edler Wein /
Ihr frischen Brunnen jhr so reich am Wasser seyn /
Ihr Wüsten die jhr stets müßt an der Sonnen braten /
Ihr durch den weissen Thaw bereifften schönen Saaten /
Ihr Hölen voller Moß / jhr auffgeritzten Stein' /
Ihr Felder welche ziert der zarten Blumen Schein /
Ihr Felsen wo die Reim' am besten mir gerathen /
Weil ich ja Flavien / das ich noch nie thun können /
Muß geben gute Nacht / vnd gleichwol Muth vnd Sinnen
Sich förchten allezeit / vnd weichen hinter sich /
So bitt' ich Himmel / Lüfft / Wind / Hügel / Hainen / Wälder /
Wein / Brunnen / Wüsteney / Saat / Hölen / Steine / Felder
Vnd Felsen sagt es jhr / sagt / sagt es jhr vor mich.

Und da er ein ehrlicher Mann ist, hat er vor das Sonett noch den Satz Oder / im fall dieses jemanden angenemer sein möchte; Welches zum theil von dem Ronsardt entlehnet ist vorangestellt. Immature poets imitate; mature poets steal; bad poets deface what they take, and good poets make it into something better, or at least something different, hat T.S. Eliot gesagt. Der Hinweis auf den Dichter Ronsard ist wichtig, Opitz entlehnet in seiner Poeterey eine ganze Menge von dem französischen Hofdichter. Ohne darauf hinzuweisen. Aber hier konnte er auch nicht anders, das Gedicht aus den Amours von 1552 war einfach zu bekannt:

Ciel, air et vents, plains et monts découverts,
Tertres vineux et forêts verdoyantes,
Rivages torts et sources ondoyantes,
Taillis rasés et vous bocages verts,
   Antres moussus à demi-front ouverts,
Prés, boutons, fleurs et herbes roussoyantes,
Vallons bossus et plages blondoyantes,
Et vous rochers, les hôtes de mes vers,
   Puis qu'au partir, rongé de soin et d'ire,
A ce bel oeil Adieu je n'ai su dire,
Qui près et loin me détient en émoi,
   Je vous supplie, Ciel, air, vents, monts et plaines,
Taillis, forêts, rivages et fontaines,
Antres, prés, fleurs, dites-le-lui pour moi.

Ich hätte das ja auch gerne in diesem altertümlichen Französisch gedruckt (Ciel, air & vents, plains & montz descouvers...), habe ich aber nicht im Netz gefunden, und zum Abtippen hatte ich keine Lust Obgleich es gleich ganz anders wirkt, man kann das an Opitz' Sonett sehen. Und da ich gerade bei Ronsard bin, den jeder (auch William Shakespeare) beklaut hat - so wie Ronsard Petrarca beklaut hat - hätte ich noch ein kleines Schmankerl. Nämlich ein Gedicht von Ronsard, in dem er prophetisch ein halbes Jahrhundert zuvor den Höhepunkt der englischen Lyrik in der elisabethanischen Zeit vorhergesagt hat:

Bien tost verra la Tamise superbe
Maint Cygne blanc loger dessus son herbe,
Hostes sacrez, puis eslevez aux cieux,
Tout à l'entour des bords delicieux
Jetter un chant, pour signe manifeste
Que meint Poëte, & la troupe celeste
Des Muses sœurs y feront quelque jour,
Laissant Parnasse, un gracieux sejour,
Pour envoyer aux nations estranges
Des Roys Anglois les fameuses louanges.


Was in einer zeitgenössischen englischen Übersetzung dann so heißt:

Soon the proud Thames shall see
A flock of white swans nesting on his grass,
his holy guests, they mount to the heavens
in circles over those delightful banks
uttering song which is the certain sign
that many a Poet, and the heavenly troop
of sister Muses quitting Parnassus
shall take it for their gracious dwelling place,
and tell the famous praise of England's Kings
unto the crowded nations of the world.

Ja, Willie Shakespeare, wenn Du das gewusst hättest, dass Pierre de Ronsard Dich vorausgesagt hat, hättste ihn dann auch beklaut?

Ich gebe zu, dass ist jetzt ein bisschen mager, was ich über Opitz geschrieben habe. Aber ich habe beim Schreiben gemerkt, dass ich eigentlich stundenlang über unsere deutschen Barockdichter schreiben könnte. Das werde ich eines Tages noch tun, also halte ich mein Pulver heute trocken. Einen Literaturtip habe ich aber doch. Es ist das Buch Martin Opitz von Marian Szyrocki. Das Buch des Breslauer Ordinarius war 1956 in Ost-Berlin erschienen; man nahm es nicht so richtig zur Kenntnis, weil man damals ungern durch den Eisernen Vorhang guckte. Das Buch (das man heute antiquarisch noch spottbillig bekommen kann) galt in den sechziger Jahren als Geheimtip. 1974 brachte C.H. Beck dann die zweite Auflage heraus, man wollte sich den polnischen Barock-Spezialisten (dessen Die deutsche Literatur des Barock: Eine Einführung immer noch bei Reclam lieferbar ist) doch nicht entgehen lassen. Marian Szyrocki hat zwar keinen Wikipedia Eintrag, aber wenn man diesen kurzen Nachruf des Spiegel liest, kann man erahnen, wie wichtig und bedeutend er gewesen ist.

Diedrich Diederichsen, mein Wegführer in die Barockliteratur, hat auch keinen Wikipedia Eintrag. Dafür hat sein Sohn, der Jahrzehnte später noch berühmt wurde, einen langen Artikel. Von den Schülern des berühmten Julius Petersen habe ich zwei noch kennengelernt. Bei Erich Trunz habe ich eine Handvoll Vorlesungen gehört und später habe ich einmal Richard Alewyn gesehen. Ich begleitete damals einen emeritierten Professor, der mir die Universität Bonn zeigte, als er einen Herrn auf der anderen Straßenseite grüßte und mir dann sagte: Das war Richard Alewyn. Ich sagte Professor X., dass ich Alewyns Buch über das Barocktheater gelesen hätte, worauf er mir sagte: Sie müssen seine Schriften mit Vorsicht geniessen. Er ist kein guter Lateiner, und er fährt einen grünen DKW. Kein Wort über die wissenschaftliche Leistung von Alewyn, nur dieser Schmäh mit dem grünen DKW. Was hätte Martin Opitz zu solchem Quatsch gesagt? Das enge Meer der Eitelkeit käme mir in den Sinn, aber Opitz hat das anders gemeint.

An den Schluss seines Buches über die Deutsche Poeterey setzt Martin Opitz eine Erklärung, die - wenn man die gesellschaftlichen Verhältnisse des Jahres 1624 bedenkt - geradezu revolutionär ist. Und irgendwie heute noch aktuell: Nebenst dieser hoheit des gueten namens / ist auch die vnvergleichliche ergetzung / welche wir bey vns selbst empfinden / wenn wir der Poeterey halben so viel bücher vnnd schrifften durchsuchen: wenn wir die meinungen der weisen erkündigen / vnser gemüte wieder die zuefälle dieses lebens außhärten / vnd alle künste vnnd wissenschafften durchwandern? So war ich dieses für meine grösseste frewde vnd lust auff der Welt halte / so war wündsche ich / das die die in ansehung jhres reichthumbs vnnd vermeineter vberflüssigkeit aller notdurfft jhren stand weit vber den vnserigen erheben / die genüge vnd rhue / welche wir schöpffen auß dem geheimen gespreche vnd gemeinschafft der grossen hohen Seelen / die von so viel hundert ja tausendt Jharen her mit vns reden / empfinden solten; ich weiß / sie würden bekennen / das es weit besser sey / viel wissen vnd wenig besitzen / als alles besitzen vnd nichts wissen. Vber dieser vnglaublichen ergetzung haben jhrer viel hunger vnd durst erlitten / jhr gantze vermögen auffgesetzt / vnd fast jhrer selbst vergessen. Zoroaster / welcher / wie oben erwehnet / alle seine gedancken Poetisch auffgesetzt /soll zwantzig Jhar in höchster einsamkeit zuegebracht haben / damit er in erforschung der dinge nicht geirret würde. Vnd da alle andere wollüsten vns vnter den händen zuegehen / auch offtermals nichts von sich vbrig lassen als blosse rewe vnd eckel; so begleitet vns diese vnsere durch alle staffeln des alters / ist eine ziehr im wolstande / vnd in wiederwertigkeit ein sicherer hafen. Derentwegen wolle vns ja niemandt verargen / das wir die zeit / welche viel durch Fressereyen / Bretspiel / vnnütze geschwätze / verleumbdung ehrlicher leute / vnd sonderlich die lustige vberrechnung des vermögens hinbringen / mit anmutigkeit vnsers studierens / vnd denen sachen verschliessen /welche die armen offte haben / vnd die reichen nicht erkauffen können. Wir folgen dem / an welches vns Gott vnd die natur leitet / vnd auß dieser zueversicht hoffen wir / es werde vns an vornemer leute gunst vnd liebe / welche wir / nebenst dem gemüte vnserem Vaterlande zue dienen / einig hierdurch suchen / nicht mangeln. Den verächtern aber dieser göttlichen wissenschafft / damit sie nicht gantz leer außgehen / wollen wir in den Tragedien so wir künfftig schreiben möchten die Personen derer geben / welche in dem Chore nach erzehlung trawriger sachen weinen vnd heulen mussen: da sie sich denn vber jhren vnverstand vnd grobheit nach der lenge beklagen mögen.

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