Wir waren in Amerika, bevor die Mayflower kam, hat Martin Luther King einmal gesagt. Und er hat Recht, 1619 sind die ersten Schwarzen aus Angola in Jamestown in Virginia angekommen. Sie kommen auf einem englischen Freibeuter namens White Lion, der gerade ein portugiesisches Sklavenschiff überfallen hatte. Sie werden in Virginia keine Sklaven sein, sondern, wie viele Weiße, für eine zeitlang indentured servants sein. Danach winkt ihnen die Freiheit, die amerikanische Sklaverei, wie wir sie aus dem 18. und 19. Jahrhundert kennen, ist noch nicht erfunden.
Es hat beinahe 400 Jahre gedauert, bis die Geschichte dieser ersten schwarzen "Amerikaner" (sie sind eigentlich noch Engländer, Amerika gibt es noch nicht) wirklich geschrieben werden konnte. The Birth of Black America hieß das Buch des Journalisten Tim Hashaw, der sich auf die Suche nach seinen roots begeben hatte. Und dann herausfindet, dass an der Wurzel des Familienstammbaums keine Texaner stehen, sondern die Schwarzen aus Angola. Mit diesem Buch, das sich streckenweise wie ein Kriminalroman der Kulturgeschichte liest, werden viele Irrtümer der Geschichte korrigiert, die sich seit Captain John Smiths (ja, derjenige, der die Indianerprinzessin Pocahontas sitzen ließ) Schriften über Virginia bei Historikern gehalten haben. In gewisser Weise wird hier die amerikanische Geschichte nach beinahe 400 Jahren neu geschrieben. The Birth of Black America ist gleichzeitig Enthüllungsjournalismus und Kulturgeschichte. Und eins der aufregendsten Bücher über die Geburt Amerikas im 17. Jahrhundert.
Das, was Tim Hashaw gemacht hat, hat vor 35 Jahren Alex Haley (der heute vor neunzig Jahren geboren wurde) mit seinem Buch Roots begonnen. Roots ist als Roman wie als TV-Serie eine beispiellose Erfolgsgeschichte gewesen. Der Erfolg rief Neider auf den Plan, Haley sollte die Geschichte von Kunta Klinte bei anderen Autoren geklaut haben. Was in einzelnen Fällen auch wohl stimmte. Die Kritik an der schwarzen Familiensaga kam in den meisten Fällen vom weißen Amerika. Aber man muss auch sehen, dass noch nie seit der Harlem Renaissance ein derartig großes weißes Publikum von einem schwarzen Schriftsteller erreicht wurde.
Man muss das Wort Schriftsteller betonen, Alex Haleys Familiensaga ist das Werk eines Schriftstellers, nicht das Werk eines Historikers. Das hat auch der angesehene Literaturwissenschaftler Henry Louis Gates so gesehen: Roots is a work of the imagination rather than strict historical scholarship. It was an important event because it captured everyone's imagination. Als ein literarisches Werk kann es sich sicherlich von einer Vielzahl von Stereotypen nicht lösen, die die Literatur über Schwarz und Weiß in Amerika seit Uncle Tom's Cabin kennzeichnet. Sagt Leslie A. Fiedler in The Inadvertent Epic, aber trotz dieser sicherlich auch berechtigten Kritik (denn in vielen Passagen ist Roots genau solcher Kitsch wie Uncle Tom's Cabin) erscheint ihm Roots als ein wichtiger Baustein eines nationalen Epos. Eines synthetischen Epos, das nicht auf die Begrenzungen durch high oder popular culture achtet. Das von Uncle Tom's Cabin bis Roots reicht und Filme wie Birth of a Nation und Bestseller wie Gone with the Wind einschließt.
Ich habe Fiedler immer bewundert, weil er diese großen, wilden Ideen hatte. Als ich noch an einer Uni unterrichtete, habe ich allen Studis empfohlen, Leslie Fiedler zu lesen. Ich bekam eines Tages Besuch von einer ehemaligen Studentin, die wirklich Karriere gemacht hatte, ganz weit oben im Kulturmanagement. Und die mir sagte: Sie haben in all Ihren Kursen Leslie Fiedler angepriesen wie Sauerbier. Und irgendwann bin ich beigegangen und habe sein Buch 'Love and Death in the American Novel' gelesen. Da habe ich zum ersten Mal begriffen, worum es in der Literatur geht, das Buch hat mein Leben verändert. Ich kann jetzt nicht garantieren, dass Leslie Fiedler Ihr Leben verändert und dass Sie Karriere im Kulturmanagement machen, aber ich empfehle seine Bücher und Aufsätze jederzeit zu Lektüre.
Alex Haley hatte sein Buch 1964 begonnen, er präsentierte es 1976 passend zu Zweihundertjahrfeier der Declaration of Independence. Bei deren ersten Satz We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness keine Fußnote steht, die sagt: Schwarze sind mit der Formulierung all men nicht gemeint. Aber für jemanden aus der Aristokratie der Großgrundbesitzer von Virginia wie Thomas Jefferson bedeutete dieses men nur Menschen, die so wie er waren. Da hatte sich in den anderthalb Jahrhunderten seit Jamestown 1619 eine Menge geändert. Aber zweihundert Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung sagt Alex Haley den schwarzen Amerikanern: Ihr habt auch eine eigene Geschichte. Das hatte schon vorher Martin Luther King gesagt, als er aus dem Gefängnis von Birmingham schrieb: We were here before the mighty words of the Declaration of Independence were etched across the pages of history. Our forebears labored without wages. They made cotton 'king'. And yet out of a bottomless vitality, they continued to thrive and develop. If the cruelties of slavery could not stop us, the opposition we now face will surely fail... Because the goal of America is freedom, abused and scorned tho' we may be, our destiny is tied up with America's destiny.
Der Roman Roots ist für die kurze Geschichte der schwarzamerikanischen Literatur vielleicht nicht so wichtig wie James Baldwins Go Tell It on the Mountain oder William Melvin Kelleys A Different Drummer, aber wie Henry Louis Gates sagte, It was an important event because it captured everyone's imagination. Und es brachte auch Millionen schwarzer Amerikaner dazu, sich auf die Suche nach ihrer eigenen Geschichte zu begeben. Und das ist ein Schritt zu dem, wovon Martin Luther King in Where Do We go from Here? gesprochen hat: As long as the mind is enslaved, the body can never be free. Psychological freedom, a firm sense of self-esteem, is the most powerful weapon against the long night of physical slavery. No Lincolnian emancipation proclamation or Johnsonian civil rights bill can totally bring this kind of freedom. The negro will only be free when he reaches down to the inner depths of his own being and signs with the pen and ink of assertive manhood his own emancipation proclamation. And, with a spirit straining toward true self-esteem, the Negro must boldly throw off the manacles of self-abegnation and say to himself and to the world, "I am somebody. I am a person. I am a man with dignity and honor. I have a rich and noble history."
Donnerstag, 11. August 2011
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