Mittwoch, 24. März 2010

Shelley


Als er in Oxford studiert, sitzt der Sohn eines Landadligen in jeder freien Minute an einem Tümpel und lässt Papierschiffchen über das Wasser treiben: He twisted a morsel of paper into a form that a lively fancy might consider a likeness of a boat, and committing it to the water, he anxiously watched the fortunes of the frail bark, which, if it was not soon swamped by the faint winds and miniature waves, gradually imbibed water through its porous sides, and sank. Er wird die Kunst des Papierschiffchenfaltens perfektionieren und wird immer von Booten aller Art fasziniert sein. Aber er wird niemals lernen, wie man mit einem Segelboot richtig umgeht. Er kümmert sich nicht um solche Petitessen, er ist ein Dichter. Er wird auch niemals die Kunst des Schwimmens erlernen. Während er an seinem Teich in Oxford eine kleine Armada von Papierschiffchen faltet, träumt er sich (wie später, wenn er an der Pinne eines Segelbootes sitzt und dabei Gedichte liest) aus der Wirklichkeit hinweg. In der Zeit, die er mit Träumereien und Papierschiffchenfalten vertändelt, hätten andere einen Segelschein und die Freischwimmerprüfung gemacht. Aber Dichter wie Percy Bysshe Shelley stehen über diesen Dingen. Die schreiben neben dem Spiel mit Papierschiffchen ein Traktätchen über den Atheismus und fliegen damit nach einem halben Jahr in Oxford raus. Und verunglücken dann Jahre später beim Segeln in Italien und ertrinken im Mittelmeer.

Lord Byron dagegen kann richtig segeln. Und er kann auch schwimmen, stundenlang. Kommt nachts aus der Oper, wirft den Frackmantel ab, springt in den Canale Grande und schwimmt nach Hause. Würde er heute nicht mehr tun, ist zu dreckig. Als Shelley England wegen allerlei Skandalen verlässt, schmeißt er sich erstmal an den bewunderten älteren Dichter heran. Der hat England auch gerade wegen allerlei Skandalen verlassen. Aber bei einem echten Lord und berühmten Dichter nimmt man das freiwillige Exil in Italien als Teil des Mythos hin, beim Sohn eines einfachen Baronets, der gut Papierschiffchen falten kann und gerne Dichter sein möchte, ist es eher peinlich. Byron nimmt Shelley mit zum Segeln auf dem Genfer See, bei Sturm und Gewitter. Shelley hat eine Höllenangst. Byron kann da nur lachen, er hat keine Angst. Und er kann schwimmen. Er empfiehlt dem Jüngeren, schwimmen zu lernen.

Shelley möchte nur in einem Boot über das Wasser gleiten, dabei Gedichte lesen und die Welt vergessen. Er kauft sich 1822 ein Boot, das er zuerst Don Juan nennt, nach der Dichtung von Byron. Er könnte sich ja ein Boot mieten, er muss aber unbedingt selbst eins haben, weil Lord Byron auch ein Boot hat. Als er sich von Byron abwendet, tauft er die Don Juan in Ariel um, so etwas bringt nur Unglück. Erst versucht man den Namen Don Juan, den ein gewisser Captain Roberts auf Byrons Geheiß in das Segel gemalt hat, mit Terpentin auszuwaschen, dann schneidet man den Namenszug heraus und flickt das Segel. Das kann ja nichts werden. Den Namen Ariel gibt der Franzose André Maurois auch seiner Shelley Biographie von 1924, die mit unserem romantischen Dichter und Weltverbesserer nicht sehr nett umgeht. Shelley wird mit der Ariel bei einem Gewittersturm verunglücken. Als man seine Leiche Tage später am Strand findet, hat Shelley einen Gedichtband von John Keats in der Tasche seiner Jacke. In der anderen Jackentasche ist ein Band Sophocles. So etwas kann einen schon in die Tiefe ziehen.

Byron und sein neuer Freund Edward Trelawney werden die halb verweste Leiche von Shelley am Strand verbrennen. Danach schwimmt Byron erst einmal stundenlang im Meer. Das Herz von Shelley wird Trelawney aus den Flammen reissen und es Mary Shelley geben, eingepackt zwischen die Seiten von Shelleys Adonais. Mary Shelley wird es ihr Leben lang aufbewahren, es wird mit ihr beerdigt werden. Wenn die Romantiker eins können, dann ist es, einen Kult mit den Toten zu zelebrieren. Wenn auch eine konservative englische Zeitung nach dem Tod von Shelley höhnte Shelley, the writer of some infidel poetry, has been drowned, now he knows whether there is a God or not, nach dem Tod wird Shelley wirklich berühmt. Seine Grab ist auf dem protestantischen Friedhof von Rom. Auf der weißen Steinplatte stehen drei Zeilen von Ariel's Song aus Shakespeares Tempest: Nothing of him that doth fade/ But does suffer a sea-change/ into something rich and strange. John Keats liegt nicht weit von ihm. Der Friedhof ist voll von prominenten Toten, der Sohn von Goethe liegt auch hier.

Lord Byron, mit dem sich Shelley entzweit hatte, wird seinen Freund in einem Brief an seinen Verleger John Murray als without exception the best and least selfish man I ever knew bezeichnen. Ähnliches hatte er Murray schon vier Monate vorher geschrieben. Nein, Byron ist nicht schuld am schlechten Ruf den Shelley in England hat. Er kümmert sich auch um die Witwe. Das Sofa, das sie aus Byrons Villa (wo die Shelleys vorher gewohnt hatten) gerne hätte, das bekommt sie aber nicht, das ist seins. Er kauft ihr aber ein anderes. Eigentlich ist es rührend, wie er sich um sie kümmert. Byron gibt Leigh Hunt (den er nicht ausstehen kann) auch das Geld für Mary Shelleys Heimkehr nach England. Das erfährt Mary aber nie, da Hunt das Geld für sich behält. Jahre nach Byrons Tod wird er in Lord Byron and some of his contemporaries den Dichter, der ihn und seine unerzogenen Kinder (They are dirtier and more mischievous than Yahoos, hatte Byron an Mary Shelley geschrieben) immer durchgefüttert hatte, öffentlich schmähen. Aber diese Schrift markiert auch den endgültigen Untergang von Hunt.

In seinem Liebesgedicht Epipsychidion an die schöne Italienerin Emilia Viviani möchte der Dichter mit seiner Emily über the sea's azure floor in einer bark as an albatross segeln, along the boundless Sea, bis in die Aegaeis. Da ist Shelley nur in seiner Phantasie gewesen. Lord Byron war da wirklich. Ist da auch geschwommen, sogar über den Hellespont. Da gibt es jetzt im Mai zur Zweihundertjahrfeier ein Byron Swim Festival. (Für dichtende Schwimmer oder schwimmende Dichter: alles weitere ➱hier. Der 13. Lord Byron wird auch da sein). Als Byron 1810 über den Hellespont schwimmt, faltet Shelley noch in Oxford Papierschiffchen. Er hätte doch lieber schwimmen lernen sollen.

In der Zeile 591 von Epipsychidion (wenn der Leser diese Zeile erreicht hat, dann ist das Gedicht gottseidank auch gleich zu Ende) stehen die Worte: I pant, I sink, I tremble, I expire! Irgendwie passend für Nichtschwimmer. Mary Shelley konnte nach Shelleys Tod mit großer Befriedigung feststellen, dass die platonisch angebetete Emilia eine ganz ordinäre italienische Tussi war (und das Schwergewicht liegt hier auf ordinär). Shelley betet ständig Frauen an, aber er hat von Frauen in Wirklichkeit keine Ahnung. Das ist bei ihm wie mit dem Segeln.

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