Montag, 22. März 2010
Plagiate
I am an American, beginnt der seltsame Fremde, den der Tourist in Warwick Castle getroffen hat, seine Erzählung. Er kommt aus Hartford, a Yankee of Yankees. Er hat in der größten Fabrik von Hartford gearbeitet, die gehört Samuel Colt. Der stellt unter anderem ein Produkt her, das den schönen Namen peacemaker hat, Amerikaner machen immer Frieden mit dem Colt. ➱Samuel Colt und seine Gattin Elizabeth sammeln auch Kunst, die sie dem Wadsworth Atheneum in Hartford vermachen werden, dem ersten amerikanischen Kunstmuseum. Unser Yankee aus Connecticut ist Superintendent in der Fabrik von ➱Colt, er ist ein klein wenig gewalttätig, wie das Yankees offensichtlich sind: a man like that is a man full of fight - that goes without saying. Bei einem Streit bekommt er eins über den Kopf und wacht im Jahre 513 im England des König Artus wieder auf.
Als er ein großes Schloss mit Türmen und Zinnen sieht, erkundigt er sich bei seinem Begleiter Iranistan? Nein, sagt der, Camelot. Unter Camelot kann sich unser Yankee nichts vorstellen, unter Iranistan schon. Das war der Landsitz, den sich P.T. Barnum, der Zirkuskönig, in Bridgeport hatte bauen lassen. Das 19. Jahrhundert hat ja diese Manie, sich mittelalterliche Schlösser zu bauen, nicht nur in England. Wir sind in der Welt von Mark Twains Roman A Connecticut Yankee in King Arthur's Court. In Bridgeport und Hartford kennt Mark Twain sich aus, er wohnt in Hartford und in der Fabrik von Colt hat er seine Typesetting Machine bauen lassen. Mit der wollte er Millionen verdienen, aber sie war ein technischer Irrweg. Mark Twain verliert viel Geld mit der Erfindung.
Unser Fremder aus Connecticut landet erst einmal auf dem Scheiterhaufen, aber bevor der angezündet wird, zaubert unser Autor eine Sonnenfinsternis herbei. Hank Morgan erinnert sich how Columbus, or Cortez, or one of those people, played an eclipse as a saving trump card once, on some savages, and I saw my chance. I could play it myself now; and it wouldn't be any plagiarism, either, because I should get it in nearly a thousand years ahead of those parties. Dass Mark Twain das Wort plagiarism in diesem Satz unterbringt, ist sicherlich nicht ohne Bedeutung. Wenn Hank Morgan vom Tod auf dem Scheiterhaufen gerettet ist, organisiert er das Zeitalter von König Artus neu, mit Telephon und elektrisch Licht. Er fühlt sich wie Robinson Crusoe, if I wanted to make life bearable I must do as he did - invent, contrive, create, reorganize things; set brain and hand to work, and keep them busy. Well, that was my line.
Kaum war Mark Twains Roman erschienen, da gab es die ersten Plagiatsvorwürfe. Ein Journalist namens Charles Heber Clark erinnerte 1889 daran, dass in seiner Erzählung The Fortunate Island ein Soziologieprofessor auf einer Insel im Atlantik auch schon Telephon, Telegraph und Eisenbahn installiert hatte. Mark Twain wies alle Vorwürfe von sich, zwar gäbe es vielleicht so etwas wie unconscious plagiarism, aber die Erzählung The Fortunate Island hätte er gar nicht gekannt, als er seinen Roman schrieb. Er konnte das mit so schöner Sicherheit sagen, weil er die ganze Sache mit der Sonnenfinsternis bei jemand ganz anderem geklaut hatte. Der hieß Sir Henry Rider Haggard, und der hatte ihm damals seinen Roman King Solomon's Mines mit einer netten Widmung geschickt. Da können Alan Quatermain und sein Gesellen sich nämlich auch mit der Voraussage einer Sofi wie Columbus auf seiner vierten Reise aus einer brenzligen Lage befreien. Ich habe das vor Jahrzehnten durch Zufall, als eine Lesefrucht, wie man so schön sagt, entdeckt. Habe es gleich einem Professor erzählt, der das sofort (ohne mich zu zitieren) veröffentlicht hat. Sozusagen ein doppeltes Plagiat. Manchmal wünscht man sich, dass es einen Scheiterhaufen für klauende Akademiker gäbe, und dann viele Streichhölzer - wenn mal gerade keine Sonnenfinsternis zur Hand ist.
Die ganze Wunderwelt der Technik, die unser fortschrittsgläubiger Yankee im Königreich von Artus installiert, führt am Ende des Roman nur zu Tod und Vernichtung. Zivilisationskritik im technischen Zeitalter? Sicherlich, aber auch Mark Twains Enttäuschung darüber, dass seine Druckmaschine, in die er mehr als 150.000 Dollar installiert hatte, ein Flop war. Der Roman über den Yankee war auch ein Flop. Die Attacke auf die in den Arthurian Romances verherrlichte Welt kam in England nicht so gut an. Das 19. Jahrhundert liebt nun mal die sentimentalen Ritterromane oder Tennysons Idylls of the King. Die liegen selbst bei der Königin Victoria auf dem Nachttisch. Eine lesende Königin, schon lange vor Alan Bennetts The Uncommon Reader. Aber nicht nur die Königin Victoria sehnt sich nach einer sentimentalen Vergangenheit when knighthood was in flower (ein Roman mit diesem Titel erschien zehn Jahre nach dem Connecticut Yankee in Amerika). Auch Mark Twain träumt von der Vergangenheit, der pathetic past, the beautiful past, the dear and lamented past, wie er in seiner Autobiographie sagt. Allerdings führt ihn seine Sehnsucht nach der Vergangenheit zurück auf den Mississippi zu dem kleinen Huck Finn. Wenn in dieser Welt ein king und ein duke auftauchen, dann können wir sicher sein, dass es Kleinkriminelle sind.
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