Samstag, 18. April 2015

Neo Rauch


Sportler zu malen, scheint die Maler nicht wirklich zu interessieren. Wir haben zum Ende des 19. Jahrhunderts zwar einige Bilder vom ➱Rudern, ➱Bogenschießen oder vom ➱Cricket, aber kaum welche vom Fußball. Und man muss bis zum 20. Jahrhundert warten, bis George Bellows Dempsey und Firpo malt. Interessant sind bei ➱Bellows die Körper, die ein wenig von den kunstvoll verdrehten Körpern von El Greco haben. Und auch ein wenig von der figurativen Malerei von Neo Rauch.

Aber der Fußball ist in der Malerei unterrepräsentiert, da ist man schon für ein solches Bild dankbar. So müssen Torwarte bei einer Robinsonade aussehen. Die Robinsonade ist nach John William "Jack" Robinson benannt, dem ersten Torwart, der im Fluge alle Torecken erreichte. Vorher stellte man die Dicken ins Tor, die kaum laufen konnten. Torwarte waren meine Helden, als ich noch ➱Straßenfußballer war, und es gibt in den Posts ➱Goalies, ➱Bert Trautmann, ➱Hannover 96 und ➱Albert Camus eine Menge über Torwarte zu lesen.

Das Bild oben, das über drei Meter breit ist, ist natürlich von Alexander Deineka, es kam hier im Blog schon einmal vor, weil der Meister der sozialistischen Realismus ➱hier einen Post hat. In dem Post werden leider (ebenso wie in den Posts ➱Sir John Henry von Schroder und ➱Albert Pinkham Ryder) auch etwas abfällige Bemerkungen über Neo Rauch gemacht. Der feiert heute seinen fünfundfünfzigsten Geburtstag, da will ich nichts Böses über ihn sagen. Nur, dass Alexander Deineka viel besser ist als er. Dieser Torwart von Victor Ivanov aus den fünfziger Jahren, zeigt, dass die Verherrlichung der Welt des Sports aus den dreißiger Jahren, die wir überall bei Deineka finden, für die sowjetische Malerei immer noch ein Thema ist.

Im Katalog der Hamburger Kunsthalle zu der Ausstellung Müde Helden, die Ferdinand Hodler, Alexander Deineka und Neo Rauch gewidmet war, äußert sich Neo Rauch (der hier sein Wespenstich Trauma verarbeitet - oder die Kritiker abwehrt) zu seinen potentiellen Vorbildern: Ich stoße in diesem Fächer, der hier vor mir aufgeschlagen wird, auf eine ganze Reihe von Arbeiten, die ich nie zuvor gesehen habe, und bin bass erstaunt, dass manches von all dem mir bislang unbekannt Gewesenen in meiner Arbeit eine Art Widerschein darstellt. Das klingt jetzt ein wenig so, als ob der Freiherr von und zu ➱Guttenberg über seine Doktorarbeit redet.

Neo Rauch drückt sich immer sehr gewunden aus. Auf die Frage Hat El Greco für Sie schon lange eine besondere Rolle gespielt? sagte er in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen: Nein, eigentlich nicht. Er stand immer im zweiten Glied der mich beeinflussenden Malerpersönlichkeiten, vielleicht sogar eher im dritten. Aber das ändert sich ja. Die Reihenfolge der Einflusslinien verschiebt sich, mäandernd mitunter, und je nachdem wie nahe ich mich selbst an die Persönlichkeit, an das Werk heranbewege, zeigt sich dann, ob die Anziehungskraft ungebrochen ist oder ob sie sich gar völlig unerwartet kraftvoll entfaltet. Und so ist es mir jetzt mit El Greco gegangen. 

Das Köstlichste dazu sind allerdings die Leserkommentare. Wie zum Beispiel: Das bedeutungsschwangere Geschwätz eines Geniekapitalisten. Groß und wichtig baut er aus zusammengeklauten Ikonographien die Fallen für die Kunsthistoriker, die in diesem Brei aus Geschmacksverstärkern immer das zu finden glauben, was über ihr Wissen und ihre Erfahrung hinauszugehen scheint, ihre Teilhabe an dem vermeintlich Großen durch reinen Glauben, der sich als Bewunderung, ausgedrückt als gebildete Kennerschaft, Bahn schafft. Der Kaiser ist ja nackt!

Die großformatigen Bilder von Neo Rauch sind sicherlich leicht zu kopieren (man kann, wie das ein gewisser Christian Holtmann tut, sogar Neo Rauch kopieren). Ein Wolfgang Beltracchi könnte bestimmt ein halbes Dutzend Rauchs in der Woche malen, wenn er wollte. Einen echten falschen ➱Odd Nerdrum zu malen, ist schon etwas schwieriger. Dies hier ist kein Neo Rauch, ist aber auch keine Fälschung. Es ist ein Bild von Rosa Loy, die die Ehefrau von Neo Rauch ist.

Dies Bild von Neo Rauch aus der Kieler Kunsthalle begegnet mir immer wieder, weil die Kunsthalle es auf ihre länglichen Eintrittskarten gedruckt hat, die man prima als Lesezeichen nehmen kann. Ich habe eine ganze Menge davon. Und so taucht es immer wieder an ganz unvermuteten Stellen in Büchern auf. Auf der Seite der Museen Nord findet man eine Interpretation (mit vielen Fragezeichen im Text) von einer Marta Wrage, die auch ständig Führungen in der Kunsthalle anbietet. So etwas vermeide ich. Solche Interpretationen auch. Ich vermeide auch Neo Rauch, obgleich er als Lesezeichen ganz nützlich ist. Leider haben die kein Bild von Alexander Deineka in der Kunsthalle.

Also dies zum Beispiel. Das hätte ich viel lieber auf den Eintrittskarten als das Bild von dem Mann im Moor von Neo Rauch. Der Mann ist ein Produkt der Postmoderne, an dem sich die Geister scheiden. Werner Spies hat vor fünf Jahren lobhudelnde Dinge über ihn gesagt, aber sein Ruf ist nach dem letzten Kunstfälscherskandal arg beschädigt. Ich habe schon vor Jahren die Bücher des Meisters des Kunstgeschwafels in die zweite Reihe gestellt. Da hatte ich gerade seine Laudatio auf Anselm Kiefer zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels im Jahre 2008 im Fernsehen gesehen.

Es geht bei dieser ganzen farbigen Bemalung von sehr großen Leinwänden auch um viel Geld. Für die Summen, die man für einen Neo Rauch auf den Tisch legen muss, kann man schon schöne englische Landschaften aus dem 18. Jahrhundert bekommen. Das wäre mir lieber. Und ich begnüge mich auch gerne mit dem, was ich auf Flohmärkten und bei meinem geliebten Hinterhofhöker finde. Wie diese kolorierte Zeichnung einer jungen rothaarigen Dame in grünem Kleid. ➱Damenmode der frühen fünfziger Jahre, Ballerinas an den Füßen wie ➱Audrey Hepburn. Der Zeichner könnte für eine Illustrierte gearbeitet haben. Es ist nicht Hildegarde van Gülick, aber doch mit professionellem Strich gezeichnet. Ich habe Glas und Rahmen grob gesäubert und bin damit zu Frau Petrich bei mir um die Ecke. Anja Petrich (Bild) hat ein Geschäft, das Bild und Rahmen heißt, und sie ist eine Meisterin im Rahmen von Bildern. Der Rahmen wird neu verleimt, und meine rothaarige Schönheit aus den fifties bekommt ein neues Passepartout. Und ist dann viel schöner als jeder Neo Rauch. Und billiger.

Ich bin nicht der einzige, der an dem großen Künstler mit den großen Bildern herumkrittelt (schauen Sie doch einmal in diesen ➱Blog), der inzwischen zu den Großverdiener des Kunstbetriebs zählt und so viel verdient wie Bundesligaspieler. Oder Trainer. Neo Rauch ist inzwischen in der Champions League der Millionäre angekommen, da wo Gerhard Richter, Damien Hirst (das ist der mit den Kühen in Formalin, er wurde schon in dem Post ➱Louis Vuitton erwähnt) und Anselm Kiefer sind. Es lohnt vielleicht nicht, Bilder von Neo Rauch als Spekulationsobjekt zu kaufen. Diese Sorte Kunst ist eine gefährliche Sache. Also zum Beispiel Jack Vettriano, der ja auch so ähnliche Bilder malt. Sein Singing Butler, den wir alle als ➱Postkarte haben, wurde vor Jahren für 744.000 Pfund Sterling verkauft. Heute sind die Jack Vettriano Preise im Keller.

Doch noch ist Rauch gut im Geschäft (obgleich es schon Warnzeichen gibt, bei Frölich und Kaufmann wird der Brüsseler Neo Rauch Katalog schon für 9,95 verramscht). Wäre es nicht langsam Zeit für einen ➱Rolls Royce? Bernard Buffet, der auch so figurativ wie Neo Rauch malte, hatte auch einen. Dem Meister der Leipziger Schule scheint diese Frage schon häufiger gestellt worden zu sein: Ich kann Ihnen versichern: Hier in Leipzig haut keiner auf die Kacke. Hier jedenfalls fährt keiner Rolls-Royce. Es gibt eben Autos, die nicht nach Leipzig passen, und das nicht nur der Schlaglöcher wegen. Die Leute, die ich kenne und schätze, die sind enorm fleißig und haben keine Zeit, extravaganten Neigungen nachzugehen. Wenn man so viel verdient wie Jürgen Klopp, Thomas Tuchel, Lionel Messi und Wayne Rooney, dann können einem die Kritiker mit ihren Dackelbissen eh egal sein. Manche aus dem Kunstgeschäft haben die Zeichen der Zeit erkannt. Der bekannte Berliner Galerist Ben Kaufmann hat seine Galerie geschlossen, um eine Ausbildung zum professionellen Fußballtrainer zu machen.

Wenn der Schüler des Vorzeigemalers der DDR Bernhard Heisig (der mit Rauchs Bildern nichts anfangen konnte) sagt: Ich sehe mich Anwürfen und Dackelbissen ausgesetzt, dann sollte er bedenken, dass das Beschimpfen von Künstlern nichts Neues ist. Am besten sind darin andere Kollegen, wie zum Beispiel Joseph Beuys: Und ich habe etwas bei den Müllabfuhrleuten gesehen, was ich bei den Scheißkünstlern vermisse, denn die Künstler sind zum großen Teil opportunistisch, sie sind Arschlöcher, das muss ich jetzt auch mal sagen. Die Künstler sind die reaktionärste Klasse. Eigentlich gibt es ja keine Klasse mehr, aber die Künstler sind so reaktionär, dass sie schon fast wieder eine neue Klasse bilden. Ich habe das Zitat aus dem wunderbaren Band Künstler beschimpfen Künstler, der 1997 im Heimatort von Neo Rauch erschienen ist.

Fußballspieler sind, wie schon gesagt, leider selten ein Gegenstand der Kunst, da muss man für Alexander Deinekas bildliche Verherrlichung von Sportlern in den dreißiger Jahren schon dankbar sein. Fußballspieler scheinen auch keine Kunst zu kaufen, obgleich sie sich leicht einen Neo Rauch leisten könnten. Fußballspieler kaufen sich eher einen Jaguar E Type wie ➱Georgie Best oder einen Aston Martin wie Marco Reuss. Mirko Slomka, vor einem Jahr noch Trainer beim HSV, hätte sein Geld vielleicht besser in einen Neo Rauch oder solch einen hübschen Fußballspieler von Renée Sintenis angelegt, statt es diesem Maschmeyer zu geben.

Das bringt mich wieder zurück zum Anfang, zum Fußball, zu Torwarten, die heute nicht mehr Theodor heißen. Aber auch ganz schön verdienen können. Dieses Bild ist nicht von Neo Rauch, Victor Ivanov oder Alexander Deineka, das ist von dem Engländer ➱Cecil Beaton. Der wahrscheinlich noch berühmt ist, wenn man Neo Rauch vergessen hat.

Viele Fußballspieler werden ebenso vergessen wie viele Maler. Aber an manche wird man sicher immer noch erinnern. Ich habe Pico Schütz (auf dem Photo rechts neben ➱Uwe Seeler), der vor wenigen Tagen starb, noch spielen sehen. Er gehört zu den Spielern von ➱Werder Bremen, die man wie ➱Dragomir Ilic, Horst Höttges oder Sense Ackerschott nie vergisst.

In Österreich hat man ➱Mathias Sindelar aus dem Wiener Arbeiterstadtteil Favoriten, den Kapitän des legendären Wunderteams, nicht vergessen. Hier ist das österreichische Nationalteam von Paul Meissner gemalt, das Bild von 1948 zeigt die Mannschaft und ihren Trainer Hugo Meisl beim Einlauf in das Stamford Bridge Stadion im Jahre 1932. In der Pause lagen die Österreicher mit 0:2 zurück, danach hat Meisl (korrekt mit Anzug, Mantel, Hut und Spazierstock) seine Spieler mit den Worten Spüts euer Spüü! zurück auf den Rasen geschickt. Die Engländer gewannen das Freundschaftsspiel mit 4:3, und die Times feierte Sindelar als einen der besten Spieler der Welt.

Wenn die Maler die Fußballhelden schon nicht malen, die Dichter besingen sie, wie man dem Post ➱Fußballpoesie entnehmen kann. Der österreichische Autor Friedrich Torberg hat Mathias Sindelar mit dem Gedicht Auf den Tod eines Fußballspielers ein kleines Denkmal gesetzt:

Er war ein Kind aus Favoriten
und hieß Mathias Sindelar.
Er stand auf grünem Plan inmitten,
weil er ein Mittelstürmer war.

Er spielte Fußball, und er wußte
vom Leben außerdem nicht viel.
Er lebte, weil er leben mußte,
vom Fußballspiel fürs Fußballspiel.

Er spielte Fußball wie kein zweiter,
er stak voll Witz und Phantasie.
Er spielte lässig, leicht und heiter.
Er spielte stets. Er kämpfte nie.

Er warf den blonden Schopf zur Seite,
ließ seinen Herrgott gütig sein,
und stürmte durch die grüne Weite
und manchmal bis ins Tor hinein.

Es jubelte die Hohe Warte,
der Prater und das Stadion,
wenn er den Gegner lächelnd narrte
und zog ihm flinken Laufs davon –

bis eines Tags ein andrer Gegner
ihm jählings in die Quere trat,
ein fremd und furchtbar überlegner,
vor dem’s nicht Regel gab noch Rat.

Von einem einzigen, harten Tritte
fand sich der Spieler Sindelar
verstoßen aus des Planes Mitte,
weil das die neue Ordnung war.

Ein Weilchen stand er noch daneben,
bevor er abging und nachhaus.
Im Fußballspiel, ganz wie im Leben,
war’s mit der Wiener Schule aus.

Er war gewohnt zu kombinieren,
und kombinierte manchen Tag.
Sein Überblick ließ ihn erspüren,
daß seine Chance im Gashahn lag.

Das Tor, durch das er dann geschritten,
lag stumm und dunkel ganz und gar.
Er war ein Kind aus Favoriten
und hieß Mathias Sindelar.

Morgen ist ein Schicksalstag für Uwe Seelers alten Verein. Wird es dem neuen Trainer Bruno Labbadia gelingen, eine Mannschaft aufzustellen, die Werder Bremen schlägt? Oder wird der HSV in der nächsten Saison mit Holstein Kiel in einer Liga sein?

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