Dienstag, 12. Januar 2010

Ma Nuit Chez Maud


Wenn wir mit Jean-Louis Trintignant in einem aufgemotzten Ford Mustang in Regen und Schnee fahren und die Scheibenwischer zur Filmmusik von Francis Lai tanzen, dann sind wir in einem Film von Claude Lelouch. Der Film heißt Un homme et une femme, und wir wissen, alles wird gut. Wenn wir ohne Trintignant in einem Film von Lelouch in einem Auto sitzen und morgens um halb sechs durch Paris brettern und keine rote Ampel beachten, dann gibt es auch keine plüschige Filmmusik von Francis Lai. Dann gibt es als Soundtrack entweder einen Ferrarimotor oder Snow Patrols Open your eyes. Und Lelouch hat danach keinen Führerschein mehr. Wenn wir aber mit Trintignant in einem völlig unspektakulären Renault R16 im Schnee durch die Auvergne fahren (da wo Hölderlin im Winter 1802 zu Fuß gewandert war), und wenn wir uns auch nicht mehr an die Filmmusik erinnern können, dann sind wir in der Welt von Eric Rohmer.

Ma nuit chez Maud war 1969 bei Kritik und Publikum ein großer Erfolg. Das ist einigermaßen erstaunlich, denn es gibt wenige Filme, die so wenig Handlung haben und in denen so viel über Pascal diskutiert wird. Trintignant erhält in Cannes einen Preis, aber nicht für seine Rolle in dem Rohmer Film, sondern für seine Rolle in Costa-Gavras' Film Z. Der autoverrückte Trintignant, der am liebsten seinem Onkel Maurice als Rennfahrer nachgefolgt wäre, spielt hier einen Ingenieur, der für die Firma Michelin in Clermont-Ferrand arbeitet. Er ist erst seit wenigen Monaten in Frankreich, vorher war er lange in Kanada und Südamerika, er kennt kaum jemanden in Clermont-Ferrand. Er trifft Weihnachten seinen alten Freund Vidal, einen überzeugten Marxisten, der jetzt Philosophieprofessor ist.

Und er sieht in der Christmette, wohin es ihn als überzeugten Katholiken zieht, die schöne blonde Françoise, gespielt von Marie-Christine Barrault. Vidal nimmt ihn zu einer alten Freundin namens Maud, gespielt von Françoise Fabian, mit. Dort verbringt unser schüchterner Junggeselle die Nacht, der R16 ist eingeschneit. Es gibt keinen Sex, man redet die ganze Nacht. Das wäre bei Lelouch definitiv anders gewesen. Am nächsten Morgen versucht sich Trintignant Françoise Fabian zu nähern, wenn sie aus der Dusche kommt, aber sie weist ihn ab: J'aime bien les gens qui savent ce qu'ils veulent. Trintignant begehrt sie, und wer hätte das im Publikum damals nicht getan? Aber er wird die Blondine heiraten. Am Ende des Filmes treffen sich alle zufällig fünf Jahre später einmal kurz am Strand eines Seebades. Das ist Deine Frau, ich hätte es wissen sollen, sagt sie. Ich habe nie über sie geredet, sagt Trintignant: Mais je ne vous ai jamais parlé d'elle. Und sie entgegnet Et comment! De votre fiancée blonde, catholique. J'ai bonne mémoire, vous savez. Frauen haben in solchen Fragen nicht nur ein gutes Gedächtnis, Frauen können auch jeden Subtext lesen, wenn eine Nacht im Schnee nur über Pascal und Moral geredet wird. Françoise Fabian spielt eine emanzipierte Frau, Trintignant ist letztlich ein nerd (auch wenn er einen wahnsinnig eleganten Flanellzweireiher mit engen Hosen anhat).

Der Film öffnet die Türen für noch längere filmische Diskussionen, wie in My dinner with Andre. Ein begehrenswerte dunkelhaarige Frau, eine kleine Blonde, bei der sich Trintignant sicher fühlt: Avec vous, je me sens très bien. Das ist die Kombination für Kolportageromane, Leslie A. Fiedler hatte wenig zuvor sein epochales Werk Love and Death in the American Novel geschrieben, in dem dieser Gegensatz immer wieder vorkommt. Aber Rohmer entgeht solchen trivialen Fallen, dieser Film ist eine seiner Moralischen Geschichten. Obgleich man keine Moral mitnehmen kann, wenn das Licht im Kino wieder angeht. Die Kritiker in Cannes fühlten sich an Jean Renoirs La Règle du Jeu erinnert, sahen hier das Gegenteil zu den Filmen von Bresson oder verglichen Rohmer gar mit Flaubert

Alle lobten die Schauspielkunst von Trintignant und Fabian. Und alle mussten expressis verbis oder knurrend zwischen den Zeilen zugeben, dass hier ein Regisseur herangereift war, der ein ganz anderes Kino machte. Eigensinnig, immer seinen eigenen Weg gegangen ist. Den Flanellanzug von Trintignant fand ich damals toll. Françoise Fabian auch. Vom Film habe ich wenig verstanden. Bis mir mein Freund Peter das Drehbuch (L'Avant-Scène n°. 98) geschenkt hat, das habe ich gelesen und wieder gelesen. Dann habe ich Pascal gelesen. Ich weiß immer noch nicht, ob ich den Film verstehe. Ich habe viele Filme von Rohmer gesehen, und wenn ich auch vieles nicht verstehe und mich vieles auch nervt, dann muss man natürlich auch sagen, dass ein Rohmer Film meistens schon wegen der schönen Frauen lohnt. Denn das ist die Kunst des Kinos, hat sein Kollege Truffaut gesagt, Filme zu drehen, in denen schöne Frauen schöne Dinge tun.

Eric Rohmer ist gestern beinahe neunzigjährig in Paris gestorben. Wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen Stil hätte, würden sie jetzt alle seine Filme zeigen.

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