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Dienstag, 19. Oktober 2010

Sir Philip Sidney


Die Datenübersicht von Wikipedia sagt mir, dass Sir Philip Sidney an einem 19. Oktober gestorben ist. Aber das stimmt nicht, es war schon der 17. Oktober 1586. Seine Verwundung hatte er in der Schlacht von Zutphen erhalten. Das da oben ist natürlich kein zeitgenössisches Bild, das ist wieder einmal der Amerikaner ➱Benjamin West, der Lieblingsmaler für historische Sujets von George III. Sir Philip Sidney ist in diesem Krieg in Holland, weil sein Onkel Robert Dudley, der Earl of Leicester, hier Krieg gegen die Spanier führt. Wenn Sie sich an das ➱Bild mit der niederländischen Kuh erinnern, der Earl of Leicester und sein Verwandter sind jetzt Elisabeths Hilfe im Freiheitskampf der Niederlande, sozusagen das Futter für die Kuh.

Sir Philip Sidney ist ein Krieger und er ist Diplomat, dass er nebenbei noch Dichter ist, ist für ihn nicht so wichtig. Er ist das, was man im Englischen so schön Renaissance man nennt, ein homo universalis. Das Ideal, das Baldassare Castiglione in Il Cortegiano anstrebte. Den Cortegiano kannte Sidney schon, weil ihn Sir Thomas Hoby schon 1561 ins Englische übersetzt hat. Sidney kannte sowieso viele Bücher, das wissen wir, weil er sie alle in sein großes Buch hineingeschrieben hat, The Countess of Pembrokes Arcadia. Ein wenig von Chaucers Troilus and Criseyde, ein bisschen vom Gorboduc. Natürlich auch ein wenig bei den Griechen und den Römern (Apuleius' Goldener Esel und Achilleus Tatios' Leukippe und Kleitophon sind zu erkennen), aber das meiste bei den Italienern. Jacopo Sannazaros Arcadia und Ariosts Orlando Furioso werden von Sidney richtig ausgebeutet. Philip Sidney ist der Beweis für die Richtigkeit von T.S. Eliots Satz Immature poets imitate; mature poets steal; bad poets deface what they take, and good poets make it into something better, or at least something different. Sein Arcadia ist something different, und vielleicht sogar something better.

Das große Buch erscheint erst nach seinem Tod, allerdings hat es schon zu seinen Lebzeiten eine kursierende Frühfassung gegeben, die die Forschung gemeinhin The Old Arcadia nennt. Wenn es erscheint, wird es zu einem Bestseller. Dreizehn Auflagen im ersten Jahrhundert nach der vollständigen Publikation von 1593. Die vierzehnte Auflage im Jahre 1725 (und im gleichen Jahr die erste Ausgabe in modernem Englisch), die letzte Ausgabe erschien 1907. Erst in den siebziger Jahren erschienen dann The Old Arcadia und The Countess of Pembroke's Arcadia in wissenschaftlich edierten Ausgaben. Und das erfreulicherweise auch als Taschenbuch. Sidneys Buch ist seit seinem Erscheinen von seinen Schriftstellerkollegen geplündert worden. Als erster hat sich Shakespeare bei ihm bedient. Und Charles I soll vor seiner Hinrichtung das Gebet der Pamela aus Arcadia aufgesagt haben, und Richardson soll seinen Roman Pamela nach eben dieser Pamela benannt haben. Und, und, und - der Einfluss von Sidneys Arcadia über die Jahrhunderte scheint kaum zu glauben. Wenn man das Buch gelesen hat, glaubt man es gerne. Es ist eine Schatztruhe, ein Kuddelmuddel aus romance, Roman, Theaterstück (The Old Arcadia ist in Akte eingeteilt) und Gedicht. The Old Arcadia (mit einer Einführung von Katherine Duncan-Jones) ist in der Ausgabe der Oxford University Press 361 Seiten lang. The Countess of Pembroke's Arcadia (ed. Maurice Evans) bei Penguin beläuft sich auf 848 Seiten. Beide Ausgaben sind noch lieferbar. Man kann es natürlich auch (in der Fassung von 1590) ➱hier lesen, macht aber nicht so richtig Spaß. Die Lektüre von The Old Arcadia macht aber wirklich Spaß. In clarity, symmetry, and coherence the 'Old' version is greatly superior both to the unfinished 'New' "Arcadia" and the amalgated, 'composite' version, a hybrid monster which Sidney never envisaged, schreibt die Oxford University Press auf ihr Produkt. Und obgleich es Werbung für die eigene Ausgabe ist, ist es doch wahr. The Old Arcadia ist ein wirkliches Leseerlebnis.

Die Beerdigung von Sir Philip Sidney wird zu einer Staatsaktion. John Aubrey, der mit seinen Brief Lives die größte Klatschsammlung des 17. Jahrhunderts herausgebracht hat, erinnert sich, dass er einmal eine Abbildung von dem Beerdigungszug gesehen hat: When I was a boy 9 yeares old, I was with my father at one Mr. Singleton's, an alderman and wollen-draper in Glocester, who had in his parlour, over the chimney, the whole description of the funerall, engraved and printed on papers pasted together, which, at length, was, I beleeve, the length of the room at least; but he had contrived it to be turned upon two pinnes, that turning one of them made the figures march all in order. It did make such a strong impression on my young phantasy, that I remember it as if it were but yesterday. I could never see it elsewhere. [....] Tis pitty it is not re-donne. Es ist inzwischen re-donne, Sie können es sich hier ansehen. John Aubrey hat Sidney auch ein Verhältnis mit seiner Schwester, der Gräfin von Pembroke angedichtet. Wir lassen diesen Klatsch mal durchgehen, Sidneys Ehefrau wäre davon nicht begeistert gewesen. Sein Schwiegervater hätte John Aubrey sicherlich unauffällig aus dem Weg räumen lassen. Er heisst Sir Francis Walsingham, und er ist der Chef des Geheimdienstes von Elisabeth I.

Wahrscheinlich hat Walsingham seinen Schwiegersohn auch in der Kunst der ➱Spionage unterwiesen, denn Sidney ist ja als Diplomat überall in Europa unterwegs gewesen. Er korrespondiert auch mit bedeutenden Gelehrten. Dies ist die Renaissance, Gelehrte sind jetzt kosmopolitisch. Einer seiner Brieffreunde ist Hubert Languet, mit dem er beinahe hundert Briefe gewechselt hat. Der steht als Diplomat (und Spion) in sächsischen Diensten, und wahrscheinlich hat Sidney auch deshalb einmal gesagt, dass in Sachsen das reinste Deutsch gesprochen würde. Das würden wir heute nicht so sehen, aber vielleicht redeten die da damals auch ganz anders. In einem Brief aus Venedig an Hubert Languet vom Dezember 1573 habe ich etwas Erstaunliches gefunden, das Wort moslemize. Sidney redet hier von einer möglichen Allianz der Angelsachsen mit den Sachsen und den Türken: Are you not amused to find that we Saxons begin to moslemize. Mein altes Oxford English Dictionary kennt das Wort moslemize erst ab 1845. Erstaunlich.

Die enge Vertrautheit der beiden Renaissance Intellektuellen ist neuerdings für einige "Wissenschaftler" ein Beweis dafür, dass Sidney und der sächsische Diplomat schwul waren. Dazu käme, dass er in den Armen seines Privatsekretärs gestorben wäre. Ist klar. Wo kriegt man nur auf dem Schlachtfeld all die Frauen rechtzeitig her, damit die englischen Helden in ihren Armen sterben können? Diese neue Tendenz, mit denen irgendwelche Spinner jedem in der Vergangenheit nachweisen, dass er homosexuell war, ist ja ein wenig degoutant. Aber irgendwie auch sehr komisch. Erst der gute alte Aubrey mit dem Inzest Klatsch und nun dieses. Die seriöse Forschung kann da nur verzweifelt lächeln, aber das Internet verbreitet jeden Unsinn ungefiltert.

Die englische Dichtung beginnt, mit italienischen Importen wie dem Sonett, dem Blankvers und dem Petrarkismus, im 16. Jahrhundert. Sidney ist nach ➱Wyatt und Surrey (und gleichzeitig mit Spenser) der wichtigste Dichter in dieser Zeit. Und deshalb lassen wir ihn einmal selbst zu Wort kommen.

Leave me, O love which reachest but to dust ;
And thou, my mind, aspire to higher things ;
Grow rich in that which never taketh rust,
Whatever fades but fading pleasure brings.
Draw in thy beams, and humble all thy might
To that sweet yoke where lasting freedoms be ;
Which breaks the clouds and opens forth the light,
That doth both shine and give us sight to see.
O take fast hold ; let that light be thy guide
In this small course which birth draws out to death,
And think how evil becometh him to slide,
Who seeketh heav'n, and comes of heav'nly breath.
Then farewell, world ; thy uttermost I see ;
Eternal Love, maintain thy life in me.
Splendidis longum valedico nugis.


I say a long farewell to glittering trifles, würde die letzte Zeile auf Englisch heißen, aber die Dichter der Renaissance haben es gerne etwas gebildeter, selbst bei den trifles.

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