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Freitag, 19. November 2010

Bertel Thorvaldsen


Der heute vor 240 Jahren geborene Bertel Thorvaldsen war Dänemarks bedeutendster Bildhauer, obgleich er mehr als die Hälfte seines Lebens nicht in Dänemark war. Sondern hier in Rom in irgendeiner Trattoria saß. Da führte der sculptore Alberto (auf dem Bild oben sitzt er ganz rechts am Tisch) ein Künstlerleben. dolce far niente, oder in Thorvaldsens Worten Im übrigen gilt es in Rom nicht als Künstlertugend, wenn man sich allzu produktiv gebärdet. Aber dem dolce far niente wird der Däne nicht verfallen (obgleich er bei der Ablieferung von fest bestellten Werken ein wenig saumselig ist). Der Sohn eines Holzschnitzers ohne jede klassische Bildung wird sich mit seinem Fleiß nach oben arbeiten. Er ist furchtbar produktiv. Ungefähr tausend klassizistische Skulpturen (800 davon im Thorvaldsen Museum) zeugen von großem Fleiß. Und von einer fabrikartigen Werkstatt, in der er bis zu 39 Steinmetze und Bildhauer beschäftigt.

Auf diesem Bild von Constantin Hansen, dass auch dänische Künstler in Rom zeigt, ist er nicht drauf, da bricht er gerade nach Dänemark auf. Wo er wie ein Staatsoberhaupt empfangen wird. Weil er so berühmt ist. Der König Frederik IX soll grün vor Neid gewesen sein, weil der Bildhauer beim Volk beliebter ist als er. Unmittelbar neben dem Schloss Christiansborg wird man jetzt ein Thorvaldsen Museum bauen (in dessen Innenhof ist auch sein Grab). Dänen, die international bekannt sind, sind jetzt rar. Außer Thorvaldsen, ➱Sören Kierkegaard und ➱Hans Christian Andersen fällt mir niemand ein. Wie Hans Christian Andersen kommt Thorvaldsen von ganz unten. Und wie der dänische Dichter kommt er nach ganz oben. Den dänischen Phidias wird man ihn eines Tages nennen.

Es ist nicht so, dass er der einzige wäre, der jetzt klassizistische Plastiken für die internationale Kundschaft in Rom herstellt, beziehungsweise herstellen lässt. Denn sein Eigenanteil an den Marmorstatuen wird mit der Zeit immer geringer. Der Meister entwirft das Modell, die Werkstatt führt aus. Da ist sein Konkurrent Antonio Canova ganz anders, der arbeitet noch selbst am harten Stein. Er ist auch, das muss man an dieser Stelle einfügen, ein grösserer Bildhauer. Und er verlangt höhere Preise. Wenn Canova 6.000 römische Taler für eine Statue verlangt, kann man bei Thorvaldsen schon Griechengötter für 600 Taler bekommen. Kein Wunder, dass er mit dieser Preiskalkulation in Aufträgen erstickt. Wobei er in den ersten Jahren nicht aus den roten Zahlen herauskommt, die Herren Marchetti, Finnelli und Keller (die führenden Marmorhändler der Zeit) haben den Preis für Carrara Marmor angesichts der Nachfrage aus dem halben Dutzend Bildhauerateliers in Rom ganz gewaltig erhöht.

Griechische Götter und griechische Helden sind jetzt in. Wenn die durchreisenden reichen Engländer keine Originale aus der Antike kaufen, dann erwerben sie diese klassizistischen Figuren. Das ist für Bildhauer, Steinmetze im Studio, Marmorhändler und die englischen Zwischenhändler in Rom ein gutes Geschäft. Ein großer Teil der englischen Kunden ist mit der industrial revolution reich geworden, in England gehen ja industrial revolution und die culture of collecting Hand in Hand. Ich habe mir den schön klingenden Ausdruck aus Vicci Coltmans Buch Classical Sculpture and the  Culture of Collecting in Britain since 1760 geklaut. Klingt ja auch vornehmer als Sammelwut. Irgendwie ist es in diesem Zusammenhang schon ironisch, dass Thorvaldsen jetzt eine Art prä-industrieller Massenfertigung von nachempfundener griechischer Antike aufnimmt. Er ist auch, und das sei beiläufig gesagt, groß im Geschäft mit Restaurierungen und Ergänzungen griechischer Torsi. Aber natürlich alles in weiß, angemalt wird nicht.

Aber es sind nicht nur Engländer, wie der berühmte Thomas Hope, auch in Deutschland schaut (und reist) man nach Rom. Daß mir nicht vergönnt war, Griechen, zu leben bei Euch!/ Lieber denn Erbe des Throns, wär ich ein hellenischer Bürger,/ In den Gedanken wie oft träumt ich mich sehnend zu Euch dichtet jemand in Bayern. Nach seiner Italienreise gesteht er Ich war in Schwetzingen erzogen und keineswegs Kunstfreund, aber die scheußlichen Figuren im Hofgarten von Nymphenburg machten mich der Skulptur abgeneigt, bis ich nach Venedig kam und es mir vor Canovas Hebe wie Schuppen von den Augen fiel. Der enthusiasmierte Italienreisende ist, Sie ahnen es schon, Ludwig von Bayern. Und Antonio Canovas Hebe (im Bild oben, die drei Grazien hier links sind von Thorvaldsen) regt ihn sogleich zu einem Gedicht (Sonett X) an:

Was für ein Zauber hält mich hier gefangen!
In mir ein wonnig nie gespürtes Regen,
Durchdrungen plötzlich von der Weihe Segen;
Der Sinn für Kunst war in mir aufgegangen.

Verloren stand ich da in Glutverlangen,
Ich sah dich mir entgegen nun bewegen,
Und Lieb' und Sehnsucht in mein Herz sich legen,
In neue Welt sich die Gefühle schwangen.

Ich konnte mich der Stelle nicht entrücken,
In deinem Anblick war mein ganzes Leben,
Ich schwamm, dich Hebe! sehend, in Entzücken.

Dir ist die ew'ge Jugend froh gegeben.
Und ew'ger Ruhm Canova'n wird beglücken;
Der Lorbeern schönste Künstler nur erstreben.


Ludwig bestellt auch bei dem Dänen, der inzwischen wie im Märchen seines Landsmanns Andersen seine Metamorphose vom hässlichen Entlein zum stolzen Schwan der Bildhauerei vollzogen hat. Er muss aber, wie andere Kunden lange warten, bis er bekommt, was er wollte. Nicht ganz so lange wie Thomas Hope, der hatte zwei Jahrzehnte auf seinen Jason warten müssen. Aber was nimmt man nicht alles in Kauf, wenn man von der Griechenlandbegeisterung berauscht ist?

Thorvaldsen, der selbst ein bescheidener Mann ist und keinerlei (wie man heute sagen würde) Starallüren besitzt, wird auch ein Objekt des in der Zeit grassierenden Geniekults. Dänischer Phidias ist nur eins der vielen Epitheta, die dem Bildhauergenie verliehen werden. Hier links auf dem Bild seines Landsmannes Detlev Conrad Blunck sehen wir ihn mit Puschen und einer Art Hausmantel in seinem Atelier. Es gibt viele Portraits von Thorvaldsen, jeder Maler, der zu dieser Zeit in Rom ist (und das sind nicht wenige), glaubt ihn malen zu müssen. Eins der bekanntesten Bilder stammt wiederum von einem Landsmann, dem berühmten Christoffer Eckersberg (den Thorvaldsen auch modelliert hat, so wie Horace Vernet, der den Bildhauer mit der Vernet Büste gemalt hat). Eckersberg ist ein Freund Thorvaldsens geworden und ist mehrere Jahre in Italien geblieben. Auf seinem Bild trägt Thorvaldsen alle möglichen Orden, in Neapel war er ja sogar geadelt worden.

Was mich, der ich eigentlich Thorvaldsen auf den Tod nicht ausstehen kann - wovon ich mir bisher in diesem Text nichts habe anmerken lassen - viel mehr interessieren würde, wäre ein Bild Thorvaldsen von dem Eckersberg Schüler ➱Hans Matthison Hansen. Das ist vor Jahren einmal im dänischen Kunsthandel bei einer Auktion aufgetaucht. War es eine Kopie nach Eckersberg? Über die malerische Karierre von Hans Matthison Hansen aus Flensburg (damals noch dänisch) ist nicht furchtbar viel herauszufinden. Dass er eines Tages als Organist des Doms von Roskilde der berühmteste dänische Kirchenmusiker wird, darüber lässt sich alles herausfinden. Über den Maler Hans Matthison Hansen (manchmal auch Flensborg Hansen genannt) überhaupt nix. Sein Vater, ein Flensburger Kapitän, der Eckersberg gut kannte, hatte seinen 16-jährigen Sohn am Tag nach der Konfirmation auf die Reise nach Kopenhagen mitgenommen und ihm dem Leiter der Kopenhagener Akademie vorgestellt.

Und Eckersberg hat den Jungen gleich dabehalten. Der junge Hansen hatte nicht nur ein zeichnerisches Talent, sondern spielte auch mehrere Instrumente. Und Hausmusik ging Eckersberg über alles, die ganzen dänischen Komponisten gingen bei ihm ein und aus. Na ja, Kuhlau und Weyse, gibt es noch mehr? Von denen holt sich Hansen auch Rat, ob er die Palette an den Nagel hängen soll und sich stattdessen der Musik widmen soll. Der Rest ist bekannt, ein halbes Jahrhundert Organist im Königsdom von Roskilde. Grieg hat bei ihm sein Orgelexamen abgelegt, und zur großen Weltausstellung hat sein Heimatland Matthison Hansen nach London geschickt, damit er im Crystal Palace Orgel spielt.

Ich kenne den Flensborg Hansen erst seit einigen Monaten, weil ich bei dem reizenden Herrn von M. in seinem Antik&Trödel Laden dieses tolle Bild gekauft habe. Ein romantische Landschaft, eine Sicht auf Roskilde aus einem Waldstück heraus über den Roskilde Fjord. Und das alles in einem schönen Goldrahmen. Gut, man merkt ein wenig, dass es eine Schülerarbeit ist, der Vordergrund ist nicht so ganz gelungen. Aber die Bäume und der Himmel - perfekt! Der Himmel hat diese leichte Rosatönung, die alle Maler aus Italien mitbringen.

So wie Ludwig Stracks Ukleisee (links) mit dem es einiges gemein hat. Das Bild war nicht billig, ist aber jeden Cent wert. Ich nehme jetzt auch Eintritt, wenn Gäste kommen. Wenn ich mich nachts in die Kunsthalle schleichen würde und es an die Wand hinge, würde niemand auf die Idee kommen, dass es da nicht hingehörte. So kommt über Hans Matthison Hansen, der bei Eckersberg gelernt hat, diesen abgetönten Himmel zu malen ein bisschen Italien auch in mein Wohnzimmer. Der Uli hat mir das Bild von Hansen im oberen Absatz photographiert, das Photo sagt etwas über den Aufbau des Bildes, aber das Original ist viel, viel besser als das Photo. Diese DigiCams können auch nicht alles.

So groß Thorvaldsens Ruhm zu Lebzeiten ist, so gibt es doch auch Kritiker. Nicht alle sind so nett böse wie Harald von Mendelssohn in seinem Kierkegaard Buch: Thorvaldsens Talent fiel gewissermaßen dem Bedürfnis seiner Zeit nach Harmonie zum Opfer; die meisten seiner Werke sind nur nett: Putten, Amoretten, Cupidos und Grazien, alle tadellos, hübsch, vollkommen und langweilig. Bei aller wohlgeformten Nackheit vermitteln sie den Eindruck, als habe es weder Leidenschaft noch Erotik in dieser Welt gegeben. Schon Stendhal (der ja auch einen großen Teil seines Lebens in Italien verbringt) äußert sich etwas abfällig über Thorvaldsen (und über den ganzen Griechenwahn), aber das liegt natürlich auch daran, dass er Antonio Canova verehrt. Den hat er 1811 in seinem Atelier besucht. Hatte es aber als französischer Beamter unterlassen, dem französischen Polizeipräsidenten einen Pflichtbesuch zu machen (er konnte den eh nicht ausstehen). Dieses Versäumnis wird aber zu einem Karriereknick Stendhals führen, wenn er im nächsten Jahr nach Paris zurückkommt. In einem Augenblick von Langeweile und Frustration schließt er sich Napoleons Rußlandabenteuer an. Schon im Jahr zuvor hatte er in seine Tagebuch geschrieben: They speak of war with Russia. Es müßte eigentlich reizvoll sein, sich nach der Rückkehr aus Italien einer Armee anzuschließen, die wirklich im Einsatz steht. Und 1813, nachdem er das alles mitgemacht hat, schreibt er unter diese Eintragung: Das ist inzwischen geschehen. Reizvoll ist nicht ganz das richtige Wort. Hätte er doch den Polizeipräsidenten Roms besucht und sein honneurs gemacht bevor er Canova aufsuchte! Da hätte er sich den ganzen russischen Winter sparen können.

Das beste Buch zu Thorvaldsen ist der 756-seitige Katalog Künstlerleben in Rom. Bertel Thorvaldsen (1770-1844): Der dänische Bildhauer und seine Freunde aus dem Jahre 1991. Es gibt noch Restexemplare bei Amazon ab 19,97 €.

1 Kommentar:

  1. Originell, was Stendhal da in sein Tagebuch geschrieben hat. Es kommt nicht so oft vor, daß ich beim Lesen von Blogs laut loslache, denn doch, es blieb schon vorher nicht ganz unbemerkt, daß die Sympathien nicht unbedingt maßlos sind. Schade, daß das Gemälde nicht größer war, es macht tatsächlich einen interessanten Eindruck, soweit man das erkennen kann :-)

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