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Dienstag, 17. Mai 2011

Talsperren


Heute vor 68 Jahren begann die Operation Chastise, der englische Luftangriff auf die Eder- und Möhnetalsperre. Auch die Sorpe- und die Ennepetalsperre wurden angegriffen, die allerdings ohne Erfolg. Hinterher sah die Edertalsperre so aus wie auf dem Bild links. Wo die anderen Talsperren waren, das wusste ich nie so genau, aber die Edertalsperre, die kenne ich. Als mir mein Freund Klaus L. bei der Klassenfahrt in Kassel vor der Jugendherberge beim Fußball das Nasenbein zertrümmerte, nur weil er der Busladung blonder Schwedinnen mit einem Fallrückzieher imponieren wollte, da hätte ich eigentlich den nächsten Tag im Bett liegen dürfen. Ich bin nach einer durchwachten Nacht am nächsten Morgen mit meinem Freund ➱Wuddel zum Arzt. Der hat den Nasenbeinbruch gerichtet, ein Pflaster drüber, fertig. Eigentlich wollte ich jetzt wieder zurück ins Bett, aber der sadistische Herbergsvater (der mir in der Nacht eine emaillierte Schale ans Bett gebracht hat, damit ich das Blut da reinspucken konnte) holt mich da wieder raus, Wuddel und ich müssen zwei Stunden lang Kartoffeln schälen.

Dafür packt er uns dann zur Belohnung zu einer ganz fremden Jugendgruppe in den Bus, die einen Nachmittagsausflug macht. Irgendwann gibt es einen Halt an einer Talsperre oder einem großen See. Ich weiß nicht, wo wir sind. Ich liege neben Wuddel unter einem schattenspendenden Baum im Gras, oben auf einem Hügel. Noch weiter oben steht der Bus an der Straße. Tief unter uns ist das Wasser. Über uns ein wunderbarer Sommerhimmel mit weißen Wattewölckchen, die Zeit steht still. Gut, ich habe eine Gehirnerschütterung und ich erlebe das alles ein wenig in slow motion. Das ist mir schon klar. Man hat diese Augenblicke immer wieder, in denen man alles registriert. In denen einem ist, als ob man träumt. Es war mir damals nicht klar, dass ich schon einmal hier gewesen war. Weil ich eh nicht wusste, wo ich war. Kurz nach dem Krieg, auf einem Familienausflug, waren wir hier gewesen. Die Bombenschäden waren repariert, aber Spuren von dem Angriff konnte man noch überall sehen. Opa erzählte mir, wie das damals alles gewesen war. Der war zwar nicht dabei gewesen, aber Opa wusste immer, wie alles gewesen war. Er konnte die ganze Welt erklären.

Die deutsche Version der Geschichte ist die Geschichte von Zerstörung und Leid, die englische Version ist die vom Heldentum der Royal Air Force. Für den Verlauf den Krieges bedeutete die Operation Chastise wenig, die Lähmung des Ruhrgebiets durch die gewaltige Überschwemmung blieb aus. Es trifft natürlich immer die Falschen, die meisten Toten sind Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Auf meinem Pan Paperback von Paul Brickhills The Dam Busters steht vorne drauf First PAN book to sell a Million copies, dies ist die 12. Auflage von 1957, die erste war 1954 erschienen. Ein englischer Bestseller der fünfziger Jahre.

Bei uns ist Ernst von Salomons Der Fragebogen damals ein Bestseller. Und 1954 ist ➱Jängjängfu, das kann ich damals nicht schreiben, weil ich das Wort nur aus dem Radio kenne, vor dem ich immer gehockt habe, um die neuesten Nachrichten vom Engel von Dien Bien Phu zu hören. Und natürlich ist auch die Fußballweltmeisterschaft, jetzt sind wir zum ersten Mal nach dem Krieg wieder wer. Die deutsche Kriegsbewältigung findet in den fünfziger und sechziger Jahren im Kino statt. Da haben wir Filme wie Stern von Afrika, Die grünen Teufel von Monte Cassino, Hunde, wollt ihr ewig leben? und all das, was in diesen Wochen in Das Vierte gezeigt wird.

Die Engländer haben in den fünfziger und sechziger Jahren auch ihre Kriegsfilme. The Dam Busters, der Film über die Operation Chastise gehört zu den erfolgreichsten ( ➱The Man Who Never Was auch). The Dam Busters ist ein eigentümlicher Film, schwarz-weiß, sehr langsam (Jeffrey Richards: very long, very boring). Streckenweise hat man das Gefühl, das es ein Dokumentarfilm ist. Eigentlich sind es zwei Filme in einem. Der erste Teil handelt von den Schwierigkeiten, die der Ingenieur Barnes Wallis hat, um diese spezielle Bombe zu entwickeln, die man gegen die Talsperren einsetzen will. Der zweite Teil zeigt dann den Nachtangriff der Lancaster Bomber auf die Talsperren.

Das Drehbuch des Filmes wurde von R.C. Sheriff geschrieben, der 1928 mit Journey's End ein sehr erfolgreiches Theaterstück über den Ersten Weltkrieg geschrieben hatte. Den hatte der mit dem Victoria Cross dekorierte Captain Sheriff zur Genüge kennengelernt. Irgendwie scheint sein Held, der Wing Commander Guy Gibson (gespielt von Richard Todd) noch aus dieser Zeit zu stammen: sehr englisch, upper middle class, mit der stiff upper lip. Richard Todd hat in dieser Zeit eine Vielzahl solcher Offiziere in englischen Kriegsfilme gespielt. Er kannte sich da aus, er war Offizier im Zweiten Weltkrieg gewesen, jetzt darf er englische Offiziere spielen. Nach dem Willen von Ian Fleming hätte er James Bond werden sollen, dazu ist es aber nicht gekommen.

Vor drei Jahren ist er zusammen mit dem letzten noch lebenden Piloten der Operation Chastise bei der Feier zum 65. Jahrestag der Bombardierung am Derwent Dam gewesen. Diese Talsperre in Derbyshire hatte die RAF im Kriege zu Trainingsflügen benutzt, um die Piloten auf den Angriff im Tiefflug (18 Meter!) auf die deutschen Talsperren vorzubereiten. Am besten schauen Sie ➱hier mal hinein. An der Edertalsperre hat man an dem Tag nicht gefeiert, aber immerhin hat der WDR an das Ereignis erinnert.


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