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Mittwoch, 18. Mai 2011

Gustav Mahler


Das ist nicht jedermanns Musik, die Gustav Mahler schreibt. Ich habe immer  wieder Versuche gemacht ihn zu lieben, so ganz ist es mir nicht gelungen. Als ich vor vierzig Jahren Viscontis Tod in Venedig gesehen habe, kaufte ich mir alles von dieser plüschigen Musik. Der soundtrack des Filmes hätte es wahrscheinlich auch getan, aber den gab es damals nicht. Es war nicht meine erste Begegnung mit Mahler. 1964 hatte ich in Hannover Das Lied von der Erde gehört. Joseph Keilberth dirigierte, Dietrich Fischer-Dieskau und Fritz Wunderlich sangen. Ich hatte die Karte nur wegen FiDi gekauft, und es ist mir heute wirklich peinlich, dass ich damals gar nicht richtig begriffen habe, dass da eigentlich ein noch viel Größerer neben Fischer-Dieskau auf der Bühne stand (obgleich FiDi natürlich optisch größer war).

Mein Freund Tony hat immer versucht, mich für Mahler zu begeistern, die Kathleen Ferrier Platte mit den Kindertotenlieder, die er mir vor Jahrzehnten geschenkt hat, habe ich immer noch. Auf Kathleen Ferrier lasse ich nichts kommen. Tony hat mich auch einmal zu einem Vorkonzert am Sonntagmorgen in der Laeisz Halle geschleift, wo es stundenlang nur Mahler gab. Auf der Rückfahrt sind wir in Blitzeis und Eisregen geraten, hundert Kilometer lang. Das habe ich nicht vergessen, was es von Mahler gab, weiß ich nicht mehr. Aber der Tony ist Engländer, der liebt Mahler. Und all das leicht Morbide vom fin de siècle, diesem Übergang von der Spätromantik zur Moderne. Ich habe auch eine Platte von ihm geschenkt bekommen, auf der Kirsten Flagstad Jean Sibelius singt. Es gibt Tage, da kann man Svarta Rosor, Säf, Säf, Susa und Kom nu hit, Död wunderbar hören, aber ewig kann ich das nicht ertragen. Irgendwie zieht einen das runter. Wenn ich in so einer morbiden romantischen Stimmung bin, dann lege ich Mahlers Die zwei blauen Augen von meinem Schatz mit Fischer-Dieskau auf. Herzzerreissend.

Gustav Mahler ist heute von hundert Jahren gestorben. Auf ARTE wird das wenigsten gewürdigt, die ARD sendet in der Nacht ein Fernsehspiel, in dem Mahler und Dr. Freud vorkommen (was auf einer wirklichen Begegnung basiert). Sonst reagiert das Fernsehen nicht auf diesen Tag. Hätte nicht irgendein Sender Viscontis Tod in Venedig senden können? Ich höre jetzt zur Feier des Tages Kathleen Ferrier, wie sie Mahler singt. Das reicht dann auch erstmal für die nächsten Monate.

Der Musikjournalist Paul Stefan hat vor hundert Jahren über Mahlers Beisetzung geschrieben: Morgen und Wien. Ein Chaos. Man klammert sich an Einzelheiten, die noch niemand wissen kann. Er soll auf dem kleinen Friedhof in Grinzing bestattet werden, neben dem Töchterchen. Die Leiche wird hingebracht. Der andere Morgen. Die Straße führt querfeldein zu Zypressenbäumen. Die Kapelle ist ein enger Raum, nur für den Sarg und ein paar Kränze. Die anderen umsäumen die Wege bis zum Grabe. Eine Frau kommt vorbei, sagt zu einer anderen: ‚Jetzt hat er drinnen Ruhe. Dem war auch alles zu klein.‘ Die Kirche von Grinzing ist klein, der Kirchhof eng. Und ein Spektakel für die Wiener steht bevor. Da wird Kirche und Friedhof abgesperrt. Nur Karten werden Zutritt geben. Man erfährt, daß Franz Schalk, Gregor, das Regiekollegium gewünscht haben, daß man am Begräbnistag die Oper schließe. Darauf kein Bescheid. Der Hof, die Gemeinde Wien rührt sich nicht. Und dann die Feier: Wir stehen vor der Kirche, als der Sarg herausgetragen wird. Es regnet. Über einen Weinbergweg kommen wir rascher an das Grab. Der Zug langt an. Der Regen hört auf. Eine Nachtigall singt, die Schollen fallen. Ein Regenbogen. Und die Hunderte schweigen.

Durch das Lied Die zwei blauen Augen von meinem Schatz, das auch in der Ersten Sinfonie anklingt, klingt immer wieder ein Trauermarsch. Liebe, Sehnsucht und Tod, geht es in dieser Musik je um etwas anderes? Lieb und Leid, und Welt und Traum.

Die zwei blauen Augen von meinem Schatz,
Die haben mich in die weite Welt geschickt.
Da musst’ ich Abschied nehmen
Vom allerliebsten Platz!
O Augen, blau!
Warum habt ihr mich angeblickt?
Nun hab’ ich ewig Leid und Grämen!

Ich bin ausgegangen in stiller Nacht,
In stiller Nacht wohl über die dunkle Heide.
Hat mir niemand Ade gesagt,
Ade, Ade!
Mein Gesell war Lieb’ und Leide!

Auf der Strasse steht ein Lindenbaum,
Da hab’ ich zum ersten Mal im Schlaf geruht!
Unter dem Lindenbaum,
Der hat seine Blüten über mich geschneit,
Da wusst’ ich nicht, wie das Leben tut,
War alles, alles wieder gut!
Alles! Alles!
Lieb’ und Leid!
Und Welt und Traum!


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