Seiten

Sonntag, 31. Juli 2011

Prinzen


Ich blieb also allein, ohne jemanden, mit dem ich wirklich hätte sprechen können, bis ich vor sechs Jahren einmal eine Panne in der Wüste Sahara hatte. Etwas an meinem Motor war kaputtgegangen. Und da ich weder einen Mechaniker noch Passagiere bei mir hatte, machte ich mich ganz allein an die schwierige Reparatur. Es war für mich eine Frage auf Leben und Tod. Ich hatte für kaum acht Tage Trinkwasser mit.
Am ersten Abend bin ich also im Sande eingeschlafen, tausend Meilen von jeder bewohnten Gegend entfernt. Ich war viel verlassener als ein Schiffbrüchiger auf einem Floß mitten im Ozean. Ihr könnt euch daher meine Überraschung vorstellen, als bei Tagesanbruch eine seltsame kleine Stimme mich weckte:
»Bitte... zeichne mir ein Schaf!«
»Wie bitte?«
»Zeichne mir ein Schaf...«
Ich bin auf die Füße gesprungen, als wäre der Blitz in mich gefahren. Ich habe mir die Augen gerieben und genau hingeschaut. Da sah ich ein kleines, höchst ungewöhnliches Männchen, das mich ernsthaft betrachtete. Hier das beste Proträt, das ich später von ihm zuwege brachte. Aber das Bild ist bestimmt nicht so bezaubernd wie das Modell. Ich kann nichts dafür. Ich war im Alter von sechs Jahren von den großen Leuten aus meiner Malerlaufbahn geworfen worden und hatte nichts zu zeichnen gelernt als geschlossene und offene Riesenschlangen.
Ich schaute mir die Erscheinung also mit großen, staunenden Augen an. Vergeßt nicht, daß ich mich tausend Meilen abseits jeder bewohnten Gegend befand. Auch schien mir mein kleines Männchen nicht verirrt, auch nicht halbtot vor Müdigkeit, Hunger, Durst oder Angst. Es machte durchaus nicht den Eindruck eines mitten in der Wüste verlorenen Kindes, tausend Meilen von jeder bewohnten Gegend. Als ich endlich sprechen konnte, sagte ich zu ihm:
»Aber... was machst denn du da?«
Da wiederholte es ganz sanft, wie eine sehr ernsthafte Sache:
»Bitte... zeichne mir ein Schaf...«
Wenn das Geheimnis zu eindrucksvoll ist, wagt man nicht zu widerstehen. So absurd es mir erschien - tausend Meilen von jeder menschlichen Behausung und in Todesgefahr -, ich zog aus meiner Tasche ein Blatt Papier und eine Füllfeder. Dann aber erinnerte ich mich, daß ich vor allem Geographie, Geschichte, Rechnen und Grammatik studiert hatte, und mißmutig sagte ich zu dem Männchen, daß ich nicht zeichnen könne. Es antwortete:
»Das macht nichts. Zeichne mir ein Schaf.«
Da ich nie ein Schaf gezeichnet hatte, machte ich ihm eine von den einzigen zwei Zeichnungen, die ich zuwege brachte.

So fängt es an. Genau genommen sind wir schon in Kapitel II. Im ersten Kapitel hatte der Erzähler davon berichtet, wie er als Kind Riesenschlangen gezeichnet hat. Natürlich weiß jeder, das wir uns in dem Roman befinden, der Der kleine Prinz heißt. Wenn mich jemand nach einer Nacht in der Wüste mit der Aufforderung weckte Bitte... zeichne mir ein Schaf! ich würde es sofort tun. Wenn ich schon keine Kühe zeichnen kann, Schafe kann ich. Dafür habe ich aber Probleme mit Riesenschlangen.

Antoine de Saint-Exupéry ist heute vor 67 Jahren mit seinem Flugzeug abgeschossen worden. Um seinen Tod ranken sich Gerüchte und Legenden. Die Romane des Autors haben mich durch die fünfziger Jahre begleitet, und obgleich ich für Flugzeuge nichts, aber auch gar nichts, übrig habe, liebte ich den erzählerischen Mikrokosmos des Vicomte. Und seine poetische Sprache. Den petit Prince hatte ich nie gelesen, ich bekam ihn von einer Freundin geschenkt, als ich schon ziemlich erwachsen war. Aber wie es so mit den Kinderbüchern ist, die immer von Erwachsenen geschrieben werden, sie werden ja zuerst von Erwachsenen gelesen. Denn Erwachsene können meistens wie Léon Werth, dem der Autor das Buch widmete, alles verstehen, sogar die Bücher für Kinder. Und alle großen Leute sind einmal Kinder gewesen. Ich weiß immer noch nicht, ob der Kleine Prinz wirklich ein Buch für Kinder ist. Weil es damals ein Buch nur für mich war, weil es - ich weiß nicht weshalb - etwas märchenhaft Geheimnisvolles hatte. So wie Le Grand Meaulnes von Henri Alain-Fournier.

Wenn wir das Buch lesen oder es einem Kind vorlesen, dann werden wir froh sein, den kleinen Prinzen gekannt zu haben. Weil er immer unser Freund sein wird. Und weil der Fuchs, der die Hühner jagt und von den Menschen gejagt wird, ihm sein Geheimnis verraten hat: Es ist ganz einfach: man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.«
»Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar«, wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken.
»Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, sie macht deine Rose so wichtig.«
»Die Zeit, die ich für meine Rose verloren habe...«, sagte der kleine Prinz, um es sich zu merken.
»Die Menschen haben diese Wahrheit vergessen«, sagte der Fuchs. »Aber du darfst sie nicht vergessen. Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast. Du bist für deine Rose 
verantwortlich...«

Das sollten wir kleinen Prinzen niemals vergessen.

1 Kommentar:

  1. "Bitte male mir ein Schaf
    und verleih ihm jene Gabe,
    dass ich wie du´s immer zeichnest
    meins dazu zu zeichnen habe.
    Mal es jung nicht und nicht alt,
    nicht zu dick und nicht zu mager,
    zu genau nicht von Gestalt,
    mehr so´n kleines bißchen vager.
    Mal es böse nicht noch gut,
    mal es mir in eine kiste.
    Und dann ahn ich was es tut
    und dan weiß ich was ich wüßte..."

    Das ist etwas gekürzt und aus dem Hut aus den LIEDERN DES KLEINEN PRINZEN. eines Kurt DEMMLER, welcher leider vor einiger Zeit im Gefängnis Suizid beging. Er war wegen sexuellem Mißbrauch angeklagt. Bereits das zweite mal. Das tut weh. Um so mehr, wenn es wahr ist. Aber es ändert nichts an dem sehr schönen Doppelalbum.

    http://www.youtube.com/watch?v=iDflQGBk2HQ

    AntwortenLöschen