1976 war ich der literaturwissenschaftliche Berater der offiziellen Ausstellung des Landes Schleswig-Holstein zur Zweihundertjahrfeier der Vereinigten Staaten. Sie hieß Illustrationen zu Melvilles Moby-Dick. Der Museumsdirektor Dr. Joachim Kruse hat sie konzipiert, mit einem Tatendrang und Arbeitspensum, das ich heute immer noch atemberaubend finde. Aber er war froh, dass er mich an der Seite hat, das wird er mir noch Jahrzehnte später versichern. Noch vor wenigen Jahren schrieb er mir, dass er in diese Ausstellungsarbeit geradezu blind, wie in einen Nebel hineingetappt sei. Ohne mich hätte er nicht gewusst, was er täte. Das ist sehr nett von ihm, aber es stimmt nicht ganz, ein Museumsprofi wie Kruse wußte immer, was er tat. Wir denken aber beide noch gerne an die Sisyphusarbeit des Jahres 1976 zurück.
Als Professor X. von dem Ganzen hörte, rief er seinen Parteifreund, den Ministerpräsidenten Stoltenberg, an und sagte ihm, dass eine solche Ausstellung natürlich nicht ohne ihn gemacht werden könne, wo er doch ein Melville Spezialist sei. Der Melville Spezialist. Und schon musste Kruse bei Professor X. untertänigst darum bitten, eine Melville Ausstellung machen zu dürfen. Als Professor X. dann aber merkte, mit wie viel Arbeit das Ganze verbunden war, sagte er, mit einer großartigen Geste auf mich deutend: mein Assistent wird ihnen zur Seite stehen. Und so bekam ich diesen Job. Weil der selbsternannte Melville Spezialist keine Lust auf wirkliche Arbeit hatte.
Meine Qualifikationen für diese Tätigkeit waren bescheiden, aber akzeptabel. Ich hatte Kunstgeschichte studiert, und ich wußte eine Menge über den Walfang. Weil mein Heimatort Vegesack einmal eine Rolle im deutschen Walfang gespielt hatte. Es wäre übertrieben, ihn als das deutsche Nantucket zu bezeichnen, aber viele Walfangkapitäne hatten hier im 19. Jahrhundert ihren Altersruhesitz genommen. Unten am Utkiek standen zwei riesige Walkiefer (heute durch Nachbildungen aus Bronze ersetzt). Unser Heimatmuseum war voll mit Harpunen und Bildern vom Walfang. Herman Melville hätte sich hier zu Hause gefühlt. Auch in unserer Kirche, die der Walfängerkirche in New Bedford in manchem ähnlich ist. Wenn ich als Kind sonntags meinen Opa ins Heimatmuseum begleitete, wo der pensionierte Lehrer manchmal an der Kasse saß, konnte ich mit Harpunen und scrimshaw spielen. Und ich hatte im Jahre 1976 Melvilles Moby-Dick schon zweimal gelesen. Zuerst mit achtzehn den grünen Manesse Band mit der Übersetzung Fritz Güttingers und später die textkritische Ausgabe von Luther S. Mansfield und Howard P. Vincent. Das war 1976 die state-of-the-art Edition.
Bei der zweimaligen Lektüre des riesigen Romans sollte es aber nicht bleiben, in diesem Sommer las ich Moby-Dick immer wieder. Heute gibt es im Internet einen Text, den man durchsuchen kann. Von der Etymology bis zum letzten Wort finis. Was hätte ich damals dafür gegeben! Aber es gab keine Computer, kein Internet oder eine Suchmaschine namens Google. Wenn die Bilder und Buchillustrationen eine Textfrage aufwarfen, musste ich den Roman wieder aufs Neue lesen. Welches Bein hat Moby Dick dem Captain Ahab abgebissen? fragte mich Kruse. Gute Frage. Auf den Bildern mancher Künstler und Illustratoren war es das rechte, bei anderen das linke. Also wieder einmal Moby-Dick lesen. Es steht nicht im Roman, auch nicht im Kapitel 106, das Ahab's Leg heißt.
Ich lasse es jetzt mal beiseite, die Entstehung der Ausstellung in allen Details zu schildern, aber wir kämpften gegen einen sehr engen Zeitrahmen an: Das Problem der Beschaffung der illustrierten Bücher mußte der Kürze der Vorbereitungszeit wegen auf unkonventionelle Weise geregelt werden, schrieb Joachim Kruse im Vorwort des Katalogs. Und wenn es einen Weltmeister im unkonventionellen Regeln von Dingen gibt, dann ist er das. Wo Kruses Ausstellungsplan von 1966 an finanziellen Dingen scheiterte, werden wir jetzt großzügig gefördert. Unsere Wunschzettel werden von der Staatskanzlei direkt nach Washington weitergeleitet. Für einen Artikel wollte ich gerne eine klischierfähige Photographie von Copleys Watson and the Shark haben. Die kommt in kürzester Zeit aus Boston. Und mit ihr die Anfrage, ob wir nicht auch noch das Bild haben wollten.
Amerikas Museen, die die deutschen Ausstellungsvorbereitungen wegen tausenderlei Anfragen zu spüren bekommen, würden den Deutschen jetzt alles ausleihen. Unbürokratisch und unkonventionell. Weil sie gemerkt haben, dass die eigene Nation, die sich eigentlich selbst feiern sollte, überhaupt kein Konzept für große Ausstellungen hat. Wie zum Beispiel die großartige Ausstellung 1776. The British Story of the American Revolution in London. Es gibt viel Remmidemmi, alles mehr patriotisches Disneyland als eine seriöse Aufarbeitung der Geschichte. Ein führender amerikanischer Museumsdirektor wird Jahrzehnte später sagen, dass die deutschen Ausstellungen zur Zweihunderjahrfeier bei den amerikanischen Museen einen Prozess des Umdenken bewirkt haben. Eines der originellsten Produkte aus Amerika war da noch das Time Magazine vom 4. Juli 1976 mit seiner Special Bicentennial Ausgabe to reconstruct with the tools of both history and journalism, and in our [Time’s] distinctive newsmagazine format, at least part of the life and soul of the events that gave birth to our nation.
Im Kieler Schloss gab es damals auch eine Ausstellung zur Zweihundertjahrfeier, aber die war beinahe komplett vom United States Information Service (der kulturellen CIA) geliefert worden. Ergänzt durch einige typisch schleswig-holsteinische Beigaben. Wie eine Vielzahl von Exponaten zum Wirken des Pastors Christian Jensen und des Breklumer Missionsseminars. Allerdings zeigte die vergrösserte Photographie an der Wand nicht Christian Jensen (oben) sondern Herman Melville! Das Bild war fehlgeleitet worden und nicht in Schleswig gelandet. Ich bin zu dem kleinen Herrn gegangen, der am Eingang die Ausstellung bewachte und habe ihm gesagt, dass da an der Wand nicht der Pastor Jensen sei, sondern der Schöpfer von Moby-Dick. Woraufhin der sagte: Tscha, wo Sie das sagen. An'nen Wochenende waren welche von seine Familie da, die ha'm sich auch gewunnert und ihn nicht wiedererkannt. Herman Melville hieß noch bis zum Ausstellungende Christian Jensen. Da half es auch nichts, dass Joachim Kruse bei seinem Ausstellungbesuch mit Kugelschreiber einige gehässige Dinge auf das Papierschildchen unter dem Bild geschrieben hatte.
Ich habe dann für den Ministerpräsidenten Stoltenberg die Eröffnungsrede geschrieben, ich bekam dafür feste Vorgaben aus der Staatskanzlei. Stoltenberg übernimmt allerdings nur 60 Prozent von meinem Redemanuskript. Am nächsten Tag bin ich zorngeladen in der Staatskanzlei, warum kann der Kerl nicht die ganze Rede halten, wo ich mir als Ghostwriter solche Mühe gegeben habe? Und ich bekomme zu hören: Junger Mann, es ist eine große Ehre, wenn der MP [er sagt das wirklich: EmmPe] mehr als die Hälfte eines Referentenentwurfs übernimmt. Von manchen Manuskripten übernimmt er nur die Anrede Meine Damen und Herren.
Meine Qualifikationen für diese Tätigkeit waren bescheiden, aber akzeptabel. Ich hatte Kunstgeschichte studiert, und ich wußte eine Menge über den Walfang. Weil mein Heimatort Vegesack einmal eine Rolle im deutschen Walfang gespielt hatte. Es wäre übertrieben, ihn als das deutsche Nantucket zu bezeichnen, aber viele Walfangkapitäne hatten hier im 19. Jahrhundert ihren Altersruhesitz genommen. Unten am Utkiek standen zwei riesige Walkiefer (heute durch Nachbildungen aus Bronze ersetzt). Unser Heimatmuseum war voll mit Harpunen und Bildern vom Walfang. Herman Melville hätte sich hier zu Hause gefühlt. Auch in unserer Kirche, die der Walfängerkirche in New Bedford in manchem ähnlich ist. Wenn ich als Kind sonntags meinen Opa ins Heimatmuseum begleitete, wo der pensionierte Lehrer manchmal an der Kasse saß, konnte ich mit Harpunen und scrimshaw spielen. Und ich hatte im Jahre 1976 Melvilles Moby-Dick schon zweimal gelesen. Zuerst mit achtzehn den grünen Manesse Band mit der Übersetzung Fritz Güttingers und später die textkritische Ausgabe von Luther S. Mansfield und Howard P. Vincent. Das war 1976 die state-of-the-art Edition.
Bei der zweimaligen Lektüre des riesigen Romans sollte es aber nicht bleiben, in diesem Sommer las ich Moby-Dick immer wieder. Heute gibt es im Internet einen Text, den man durchsuchen kann. Von der Etymology bis zum letzten Wort finis. Was hätte ich damals dafür gegeben! Aber es gab keine Computer, kein Internet oder eine Suchmaschine namens Google. Wenn die Bilder und Buchillustrationen eine Textfrage aufwarfen, musste ich den Roman wieder aufs Neue lesen. Welches Bein hat Moby Dick dem Captain Ahab abgebissen? fragte mich Kruse. Gute Frage. Auf den Bildern mancher Künstler und Illustratoren war es das rechte, bei anderen das linke. Also wieder einmal Moby-Dick lesen. Es steht nicht im Roman, auch nicht im Kapitel 106, das Ahab's Leg heißt.
Ich lasse es jetzt mal beiseite, die Entstehung der Ausstellung in allen Details zu schildern, aber wir kämpften gegen einen sehr engen Zeitrahmen an: Das Problem der Beschaffung der illustrierten Bücher mußte der Kürze der Vorbereitungszeit wegen auf unkonventionelle Weise geregelt werden, schrieb Joachim Kruse im Vorwort des Katalogs. Und wenn es einen Weltmeister im unkonventionellen Regeln von Dingen gibt, dann ist er das. Wo Kruses Ausstellungsplan von 1966 an finanziellen Dingen scheiterte, werden wir jetzt großzügig gefördert. Unsere Wunschzettel werden von der Staatskanzlei direkt nach Washington weitergeleitet. Für einen Artikel wollte ich gerne eine klischierfähige Photographie von Copleys Watson and the Shark haben. Die kommt in kürzester Zeit aus Boston. Und mit ihr die Anfrage, ob wir nicht auch noch das Bild haben wollten.
Amerikas Museen, die die deutschen Ausstellungsvorbereitungen wegen tausenderlei Anfragen zu spüren bekommen, würden den Deutschen jetzt alles ausleihen. Unbürokratisch und unkonventionell. Weil sie gemerkt haben, dass die eigene Nation, die sich eigentlich selbst feiern sollte, überhaupt kein Konzept für große Ausstellungen hat. Wie zum Beispiel die großartige Ausstellung 1776. The British Story of the American Revolution in London. Es gibt viel Remmidemmi, alles mehr patriotisches Disneyland als eine seriöse Aufarbeitung der Geschichte. Ein führender amerikanischer Museumsdirektor wird Jahrzehnte später sagen, dass die deutschen Ausstellungen zur Zweihunderjahrfeier bei den amerikanischen Museen einen Prozess des Umdenken bewirkt haben. Eines der originellsten Produkte aus Amerika war da noch das Time Magazine vom 4. Juli 1976 mit seiner Special Bicentennial Ausgabe to reconstruct with the tools of both history and journalism, and in our [Time’s] distinctive newsmagazine format, at least part of the life and soul of the events that gave birth to our nation.
Im Kieler Schloss gab es damals auch eine Ausstellung zur Zweihundertjahrfeier, aber die war beinahe komplett vom United States Information Service (der kulturellen CIA) geliefert worden. Ergänzt durch einige typisch schleswig-holsteinische Beigaben. Wie eine Vielzahl von Exponaten zum Wirken des Pastors Christian Jensen und des Breklumer Missionsseminars. Allerdings zeigte die vergrösserte Photographie an der Wand nicht Christian Jensen (oben) sondern Herman Melville! Das Bild war fehlgeleitet worden und nicht in Schleswig gelandet. Ich bin zu dem kleinen Herrn gegangen, der am Eingang die Ausstellung bewachte und habe ihm gesagt, dass da an der Wand nicht der Pastor Jensen sei, sondern der Schöpfer von Moby-Dick. Woraufhin der sagte: Tscha, wo Sie das sagen. An'nen Wochenende waren welche von seine Familie da, die ha'm sich auch gewunnert und ihn nicht wiedererkannt. Herman Melville hieß noch bis zum Ausstellungende Christian Jensen. Da half es auch nichts, dass Joachim Kruse bei seinem Ausstellungbesuch mit Kugelschreiber einige gehässige Dinge auf das Papierschildchen unter dem Bild geschrieben hatte.
Ich habe dann für den Ministerpräsidenten Stoltenberg die Eröffnungsrede geschrieben, ich bekam dafür feste Vorgaben aus der Staatskanzlei. Stoltenberg übernimmt allerdings nur 60 Prozent von meinem Redemanuskript. Am nächsten Tag bin ich zorngeladen in der Staatskanzlei, warum kann der Kerl nicht die ganze Rede halten, wo ich mir als Ghostwriter solche Mühe gegeben habe? Und ich bekomme zu hören: Junger Mann, es ist eine große Ehre, wenn der MP [er sagt das wirklich: EmmPe] mehr als die Hälfte eines Referentenentwurfs übernimmt. Von manchen Manuskripten übernimmt er nur die Anrede Meine Damen und Herren.
In meinem Heimatort Vegesack standen die alten Fahrensleute mit ihren Elbsegler- und Prinz Heinrich-Mützen den halben Tag am Anleger der Schreiber-Dampfer oder am Utkiek und guckten auf das Wasser. So wie es Herman Melville im ersten Kapitel von Moby-Dick beschreibt: Look at the crowds of water gazers there... Posted like silent sentinels all around the town, stand thousands upon thousands of mortal men fixed in ocean reveries. Dies ist nicht New York, es sind keine tausende, bestenfalls zwei Dutzend, aber auch sie haben ihre ocean reveries. Sie haben auch diesen leeren Blick in die Ferne, sie kennen alle Schiffsabfahrtzeiten aus dem Bremer Hafen. Vorüberziehende Schiffe kommentieren sie sachkundig. Sonst wird nicht gesprochen. Ein Vierteljahrhundert nach dem Erscheinen von Moby-Dick gründet eine Gruppe von Vegesackern in New York einen Club Vegesack. Mehrere Jaburgs sind dabei, die Söhne von dem Portraitmaler Addig Jaburg, erfolgreiche Kaufleute in New York. Die Mitgliedsliste des Clubs liest sich wie ein Vegesacker Kapitänsverzeichnis, alle Namen auf dieser Liste sind in meiner Jugend noch im Ort präsent. Ich stelle mir das mal für einen Augenblick vor, dass Herman Melville, wenn er an der Battery steht (und das tut er in dieser Zeit beinahe täglich) und auf das Meer schaut, umgeben sein könnte von einer Gruppe Vegesacker. Die ihn natürlich nicht kennen. Und seine Werke - im Gegensatz zu mir - natürlich nie gelesen haben.
Ich habe vor Jahren dem amerikanischen Professor Sanford Marovitz (der im Gegensatz zu mir ein wirklicher Melville Spezialist ist) mein vorletztes Exemplar von dem Katalog schenken wollen, aber er lehnte dankend ab. Er besaß den schon. Wir hatten für den Katalog Leland R. Phelps als Beiträger gewonnen, und der hatte seine Belegexemplare unter den amerikanischen Melville scholars verteilt. Die Melville Forscher in Amerika sind eine Art Klub, wenn man einen kennt, wird man auch Zugang zu den anderen finden. Und so hat unser Katalog auch die Beachtung der amerikanischen Melville-Forscher gefunden. Hätten wir diese Ausstellung heute gemacht, dann hätte ich Joachim Kruse überredet, das Ganze (plus dem, was wir noch alles übrig hatten) ins Internet zu stellen. Das ist die Sache der Zukunft, Blogs werden gelesen, das weiß ich inzwischen. Denn unser schöner Katalog Illustrationen zu Melvilles Moby-Dick. Schleswig Holsteinisches Landesmuseum. Schloß Gottorf, Schleswig. Sonderausstellung vom 18.6.-19.9.1976 ist heute leider völlig vergriffen. Es gibt es beim ZVAB und Amazon Marketplace noch einige wenige Exemplare.
Die abstrakten bunten Bilder sind von Jackson Pollock (1943) und Willi Baumeister (1951), wo Moby Dick da drauf ist, weiß ich nicht so recht.
Es gibt noch viel, viel mehr Moby-Dick in diesem Blog. Bemühen Sie mal das kleine Suchfeld.
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