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Montag, 29. August 2011

Mr. Stringer


In seinem Essay The guilty vicarage: Notes on the detective story, by an addict erklärte der englische Dichter W.H. Auden den Detektivroman zu einer Art christlicher (oder existentialistischer?) Parabel. Ich weiß nicht so ganz, wie ernst das Ganze gemeint war, aber es lassen sich natürlich Analogien zu allem finden. Vor allem beim Schauplatz: The Milieu (Natural). In the detective story, as in its mirror image, the Quest for the Grail, maps (the ritual of space) and timetables (the ritual of time) are desirable. Nature should reflect its human inhabitants, i.e., it should be the Great Good Place; for the more Eden-like it is, the greater the contradiction of murder. The country is preferable to the town, a well-to-do neighborhood (but not too well-to-do-or there will be a suspicion of ill-gotten gains) better than a slum. The corpse must shock not only because it is a corpse but also because, even for a corpse, it is shockingly out of place, as when a dog makes a mess on a drawing room carpet.

Das kennen wir, das typische kleine Dorf. Midsomer, Nether Addlethorpe, Middle Fritham oder Mayhem Parva, wie immer es heißen mag. Skurrile Anwohner (The characters in a detective story should, therefore, be eccentric aesthetically [interesting individuals] and good [instinctively ethical]–good, that is, either in appearance, later shown to be false, or in reality, first concealed by an appearance of bad), so etwas kennen wir aus hunderten von Romanen und TV Serien. In diesen kleinen Orten gibt es neben dem Pub natürlich noch ein Post Office und manchmal eine Leihbibliothek. Das sind Orte, an denen wir allen Personen begegnen können, Verdächtigen, Mördern. Auf jeden Fall in den dreißiger Jahren, dem Golden Age of the Detective Novel. Heute sind in den kleinen englischen Dörfern die Postämter und die Leihbibliotheken verschwunden. Und auch Veterinäre wie Siegfried und Tristan Farnon wird man da vergeblich suchen. Und diese schönen Tweedanzüge, die man in der ganzen Serie All Creatures Great and Small sehen kann, findet man kaum noch. Das Schöne am englischen Detektivroman und all den englischen Fernsehserien, die draußen auf dem Land spielen, ist ja, dass sie eine längst vergangene Englishness konservieren.

Wenn ein Ort eine Bibliothek hat, stehen die Chancen natürlich neunundneunzig zu eins, dass da eine Bibliothekarin arbeitet. Die Literatur ist voller Bibliothekarinnen. Aber in unserem Ort, der St Mary Mead heißt und in dem eine gewisse Jane Marple wohnt, haben sie einen Bibliothekar namens Mr Stringer. Den sucht man in den Romanen von Agatha Christie vergeblich. Die Krimiautorin mochte auch zuerst Margaret Rutherford nicht (denn sie hat nicht viel mit der Miss Marple der Romane gemein), später haben die Damen sich dann angefreundet. Und Agatha Christie hat ihren Roman The Mirror Crack'd from Side to Side mit der Widmung To Margaret Rutherford, in admiration versehen. In den Filmen, in denen Margaret Rutherford die Hauptrolle spielt, da kann Miss Marple auf Mr Stringer nicht verzichten. Weil sie im wirklichen Leben ein wenig verloren wäre ohne ihren Mr Stringer (die Vielzahl ihrer psychischen Krisen und Sanatoriumsaufenthalte ist erst nach ihrem Tod bekannt geworden). Miss Marple und Mr Stringer sind im wirklichen Leben miteinander verheiratet. Sieht man ihnen das in dieser Szene nicht an? Dame Margaret ist im wirklichen Leben nicht so tough gewesen wie ihre Miss Marple, ihre schreckliche Kindheit ist hier schon einmal erwähnt worden.

Seit Edgar Allan Poe für seinen Detektiv einen sidekick erfunden hat, und seit Arthur Conan Doyle ihm diese Idee geklaut hat, haben viele Helden des Detektivromans jemanden, auf den sich immer verlassen können. Auch Agatha Christies Hercule Poirot hat seinen Captain Hastings. Da bietet es sich für den Film doch an, Margaret Rutherford diesen herrlich skurrilen James Buckley Stringer Davis an die Seite zu stellen. Denn was wären die Filme ohne ihn? Stringer Davis ist heute vor 38 Jahren gestorben, und ich nehme den Todestag mal zum Anlass, an all die Nebenfiguren zu denken, ohne die viele Filme nichts wären. Vielleicht unser Leben auch nicht.

W.H. Auden schliesst seinen Essay mit den Worten: The phantasy, then, which the detective story addict indulges is the phantasy of being restored to the Garden of Eden, to a state of innocence, where he may know love as love and not as the law. The driving force behind this daydream is the feeling of guilt, the cause of which is unknown to the dreamer. The phantasy of escape is the same, whether one explains the guilt in Christian, Freudian, or any other terms. One’s way of trying to face the reality, on the other hand, will, of course, depend very much on one’s creed. Das sind die Augenblicke, für die der Engländer diese wunderbare Formel quite so zur Hand hat. Ich möchte lieber mit einem Gedicht schliessen, das Auden ein Jahrzehnt vor The guilty vicarage schrieb. Es hat den schönen Titel Detective Story:

For who is ever quite without his landscape,
The straggling village street, the house in trees,
All near the church, or else the gloomy town house,
The one with the Corinthian pillars, or
The tiny workmanlike flat: in any case
A home, the centre where the three or four things
That happen to a man do happen? Yes,
Who cannot draw the map of his life, shade in
The little station where he meets his loves
And says good-bye continually, and mark the spot
Where the body of his happiness was first discovered?

An unknown tramp? A rich man? An enigma always
And with a buried past but when the truth,
The truth about our happiness comes out
How much it owed to blackmail and philandering.

The rest's traditional. All goes to plan:
The feud between the local common sense
And that exasperating brilliant intuition
That's always on the spot by chance before us;
All goes to plan, both lying and confession,
Down to the thrilling final chase, the kill.

Yet on the last page just a lingering doubt:
That verdict, was it just? The judge's nerves,
That clue, that protestation from the gallows,
And our own smile . . . why yes . . .
But time is always killed. Someone must pay for
Our loss of happiness, our happiness itself.


Und falls Sie im Raum Köln wohnen und nach London wollen, um Agatha Christies The Mousetrap zu sehen (sollte man besser Tourist Trap taufen), dann nehmen Sie für die Reise doch einfach Mr. Stringer.

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