Seiten

Freitag, 16. September 2011

Mercédès


Ich bleibe noch ein wenig bei dem Thema, bei dem wir gestern waren, der plakativen Produktwerbung. Ich liebe ja irgendwie Werbung und Reklamekunst (ich besitze natürlich auch einige Regalmeter von Fachliteratur zu dem Thema). Meine Leser lieben das Thema offensichtlich auch, denn als ich im letzten Jahr über den amerikanischen ➱Westen in der Werbung geschrieben habe, haben x-tausende das gelesen. Die Tatsache, dass heute der Geburtstag der Baronin Mercédès Adrienne Manuela Ramona von Weigl (einer geborenen Jellinek) ist, verführt mich einfach dazu, noch einmal über die Plakatkunst zu schreiben. Falls Sie einen Mercedes-Benz fahren, dann wissen Sie natürlich, dass die Marke nach Fräulein Mercédès Jellinek benannt wurde. Die Akzente auf dem e hat man beim Auto weggelassen. Zu schwierig für Mercedes-Fahrer.

Was Sie da ganz oben sehen, ist die erste Seite einer luxuriösen Werbeschrift mit dem Titel The American Mercedes aus dem Jahre 1906. In rotem Leder gebunden, vorne drauf ein goldener amerikanischer Adler, der einen kleinen deutschen Reichsadler hält (den Mercedes Stern gibt es erst ab 1909), so bewirbt die amerikanische Daimler Manufacturing Company (939 Steinway Avenue, Long Island City) ihr neuestes Modell, den American Mercedes: Whether or not domestic automobiles will some day be built which will compare favorably with their foreign cousins, is a question which the future must decide. Certainly at the present time the superiority of European cars is unquestioned, and this would seem only natural when we consider that Europe has had some fifteen years the start of us in automobile construction, the first gasoline automobile having been invented by Daimler some thirty years ago, or fifteen years before the earliest American inventors took it up....

Dem Text vorangestellt ist ein Zitat von John Ruskin:

All works of taste must bear a price in proportion to the skill, time expense and risk attending their invention and manufacture. These things called dear are, when just estimated, the cheapest. They are attended with much less profit to the artist than those which everybody calls cheap. Beautiful forms are not made by chance nor can they ever, in any material, be made at small expense. A composition for cheapness and not excellence of workmanship is most frequently the cause of the rapid decay and destruction of arts and manufactures.

Herr Steinway, dem die amerikanische Mercedes Niederlassung gehörte, war nicht der einzige, der damals mit Ruskins Sätzen warb. Seit über hundert Jahren werden sie zur Rechtfertigung überhöhter Preise zitiert. Sie finden sich sogar auf einer Seite fachwissenschaftlicher Publikationen amerikanischer Zahnärzte. Die 38-seitige Broschüre ➱The American Mercedes (one of the more fascinating documents in the annals of the automobile) mit dem doch leicht snobistischen Text, wendet sich nicht unbedingt an die Kreise, die es nötig haben, auf den Cent zu schauen, 7.500 Dollar für ein Auto sind damals eine Menge Geld.

Aber so elitär herablassend der Mercedes Text daherkommt, ein Jahrzehnt später wird er von einem Werbetext von Cadillac übertroffen. Der heißt ganz schlicht The Penalty of LeadershipIn every field of human endeavour, he that is first must perpetually live in the white light of publicity. Whether the leadership be vested in a man or in a manufactured product, emulation and envy are ever at work. In art, in literature, in music, in industry, the reward and the punishment are always the same. The reward is widespread recognition; the punishment, fierce denial and detraction. When a man’s work becomes a standard for the whole world, it also becomes a target for the shafts of the envious few. If his work be mediocre, he will be left severely alone - if he achieves a masterpiece, it will set a million tongues a-wagging. Jealousy does not protrude its forked tongue at the artist who produces a commonplace painting. Whatsoever you write, or paint, or play, or sing, or build, no one will strive to surpass or to slander you unless your work be stamped with the seal of genius. Long, long after a great work or a good work has been done, those who are disappointed or envious, continue to cry out that it cannot be done. Spiteful little voices in the domain of art were raised against our own Whistler as a mountback, long after the big world had acclaimed him its greatest artistic genius. Multitudes flocked to Bayreuth to worship at the musical shrine of Wagner, while the little group of those whom he had dethroned and displaced argued angrily that he was no musician at all. The little world continued to protest that Fulton could never build a steamboat, while the big world flocked to the river banks to see his boat steam by. The leader is assailed because he is a leader, and the effort to equal him is merely added proof of that leadership. Failing to equal or to excel, the follower seeks to depreciate and to destroy - but only confirms once more the superiority of that which he strives to supplant. There is nothing new in this. It is as old as the world and as old as human passions - envy, fear, greed, ambition, and the desire to surpass. And it all avails nothing. If the leader truly leads, he remains - the leader. Master-poet, master-painter, master-workman, each in his turn is assailed, and each holds his laurels through the ages. That which is good or great makes itself known, no matter how loud the clamor of denial. That which deserves to live - lives.

Gut, der Hamburger würde jetzt sagen: mit vollen Hosen ist gut stinken. tempi passati, einen solchen Text würde in der amerikanischen Automobilindustrie heute ja niemand mehr zu veröffentlichen wagen. Wir können hieraus natürlich einen gewissen Größenwahn der Werbung für übel riechende Industrieprodukte herauslesen - oder ein unerschütterliches Vertrauen in den American Way of Life. Doch es ist in der Automobilwerbung, wie auch in der Werbung für andere Produkte (das hat Roland Marchand in seinem Buch Advertising the American Dream gezeigt), noch etwas mehr abzulesen.

Das angeblich so demokratische Amerika sehnte sich geradezu nach einer solchen Werbung, die eine aristokratische high society zeigt. Also diese Gesellschaft, die in Fitzgeralds Roman The Great Gatsby so erbarmungslos demaskiert wird. Ob es Mercedes, Cadillac oder Pierce-Arrow (oben) sind, ob J.C. Leyendecker für die Hemdenmarke Arrow (links) wirbt, immer wieder wird uns die feine Welt gezeigt. Irgendwie scheint Woodrow Wilson mit seiner Meinung völlig daneben gelegen zu haben, wenn er (im gleichen Jahr, in dem die American Mercedes Broschüre erscheint) schreibt: Nothing has spread socialistic feeling in this country more than the use of the automobile. To the country man, they are a picture of the arrogance of wealth with all its independence and carelessness. Zwanzig Jahre später klingt das in The Great Gatsby ähnlich, wenn Nick Carraway über die Buchanans sagt: They were careless people... they smashed up things and creatures and then retreated back into their money or their vast carelessness. Wir wissen heute, dass die Gefahr eines durch das Automobil verbreiteten Sozialismus in Amerika nicht wirklich bestanden hat. Eher sehnt man sich nach den Autos. Und natürlich schönen Frauen. Am besten beides auf dem Werbeplakat, wenn man es in der Wirklichkeit nicht haben kann.

Dass in der amerikanischen Mercedes Reklamebroschüre eine Frau abgebildet ist, nehmen wir heute als eine selbstverständliche Beigabe. Es ist ein wenig aus der Mode gekommen, galt aber hundert Jahre lang als sichere Verkaufsstrategie der Automobilwerbung. Sex sells. Dies Plakat hier ist von dem Franzosen Jules Chéret, es ist im Jahre 1890 wahrscheinlich eins der ersten Beispiele, das Frau und Automobil miteinander kombiniert. In den Jahren zuvor können wir in der französischen Plakatkunst massenhaft Frauen in der Werbung für Fahrräder finden. Sex sells. Allerdings sollte man auch beachten, dass das Fahrrad (wie später das Auto) auch eine emanzipatorische Bedeutung hat. Zwei Jahre vor dem Plakat von Jules Chéret hatte die berühmte mehrtägige Autofahrt von Berta Benz stattgefunden, die nicht nur autofahrenden Damen ein Vertrauen in die neue pferdelose Kutsche gab.

Das Bild in der Mercedes Broschüre von 1906 zeigt eine Dame der besseren Gesellschaft, die über ihrer Kleidung einen Mantel für Autofahrerinnen (gemäß der damaligen Mode) trägt. Um den unpraktisch großen Hut hat sie einen Shawl geschlungen. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, sich einen speziellen Hut zu kaufen, den es im Fachhandel für Autlerinnen gab. Das flatternde Taschentuch und das flatternde Shawlende sollen Geschwindigkeit symbolisieren, wobei wir heute bei dem flatternden Shawlende wohl eher an den Tod von Isadora Duncan denken müssen, deren roter Seidenschawl sich in den Radspeichen ihres Sportwagens verfangen hatte. Elegante Damen im Fond des Automobils das Dahingleiten der Fahrt genießend sind nicht so häufig in der amerikanischen Automobilwerbung dieser Zeit. Lediglich die Firma Oldsmobile wirbt 1904 mehrfach mit der Kombination von Frau und Auto.

Es hat Versuche gegeben, vornehmlich von feministischen Kunsthistorikerinnen, auf diesen Anzeigen die Frauen neben den Automobilen als Allegorien der Arbeit deuten zu wollen. Aber ich glaube, an dieser Sache ist nichts dran. In mehr oder weniger kunstvoller Darstellung werden Automobile seit ihrer Erfindung dem Konsumenten mit Frauen als Zugabe serviert. Sex sells. Diese Werbung aus den twenties ist von dem Österreicher Hans Neumann, der einige Jahre für Mercedes tätig war. Die Firma setzt seit den zwanziger Jahren nicht mehr auf eine einmalige Anzeige, sondern auf Bildfolgen, die aber eine klar erkennbare Handschrift und einen klar erkennbaren Stil haben.

Die schönsten Blüten treibt diese Sorte der Werbekampagne in den siebziger Jahren, the decade that taste forgot. Catherine Deneuve war sich damals nicht zu schade, für ➱Mercury Reklame zu machen (sie müssen bei diesem Link sieben Minuten amerikanischer Werbung ertragen bis Catherine kommt). Die hatten da sowieso für die Mercury Cougar Modelle ständig Filmschauspielerinnen, wie zum Beispiel ➱Farah Fawcett Majors. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ältere Frauen im Slang plötzlich cougars hießen.

Aber das alles war natürlich gar nichts gegen die englische Firma TVR, die 1971 bei der Earls Court Motor Show nur nackte Mädel am Verkaufsstand, oder auf ihren Sportwagen sitzend, präsentierte (das war lange bevor sie halbbekleidet bei Ferrari herumlungerten und Boxenluder hießen). Mein Bruder hatte mal einen TVR (der kam allerdings ohne nackte Beigabe), mit dem konnte man beinahe unter der Parkschranke vom Uni-Parkplatz unterdurchfahren. Aber man durfte damit nicht in einen norddeutschen Starkregen geraten, die Kinderhände großen Scheibenwischerchen schafften nix weg. Wahrscheinlich stellten sich TVR Fahrer im Regen sowieso nur nackte Frauen vor, von der Straße sah man nämlich nichts mehr. Leider konnte ich im Netz kein Bild von der Earls Court Motor Show finden [jetzt doch], aber in dem Buch von Jörg Nimmergut Werben mit Sex ist eins drin. Als das Buch 1966 erschien, wurde es von der Staatsanwaltschaft wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften nach § 184 StGB verboten. Dabei war das ein seriöses Buch. 1982 ist es dann bei Wilhelm Heyne erschienen, man kann es heute noch bei Amazon Marketplace preisgünstig finden.

Dass der Daimler 1906 in Amerika Mercedes heißt, liegt natürlich an Emil Jellinek. Der hatte nämlich nicht nur den Alleinvertrieb für das k.u.k. Reich Österreich-Ungarn, sondern auch für Frankreich und Amerika. Mit dem Recht, die dort verkauften Daimler Modelle mit dem Namen seiner kleinen Tochter zu schmücken. Im Jahre 1903 stellte Emil Jellinek bei der niederösterreichischen Statthalterei zu Wien den Antrag, seinen Namen in Jellinek-Mercedes ändern zu dürfen. Dies wurde ihm am 7. Juli 1903 bewilligt. Da die Automarke nun schon mal einen Frauennamen hat, warb sie auch weiter mit Frauen. Diese rotgekleidete Autosportlerin stammt von Edward Cucuel, der seine Plakate mit Offelsmeyer oder Cucuel Offelsmeyer zu signieren pflegte. Er hat viele ➱Werbeanzeigen für Mercedes gestaltet, und er ist sicherlich dem Plakatkönig von München Ludwig Hohlwein (der ja auch für Mercedes zeichnete) durchaus ebenbürtig. Hohlwein und Cucuel kommen bei ihrer Werbung ohne langen Text aus.

Anders ist das bei dem Werbekünstler Kenay, der 1928 eine Art Deco Anzeige (ich habe leider keine Abbildung, diese hier ist von André Édouard Marty) mit folgendem Text kombiniert: Die Dame am Steuer Heute eine schon selbstverständlich gewordene Erscheinung. Ihr lebhaftes Temperament fühlt sich verwandt mit dem raschen Rhythmus unserer Zeit. Die Beherrschung des Raumes, Geschwindigkeit, sportliche Betätigung, gesteigerte Freude an der Natur. Abspannung der Nerven, alle Vorteile des Kraftfahrzeugs werden von der Frau am raschesten empfunden. In der eleganten Linie des Wagens findet sie den Ausdruck für ihren angeborenen Schönheitssinn. Die Dame am Steuer -  ein Sinnbild unserer Zeit, die Dame am Steuer ihres MERCEDES-BENZ, ein Sinnbild der vollkommenen Harmonie.

Ach ja, die kleine Mercédès Jellinek ist an vielem Schuld. Sie ist nicht glücklich geworden mit ihrem Freiherrn Karl von Schlosser. Im gleichen Jahr, in dem die Firmen Daimler und Benz zu Mercedes-Benz fusionieren, heiratet sie den Bildhauer Rudolf von Weigl. Wieder einen Baron, darunter tut man es ja nicht. Was mich immer gewundert hat, warum ist Pappi nie geadelt worden? Wird doch in Österreich jeder. Emil Jellinek Freiherr von Mercedes, das wäre doch ein schöner Name.

Diese amerikanische Pierce-Arrow Anzeige aus den zwanziger Jahren muss ich noch eben anfügen, wo ich doch mit amerikanischen Anzeigen begonnen habe. Diese Damen haben es nicht nötig, selbst am Steuer zu sitzen, da sitzt natürlich ein Chauffeur. Lassen wir ihn warten. Das da draußen ist natürlich ein Pierce-Arrow und kein gelber Rolls-Royce. Sonst hätte man die Anzeige schön für ein Cover von F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby nehmen können. Eine der Frauen könnte Jordan Baker sein, mit der der Erzähler beinahe eine Liebesaffäre hätte, aber da wird nichts draus. Weil sie so schlecht Auto fährt: Dishonesty in a woman is a thing you never blame deeply—I was casually sorry, and then I forgot. It was on that same house party that we had a curious conversation about driving a car. It started because she passed so close to some workmen that our fender flicked a button on one man’s coat. “You’re a rotten driver,” I protested. “Either you ought to be more careful, or you oughtn’t to drive at all.” “I am careful.” “No, you’re not.” “Well, other people are,” she said lightly. “What’s that got to do with it?” “They’ll keep out of my way,” she insisted. “It takes two to make an accident.” “Suppose you met somebody just as careless as yourself.” “I hope I never will,” she answered. “I hate careless people. That’s why I like you.”

All diese Anzeigen sind ein Eintauchen in die Vergangenheit. Die Autos sehen heute anders aus. Die Frauen auch. Mein schönstes Bild, das Automobil und Frau miteinander kombiniert, ist ein Jahr älter als die Werbebroschüre The American Mercedes. Es stammt von Sir Hubert von Herkomer, der auch ein begeisterter Motorsportfan war. Und es heißt Die Zukunft. Sieht sie wirklich so aus?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen