Theodor Fontane hat heute wieder mal Geburtstag. Das hat er jedes Jahr. In diesem Blog ist ja schon häufig an ihn erinnert worden. Das letzte Mal habe ich über den Roman Vor dem Sturm geschrieben, ein Artikel, den ich meinem alten Pastor Klaus Nebelung gewidmet hatte. Er hat ihn noch mit Vergnügen gelesen, aber wenige Wochen nach seinem 87. Geburtstag ist er leider gestorben. Das erfüllt mich mit Trauer, aber andererseits bin ich auch glücklich, dass er diesen kleinen Essay noch lesen konnte.
Theodor Fontane wurde im gleichen Jahr geboren wie Melville und Whitman, von den dreien hat er am längsten gelebt. Melville starb völlig vergessen 1891, Whitman ist zwar nicht ganz vergessen, aber er lebt nach einem Schlaganfall nur noch unter den größten Schmerzen bis zu seinem Tod im Jahre 1892. Zwei Jahre später wird Theodor Fontane fünfundsiebzig. Auf Vorschlag der Professoren Theodor Mommsen und Erich Schmidt erhält er am 8. November 1894 die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin (kurz zuvor war Menzel ebenso geehrt worden). Im Ganzen genommen stehe ich mau und flau zu Auszeichnungen derart ; diese aber hat doch einen Eindruck auf mich gemacht, schreibt er in einem Brief. Die Urkunde wird ihm am 24. November in seinem Wohnzimmer vom Dekan der Fakultät und von Erich Schmidt überreicht. In der Neuen Rundschau erscheint gleichzeitig der Vorabdruck von Effi Briest. Er könnte ja eigentlich zufrieden sein.
Aber er schreibt ein seltsames Gedicht, das An meinem Fünfundsiebzigsten heißt. Seine Frau Emilie schrieb damals an die Schauspielerin Paula Schlenther-Conrad: Sie glauben ja gar nicht, mit welchem Interesse er Ihren Beobachtungen des lieben deutschen (popligen) Adels folgte u. beistimmte. Auch er kann ein Lied von ihm singen, ja er hat ein humoristisches nach seinem Gbt. wirklich niedergeschrieben. Ist es wirklich humoristisch?
Hundert Briefe sind angekommen,
Ich war vor Freude wie benommen,
Nur etwas verwundert über die Namen
Und über die Plätze, woher sie kamen.
Ich dachte, von Eitelkeit eingesungen:
Du bist der Mann der „Wanderungen“,
Du bist der Mann der märk’schen Gedichte,
Du bist der Mann der märk’schen Geschichte,
Du bist der Mann des alten Fritzen
Und derer, die mit ihm bei Tafel sitzen,
Einige plaudernd, andre stumm,
Erst in Sanssouci, dann in Elysium;
Du bist der Mann der Jagow und Lochow,
Der Stechow und Bredow, der Quitzow und Rochow,
Du kanntest keine größeren Meriten,
Als die von Schwerin und vom alten Zieten,
Du fandst in der Welt nichts so zu rühmen,
Als Oppen und Groeben und Kracht und Thümen;
An der Schlachten und meiner Begeisterung Spitze
Marschierten die Pfuels und Itzenplitze,
Marschierten aus Uckermark, Havelland, Barnim,
Die Ribbecks und Kattes, die Bülow und Arnim,
Marschierten die Treskows und Schlieffen und Schlieben –
Und über alle hab’ ich geschrieben.
Aber die zum Jubeltag kamen,
Das waren doch sehr, sehr andre Namen,
Auch „sans peur et reproche“, ohne Furcht und Tadel,
Aber fast schon von prähistorischem Adel:
Die auf „berg“ und auf „heim“ sind gar nicht zu fassen,
Sie stürmen ein in ganzen Massen,
Meyers kommen in Bataillonen,
Auch Pollacks und die noch östlicher wohnen;
Abram, Isack, Israel,
Alle Patriarchen sind zur Stell’,
Stellen mich freundlich an ihre Spitze,
Was sollen mir da noch die Itzenplitze!
Jedem bin ich was gewesen,
Alle haben sie mich gelesen,
Alle kannten mich lange schon,
Und das ist die Hauptsache ..., „kommen Sie, Cohn“.
Also, wenn da stehen würde: Oh, ihr Kitzenglitze, Tüggeritze, Redewitze und Habenitze und all ihr anderen Plitzen, Ritzen, Witzen und Stitzen, ihr Grafen, Freiherrn, Barone, Attachés, Leutnants, Assessoren, Rittergutsbesitzer und unbeschäftigten Kavaliere: wo seid ihr? das wäre humoristisch gewesen. Aber das ist nun nicht von Fontane.
Der Adel war wieder mal nicht da. Der Adel war auch zum siebzigsten Geburtstag nicht da. Dem Adel ist dieser Fontane unheimlich, man wird dafür sorgen dass er niemals ein von Fontane werden wird (oder wäre de Fontane angemessener?), nicht einmal ein Geheimratstitel ist für ihn drin, aber immerhin erhielt er zum 75. Geburtstag eine lebenslange Ehrenpension vom preußischen Kultusministerium. Aber was ist schon der Adel? Ihr könnt uns ja wieder haben, ihr braucht es ja nur zu wollen, sagte mir eine leicht angeschickerte Preußenprinzessin auf einer Party vor einem halben Jahrhundert. Wollte an dem Abend aber keiner. Später auch nicht. Der Adel war längst tot. Für Fontane auch. Wenn er Effi vor ihrem Tod über den Baron Innstetten sagen lässt: Denn er hatte viel Gutes in seiner Natur und war so edel, wie jemand sein kann, der ohne rechte Liebe ist, dann zitiert er subtil den ersten Korintherbrief: Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.
Fontane humoristisches Geburtstagsgedicht (das er wohlweislich nicht zum Druck gab) ist noch ein wenig ambivalent, er scheint den märkischen Junkern immer noch nachzutrauern. Doch der alte Fontane (wie Thomas Mann ihn genannt hat), der in seinen Romanen peu à peu eine Vivisektion des preußischen Adels vornimmt, wird in diesen Jahren (wann auch sonst) immer entschiedener in seiner Kritik. Und findet Sätze über die preußischen Junker wie Je mehr sie überflügelt werden, je mehr sie sich überzeugen müssen, dass die Welt anderen Potenzen gehört, desto unerträglicher werden sie in ihren Forderungen; ihre Vaterlandsliebe ist eine schändliche Phrase, sie haben weniger davon als andere, sie kennen nur sich und ihren Vorteil, und je eher mit ihnen aufgeräumt wird, desto besser. Oder über die Arbeiter: Millionen von Arbeitern sind genau so gescheit, so gebildet, so ehrenhaft wie Adel und Bürger, vielfach sind sie ihnen überlegen [...] Alle diese Leute sind uns vollkommen ebenbürtig. Sie vertreten auch Ideen, die zum Teil ihre Berechtigung haben, und die man nicht totschlagen oder durch Einkerkerung aus der Welt schaffen kann.
Ich komme aus Bremen, da hatte man mit dem Adel nichts am Hut. Den Freiherrn Knigge lässt man gelten, der war ja beinahe ein Bremer. Was aber Louis Ferdinand dazu bewogen hat, ausgerechnet 1950 nach Bremen zu ziehen, werde ich nie verstehen. Auf jeden Fall konnte man so Hohenzollernprinzen und Prinzessinnen kennenlernen. Was bei mir, um es mit aller gebotenen Zurückhaltung zu sagen, keinen großen Eindruck hinterlassen hat. Ich könnte da zwar wunderbare Geschichten erzählen, aber ich tue es nicht. Ich bin ja nicht bei der Bild-Zeitung. Und obgleich ich eine schnelle böse Zunge habe und jeden Klatsch liebe, achte ich doch auch in diesem Blog auf vornehme Zurückhaltung. Die böse kleine Geschichte über die intellektuellen Fähigkeiten eines Preußenprinzes, die ich hier erzählt habe, die durfte ich erzählen, sie ist nicht geheim.
Es gibt gebildete Adlige, keine Frage. Ich habe viele kennengelernt. Und ich liebe Dubslav von Stechlin, der eigentlich der alte Fontane ist. Aber ich muss gestehen, dass es mich bei Fontane immer wieder amüsiert, wie er zwischen Bewunderung und Kritik des Adels oszilliert. Ich dachte, von Eitelkeit eingesungen: Du bist der Mann der „Wanderungen“, Du bist der Mann der märk’schen Gedichte, Du bist der Mann der märk’schen Geschichte. Ja, und genau dazu habe ich noch einen Literaturtipp. Nämlich das hervorragende Buch Gegen-Wanderungen: Streifzüge durch die Landschaft Fontanes von Hubertus Fischer. Man sollte es unbedingt lesen, bevor man die Wanderungen zu einer Geschichte Preußens stilisiert (was sie nicht sind). Denn er selbst wollte seine Wanderungen kritisch verstanden wissen, wie er 1882 an seine Frau Emilie schrieb: ...ich habe überall liebevoll geschildert, aber nirgends glorifiziert, nicht einmal meinen Liebling Marwitz. Ich habe sagen wollen und habe wirklich gesagt: Kinder, so schlimm, wie ihr es macht, ist es nicht, und dazu war ich berechtigt, aber es ist Torheit, aus diesen Büchern herauslesen zu wollen: ich hätte eine Schwärmerei für Mark und Märker. So dumm war ich nicht.
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