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Sonntag, 19. Februar 2012
Georg Büchner
Lebendiges! Was nützt der tote Kram? soll er in einem Schulheft notiert haben. War es das, was mich schon als Schüler anzog, Büchner zu lesen und einen weiten Bogen um Goethe und Schiller zu machen? Heute ist der 175. Todestag von Büchner, da muss in diesem Blog einmal an diesen Dichter, Naturwissenschaftler und Revolutionär erinnert werden, der nur dreiundzwanzig Jahre alt wurde. Falls wir vergessen haben sollten, welchen Schriftsteller wir einmal gehabt haben. Die Werke, die Georg Büchner der Welt hinterließ, lassen sich bequem auf zweihundert Seiten drucken. Trotzdem gehört das, was er schrieb, zum Gewaltigsten, was je in deutscher Sprache niedergelegt wurde. Mit diesem lapidaren Satz beginnt Kasimir Edschmid seine Einleitung zu seiner Ausgabe von Georg Büchner Gesammelte Werke. Seine Ausgabe ist allerdings 485 Seiten lang. Was daran liegt, dass hier auch Der Hesssische Landbote, die Übersetzungen von Lucretia Borgia und Maria Tudor und die Briefe abgedruckt sind, das dichterische Werk passt aber bequem auf zweihundert Seiten.
Ein Jahr nur hält die Druckerschwärz', drum lies mich schnell, ich leg dir's gar sehr ans Herz, hat ein Vorbesitzer in das Buch geschrieben. Aber die Druckerschwärze hält natürlich länger. Wir können Büchner heute immer noch lesen. Auch wenn wir keine Kleinstaaterei mehr haben wie in Leonce und Lena, wo der König Peter über das Königreich Popo herrscht und seinen Sohn Leonce so gern mit der Prinzessin Lena von Königreich Pipi verheiratet sehen möchte. Der König Peter möchte so gerne als aufgeklärter Fürst erscheinen. Aber in Wirklichkeit ist er ein lächerliches Relikt des Absolutismus. Den schon die simpelsten Dinge in Verlegenheit bringen: Peter (läuft auf und ab): Was? Was? Die Menschen machen mich confus, ich bin in der größten Verwirrung. Ich weiß mir nicht mehr zu helfen. (Ein Diener tritt auf.) Diener: Eure Majestät, der Staatsrath ist versammelt. Peter (freudig): Ja, das ist's, das ist's. – Ich wollte mich an mein Volk erinnern! Kommen Sie meine Herren! Gehn Sie symmetrisch. Ist es nicht sehr heiß? Nehmen Sie doch auch Ihre Schnupftücher und wischen Sie sich das Gesicht. Ich bin immer so in Verlegenheit, wenn ich öffentlich sprechen soll. (Alle ab)
Da kennen wir einige, die in Verlegenheit sind, wenn sie öffentlich sprechen wollen. Wie peinlich war das, was der Herr Wulff als famous last words ablieferte. Als ich in diesen Tagen Leonce und Lena wieder einmal las, fand ich Dutzende von Beispielen, die die augenblicklichen Ereignisse hätten kommentieren können. Leonce und Lena ist eine Komödie, aber es ist eine gefährliche Sache mit dieser Komödie. Nicht nur im Jahre 1836. Dies ist keine unverbindliche Fröhlichkeit, dies ist eine Politsatire. Nur flüchtig gearbeitet, ein wenig zu schnell hingeworfen, befand Karl Gutzkow und druckte nur Bruchstücke des Werkes im Mai 1839 in seinem Telegraph für Deutschland. Er hätte sonst auch wohl Schwierigkeiten mit der Zensur bekommen, nicht nur im Königreich Popo oder Pipi.
Die Schwierigkeiten des Königs Peter fangen schon morgens an, wenn ihn seine Diener ankleiden: Der Mensch muß denken und ich muß für meine Unterthanen denken, denn sie denken nicht, sie denken nicht. – Die Substanz ist das 'an sich', das bin ich. (Er läuft fast nackt im Zimmer herum.) Begriffen? An sich ist an sich, versteht ihr? jetzt kommen meine Attribute, Modificationen, Affectionen und Accidenzien, wo ist mein Hemd, meine Hose? – Halt, pfui! der freie Wille steht davorn ganz offen. Wo ist die Moral, wo sind die Manschetten? Die Kategorien sind in der schändlichsten Verwirrung, es sind zwei Knöpfe zuviel zugeknöpft, die Dose steckt in der rechten Tasche. Mein ganzes System ist ruinirt.
Ja, das geht natürlich nicht, dass der freie Wille nicht zugeknöpft ist. Ich verdanke der Theatergruppe meiner Schule eine schöne Textkenntnis, weil ich bei unserer Aufführung von Leonce und Lena (neben meiner kleinen Rolle als Staatsrat) Souffleur war. Wenn jemand seinen Text beherrscht, dann sind es nicht die Germanistikprofessoren sondern die Souffleure. Als ich in einem der schönen Kalender, die das Internet anbietet, las, dass der 19. Februar der 175. Todestag von Georg Büchner ist, dachte ich mir, dass ich über die Stelle schreiben könnte, wo Leonce sagt: Die Luft so scharf und dünn, daß mich friert, als sollte ich in Nankinghosen Schlittschuh laufen. Und dann hätte ich über gelbe Nankinghosen schreiben können. Aber dann fiel mir ein, dass ich das längst getan habe. Lesen Sie es doch noch einmal an dieser ➱Stelle.
Ich werde mich indessen in das Gras legen und meine Nase oben zwischen den Halmen herausblühen lassen und romantische Empfindungen beziehen, wenn die Bienen und Schmetterlinge sich darauf wiegen, wie auf einer Rose. Und wie wäre es, wenn Sie heute einfach einmal Leonce und Lena lesen? Den Text gibt es ➱hier. Das ist vergnüglich, denn am Ende wird alles gut: wir lassen alle Uhren zerschlagen, alle Kalender verbieten und zählen Stunden und Monden nur nach der Blumenuhr, nur nach Blüthe und Frucht. Und dann umstellen wir das Ländchen mit Brennspiegeln, daß es keinen Winter mehr gibt und wir uns im Sommer bis Ischia und Capri hinaufdestilliren, und wir das ganze Jahr zwischen Rosen und Veilchen, zwischen Orangen und Lorbeern stecken. Und wenn Valerio Staatsminister wird, dann wird er ein Dekret erlassen, daß wer sich Schwielen in die Hände schafft unter Kuratel gestellt wird, daß wer sich krank arbeitet kriminalistisch strafbar ist, daß jeder der sich rühmt sein Brod im Schweiße seines Angesichts zu essen, für verrückt und der menschlichen Gesellschaft gefährlich erklärt wird und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine kommode Religion!
Das ist doch eine schöne Utopie für diesen Sonntag.
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