Vor fünfzig Jahren gab es in der Nacht vom 16. zum 17. Februar in Norddeutschland eine verheerende Flutkatastrophe, die hauptsächlich Hamburg betraf. Als damals junger "Zeitzeuge" schlage ich dazu einmal einige Seiten aus meinen Jugenderinnerungen auf:
Februar 1962, es ist kalt und windig. Na ja, eigentlich ist es schon ein Sturm, aber Bremer, die so etwas das ganze Jahr über gewöhnt sind, neigen bei Windstärke 9 oder 10 noch nicht zu Übertreibungen.. Ich sitze mit Charlie bei Konnie Krämer im Fährhaus am Utkiek. Die Kneipe hat der Konnie schon dichtgemacht, aber uns schenkt er noch ein Bier ein, geht aufs Haus. Konnie braucht uns noch. Die Weser ist beunruhigend hoch, das vom Sturm herein gedrückte Wasser fließt nicht ab. Eigentlich sollte jetzt Ebbe sein, aber die Weser ist schon auf der normalen Fluthöhe, Meter über dem Ebbepegel. Die Nacht ist blauschwarz, die Wolken fegen nur so dahin. In drei Tagen ist Vollmond, das ist bei dieser Wetterlage schlecht. Das hat jetzt nichts mit Deichromantik à la Schimmelreiter zu tun. Das bedeutet eine Springflut. Und dies ist kein Sturm mehr, dies ist schon ein Orkan. Wir schrauben mit Konnie zusammen die eisernen Platten vor die Kellerluken, dichten alles mit Säcken und gefettetem Tauwerk ab. Auch die Eingangstür, die einen Meter höher liegt.
Am nächsten Morgen haben wir schulfrei, das kommt durchs Radio. Peter und ich fahren mit dem Bus nach St. Magnus, um uns das Ausmaß der Überschwemmung anzusehen. Der Admiral Brommy Weg steht unter Wasser und die Lesumwiesen auch. Das ist bei jedem Hochwasser so, die Wiesen hinter den Deichen sind eigentlich Sollbruchstellen. Gefährlich wird das erst in der Zukunft, wenn man sinnlos an allen Nebenflüssen Sperrwerke einrichtet und den Fluß durch Vertiefungen noch weiter kanalisiert. In Grohn schippt Kapitän Janssen Wasser aus seinem Keller und die umstehenden Gaffer beschweren sich, dass sie dabei nass werden. Ich verdrücke mich mit Peter schnell, bevor Hein Janssen mich erkennt, sonst sind wir auch noch mit Schippen dran.
Wenn dies schon komisch ist, dann kann man das noch steigern. Als wir zur Strandstraße kommen, steht da schon unsere halbe Schule vor dem Haus des Direx neben dem Ruderverein. Den hatte die Polizei nachts noch aufgefordert, das schöne Haus zu verlassen, das der Architekt Ernst Becker-Sassenhof in den zwanziger Jahren gebaut hat. Hat er nicht getan, er glaubte nicht daran, dass das Wasser noch steigen würde. Immerhin hat er vorsichtshalber die Abiturarbeiten mit nach oben genommen. Jetzt ist das ganze Lehrerkollegium damit beschäftigt, klitschnasse Teppiche und feuchte Sessel aus dem Erdgeschoss zu räumen und auf das Gelände des Rudervereins zu tragen. Schüler geben gute Ratschläge, vor allem jenen Lehrern, die zwei linke Hände haben. Davon gibt es mehrere. Kein Schüler fasst mit an. Irgendwie sind alle der Meinung, dass dieser Schaden auch eine Strafe für Dummheit ist. Konnie Krämer wird kein Weserwasser in Keller und Kneipe haben, jeder, der hier wohnt ist Hochwasserprofi, mit Ausnahme des Direktors des Gymnasiums. Ich verstehe es nicht, der Mann ist pädagogisch versiert und er ist ein erstklassiger Verwaltungsfachmann. Und dann so was. Ich vermute, dass es daran liegt, dass er Wagner Liebhaber ist, er soll sogar einmal im Jahr nach Bayreuth fahren. Wagner Liebhaber sind nicht von dieser Welt. Vielleicht hat er ja im Sturm den Fliegenden Holländer gehört.
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