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Montag, 12. März 2012

Jack Kerouac


Wenn Du mit 'On the Road' fertig bist, musst Du unbedingt 'The Subterraneans' lesen, sagte mir Charlie. The Subterraneans war gerade erschienen, Charlie hatte schon eine Paperbackausgabe. Jack Kerouc war damals Kult. Wir waren siebzehn oder achtzehn und überlegten uns, ob wir nun die Existentialistenhülle abstreifen und Beats werden sollten. Diese grauen Exi-Tweedjacketts hatten wir sebstverständlich noch, die schwarzen Rollis auch. Ich habe die Subterraneans natürlich gelesen, aber ich fand den Roman völlig schrottig, mochte das dem Charlie aber nicht sagen, weil der dieser hardcore Jack Kerouac Fan war. Und weil er mich dann vielleicht nicht zum nächsten Jazzkonzert mitnahm. Charlie kannte nämlich jemanden bei einer Konzertagentur, von dem er immer Freikarten für Jazzkonzerte kriegte. Manchmal waren die nicht ganz frei, dann musste man eine halbe Stunde an der Saaltür als Kartenabreißer stehen, aber das war auch O.K.

Jack Kerouac wurde heute vor neunzig Jahren geboren; zu der Zeit als ich ihn las, hatte seine Karriere einen kurzen Höhepunkt, danach war alles nur Niedergang. In manchem ähnelt seine Karriere der von ➱Jackson Pollock. Natürlich steht On the Road (in der Viking Critical Library Ausgabe von Scott Donaldson) bei mir im Regal, aber wirklich beeindruckt hat mich der Roman nie. Er hat bei mir auch keinerlei Spuren im Gedächtnis hinterlassen. Von Proust Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, die ich damals ziemlich gleichzeitig mit Kerouac las, kenne ich beinahe noch jede Seite. Ich habe natürlich, bevor ich dies schrieb, On the Road aus dem Regal genommen, aber das Buch hat nicht geschrien: Read me. Auch nicht geheult I saw the best minds of my generation destroyed by madness. Es ist erstaunlich, wie kalt mich der Text heute lässt.

Im Jahre 1949 schreibt er Charles Sampas, der ihn aufgefordert hatte, das dark Lowell zu verlassen, weil nur da draußen in der wirklichen Welt, sein Genie sich entfalten könnte, folgenden Brief:

So this brings us by a "commodius vicus of recirculation past river Eve and Adam" back to the nights when we'd all bump on the Square—Sammy, Ian MacDonald, Mike Largay, Conny Murphy, Eddy Tully, yourself and others like Jim O'Dea and John Koumantzelis and so many others, and chat about what we all felt . . . an enriching background for all of us. Strange, dark Lowell. And the night I talked to you at your table in the Moody street club, only four years ago, and you advised me to stay out of Lowell. I understand that too. But it's all the same, and Lowell, like Winesburg Ohio or Asheville North Carolina or Fresno California or Hawthorne's Salem, is always the place where the darkness of the trees by the river, on a starry night, gives hint of the inscrutable future Americans are always longing and longing for. And when they find that future, not till then they begin looking back with sorrows, and an understanding of how man haunts the earth, pacing, prowling, circling in the shades, and the intelligence of the compass pointing to nothing in sight save starry passion . . . strange, how we be-dot infinity with our thoughts and poor rooftops, and hometown, then go away forever.

Das mit dem commodius vicus of recirculation past river Eve and Adam steht natürlich am Anfang von James Joyces Finnegans Wake, offensichtlich hat Kerouac es nötig, seinem Briefpartner zu zeigen, dass er das Werk kennt. Das ist natürliches billiges showing off, ich habe Finnegans Wake auch nicht gelesen, aber den Anfang zitieren, das kann ich immer. Vielleicht hat er aber Finnegans Wake sogar gelesen, man sollte den Einfluss von Joyce auf Kerouac nicht unterschätzen. Er sah sogar seinen Roman On the Road in der Tradition von Joyce, wie er Alan Ginsburg in einem Brief schrieb: I can tell you now as I look back on the flood of language. It is like 'Ulysses' and should be treated with the same gravity.

Literatur kommt von Literatur. Die Ortsnamen sind in diesem Brief nicht zufällig ausgewählt, wir verbinden sie mit Sherwood Anderson, Thomas Wolfe und William Saroyan. Sherwood Anderson, der Winesburg auf die literarische Landkarte geschrieben hat, wird auch nicht zufällig an erster Stelle genannt. Er ist derjenige, der zu William Faulkner gesagt hat: You’re a country boy, all you know is that little patch up there in Mississippi where you started from. But that’s all right too. It’s America too. Wir wissen, dass sich Faulkner daran gehalten hat.

Dieses then go away forever im letzten Satz ist vielleicht noch ein Abglanz von Thomas Wolfes You Can't Go Home Again, wo es am Schluss heißt You can't go back home to your family, back home to your childhood ... back home to a young man's dreams of glory and of fame ... back home to places in the country, back home to the old forms and systems of things which once seemed everlasting but which are changing all the time – back home to the escapes of Time and Memory.

Kerouac war damals schwer von Thomas Wolfe beeinflusst. Er hatte gerade den Roman The Town and the City vollendet, in dem seine Erlebnisse in Lowell und New York thematisiert werden. Dieser Roman wird nicht so häufig zitiert, wenn von Kerouac die Rede ist. Kerouac wird gemeinhin nur mit On the Road assoziiert, als ob er nie etwas anderes geschrieben hätte. Er hat eine ganze Menge geschrieben, man sollte das nicht unterschätzen. Der Brief an Charles Sampas wird häufig zitiert, wegen der Stelle the compass pointing to nothing in sight save starry passion, es macht sich immer gut so etwas zu zitieren.

Kerouac hat das Manuskript von On the Road in drei Wochen auf eine selbstgebastelte 120 Fuß lange Schreibpapierrolle getippt, einzeilig ohne Absätze. Mit viel Kaffee, Benzedrin und was man damals in den Kreisen der Beatniks sonst so konsumierte. Aber diese drei Wochen sind nur die Zeit des Tippens gewesen, das Konzipieren, die Entwürfe in Notizbüchern und der Prozess des Redigierens haben viel mehr Zeit in Anspruch genommen. Malcolm Cowley, der zu der Zeit Berater des Viking Verlags war, hat aus dem Ganzen ein Manuskript gemacht. Hat ein Drittel gestrichen, die Viking Ausgabe offeriert etwas mehr als dreihundert Seiten Text. Man hätte noch mehr streichen oder überarbeiten können, der Roman hat Längen. Er ähnelt in seiner Struktur doch eher einem Schrottplatz, dagegen hat Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit die durchkonstruierte Form einer Kathedrale. Vielleicht hätte Maxwell Perkins (der 1947 gestorben war), etwas Anderes aus dem Text gemacht. Dem hatte Thomas Wolfe nach vier Jahren des Schreibens einen ganzen Koffer voller Manuskriptseiten geliefert, die ungefähr die Länge von Proust Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ausmachten. Perkins hat diesen Wust von Papieren auf 900 Seiten zusammengekürzt und ihm den Titel Of Time and the River gegeben. Wurde ein Bestseller. Viele amerikanische Schriftsteller des 20. Jahrhunderts wären ohne Verlagslektoren hilflose Babies geblieben.

Die Manuskriptrolle von On the Road ist im März 2001 für 2.43 Millionen Dollar von Christie's in New York an den Präsidenten der Indianapolis Colts verkauft worden. Man befürchtet jetzt, dass Kerouacs Erben sein penibel geführtes Archiv nun peu à peu verscherbeln. Vielleicht warten sie auch noch ein wenig, es kann ja alles nur noch teurer werden. Für mein altes Exemplar von Big Sur (Bantam 1963) gibt mir wahrscheinlich niemand mehr Geld - halt, das stimmt nicht ganz, ich habe gerade gesehen, dass amerikanische Händler dafür schon 27.70 Dollar verlangen.

Im Vorwort von Big Sur zitiert Kerouac Proust, den er ja in On the Road immer wieder zitiert hatte. Und der auch in seinen dreißig ➱Ratschlägen für das Schreiben zitiert wird (Like Proust be an old teahead of time): My work comprises one vast book like Proust's Remembrance of Things Past except that my remembrances are written on the run instead of afterwards in a sick bed. Because of the objections of my early publishers I was not allowed to use the same personae names in each work. On The Road, The Subterraneans, The Dharma Bums, Doctor Sax, Maggie Cassidy, Tristessa, Desolation Angels, and the others are just chapters in the whole work which I call The Duluoz Legend. In my old age I intend to collect all my work and reinsert my pantheon of uniform names, leave the long shelf full of books there, and die happy. The whole thing forms one enormous comedy, seen through the eyes of poor Ti Jean (me), otherwise known as Jack Duluoz, the world of raging action and folly and also of gentle sweetness seen through the keyhole of his eye.

Ich wusste wahrscheinlich damals instinktiv schon, weshalb ich Kerouac und ➱Proust parallel las.

Die Photos im Text sind (bis auf das Kerouac Photo) von Robert Frank, zu dessen berühmten Photoband The Americans Jack Kerouac das Vorwort geschrieben hat. Von On the Road sind zahlreiche Ausgaben auf dem Buchmarkt, die von Scott Donaldson editiere Ausgabe der Viking Critical Library mit zweihundert Seiten kritischem Kommentar leider nicht mehr. Dafür kann man jetzt aber ➱On the Road: The Original Scroll kaufen. Wenn man das lesen will. Neuere Biographien zu Kerouac scheinen im Entstehen zu sein, bis dahin bleibt Gerald Nicosias Memory Babe: A Critical Biography of Jack Kerouac aber immer noch das beste Buch.

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