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Samstag, 17. März 2012

Zeitlos


Wie alt mag sie sein? Wie alt mag das Bild sein? Wir tippen erst einmal auf das 18. Jahrhundert, aber irgendetwas stimmt nicht. Wir nehmen das 19. Jahrhundert, irgendein Societymaler wie ➱Franz Xaver Winterhalter? Und wir liegen schon wieder falsch, die Dargestellte wurde 1917 geboren. Sie hat die meisten Adelstitel in Spanien, hat aber bei Facebook nur wenige Freunde. Das Bild dieser Kindfrau ist von dem spanischen Maler Fernando Álvarez de Sotomayor, der heute vor 52 Jahren starb. Er konnte auch ganz ➱anders malen, aber in vielen seiner Porträts scheint er die englische Porträtmalerei des 18. Jahrhunderts wiederbeleben zu wollen.

Was tun wir, wenn wir vor einem Bild stehen, das aus einem anderen Jahrhundert zu stammen scheint, aber einwandfrei in unserer Zeit gemalt wurde? Wie reagieren wir? Es war für mich ein seltsames Erlebnis, als ich 1981 in der Ausstellung Norge Idag zu ersten Mal die Bilder von Odd Nerdrum sah. Damals kannte den noch niemand, heute sind seine Bilder auf den Büchern von ➱Christian Kracht. Der ist ja gerade mal wieder in aller Munde, aber ich halte mich da lieber zurück. Ich mag diese verzogenen Millionärskinder nicht (Pappi war Axel Springers Generalbevollmächtigter). Faserland wurde ja damals als Beginn der Yuppie Literatur gefeiert, die deutsche Antwort auf Bret Easton Ellis. Ist nett zu lesen, kommen auch Kiton Jacketts drin vor, ist aber kaum der Beginn einer neuen deutschen Literatur.

Die Ausstellung norwegischer Kunst in Kiel begann mit einem kleinen Eklat. Der norwegische Botschafter, der die Ausstellung eröffnen sollte, weigert sich, die Ausstellung zu eröffnen, solange das Bild Die Ermordung von Andreas Baader von Odd Nerdrum an der Wand hängt. Der Direktor der Kunsthalle, ➱Jens Christian Jensen, der die Kunsthalle Kiel aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt und mit weit beachteten Ausstellungen berühmt gemacht hatte, redet auf den Botschafter ein. Jensen ist das Ganze etwas peinlich, er wird lange mit dem Botschafter sprechen. Ich sehe die Szene heute noch vor mir. Jensen nimmt das riesige Bild (3,30 mal 2,70) natürlich nicht von der Wand, wir sind doch nicht in New York. Dort hatte Nerdrum Ende der sechziger Jahre eine Einzelausstellung abgelehnt, weil ihm signalisiert worden war, dass die Ausstellung zensiert werden würde. Hier in Kiel schmollt nur der norwegische Botschafter, das Leben geht weiter.

Dieser Nerdrum ist ein seltsames Phänomen, er kann malen wie Rembrandt, hier in diesem Bild einer Schulpause mit lebensgroß gemalten Figuren (Frikvarteret 1979). In dem Bild Die Ermordung von Andreas Bader ist er Caravaggio nahe. Und das alles im Jahre 1981. Ich war damals fasziniert von diesen Bildern, habe die Ausstellung immer wieder besucht. Damals hatten in Berlin Johannes Grützke und andere die Malerei der neuen Prächtigkeit ausgerufen, dies hat vielleicht ein wenig davon. Prächtig ist es auf jeden Fall. Es hätte Sir Joshua Reynolds gefallen, er hätte sein Bemühen um einen grand style darin wiedererkannt. Natürlich könnten wir Postmoderne dazu sagen, dieser umbrella term, der für alles passt. Nur nicht für die Post, die ist nicht modern.

Nerdrum ist inzwischen weltberühmt, er bezeichnet sich neuerdings als the King of Kitsch, amerikanische Museen zahlen sechsstellige Beträge für seine Bilder und Botho Strauß hat ihn 2002 im ➱Spiegel gefeiert: Unerträglich erscheint vielen sein kentaurisches Künstlertum: stilistisch ein Integralist, der den modischen Fragmentarismus verwirft, dagegen in seinen Motiven und Erfindungen ein antiklassischer, effektbewusster Exzentriker. Allein gelassen von Kollegen und Kritik vollzieht er plötzlich eine sonderbare Volte, nicht als Künstler, aber als Selbstinterpret. Ja, so schließt er aus seinem bisherigen Werk, ich bin der König des Kitschs. Ich habe nur Kitsch gemalt. Ich wusste es nicht. Ich hielt es für die Kunst Alter Meister, die zeitlos ist und durch jeden ernsten Künstler wiederkommt. Aber das ist nicht der richtige Begriff. Der richtige Begriff heißt: Kitsch. Ich bin aber das Höchste, was diese Richtung bis heute hervorbrachte.

Das hier ist nicht Nerdrum, das ist Rembrandt. Das Bild von der Verschwörung der Bataver hängt heute in Stockholm, zwei mal drei Meter groß. Als Rembrandt es 1662 für das Amsterdamer Rathaus malte, war es noch doppelt so groß, später haben Banausen Teile davon abgeschnitten. Die Begegnung mit diesem Bild wird für den jungen Kunststudenten Odd Nerdrum zu einer Art Schlüsselerlebnis, solche Bilder müsste man malen. Er versucht, seine Mitstudenten und seine Professoren von dieser Idee zu überzeugen, dass man die Kunst und Technik der alten Meister wiederbeleben müsse. Ergebnis: Exmatrikulation. Aber man kann den Einfluss des Rembrandtbildes in Nerdrums Bildern immer wieder spüren, auch Frikvarteret hat etwas davon.

Nerdrum, der in Schweden geboren wurde, hat allerdings nicht gesagt: Ich will Schwedens Rembrandt werden, oder sterben. Das Zitat wird dem schwedischen Maler Ernst Josephson zugeschrieben, den Odd Nerdum auch zu seinen Vorbildern zählt. Norwegische Kritiker versuchen meines Erachtens ein wenig verzweifelt, Odd Nerdrum in eine große Tradition der norwegischen Malerei hineinzuschreiben, die von Adolph Tidemand über Christian Skredsvig und Christian Krohg zu Nerdrum reicht. Das ist irgendwie rührend provinziell und national gedacht. Aber man hat ja in Norwegen sonst nicht so viel berühmte Maler, und berühmt ist Odd Nerdrum wirklich.

Doch mit der Berühmtheit ist es heute so eine Sache. Damien Hirst ist berühmt, Jeff Koons ist berühmt, aber das ist nicht die Sorte Ruhm, die einem Künstler einen Lorbeerkranz aufsetzt und ihn auf den Olymp befördert. Ein Satz von seinem Freund Andrew Wyeth, dass Nerdrum the greatest painter living sei, vielleicht schon eher. Er malt heute nicht mehr so, wie er in den siebziger Jahren gemalt hat. Ich weiß nicht, wie man die neuen Bilder nennen soll. Fantasy? Salvador Dali für Arme? Hätten diese Bilder damals in der Kieler Kunsthalle gehangen, ich wäre nicht jede Woche dreimal in die Kunsthalle gegangen.

Es gibt heute schon Bücher und Videos von einem Amerikaner, die einem beibringen, wie man als Amateur malen kann wie ➱Odd Nerdrum. Offensichtlich will jetzt jedermann malen wie der Norweger. Dieser amerikanische Künstler stellt sich auf seiner ➱Internetseite so vor: My name is Derek Van Derven, I am a Realist Oil Painter from the USA. A note on lighting my paintings. My paintings look best in dim light with spotlights shining on the main lights or figures of the painting. That way they start to glow. Ich weiß jetzt nicht, ob er die Spotlights für seine künstlerischen Produktionen auch zum Kauf anbietet, aber der Mann hat sicher eine Marktlücke gefunden.

Vielleicht ist dieser Derek Van Derven ja auch nur ein Deckname für Odd Nerdrum, der ihn großen finanziellen Schwierigkeiten ist. Denn die Millionen, die er in der Vergangenheit verdient hat, sind irgendwie an den norwegischen Steuerbehörden vorbei geflossen. Der Künstler wurde im letzten Jahr zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Was ihn auf der Stelle zu einem norwegischen ➱Ai Weiwei machte, auf jeden Fall in der Sicht seines Fanclubs. Lesen Sie alles dazu auf dieser ➱Seite. Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass der Fall im Sommer 2012 in einem Revisionsverfahren verhandelt wird. Vielleicht wird er dann ja nicht the first artpolitical prisoner in Europe. Sollte er doch wieder verurteilt werden, dann darf er angeblich nach norwegischem Recht in seiner Zelle in dieser Zeit nicht malen. Da wäre er dann schlechter dran als der ➱Colonel John Trumbull, als der wegen Hochverrat im Londoner Gefängnis saß. Der durfte malen, und seine Freunde sorgten für Rotwein und Roastbeef.

Unser norwegischer Rebell hat künstlerisch etwas losgetreten, was sich Kitsch Movement nennt. Die haben natürlich auch eine ➱Homepage. Odd Nerdrum hat natürlich auch ➱eine, er hat einen guten englischen ➱Wikipedia Artikel (den deutschen kann man vergessen). Er hat weltweit viele Schüler, manches von denen gefällt mir recht gut. Manches davon würde ich mir an die Wand hängen, das Bild Nicole's Room von ➱Richard Scott (oben) zum Beispiel (sieht ein wenig nach ➱Caillebotte aus). Aber das will jetzt nichts heißen, die beliebte Kunstkategorie das würde ich mir nicht ins Wohnzimmer hängen, schließt schon mal die Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle aus der Kategorie akzeptabler Kunst aus (dieser joke ist von Alan Bennett). Und ich habe letztens bei einem Hinterhofhöker für zehn Euro ein Bild von einem völlig unbekannten Künstler (oder Kunststudenten) gekauft, das sich in keine Kunstrichtung einordnen lässt. Wenn ich eine DigiCam hätte, dann wäre das längst als Abbildung im Netz, es ist einfach toll. Vor allem, seit es einen Rahmen hat, der ein x-faches des Bildes gekostet hatte.

Vielleicht mochte ich Odd Nerdrum damals auch nur, weil ich ein großes Herz für realistische Malerei habe, ich bin auf jeder Ausstellung von Harald Duwe und der seiner Schüler gewesen. Bei Realisten weiß man häufig, woran man ist. Auch wenn sie so etwas wie einen rätselhaften ➱magic realism malen. Hier auf dem Bild malt Nerdrum sich wieder einmal selbst. Einen Epochenschänder, der sein Feuer aus der Erde holt, hat Botho Strauß ihn genannt. Der hat immer so schöne Formulierungen, die ich nicht hinkriege. Sätze wie: Selten hat ein Künstler der Moderne so schneidend widersprochen - nicht mit kritischer oder sarkastischer Polemik, sondern mit einem durchfigurierten geschlossenen Gegenentwurf, der sagt: Es gibt noch andere Welten jetzt als die der rationalen Idiotie.

Ich würde das ja jetzt gerne als famous last words hier stehen lassen, aber ich werde aus vielem, was Botho Strauß sagt, nicht schlau. Geht mir aber mit Nerdrum (hier als The Saviour of Painting) genauso. Was wird er machen, wenn im Sommer das Urteil der ersten Instanz bestätigt wird und er wirklich ins Gefängnis muss? Malen darf er nicht, weil ein norwegisches Gesetz verbietet, dass man im Gefängnis seinen Geschäften nachgehen darf. Er könnte natürlich als Bildhauer anfangen. Oder Theaterstücke schreiben. Eins hat er schon geschrieben, Immanuel Kants siste dager. Ich weiß jetzt nicht, ob da die Stelle drin vorkommt, wo Kant von der Nachahmung als bloßer Nachäffung redet.


1 Kommentar:

  1. Wahnsinn, mit dem eigentümlichen Namen kann man aber nur berümt werden. Der Knast ist ihm aber, dem König sei Dank, erspart geblieben!

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