Seiten

Samstag, 21. April 2012

Albert Weisgerber


Das ist nicht der Strand von Deauville, das Bild ist nicht von Eugène Boudin. Dies ist der Strand des einstmals fashionablen Seebades Norderney, im Jahre 1910 gemalt von Albert Weisgerber. Ein bisschen impressionistisch, aber auch schon ein wenig expressionistisch. Falls Sie von Weisgerber  noch nie gehört haben, brauchen Sie sich nicht zu schämen. Irgendwie ist der Maler, der heute vor 134 Jahren geboren wurde und der 1915 als Leutnant eines Bayrischen Infanterieregiments bei Frommelles fiel, immer noch ein Geheimtip. In meinem Studium der Kunstgeschichte ist er nicht vorgekommen. Als ich vor Jahrzehnten das erste Bild von ihm sah, habe ich voller Verblüffung davor gestanden: wie konnte mir ein solcher Maler entgehen?

In dem Bayrischen Infanterieregiment, in dem Weisgerber eine Kompanie befehligte, gab es übrigens noch einen weiteren Maler. Na ja, sagen wir besser: einen verhinderten Maler. Der kam aus Österreich und hieß Adolf Hitler. Als er an der Macht war, fielen die Werke von Weisgerber unter die Rubrik entartete Kunst. Ob der verhinderte Kunstmaler Hitler jemals Bilder von Weisgerber gesehen hat? Weisgerbers Freund, der Kunsthistoriker Georg Dehn, hatte Weisgerber nach der Schlacht gesucht, er fand ihn in einem Granattrichter, von einem tödlichen Kopfschuss getroffen: Sein Rucksack war schon von den Schlachtfeld-Hyänen ausgeraubt, sodaß ich nur noch seine geliebte kleine Ausgabe von Goethes Faust fand. Liest er auf diesem Photo seinen Faust? Im Ersten Weltkrieg haben die deutschen Soldaten Goethes Faust im Rucksack, im Zweiten Weltkrieg wird es Hölderlin sein. Wenn wir die Welt schon mit Krieg überziehen, haben wir doch immer die Bildung im Gepäck. Der schwer kriegsverletzte Georg Dehn hat übrigens das neue Deutschland seines Regimentskameraden Hitler verlassen und ist Professor für Archäologie in Quito in Ecuador geworden.

Das Gemälde, das mich damals faszinierte, hieß Im Biergarten und war eine Atelierwiederholung dieses Bildes hier, das in seiner Heimatstadt St Ingbert hängt. Aber es war noch viel besser, komprimierter im Ausschnitt, eine Symphonie von gemalten Lichtflecken (Sie können es auf dieser Seite sehen, wo man das Bild auch vergrößern kann). Das Bild hing in der Stiftung Pommern, die seit 1971 im Rantzaubau des Kieler Schlosses ausgestellt war. Das war ursprünglich die Gemäldesammlung des Stadtmuseums von Stettin. Sie war 1945 vor dem Einmarsch der Roten Armee gerettet worden und dann nach Coburg gebracht worden, wo sie Jahrzehnte in den Magazinen der Veste Coburg schlummerte.

1970 wurde sie nach Kiel in die Obhut der Stiftung Pommern gegeben. Vielen Kielern und den meisten Touristen blieb es unbekannt, welche Schätze der Rantzaubau barg. Caspar David Friedrich (mehrere), Blechen, Carus, die halbe Düsseldorfer Schule, ein kleiner Georg Flegel, zwei schöne Bilder von Frans Hals, ein Menzel, viele Rayskis, Gotthardt Kuehl, sogar ein Van Gogh. Ich habe zwar einmal in der kleinen Kunstkolumne einer Universitätszeitung Reklame für diese Sammlung gemacht, aber es hat nicht viel genützt. Die Intimität der kleinen Säle des Rantzaubaus blieb gewahrt

Heimatvertriebene mit schwerem pommerschen Akzent kümmerten sich rührend um die wenigen Besucher, die sich hierher verirrten. Selbst eine Ausstellung von Zeichnungen Caspar David Friedrichs wurde vom Kieler Publikum nicht adäquat gewürdigt, ich habe da nie einen Besucher gesehen. Nicht dass ich sie vermisst hätte, es ist immer ein schönes Erlebnis, Kunstwerke ganz allein betrachten zu können. Die ausländischen Gäste meines Instituts habe ich regelmäßig ins Schloss geschleppt, weil hier die schönste Sammlung deutscher Kunst des 19. Jahrhunderts (abgesehen von der Sammlung Schäfer) war. Die konnten es nicht glauben, dass hier sogar ein Van Gogh so einfach an der Wand hing. In New York ist das alles unter Glas, versicherten sie mir. 1999 ist die Sammlung an das Pommersche Landesmuseum in Greifswald zurückgegeben worden. Die Überführung der bis dato in Kiel gezeigten Stettiner Gemälde reisst ein Loch in das Kulturleben der Stadt, schrieb die NZZ damals.

Und was für eins. Ich vermisse diese Sammlung, die ich in all den Jahren beinahe jede Woche besuchte, heute immer noch. Sie hatten leider nur den einen Weisberger, ich hätte gern mehr von ihm gesehen. Aber sein Werk ist weit verstreut, und an die Ausstellungen, die es in den letzten Jahren gegeben hat, war noch nicht zu denken. Die Publikation der Dissertation von Saskia Ishikawa-Franke, Albert Weisgerber. Leben und Werk 1978 hatte ich auch verpasst. Bleibt wohl immer noch das Standardwerk, ist aber schwer zu finden. Das Beste, was man heute noch antiquarisch finden kann, ist Albert Weisgerber. Das Leben - der Tod, herausgegeben von Gebhard Neumüller, Karin Bierhals und Elisabeth Weber (2004) und ein kleiner Katalog zu der Ausstellung in Speyer 1995, der bei Hatje Cantz erschienen ist. Gerhard Sauders Dokumentation des Lebens von Weisgerber in Briefen und Dokumenten (Ich male wie ein Wilder) aus dem Jahre 2006 ist nach wenigen Jahren leider auch schon wieder vom Buchmarkt verschwunden.

Was mir natürlich heute ein wenig peinlich ist, ist die Tatsache, dass in meiner Heimatstadt Bremen auch ein Weisgerber hing, und ich das nicht gemerkt hatte. Nämlich dieses Gartenfest (das auch als Reproduktion bei Amazon zu erwerben ist). Ich wusste auch nicht, dass der Worpsweder Maler Udo Peters, den ich mal bei einer Ausstellung gesehen hatte, ein Schüler von Weisgerber gewesen war. Aber im Alter lernt man ja bekanntlich dazu, jetzt weiß ich das - obgleich ich in Peters' Bildern kaum Spuren von Weisgerber entdecken kann. Auf der anderen Seite konnte man glücklicherweise bei Weisgerber nie Spuren des Professors entdecken, dessen Meisterschüler er in München gewesen war. Das war nämlich Franz von Stuck, der Großmeister des Fin de Siècle Kitsches.

Erkennen Sie diesen jungen Mann wieder? Das Jugendbildnis, das Weisgerber von mir gemalt hat (es war wohl im Januar 1905), ist immer mein schönster Besitz gewesen, hat der Portraitierte über das Bild gesagt. Es ist niemand anderes als der junge Theodor Heuss, der mit Weisberger befreundet war. Weisgerber hatte einen großen Freundeskreis, zu dem auch der Maler Hans Purrmann zählte (der, der die Malerin Mathilde Vollmöller geheiratet hat). Der Matisse-Schüler Purrmann machte ihn mit Henri Matisse bekannt und führte ihn in die Bohème des Café du Dôme ein. Obwohl Weisgerber Philosophen las und Diskussionen liebte, das hier in Paris war nichts für ihn. Hier wird so eklich viel gefachsimpelt, und wenn das nicht, dann sind die Kerle stumpfsinnig dass sie stinken, schreibt er an seinen Freund Gino de Finetti. Er schreibt wie er spricht, läntlisch. Er ist bildungsmäßig ein self-made man, im Gegensatz zu dem Gutsbesitzersohn Gino de Finetti. Der italienische Aristokrat arbeitete für den Simplicissimus und wurde durch seine Werbeplakate von Henkell Trocken berühmt. Ließ es sich aber auch nicht nehmen, 1940 seinen Duce zu porträtieren. Oder soll das schon eine Karikatur sein?

Das Museum, das man in St. Ingbert für den Maler hatte, ist schon wieder aufgelöst, soll aber noch in diesem Jahr in neuen Räumen wieder eröffnet werden. Vielleicht gibt es dann ja auch mal einen Katalog oder man bringt die vergriffenen Bücher mal wieder neu auf den Markt. Immerhin gibt es einen akzeptablen Wikipedia Artikel zu Weisgerber, und hier habe ich noch eine gute Seite (mit Bildern). Und ein Gedicht habe ich heute natürlich auch, von einem Freund Weisgebers, dem Dichter Ludwig Scharf. Es passt auch zur Jahreszeit, wenn auch nicht ganz zum Wetter hier oben.

Frühlings-Hymne

Dieser blaue Frühlingsmorgen-Himmel
Und dies junge frische Blattgewimmel,
Drin der Wind von Ast zu Aste springt –
Bis sich Blatt mit Blatt im Tanze schwingt –

Diese Flitterwochenzeit der Bäume,
Ihre ersten Sonnen-Blütenträume
Unterm blauen Hochzeitsbaldachin –
Dieses golddurchwirkte Farbenglühn …

O, dies unaussprechlich zarte Beben,
Leib-inLeib- und Seel-in-Seel-Verweben,
Dies Beseeltsein stummster Kreatur,
Offenbarend ihre Gottnatur! …

Bad dich nun, mein Herz, von Staub und Asche!
Wind und Sonne deine Pulse wasche!
Tauche ganz ins golden-grüne Meer!
Wirf im goldnen Blau
Deiner Sehnsucht Arme hin und her! …

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen