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Samstag, 7. Juli 2012

Pierre Cardin


Aber ich bin doch immer noch der einzige Innovative auf der ganzen Welt! Alle kopieren mich. Ich demokratisiere, die anderen banalisieren. Alle machen jetzt das, was ich vor 40, 50 Jahren schon gemacht habe. Aber es gibt einen großen Unterschied: Die Marke »Pierre Cardin« gehört allein mir. Ich bin der einzige Modeschöpfer, der die Rechte an seiner Marke nicht verkauft hat. Er hätte allerdings dazu sagen sollen, dass er die Markenrechte als Lizenzen weltweit wahllos vergeben hat, und dass unter seinem Namen auch scheußlicher Schrott hergestellt wurde. Er hat als einer der ersten Pariser Couturiers Prêt-à-porter Mode produziert, in dem Punkt sind ihm beinahe alle gefolgt. Als er das 1959 machte, flog er gleich aus der Chambre syndicale de la haute couture, wurde aber wenig später wieder in Ehren aufgenommen. Damals hatte er auch schon seine Fühler zum japanischen Markt ausgestreckt.

Was Audrey Hepburn hier in Two for the Road trägt, ist nicht von Pierre Cardin. Das hier ist von Paco Rabanne (Modefans merken sich bitte diese ⬆Website!), aber es hätte auch von Cardin sein können. Damals galten Cardin, Paco Rabanne und André Courrèges als die Erfinder der futuristischen Mode. Mag für Audrey Hepburn in einem Film toll sein (sie brauchte dies klappernden Blechkleid ja auch nur für die Aufnahme zu tragen), im wirklichen Leben ist es wohl eher unpraktisch. Ich habe damals, wenn ich jetzt darüber nachdenke, auch keine Frau gekannt, die Pierre Cardin oder Paco Rabanne trug. ➱Mary Quant vielleicht, viele schöne Frauen trugen damals auch das finnische Label Marimekko.

Ich will aber gerne zugeben, dass ich einmal einen Pierre Cardin Anzug besessen habe. Nicht so etwas hier wie dies hier, was ➱Douglas Millings für die Beatles entworfen (und bei Cardin geklaut) hat. Es war ein leichter Tweed Anzug mit Weste in der schwer zu beschreibenden Farbe, die der Engländer ➱lovat nennt. Hatte echte Hornknöpfe und einen langen Rückenschlitz, sah sehr englisch aus und hatte nichts vom schrägen Gestaltungswillen des Designers. Hatte auch noch nichts von der schundigen Qualität, die die Pierre Cardin Produkte später zu einer weltweiten Seuche machten. Dieser Anzug war bei Schildt in Regensburg hergestellt worden, was damals für Qualität bürgte. Die Firma Schildt Modellkleidung wurde (ebenso wie Muermann) wenig später von Bäumler gekauft. Die sind aber 2009 auch in die Insolvenz gerutscht, aus der Konkursmasse hat sich dann ➱Brinkmann die Marke Kaiser Design gefischt.

Vor fünfzig Jahren war Pierre Cardin in Frankreich eine heiße Sache. Er war das französische Äquivalent auf das ➱Swinging London. Cardin setzte auf eine jugendliche Zielgruppe, seine Anzugskollektion (die Cylinder Linie hieß) von 1960 wurde von 250 Pariser Studenten präsentiert. Und natürlich machten die Beatles diesen Typ des Jacketts ungeheuer populär. Mein kleiner Bruder musste zum Entsetzen der Eltern damals so etwas unbedingt haben. Selbstverständlich in ➱Cord, wie der Anzug links im Bild. Ein Jahr nach diesem Ereignis präsentierte Pierre Cardin seine erste Prêt-à-porter Herrenkonfektion, die allerdings noch sehr teuer (und qualitativ hochwertig) war.

Was natürlich auch eine Konkurrenz für die Pariser Schneider bedeutete. Die in dieser Zeit eine schnell aussterbende Spezies waren. Gab es 1957 in Frankreich noch ungefähr zwanzigtausend Schneider, so war die Zahl zehn Jahre später auf zweitausend gesunken. 1957 verkündete Paul Vauclair als Präsident der Fédération Internationale des Maîtres-Tailleurs, dass die französischen Schneider dem Prêt-à-porter und der italienischen Konkurrenz mit einem Romantic Look à la 1830 Paroli bieten wolle. Der hat sich auch nicht ganz durchgesetzt. Schon im Vorjahr hatte sich in Paris die sogenannte Groupe des Cinq formiert. Das waren André Bardot (der Jean Marais und Jean Cocteau einkleidete), ➱José Camps, ➱Max Evzeline (bei dem Gilbert Bécaud seine Anzüge schneidern ließ), Socrate und Gaston Waltener. Sie wollten eine haute couture pour hommes schaffen, die sie publikumswirksam im Maxim's oder dem Hotel de Crillon vorstellten.

Im Gegensatz zu ihren konservativeren Kollegen wie Cifonelli oder Stark & Sons hatten es diese Schneider schon lange vor Cardin drauf, das Publikum zu verblüffen. In der New York Times konnte man 1949 lesen: "Man is in a state of vestimentary inferiority," Gaston Waltener proclaimed. "It is against this lack of breeding and style which, alas, characterize contemporary masculine fashion, that a demonstration like that of today seeks to react." In einem deutschen Regionalblatt hörte sich der Bericht über eine Modenschau von Gaston Waltener dann so an: Zeitalter der Gecken: Auf der von dem Pariser Modeschöpfer Gaston Waltener veranstalteten Vorführung konnte man unter weniger auffallenden Modellen tomatenrote Smokings mit scharlachroten Bindern und lavendelfarbigen Hosen sehen. Überhaupt war Scharlachrot der Grundton dieser Herrenmodenschau, auf der eines der männlichen Mannequins sogar einen mit dieser Farbe eingefaßten Homburg trug. Führende Modefachleute prophezeien eine farbige Herrenmode, die gewissermaßen ein Gegenstück zu der ständig einfarbiger werdenden Damenmode bildet. — Ein Besucher aber sagte: „Ich komme mir wie ein vollkommener Idiot vor!" Modenschauen zweimal im Jahr waren zu der Zeit ein unerhörter Vorgang für konservative Pariser Schneider. Die damals auch kaum Schaufenster hatten, weil die wirklich feinen Geschäfte und Studios in Paris im ersten Stock eines Hauses waren. Doch auch die Groupe des Cinq wird sich letztlich gegen Pierre Cardin (oben seine Space Age oder Cosmocorps Kollektion von 1964) nicht durchsetzen können. Auch nicht mit tomatenrote Smokings und lavendelfarbigen Hosen. 

Nicht alles, was der Designer Cardin entwarf, fand den Weg in die Läden und wurde auf den Straßen getragen. Aber was wäre ein Designer, wenn er nicht einmal wilde Dinge wagen würde? Die Mode kam für einen kurzen Augenblick nicht aus London oder aus Italien, sie kam aus Paris. Von einem New French Style war in Amerika die Rede. Für die Herrenmode, mit ein wenig Verspätung das, was der New Look von ➱Christian Dior für die Damenmode gewesen war.

Das ist nun kein Zufall, denn Diors berühmter New Look entstammte dem Zeichenstift von Cardin, der (gerade mit seiner Bewerbung bei Balenciaga abgelehnt) bei Dior Chef des Studios geworden war. 1950 hatte er in der Rue Richepanse Nummer 10 schon seine eigene Firma (die aber hauptsächlich Kostüme für das Theater schneiderte), 1953 präsentierte er seine erste Damenkollektion. 1954 kam der ➱bubble dress, der weltweit Furore machte. Konnte man das als Dame noch tragen, fragte man sich mit den Jahren, ob das denn alles sein müsste, was der rastlose Designer zu Papier brachte. Schauen Sie doch mal eben in dies ➱Video von 1969 hinein. Ich bin nie mit der Mode gegangen. Ich habe sie gemacht, hat das Mitglied der Académie Française (der natürlich den ➱Frack der Académie neu entwerfen musste) einmal so schön gesagt.

Das abgefahrene Design in der Damenmode wie in der Herrenmode (hier Pierre Cardins Vorschläge für den Herrn im Jahre 1976) setzte die Italiener ein wenig unter Zugzwang. Denn es ist ja nicht so, dass die Nation mit dem Glaubenssatz fare bella figura nur elegante dunkle Anzüge mit engen Hosen produzierte, wie wir sie an ➱Marcello Mastroianni bewundern können. Wenn man sich die Anzeigen und Photos aus dieser Zeit von Modellen von ➱Guido Bosi, ➱Ugo Coccoli und Angelo Litrico (damals noch frei von C&A Assoziationen) anschaut, kann man genau so schräge Klamotten wie bei Pierre Cardin entdecken.

Und selbst Brioni, heute eine Art von C&A für Millionäre, hatte Sachen im Programm, die an die tomatenrote Smokings von Waltener erinnerten. Und die wohl selbst der Kanzler Schröder nicht angezogen hätte, wenn er sie umsonst bekommen hätte. Ebenso wie Pierre Cardin sind jetzt die Italiener als Firmenberater begehrt. Die Firma Konen sichert sich die Dienste von Ugo Coccoli und bringt eine Marke namens atelier torino auf den Markt: Eine Marke ist das grösste Kapital eines jeden Unternehmens. Der Ursprung unserer Marke liegt in den Händen von Signore Ugo Coccoli aus Turin, einem populären und kreativen Schneider, der unser Unternehmen jahrzehntelang in puncto Mode und Stoffqualität beraten hat. Seine Person und seine für uns wertvolle Arbeit haben uns inspiriert, die Marke atelier torino zu kreieren. Windsor in Bielefeld hat Pierre Cardin auf der payroll, und Angelo Litrico, der einmal Chruschtschow ungefragt einen Maßanzug nach Moskau geschickt hatte, landet bei C&A.

Wo ja auch schon der Pariser Designer Yves Saint-Laurent gelandet war (allerdings nur in Deutschland, in Italien was YSL hochklassig, wurde von ➱Nervesa hergestellt). Und das ist nun die lächerliche Seite der Prêt-à-porter. Pierre Cardin hat zwar immer wieder betont (wie auch in dem Zitat ganz oben), dass er die Mode demokratisieren wollte. Allerdings wird man bei ihm wie bei seinen anderen Kollegen aus der Haute Couture (heißen sie nun Yves Saint-Laurent, Daniel Hechter oder Louis Féraud) das Gefühl nicht los, dass es lediglich darum geht, das schnelle Geld zu machen. Lizenzen werden wahllos und ohne Qualitätskontrolle weltweit vergeben, seinen guten Ruf ist Pierre Cardin auf ewig los. Da hilft es auch nicht, wenn gekaufte Lohnschreiber solche Sätze drechseln: Von wem kann man bessere Qualität bekommen – wenn nicht von einem Grand Couturier? Bei Pierre Cardin verschmelzen exklusives Design und beste Qualität zu einer gelungenen Symbiose bei einem bestmöglichen Preis-Leistungsverhältnis. Die Produkte werden strengen Kontrollen unterzogen, um den hohen Standards von Cardin gerecht zu werden. Und wer den Macher kennt, der weiß: Leicht ist Pierre Cardin nicht zufriedenzustellen. Wenn irgendetwas eine Werbelüge ist, dann dies.

Cardin war schon von Anfang an im Geschäft mit den Accessoires (hier seine Kollektion von Armbanduhren), alles was den Namen Pierre Cardin trug, konnte er vermarkten. Wahrscheinlich auch Klobrillen. Das bringt mich auf einen anderen Designer, der genau so rührig wie Cardin ist. Allerdings im Gegensatz zu dem ziemlich erfolglos. Der hat aber auch Klobrillen entworfen. Ich rede von Luigi Colani, über den der Spiegel 1995 schrieb: Jede Wahrheit hat Feinde. Mies van der Rohe und Le Corbusier schalt Colani "die größten aller kleinen Schweine", Cardin einen "Schmuddelfink", Nicolas Hayek "pyramidonal doof", Philippe Starck eine "Maulhure", und selbst die künstlerische Begrenztheit des Leonardo da Vinci vermag Luigi Colani sonnenklar zu erkennen. 99,9 Prozent der Designer, überhaupt, seien Deppen.

Wir wollen ihm im letzten Punkt nicht widersprechen. Das Erstaunliche ist, dass die Öffentlichkeit immer wieder auf die Designer hereinfällt. Pierre Cardin, der heute vor neunzig Jahren als Pietro-Constante Cardini geboren wurden, ist seit 1944 im Modegeschäft. Er hat als erster eine Formel gefunden, die bis heute immer wieder nachgeahmt worden ist. Zuerst fängt man ganz oben in der Haute Couture an und schafft sich einen Namen. Eine willfährige Presse sorgt dann dafür, dass aus dem Namen ein Mythos wird. Und wenn der Name zur Marke geworden ist, dann kommt die Prêt-à-porter Mode. Und dann die Accessoires, die Parfüms und die T-Shirts und Jeans, Bettwäsche und Handtücher. Danach vergibt man die Lizenzen weltweit. Und die Qualität wird immer schrottiger. Das ist die Zauberformel: von der Haute Couture zum Wühltisch! Bringt aber viel Geld ein. Mindestens dreihundert Millionen Euro im Fall von Pierre Cardin.

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