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Mittwoch, 29. August 2012

John Locke


Es ist immer schön, wenn man solche Zeichnungen hat, wenn ein ganzes Buch in ein ➱Schaubild abstrahiert wird. In diesem Fall ist es John Lockes An Essay Concerning Human Understanding, ein Buch, das in meiner Ausgabe 535 Seiten stark ist. Und das ist nur Volume One, in Volume Two kommen (Index inklusive) noch einmal beinahe fünfhundert Seiten dazu. Ich höre Sie schon stöhnen: gestern Augustinus, heute John Locke. Aber es geht nicht anders, John Locke muss heute zumindest einmal erwähnt werden. Der englische Philosoph des common sense, der king of clarity, wurde nämlich heute vor 380 Jahren geboren.

Aus englischem Enlightenment 
Erkenntnistheorie man kennt. 
Der Locke und Berkeley und auch Hume 
erwarben dadurch großen Ruhm, 
daß sie zur Lösung von Problemen 
von daher ihren Ausgang nehmen.  
Wenn die Erkenntnis selbst erkannt 
als Sinnlichkeit und als Verstand, 
so meinten sie, daß sich auch kläre, 
was Inhalt der Erkenntnis wäre. 

Diese unsterblichen Verse stammen aus dem Buch Die Philosophenwelt In Versen vorgestellt von Lutz Geldsetzer. Der gehört nicht der Neuen Frankfurter Schule an, wie man vermuten könnte, er ist ein richtiger Professor für Philosophie. So etwas gibt einem Hoffnung für das Fach. Ich kann mich heute auch sehr kurz fassen. Ich könnte natürlich sehr lang über Locke reden, weil der mal vor Jahrzehnten das Thema meiner mündlichen Doktorprüfung war, aber ich lasse das. Sagen wir einfach, dass er mit Hobbes zusammen auf dem Gebiet des Staatsrechts der wichtigste englische Philosoph des 17. Jahrhunderts ist. Und (ohne Hobbes) auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie überhaupt der wichtigste Philosoph ist. Gegen den common sense und die klare Sprache von Locke wirkt unser guter Immanuel Kant wie ein bedauerlicher Rückschritt der Philosophie.

Ich habe gestern Kurt Flasch herausgestellt, der uns, wie der hodegetos, der die blinden Pilger zum Gnadenbild der Madonna führt, zur mittelalterlichen Philosophie führen kann. Auch heute habe ich einige Wegführer für den Weg zu John Locke. Der amüsanteste ist Paul Strathern mit seinem Locke in 90 Minutes. Das ist ein Band aus der vorzüglichen ➱Philosophers in 90 Minutes Series. Ist etwas anspruchsvoller, weil 87 Minuten länger, als dieses dreiminütige ➱Video bei YouTube. Aber dennoch, man muss die Leistung von Paul Strathern in diesen light-hearted and idiosyncratic books (so der Verlagstext) bewundern.

Es ist auch kein Mangel an deutschsprachigen Einführungen in das Werk des Philosophen. In der Reihe der von Kurt Kusenberg begründeten rororo bildmonographien gibt es einen sehr guten Band von Udo Thiel, der (wie es das Wesen der Reihe ist) auch über den zurückhaltenden Menschen John Locke und seine Zeit sehr anschaulich informiert. Ist zwar leider vergriffen, aber man kann das Buch noch antiquarisch finden. Nicht vergriffen ist das Buch von Walter Euchner, das es in dieser exzellenten Zur Einführung Reihe des Hamburger Junius Verlags gibt. Das die NZZ bei seinem Erscheinen mit Es ist erfreulich, dass der Junius Verlag Walter Euchner als Autor für diese lesenswerte Locke-Monographie gewonnen hat kommentierte. Euchner hatte 1966 bei Iring Fetscher über John Locke promoviert, und Fetscher hatte auch dafür gesorgt, dass diese Dissertation in Buchform (bei der Europäischen Verlagsanstalt) einen größeren Leserkreis erreichte. 1996 erschien der Locke Band beim Junius Verlag, 2004 gab es eine überarbeitete Auflage. Und im Todesjahr von Euchner 2011 erschien die dritte Auflage. Daraus kann man sicher ablesen, dass John Locke doch noch Konjunktur hat.

John Locke bekommt von Zeit zu Zeit strange bedfellows, in den USA hat man ihn als Gewährsmann dafür zitiert, dass man keine wohlfahrtsstaatlichen Elemente in das amerikanische Sozialsystem integrieren dürfe. Aber wenn man sich das intellektuelle Niveau der politischen Diskussion in den USA betrachtet, wo gerade ein Mitt Romney als Präsidentschaftskandidat der Republikaner nominiert worden ist, dann mag man nicht an die Anfänge der Vereinigten Staaten zurückdenken. Als sie jemanden wie Thomas Jefferson hatten, der seinen John Locke sehr genau gelesen hatte und dessen Ideen von den bürgerlichen Freiheitsrechten in die Unabhängigkeitserklärung hinein geschrieben hatte.

Anders als ➱David Hume, den my love of literarey fame, my ruling passion interessierte, hat John Locke von sich selbst nicht viel Wesens gemacht. Wir haben nicht so furchtbar viele Bilder von ihm,  außer dem immer wieder reproduzierten, das Gottfried Kniller aus Lübeck gemalt hat. Der heißt jetzt Sir Godfrey Kneller und ist englischer Hofmaler, aber er ist kein wirklich guter Maler. Aber wenn man Knellers Bild aus dem Jahre 1697 (?), mit den zeitgenössischen Portraits von - in der Reihenfolge von oben nach unten: John Greenhill (1672 ?), Herman Verelst (1689) und Michael Dahl (1696) - vergleicht, können wir uns diesen John Locke ganz gut vorstellen. Zumindest äußerlich. Knellers Bild, das John Locke ohne Perücke und förmliche Kleidung zeigt (dafür kommt damals das Wort Negligé auf), hängt nicht in der National Gallery und nicht in der National Portrait Gallery. Der Enkel von ➱Horace Walpole hatte das von seinem Großvater geerbte Portrait in Geldnöten an die russische Zarin verkauft. Katharina wusste, was sie da kaufte, sie hatte ihren John Locke gelesen.

Lockes Grabstein, von dem er annahm, dass der bald so vergangen und vergessen sei wie er selbst (Memorat haec tabula brevi et ipse interitura), zieren lateinische Sätze. Von denen einer lautet: Hoc ex scriptis illius disce, quae quod de eo reliquum est majori fide tibe exhibebunt, quam epitaphii suspecta elogia. Wir würden mehr über ihn aus seinen Schriften erfahren, die ihn genauer zeigten als eine zweifelhafte Lobrede. Und in seinen Schriften ist er erstaunlich lebendig, auch noch nach 380 Jahren. Nehmen wir einmal den Anfang von An Essay Concerning Human Understanding:

I HAVE put into thy hands what has been the diversion of some of my idle and heavy hours. If it has the good luck to prove so of any of thine, and thou hast but half so much pleasure in reading as I had in writing it, thou wilt as little think thy money, as I do my pains, ill bestowed. Mistake not this for a commendation of my work; nor conclude, because I was pleased with the doing of it, that therefore I am fondly taken with it now it is done. He that hawks at larks and sparrows has no less sport, though a much less considerable quarry, than he that flies at nobler game: and he is little acquainted with the subject of this treatise - the UNDERSTANDING - who does not know that, as it is the most elevated faculty of the soul, so it is employed with a greater and more constant delight than any of the other. Its searches after truth are a sort of hawking and hunting, wherein the very pursuit makes a great part of the pleasure. Every step the mind takes in its progress towards Knowledge makes some discovery, which is not only new, but the best too, for the time at least.

Es lädt zum Weiterlesen ein. Aber kann man es - oder noch besser die Two Treatises of Government - Mitt Romney empfehlen? Der kann lesen und schreiben, er hat einen Doktortitel von der Harvard Universität. Wahrscheinlich kann man da inzwischen auch alles kaufen. Aber er braucht ja keine Philosophen zu lesen, dafür hat er seinen potentiellen Vizepräsidenten Paul Ryan. Der ist Philosoph. Ein bekennender Verehrer von Ayn Rand. Das ist die Frau, die einmal gesagt hat, dass sie an Philosophen nur die drei A's empfehlen könne: Aristoteles, Thomas von Aquin und Ayn Rand. Amerika, du hast es besser.

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