Seiten
▼
Dienstag, 9. Oktober 2012
Cervantes
Gerne, mein liebster Leser, wäre ich der Mühe überhoben gewesen, diese Vorrede zu schreiben; denn mit derjenigen, die ich meinem Don Quijote voranschickte, ist es mir nicht so erwünscht gegangen, daß sie mir Lust machte, es zum zweiten Mal zu versuchen. An der gegenwärtigen ist einer von den vielen Freunden schuld, die ich mir in meinem Leben mehr durch meine Gutmütigkeit als durch meine Verdienste erworben habe. Dieser Freund könnte mich wohl, wie es Sitte und Gebrauch ist, auf dem ersten Blatte dieses Büchels in Kupfer ätzen und stechen, wozu ihm der berühmte Don Juan de Jauregui gern mein Bildnis liefern würde. Damit wäre meine Eitelkeit befriedigt worden und den Wünschen einiger Leser Genüge geleistet, die gern wissen möchten, welche Miene und Gestalt der Mann haben mag, der sich untersteht, mit so mancherlei Fünden in der Welt aufzutreten. Unter dem Bilde stände dann etwa geschrieben: 'Der Mann hier mit dem Adlersgesichte, mit dem braunen Haar und der glatten freien Stirne, mit dem fröhlichen Blick, mit der krummen, aber nicht häßlichen Nase, mit dem Silberbart, der vor kaum zwanzig Jahren noch golden war, mit dem starken Stutzbart und kleinen Munde, der eben nicht reichlieh mit Zähnen versehen ist, deren er überhaupt nur ein halbes Dutzend hat, schlecht genug beschaffen und noch schlechter gepflanzt, weil sie nicht aufeinander passen; mittelmäßig von Wuchs, frisch von Gesichtsfarbe und eher weißlich als braun, ein wenig geduckt und nicht gar leicht zu Fuß: dieser Mann, sag ich, ist der Verfasser der 'Galatea' und des 'Don Quijote von la Mancha'. Er hat auch nach dem Beispiele des Cäsar Caporali von Perugia eine 'Reise auf den Parnaß' geschrieben und noch einige andere Werke, die sich hie und da zerstreut finden, manche vielleicht ohne den Namen ihres Verfassers. Man nennt ihn gewöhnlich Cervantes Saavedra. Er war viele Jahre Soldat und sechsthalb Jahr in der Gefangenschaft, wo er lernte, die Widerwärtigkeit mit Geduld zu ertragen. In dem Seetreffen bei Lepanto verlor er die linke Hand durch einen Büchsenschuß, eine Verletzung, die ihn zwar entstellt, die er aber nur eine Schönheit achtet, weil er sie bei der denkwürdigsten Gelegenheit erhielt, welche vergangene Jahrhunderte gesehen haben und künftige sehen können, indes er unter den siegreichen Fahnen des Sohnes jenes unüberwindlichen Karls des Fünften - glorreichen Andenkens - focht.
So beginnt Cervantes seine Vorrede zu den Exemplarischen Novellen. Das Bild von Juan de Jauregui, das sich Cervantes gerne dafür wünschte, habe ich hinzugefügt. Es ist damals noch gar nicht gemalt, Juan de Jauregui hat es erst viel später gemalt, wenn er es überhaupt gemalt hat. Denn eigentlich ist Juan de Jauregui Dichter, Cervantes hat ihn im Don Quixote erwähnt. Ich bin ja froh, dass ich im Internet ein Bild von dieser Ausgabe aus der Reihe von Fischers Exempla Classica gefunden habe, denn in dieser Ausgabe habe ich die Exemplarischen Novellen vor Jahrzehnten auch gelesen. Ich verdanke dieser Reihe mit ihren hundert Bänden, die ich gleichzeitig mit den Bänden von Rowohlts Klassiker der Literatur und Wissenschaft las, eine solide literarische Bildung.
Der Einzelband von Fischers Exempla Classica kostete damals 2,40 DM, ein Großband 3,60 und ein Doppelband 4,80. Band Nummer 22, die Exemplarischen Novellen war natürlich mit 524 Seiten ein Doppelband (der vorangehende Band, Rousseaus Bekenntnisse, war auch schon ein Doppelband gewesen). 25 Bände erschienen pro Jahr, in vier Jahren hatte man die Meisterwerke der abendländischen Literatur komplett. Die Bände enthielten ein Nachwort, Anmerkungen und eine kleine Bibliographie, dafür hatte der Gesamtherausgeber Walter Killy die crème de la crème der Fachwissenschaft gewonnen. Was im Rückblick zu kleinen Kuriositäten führte: Cervantes' Exemplarische Novellen wurden von dem Widerstandskämpfer Werner Krauss herausgegeben, Schillers Gedichte (Band 89) von dem Nazi Benno von Wiese.
Die das Werk erklärenden Nachworte fielen bei Rowohlt häufig noch enzyklopädischer aus (was vielleicht daran lag, dass der Reihenherausgeber Ernesto Grassi auch die Reihe Rowohlts Deutsche Enzyklopädie herausgab), auf ein Nachwort wie etwa das von Hans Joachim Lang zu Coopers Die Ansiedler an den Quellen des Susquehanna habe ich schon einmal hingewiesen. Fischer hatte seine Reihe mit Goethe begonnen, Rowohlt eröffnete mit Platon. Es ist irgendwann chic geworden, einen solchen bildungsbürgerlichen Kanon, wie ihn Fischer und Rowohlt präsentierten, zu kritisieren und zu ridikülisieren. Aber das sind nichts als Verfallssymptome einer bürgerlichen Gesellschaft, da kommt dann am Ende dabei heraus, dass man einem Christian Kracht den Wilhelm Raabe Preis verleiht. Dazu sage ich jetzt lieber nichts.
Cervantes brauchte eigentlich keine erklärende Vor- und Nachworte. Er sagt erstaunlich viel in seinen Vorworten, nicht nur über sich selbst und seine Zahnprobleme, er sagt auch eine ganze Menge über die Literatur und deren Ziele: Ich habe ihnen den Namen lehrreiche Erzählungen beigelegt, und wenn Du darauf achtest, so wirst Du wohl finden, daß keine darunter ist, aus welcher man nicht eine gute Lehre oder Beispiel ziehen könnte... Meine Absicht war, meinen Landsleuten ein Billardspiel zu liefern, wo ein jeder mitspielen kann, ohne Gefahr, sich den Kopf an den Stöcken anzustoßen; das ist: ohne Schaden an Seel und Leib zu nehmen. Denn ein angenehmer und unschuldiger Zeitvertrieb ist viel mehr nützlich als schädlich.
Und wenn er es nicht expressis verbis als Autor sagt, so legt er es seinen Personen in den Mund. Gibt es eine schönere Kritik des von Cervantes verachteten Ritterromans, als die Aussage der etwas einfältigen Haustochter Maritornes? 'Ja, so ist's', sagte Maritornes. 'Und weiß Gott, auch ich höre all die Sachen gern, sie sind gar hübsch, und besonders wenn da erzählt wird, wie die Dame unter Orangenbäumen sitzt und sie und ihr Ritter sich in den Armen halten und wie ihre Hofmeisterin derweilen Wache steht, halbtot vor Neid und in großer Bangigkeit. Das alles ist süß wie Honig.' 'Und was dünkt Euch davon, junges Mägdlein?' sagte der Pfarrer zur Haustochter. 'Ich weiß es meiner Seelen nicht', antwortete sie. 'Ich höre auch mit zu, und wirklich, wenn ich es auch nicht verstehe, so hab ich doch mein Vergnügen am Zuhören'.
Miguel de Cervantes Saavedra wurde heute vor 465 Jahren getauft (sein Geburtsdatum kennt man nicht so genau), was er geschrieben hat, ist heute noch immer ein angenehmer und unschuldiger Zeitvertrieb aus dem man eine gute Lehre oder Beispiel ziehen könnte. Bewunderung und Mitleid und Vergnügen - das alles kann ich bei Cervantes finden, weil er eben ein Mann ist, der versucht, das Bestmögliche in dieser baufälligen Welt zu leisten, in der zu leben er gezwungen ist. Das ist nicht von mir, das ist von William Faulkner.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen