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Sonntag, 3. Februar 2013

Henning Mankell


Ob ich nicht mal über Henning Mankell schreiben könnte, bin ich gefragt worden. Da kann ich nur sagen: Sorry. Kann ich nicht. Er feiert heute seinen fünfundsechzigsten Geburtstag, und dazu gratuliere ich gerne. Er tut viele gute Werke, das verdient unseren Respekt. Aber um seine Krimis habe ich einen Bogen gemacht, wenn man den Verfilmungen auch nicht immer entgehen kann. Alle Programme des Fernsehens scheinen ja jetzt nur noch voller Schwedenkrimis zu sein, die sich alle irgendwie ähneln, öd und leer das Meer. Eine dunkelgrünsoßige Tristesse schwappt über den Bildschirm. Wenn in der Welt von ➱Ossian die Sonne niemals aufgeht, wie jemand mal gesagt hat, in den hunderten von Schwedenkrimis im Fernsehen scheint sie auch nie.

Henning Mankell kann nicht ohne Selbstironie sein, hat er doch in einem Interview gesagt: today, I’m sorry to say, there’s a lot of very bad crime fiction being written in Sweden where writers use small town settings without any real point. If you set a crime novel in Gotland just because you spend your holidays in a cottage there, I’d call it ridiculous. With a few exceptions, much of the crime fiction published in Swedish is trash. Ich weiß jetzt nicht, ob der letzte Satz ihn einschließen soll. Aber much of the crime fiction published in Swedish is trash könnte von mir sein.

Vieles davon ist jetzt Kult wie diese Millennium-Trilogie von Stieg Larsson, da darf man nichts Böses sagen. Ich gucke mir diese Verblendung nicht an, selbst wenn ich weiß, dass die von mir bewunderte Marika Lagercrantz (die Tochter des Schriftstellers) da mitspielt. Aber irgendwie kommt mir das Phänomen der Inflation der Schwedenkrimis so vor, als wären diese ganzen Autoren von Schwedenkrimis nur Vampire, die das letzte Tröpfchen Blut aus den Romanen von Sjöwall und Wahlöö heraussaugen. Dieser Kommissar Wallander ist doch nur ein recycelter Martin Beck.

Ich mag das Autorengespann Sjöwall und Wahlöö, das habe ich hier im Blog schon geschrieben. Ich habe auch eigentlich nichts gegen den Kriminalroman als Gattung. Ich habe bei wordpress einen kleinen ➱Blog, in dem ich das gebündelt habe, was ich hier von Zeit zu Zeit über den Krimi geschrieben habe. Wenn Sie sich da mal durchscrollen, werden Sie sehen, dass das eine ganze Menge ist. Ich bin auch gerne bereit, über andere Autoren zu schreiben. Aber nicht über Henning Mankell. Über Nicolas Freeling könnte ich schreiben [habe ich inzwischen ➱hier getan]. Der hat auch rechtzeitig aufgehört, seinen Inspektor Van der Valk zu Tode zu strapazieren.

Er kam mir letztens wieder in Erinnerung, als ich auf einem Privatsender Van der Valk und die Reichen sah. Regisseur Wolfgang Petersen. Mit Frank Finlay als Van der Valk und ➱Judy Winter als femme fatale. Und Helmut Käutner als Bösewicht. Das Ganze war pure Nostalgie. Man kann leider von Frank Finlay (der mir als Van der Valk lieber war als Barry Foster in der ITV Serie) und der hübschen Judy Winter auf diesem Bild wenig erkennen. Es war das einzige, das ich im Internet fand. Die ARD sollte sich mal überlegen, die von ihr (und uns) finanzierten Van der Valk Filme auf DVD herauszubringen. Ich könnte auch über die Trimmel Romane von Friedhelm Werremeier schreiben, das wäre auch eine Möglichkeit. Die sind ja beinahe alle gut. Besser als Mankell.

Ich habe nur eine Handvoll Mankells widerwillig gelesen, ich erinnere mich an keinen wirklich. Ich dachte damals, als das Phänomen Mankell neu war, ich müsste das tun. Weil plötzlich jedermann über Mankell redete. Einen habe ich genauer gelesen, weil mir ein Buchhändler im letzten Jahr Die fünfte Frau in die Hand drückte und sagte: Sie sind doch der Krimi-Spezialist. Lesen Sie dies mal. Ich verkaufe das wie geschnitten Brot. Es ist grottenolmschlecht. Bringen Sie mir das Buch wieder oder werfen Sie es weg. Ich habe es ihm wieder zurückgebracht. Es ist grottenolmschlecht. Ich kenne Mankells Übersetzer, der mit seiner Arbeit nicht immer ➱glücklich ist. Als ich mich mit ihm über Mankell unterhielt, sagte er, dass er gerade Per Olov Enquists Der Besuch des Leibarztes übersetzte. Das sei eine schöne Aufgabe. Dadurch, dass er an Mankell gut verdiene, könne er eine Vielzahl von schwedischen Autoren, die sonst keine Chance auf eine Übersetzung gehabt hätten, sozusagen zum Discountpreis übersetzen. So gesehen fördert Henning Mankell auf Umwegen auch die schwedische Literatur. Der Besuch des Leibarztes (hier ein Photo aus dem Film von 2012) ist übrigens ein sehr schönes Buch. Besser als ein Mankell.

Der Kriminalroman ist formula fiction, die Formel kann man seit Edgar Allan Poe, Sir Arthur Conan Doyle und Raymond Chandler mit Varianten an eine Wandtafel schreiben. Alle die Autoren, die an den Abenteuern des G-Man Jerry Cotton schrieben, hatten diese Formel drauf. Aber die Formel zu beherrschen, heißt noch nicht, gute Literatur zu produzieren. To accept a mediocre form and make something like literature out of it is in itself rather an accomplishment, hat Raymond Chandler gesagt, aber dieses something like literature gelingt nur den wenigsten. Henning Mankell nicht. Und auch all den Nachwuchsautoren nicht, die die Fernsehanstalten mit schlechten Drehbüchern versorgen. Die Fernsehanstalten sind die Hauptabnehmer für schlechte Drehbücher. Ich glaube, dass jeder Sender, den ich empfangen kann, mindestens einen Krimi pro Tag sendet. Ohne Krimi geht die Mimi nicht ins Bett. Und es gibt heute ja auch kaum noch einen Schauspieler, der nicht Kommissar in einer Fernsehserie wäre. Til Schweiger steht uns noch bevor. Feed me! fordert das fleischfressende Monster in ➱Little Shop of Horrors. Und so gibt es ständig neues Kommissar-Frischfleisch für den Moloch, der Tatort oder Polizeiruf 110 heißt.

Der erste Krimi im gerade erfundenen deutschen Fernsehen hieß Der Richter und sein Henker. Gedreht hatte den ➱Film Franz Peter Wirth, natürlich in Schwarzweiß. Die Hauptrolle spielte Karl Georg Saebisch, ich habe ihn nie vergessen. Diese Qualität hat das deutsche Fernsehen nicht halten können. Gut, es gab Lichtblicke. Das Haus an der Stör von Jürgen Roland in der Reihe Stahlnetz. Das Drehbuch war von Wolfgang Menge, und wenn Wolfgang Menge Drehbücher von Krimis ablieferte, dann war das etwas anderes als die heutige Dutzendware. Nicht nur für Stahlnetz, auch für den Tatort. Allem voran die ganze Serie mit dem Zollfahnder Kressin. Bevor Sie sich heute Abend wieder so einen Durchschnittskrimi ansehen - oder noch schlimmer: einen Mankell lesen - schauen Sie sich doch hier ➱Kressin stoppt den Nordexpress an. Damals war die Musik im Tatort auch noch etwas zum Hinhören, hier ist sie von keinem Geringeren als dem Jazzer Klaus Doldinger.

Sie merken schon, ich heitere das triste Thema Schwedenkrimi mit Bildern von schnuckeligen Frauen auf. Dies hier ist die Lebensgefährtin von Carsten Maschmeyer in Die Rückkehr des Tanzlehrers, einem Film, dessen Vorlage von Henning Mankell stammt. Sie merken sicher auch: ich kann mit leichter Hand über das Genre schreiben, nur nicht über Mankell. Ich wollte eigentlich nie wieder über den Krimi schreiben, weil ich vor Jahrzehnten darüber einiges veröffentlicht habe. Meine Lieblingsromane und die Sekundärliteratur (meterweise) sind in einem schön furnierten alten Schrank weggeschlossen. Davor steht ein schwerer Ledersessel. Der soll mich daran hindern, diesen Schrank wieder aufzumachen. Aber ich merke auch, dass es mir inzwischen ein gewisses Vergnügen bereitet, mal wieder über meine Lieblinge in der Literatur von crime & detection zu schreiben. Und vielleicht werde ich das demnächst mal tun. Über John Buchan (The Thirty-Nine Steps), Michael Innes, Nicholas Blake, Edmund Crispin oder Chester Himes. Und wie sie alle heißen. Aber auf keinen Fall über Donna Leon, Patricia Cornwell und Elizabeth George. Und natürlich auch nicht über Henning Mankell. Trotzdem wünsche ich ihm zum Geburtstag alles Gute.

Falls Sie eine Stilprobe von Die fünfte Frau haben wollen, klicken Sie ➱hier. Die ersten Seiten (die hier den gewichtigen Titel Prolog tragen) sind noch das Beste, darauf verwenden Autoren ja häufig sehr viel Energie. Mankell hat allerdings an dieser Stelle seine Energie schon mit seiner purple prose verbraucht, wenn Wallander erst auftaucht, wird es grauenhaft. Wenn Leute das kaufen und mögen, schön und gut. Henning Mankell verdient damit Geld, und er gibt das Geld weiter für gute Zwecke. Weil er ein Gutmensch ist. Gegen all das mag ich nichts sagen. Sie könnten natürlich auch gleich Geld an Ärzte ohne Grenzen überweisen, dann brauchen Sie keinen Mankell zu lesen. Ich will auch nichts gegen much of the crime fiction published in Swedish is trash sagen. Wie Shaw schon so schön sagte All normal people need both classics and trash. Aber man sollte es niemals mit Literatur verwechseln. Und man sollte es nicht an der Schule unterrichten, das muss nicht sein.


Mehr zu dem Thema in diesem Blog: ➱Sjöwall Wahlöö, ➱Tatort, ➱Derrick, ➱Michael Innes. Wenn Sie glauben, dass ich unfair zu der literarischen Leistung von Mankell bin, dann lesen Sie doch mal dies ➱hier. Daneben nimmt sich dieser Post wie eine Laudatio aus.

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