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Freitag, 22. März 2013

[ˈjoːhan ˈvɔlfɡaŋ fɔn ˈɡøːtə]


Heute ist der Todestag von Johann Wolfgang von Goethe. Ein Autor, der in diesem Blog selten vorkommt. Obgleich er natürlich hier schon ➱häufiger erwähnt wurde. Ich bin nun einmal kein großer Freund von Goethe, dennoch nehmen seine Werke und die Werke über ihn bei mir viel Platz im Regal ein. Ich habe ihn auch sehr spät gelesen, in der Schule habe ich mich erfolgreich um ihn gedrückt. Inzwischen habe ich ihn gelesen, aber ein Verehrer Goethes bin ich noch lange nicht. Ich würde nicht so weit gehen wie Ludwig Börne (wenngleich mir das Zitat eigentlich auch gut gefällt): Goethe hatte eine ungeheure hindernde Kraft, er ist ein grauer Star im deutschen Auge. Seit ich fühle, habe ich Goethe gehaßt, seit ich denke, weiß ich warum.

Aber Goethe hat auch Freunde. Auf jeden Fall im englischen Königreich, dafür können wir als Zeugen das Monster von Dr Frankenstein heranziehen. Denn welches Buch liest es als liebstes, wenn es lesen kann? Natürlich Goethes Leiden des jungen Werthers. Die Engländer haben kleine Schwierigkeiten mit der Aussprache von Goethes Namen: For the benefit of English-speakers, his name is pronounced (roughly) "Yo-hawn Volfguhng phone Götuh" — not "Go-eth.

Mit dem Problem der Aussprache spielt auch dieser wunderbare englische Witz: An Irishman went for a job on a building site and the foreman warned him that he'd have to answer some difficult questions. 'That's OK,' said the Irishman. 'You're absolutely sure?' asked the foreman. 'Absolutely,' said the Irishman. 'Right,' said the foreman. 'What's the difference between a joist and a girder. Think carefully.' 'Well,' said the Irishman, 'Didn't Joyce write 'Ulysses' and Goethe write 'Faust'?' Das bringt mich jetzt übergangslos zu James Joyce, der fünfzig Jahre nach Goethes Tod geboren wird und Goethe einen Großmeister der Platitüde nennen wird. Aber Goethes wahre Freunde sind seine Zeitgenossen, die Crème de la Crème des britischen Establishments. Die schicken ihm nämlich zum Geburtstag im Jahre 1831 ein kleines Präsent mit folgendem Begleitbrief:

Sir,
Among the Friends whom this so interesting Anniversary calls round you, may we ‘English Friends,’ in thought and symbolically, since personally it is impossible, present ourselves, to offer you our affectionate congratulations. We hope you will do us the honour to accept this little Birthday Gift; which as a true testimony of our feelings, may not be without value.

We said to ourselves: ‘As it is always the highest duty and pleasure to shew reverence to whom reverence is due, and our chief, perhaps our only Benefactor is he who by act and word, instructs us in Wisdom; so we, undersigned, feeling towards the Poet Goethe as the spiritually-taught towards their spiritual Teacher, are desirous to express that sentiment openly and in common. For which end we have determined to solicit his acceptance of a small English Gift, proceeding from us all equally, on his approaching Birthday; that so, while the venerable Man still dwells among us, some memorial of the gratitude we owe him, and think the whole world owes him, may not be wanting.’

And thus our little tribute, perhaps among the purest that men could offer to man, now stands in visible shape, and begs to be received— May it be welcome, and speak permanently of a most close relation, tho' wide seas flow between the parties!

We pray that many years may be added to a life so glorious; that all happiness may be yours, and strength given to complete your high task, even as it has hitherto proceeded, ‘like a star, without haste, yet without rest.’
From

Fifteen English friends.

Unter den fünfzehn Freunden (die wahrscheinlich von den beiden Carlyles zu diesem Brief angetrieben wurden) sind: Thomas Carlyle, sein Bruder Dr John Aitken Carlyle, William Fraser (Redakteur vom Foreign Review), Dr. William Maginn (Redakteur Fraser's Magazine), George Moir (der Übersetzer von Schillers Wallenstein), James Churchill (der Übersetzer von Wallensteins Lager),  Professor John Wilson (Blackwood's Magazine), William Jerdan (Literary Gazette), Sir Walter Scott (der wie Goethe im nächsten Jahr sterben wird), sein Schwiegersohn John Gibson Lockhart, die Dichter Southey und Wordsworth, Bryan Procter und Lord Francis Leverson-Gower (der Übersetzer des Faust), John Abraham Regaud (Fraser's Magazine).

Goethe mag die Engländer ja, so berichtet Eckermann von einem Gespräch, das Goethe mit einem Engländer führt: Wir Deutschen haben es jedoch Ihrer Nation in dieser Hinsicht um ein halbes Jahrhundert zuvorgetan. Ich beschäftige mich seit fünfzig Jahren mit der englischen Sprache und Literatur, so daß ich Ihre Schriftsteller und das Leben und die Einrichtung Ihres Landes sehr gut kenne. Käme ich nach England hinüber, ich würde kein Fremder sein. Goethe hat auch zahlreichen Damen Englischunterricht gegeben. Allerdings hat er die Finger davon gelassen, seinen Herzog Karl August im Englischen zu unterrichten. Das überlässt er seinem Freund Karl Philipp Moritz, dem Mann, der meinen Heimatort in die deutsche ➱Literatur geschrieben hat. Es ist ein englischer Goethe Biograph, der das Verhältnis Goethes zu England genauer ➱untersucht hat. Von daher ist Nicholas Boyles Goethe Biographie (zwei Bände erschienen, auf den dritten warten wir alle) immens lesenwert. Wir verdanken Boyle auch den Hinweis darauf, dass Werther mit Blau und Gelb die Farben der Whig Partei trägt. Allerdings mit der Einschränkung: Unklar bleibt, ob Goethe wußte, daß diese Farbkombination von den englischen Whigs zum Kennzeichen einer kompromißlos bürgerlichen Partei gewählt worden war.

England taucht immer wieder im Werke des Dichters auf. Natürlich in Faust II, wenn Mephistopheles sagt:

Sind Briten hier - sie reisen sonst so viel,
Schlachtfeldern nachzuspüren, Wasserfällen,
Gestürzten Mauern, klassisch dumpfen Stellen,
das wäre hier für sie ein würdig Ziel -
sie zeugten auch: im alten Bühnenspiel
sah man mich dort als 'old iniquity'.


Nicht bei den Gratulanten ist Samuel Taylor Coleridge, von dem Goethe noch in den 1820er Jahren glaubte, dass er seinen Faust übersetzen würde. Eine Aufgabe, vor der ihn Charles Lamb schon 1814 warnte: I have been reading Madame Stael on Germany. An impudent clever woman. But if 'Faust' be no better than in her abstract of it, I counsel thee to let it alone. How canst thou translate the language of cat-monkeys? Fie on such fantasies! Kann man es netter sagen? Und so finden sich bei Coleridge eine Vielzahl von Bemerkungen, die eine Ernüchterung von seiner ursprünglichen Begeisterung zeigen: there is neither causation nor progression ... Faust himself is dull and meaningless ... there is no whole in the poem ... a large part of the work is to me very flat. Ach, hätte ich das damals schon gewußt, als der Faust bei uns auf dem Stundenplan stand.

Und wenn Sie noch einen Lesetip von einem Nicht-Goethe-Experten haben wollen, dann ist das neben Nicholas Boyles Goethe Biographie unbedingt das von Eckhard Henscheid und F.W. Bernstein herausgegebene Buch Unser Goethe: Ein Lesebuch.

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