Seiten

Montag, 7. Oktober 2013

Edgar A. Poe


Vor zwei Jahren gab es hier einen ➱Post zum Todestag von Edgar Allan Poe, in dem der Satz stand Und über Edgar Allan Poe, der die detective story und die short story erfand (von der Science Fiction ganz zu schweigen), schreibe ich gerne noch ein anderes Mal. Das liegt mir jetzt ein wenig auf der Seele. Zwar habe ich im ➱Januar dieses Jahres über Poes The Raven geschrieben, aber ich habe immer das Gefühl, da müsse noch etwas Größeres kommen. Das Gefühl habe ich seit Jahrzehnten. Aber die Poe Portraits von Horst Janssen (natürlich alle signiert) hängen nicht mehr an der Wand, und ich habe Poes Werke (und die ganze Sekundärliteratur) in ein Bücherregal ganz oben unter der Decke verbannt. Da muss ich schon die Bibliotheksleiter bemühen, um sie zu erreichen. Im Gegensatz zu Poes Raben habe ich aber nie nevermore gesagt. Vielleicht kriege ich das doch noch einmal hin, über ihn zu schreiben.

Mein erster wissenschaftlicher Aufsatz hatte Poes Erzählung The Gold-Bug zum Thema. Ich hatte damals noch kein Examen, aber der Herausgeber des Bandes wusste, dass er so schnell niemanden finden würde, der so viel über Poe wusste wie ich. Unser kleiner Band zur amerikanischen Short Story des 19. Jahrhundert wurde von den Rezensenten wohlwollend aufgenommen. Nur die führende Zeitschrift der DDR bemängelte die mangelnden gesellschaftspolitischen Bezüge. Damit hatten wir es nicht so, wir waren nur ordentliche Philologen. Dass Studenten überall den Einfluss von Karl Marx (also ➱hier hätte ich ein Schmankerl, das Karl Marx und Poe verbindet) in der Literatur sehen wollten, war bei uns im Westen noch nicht so verbreitet.

Das sollte sich aber ändern. Wenige Jahre später beschäftigten sich Philologen nicht mehr mit dem ➱Text, nur noch mit dem Marxismus, der Psychoanalyse, dem Strukturalismus, Poststrukturalismus, Feminismus, Postkolonialismus und was es sonst noch alles so gibt. Hauptsache, es endete auf -mus oder -ism. Für Deutschland kann man diese Wende mit dem Buch von Peter Krumme Augenblicke - Erzählungen Edgar Allan Poes (1978) festmachen, in dem man mehr über Lacan und Derrida erfährt, als über Edgar Allan Poe. Natürlich wird die existierende anglo-amerikanische Foschung hier konsequent missachtet, weil die neuen Götter (oder Götzen) Derrida oder Lacan heißen.

Das ist übrigens der gleiche Spinner Lacan, der die Reise der Prinzessin Marie Bonaparte zur Krönung Elizabeths II benutzte, um sie als Vorsitzende der französischen Société Psychanalytique de Paris abwählen zu lassen. Marie Bonaparte, die eine umfangreiche psychoanalytische Studie von Poes Leben und Werk verfasst hatte, musste unbedingt nach London: sie war die Tante von Prince Philip. Kaum war sie zurück in Paris, flog Lacan aus der Société Psychanalytique de Paris. Diese kleine Geschichte hören die Lacan Jünger (die glücklicherweise mit den Jahren immer weniger werden) nicht so gerne. Was da hinter Lacan an der Wandtafel steht, heißt D’un discours qui ne serait pas du semblant, wenn da mene mene tekel upharsin stände, wäre es auch O.K.

Mein nächster Aufsatz (ich hatte immer noch kein Examen), der gedruckt wurde, hatte ➱Raymond Chandler zum Thema. Er rief bei der Redaktion der Zeitschrift ein leichtes Naserümpfen hervor. Wenn man über Shakespeare schreibt, über John Donne oder Andrew Marvell, dann gehört man zum Klub. Wenn man über Poe und Chandler schreibt, dann gehört man zu den Schmuddelkindern der Anglistik. Auf jeden Fall vor vierzig Jahren. Aber ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Zum Entsetzen der Fakultät habe ich bei der Promotion als landeskundliches Thema (so was heißt heute Cultural Studies) in der mündlichen Prüfung Die englische Herrenmode angegeben. Ich bin meinem Doktorvater immer noch dankbar, dass er dabei mitgespielt hat. Von dieser kleinen Exzentrizität abgesehen waren die übrigen Themen stinknormale Themen der Anglistik. Edgar Allan Poe und Raymond Chandler gehörten nicht dazu. Wenn ich will, kann ich ein sehr konventioneller Philologe sein. Fällt mir aber immer schwerer.

Ich habe danach noch einige Male etwas über Poe geschrieben, kleinere Sachen. Weil ich immer dachte: irgendwann schreibst du mal was ganz Langes und Schönes über Poe; etwas, worauf noch niemand gekommen ist. Ich hatte mal die Idee, über Arno Schmidt und Edgar Allan Poe zu schreiben. Ich habe damals den Arno Schmidt Kenner ➱Otto Proksch gefragt, was er davon hielte. Er fand das sei eine wunderbare Idee. Ich habe dann aber doch wohlweislich die Finger davon gelassen. Ich glaube, das ist eher etwas für die nerds vom Arno Schmidt Dechiffriersyndikat. So vergeht Jahr um Jahr und es ist mir längst klar, dass nichts bleibt, wie es war. Die Sekundärliteratur zu Edgar Allan Poe nimmt immer größeren Umfang an. So großartig ➱Liliane Weissbergs Edgar Allan Poe 1991 als riesiger Forschungsbericht und Wegführer im Dschungel der Poe-Literatur war, ich fürchte, als Schatzkarte ist das Buch heute schon ein wenig veraltet. Aber für die Massierung der Sekundärliteratur sollte man sich immer das schöne Zitat von Laurence Sterne vergegenwärtigen: Shall we for ever make new books, as apothecaries make new mixtures, by pouring only out of one vessel into another?

Einen (oder mehrere) Edgar Allan Poe Posts, schön und gut, das kann ich schreiben. Mehr nicht. Weil mich über die letzten Jahrzehnte stillklammheimlich ein böser Gedanke beschlichen hat: der gute Edgar Allan Poe ist gar nicht so großartig, wie wir immer glauben. Er ist kein Herman Melville. Ganz und gar nicht. Er ist ein hervorragender Handwerker, ein literarischer Zauberer, ein Taschenspieler, ein Hochstapler. Bei seinen besten Kurzgeschichten und Gedichten ist es so, als ob er uns sagt: Bewundert mich, ich bin ein Zauberer. Ich erkläre euch auch meine Tricks:

A skillful literary artist has constructed a tale. If wise, he has not fashioned his thoughts to accommodate his incidents; but having conceived, with deliberate care, a certain unique or single effect to be wrought out, he then invents such incidents--he then combines such events as may best aid him in establishing this preconceived effect. If his very initial sentence tend not to the outbringing of this effect, then he has failed in his first step. In the whole composition there should be no word written, of which the tendency, direct or indirect, is not to the one pre-established design. And by such means, with such care and skill, a picture is at length painted which leaves in the mind of him who contemplates it with a kindred art, a sense of the fullest satisfaction. The idea of the tale has been presented unblemished, because undisturbed; and this is an end unattainable by the novel. Undue brevity is just as exceptionable here as in the poem; but undue length is yet more to be avoided.

Charles Baudelaire hat das für die französischen Leser wiederholt: Dans les livres d'Edgar Poe, le style est serré, concatene; la mauvaise volonté du lecteur ou sa paresse ne pourront pas passer à travers les mailles de ce réseau tressé par la logique. Toutes les idées, comme des fleches obeissantes, volent au même but. Logik, alles ist auf ein Ziel gerichtet. Wenn wir böse wären, würden wir jetzt sagen: Effekthascherei. Wir zweifeln keinen Augenblick, dass mit dem skillful literary artist, bei dem jedes Wort in einem Werk auf einen bestimmten Effekt hinzielt, nur Edgar Allan Poe gemeint sein kann. Hier ist er, der skillful literary artist und er verrät uns ein paar seiner Tricks. Täte er es wirklich, beginge er einen schlimmen Fehler, denn wir wissen, Zauberer dürfen ihre Tricks nicht verraten, wenn sie nicht aus dem Klub der Zauberer ausgestoßen werden wollen.

I have often thought how interesting a magazine paper might be written by any author who would- that is to say, who could - detail, step by step, the processes by which any one of his compositions attained its ultimate point of completion. Why such a paper has never been given to the world, I am much at a loss to say - but, perhaps, the autorial vanity has had more to do with the omission than any one other cause. Most writers - poets in especial- prefer having it understood that they compose by a species of fine frenzy- an ecstatic intuition- and would positively shudder at letting the public take a peep behind the scenes, at the elaborate and vacillating crudities of thought - at the true purposes seized only at the last moment- at the innumerable glimpses of idea that arrived not at the maturity of full view- at the fully-matured fancies discarded in despair as unmanageable- at the cautious selections and rejections- at the painful erasures and interpolations- in a word, at the wheels and pinions- the tackle for scene-shifting- the step-ladders, and demon-traps- the cock's feathers, the red paint and the black patches, which, in ninety-nine cases out of a hundred, constitute the properties of the literary histrio.

Und weil das noch nie gemacht wurde, dass ein Schriftsteller Schritt für Schritt erklärt hat, wie ein Werk entstanden ist, mache ich, Edgar Allan Poe, das jetzt einmal. Und zeige euch, wie mein Gedicht The Raven entstanden ist. Und ihr, liebe Leser von Graham's Magazine, dürft meine ➱Philosophy Of Composition lesen und dürft staunen. Und mich bewundern. Schriftsteller haben immer wieder über das Entstehen eines Werkes geplaudert: It started four or five months ago as a visual image. A woman stands at the end of a deserted quay and stares out to sea. That was all. This image rose in my mind one morning when I was still in bed half asleep. It corresponded to no actual incident in my life (or in art) that I can recall, sagt John Fowles. Das, was aus dem image wird, ist natürlich The French Lieutenant's Woman.

Thomas Mann, den man auch einen Zauberer genannt hat, hat uns Die Entstehung des Doktor Faustus vorgezaubert. Die allerdings im Untertitel Roman eines Romans heißt, es ist also auch nur eine Fiktion. Kein Schriftsteller legt wirklich die Karten auf den Tisch, sie tun nur so. Sie wollen doch nur spielen. The secret of a poem, no less than a jest's prosperity, lies in the ear of him that hears it. Yield to its spell, accept the poet's mood: this, after all, is what the sages answer when you ask them of its value. Even though the poet himself, in his other mood, tell you that his art is but sleight of hand, his food enchanter's food, and offer to show you the trick of it,--believe him not. Hat der amerikanische Dichter und Kritiker Edmund Clarence Stedman in seinem ➱Essay über Poes The Raven gesagt. Wir wären gut beraten, wenn wir auf auf ihn hörten.

4 Kommentare:

  1. Hab mich gerade köstlich amüsiert. Wahrscheinlich sind mir wegen der mangelhaften Fremdsprachenkenntnisse manch wichtige Aspekte verlustig gegangen.
    Umberto Eco hat mal eine "Nachschrift zu Der Name der Rose" geschrieben. Darin erklärt er als Grund für das Buch, dass er schon immer mal einen Mönch umbringen wollte. Was so beim Lesen solcher Nachschriften herauskommt, können Sie hier nachlesen:
    http://litterae-artesque.blogspot.de/2013/05/geschichte-ein-interview-mit-umberto-eco.html
    Aber nun werde ich noch ein wenig hier stöbern.

    AntwortenLöschen
  2. Jetzt habe ich gerade versucht nachzuvollziehen, was The Raven – Prophet des Teufels mit Marx usw. zu tun haben könnte. Ihr Link, ich kann mich ja leider nicht dagegen wehren, zeigt mal wieder auf einen andersprachigen Blog.
    Der Inhalt des Films, den ich ja auf diversen Seiten in Deutsch nachlesen kann, lässt allerdings wohl keine Schlüsse dahingehend zu. Nun ja... Was sich manche Leute so zusammen reimen.
    Aber mit dem ganzen -ismus usw. gebe ich Ihnen vollkommen recht.
    Vielleicht können Sie ja einen Unwissenden zu dessen besseren Verständnis belehren?

    AntwortenLöschen
  3. Es geht um einen Film namens 'The Raven – Prophet des Teufels' (der ein völliger Flop war), darin versucht sich E.A. Poe als Detektiv. Und er hat, wenn ich das richtig sehe, einen Waschbären, der Carl heißt. Und das ist natürlich eine Anspielung auf Karl Marx. Das sieht jeder ein.

    AntwortenLöschen