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Samstag, 5. Oktober 2013
Che farò senza Euridice
In dem Film Vom Suchen und Finden der Liebe von Helmut Dietl ist Anke Engelke ein klein wenig ➱nackt. Aber der Film ist trotzdem ab sechs Jahren jugendfrei. Es geht auch gar nicht um Anke Engelke, es geht in dem ➱Film um den Komponisten Mimi Nachtigal, der sich unsterblich in die Sängerin Venus Morgenstern verliebt. Und mit dem Wort unsterblich, das man in Zusammenhang mit dem Verb verlieben ja gerne gebraucht, sind wir schon beim Thema dieses Films. Der postmodern witzig eine ganz andere Geschichte als die von Mimi Nachtigal und Venus Morgenstern erzählt.
Nämlich die Geschichte von Orpheus und Eurydice. Ich musste das Bild von Sir Edward Poynter hier mal eben abbilden, ich finde es zu komisch. Wenn man die großen tragischen Momente der griechischen ➱Mythologie in Bilder fasst, wird es irgendwie immer komisch. Der literarische Text schränkt die Bilder nicht ein, die wie uns im Kopf vorstellen. Gemälde und Filme schon. Und weil ein Mythos davon lebt, dass er immer wieder variiert wird, darf natürlich Helmut Dietl mit dem Mythos seine Scherze treiben und aus einer Tragödie eine Komödie machen. Ab sechs Jahren jugendfrei.
Es ist nicht Helmut Dietl allein, er hat für den Film einen Drehbuchautor, der in der Welt der Literatur berühmt ist. Und der schon für viele Filme von Dietl die Drehbücher geschrieben hatte, von denen Rossini – oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief wahrscheinlich der berühmteste ist. Es ist kein Geringerer als Patrick Süskind, dem wir so nette Dinge wie Der Kontrabass und Das Parfüm verdanken. Das Ergebnis der Zusammenarbeit überzeugte Susan Vahabzadeh von der Süddeutschen Zeitung:
Vor allem aber haben Dietl und sein Co-Autor Patrick Süskind Orpheus und Eurydike auf den Kopf gestellt; was bei aller Traurigkeit auch sehr witzig und einfallsreich ist. (...) Sentimental dürfen seine (Dietls) Figuren ruhig sein – das ist im Kino ein Kompliment. Diese Darstellung von Orpheus und Eurydike ist von Nicolas Poussin (zu dem es ➱hier einen Post gibt), da ist Orpheus noch fröhlich am Singen. Niemand achtet darauf, dass die kleine Schlange (links von Eurydike) schon ihr tödliches Gift verspritzt hat.
Helmut Dietl ist nicht der erste, der der traurigen Geschichte ein anderes Ende gibt. Denn schließlich hat schon Ranieri Simone Francesco Maria de’ Calzabigi der Tragödie ein happy ending gegeben. Auf jeden Fall in seinem Libretto für die Oper von Christoph Willibald Gluck, die am 5. Oktober 1762 in Wien zum ersten Mal aufgeführt wurde. Diese Oper zitiert Dietl in seinem Film natürlich auch.
Wenn Mimi Nachtigall sich mit Tabletten umbringen will, klimpert er auf dem Klavier Che farò senza Euridice. Und irgendwie scheint Venus das zu hören und singt die Melodie von Gluck. Ach, ich habe sie verloren, all mein Glück ist nun dahin! Wär', o wär' ich nie geboren, weh, daß ich auf Erden bin! Und ihr neuer lover und Manager sagt: Sei doch nicht traurig, Törtchen. Ick geh' morgen inn Laden und koof dir det. Gibst doch sicher auf CD. Wie heißt det noch? So steht es natürlich nicht bei Ovid, das ist Patrick Süskind.
Die Arie des Orpheus strukturiert aber durchaus den Film: wir hören sie am Anfang und am Ende, wir hören sie, wenn sich Venus Morgenstern in den Brunnen fallen lässt und sich in einer bizarren Unterwelt wiederfindet, in der vieles nach ➱Böcklins Toteninsel aussieht. Gut, das ist alles Blue Box Technik, aber streckenweise ist es eindrucksvoll.
Ich habe mir auch immer gedacht, dass es in der Unterwelt aussieht wie bei Arnold Böcklin. Weshalb war die Toteninsel sonst Hitlers Lieblingsbild? Und dieses kitschige Bild von Joseph Paelinck musste auch mal eben sein. Orpheus kommt offensichtlich je nach Zeitgeschmack immer anders daher, wenn auch die Geschichte eigentlich immer die gleiche ist. Manchmal ist es eine Tragödie, mal gibt es ein happy ending. Mal ist es eine Operette und ist von ➱Jacques Offenbach (wo die Arie auch einmal kurz anklingt), mal ist es vom Ritter Christoph Willibald Gluck.
Mal ist Orpheus schwarz und heißt ➱Orfeo Negro, mal sieht er aus wie Marlon Brando. Den Film kennen wir in Deutschland als Der Mann mit der Schlangenhaut, aber bei Tennessee Williams heißt das Theaterstück ➱Orpheus Descending. Seien Sie beruhigt, Marlon Brando singt in dem Film nicht Che farò senza Euridice. Gluck hat die Arie für den Alt-Kastraten Gaetano Guadagni geschrieben. Heute wird der Part meist von einer Altistin (oder einem Mezzosopran) oder von einem männlichen Alt (Countertenor) gesungen. Dafür habe ich mit Arno Raunig ➱hier ein schönes Beispiel. Wenn Sie die Arie lieber von einem Tenor gesungen haben möchten (der Part ist in der Geschichte der Oper seit den Tagen von Gluck immer wieder für andere Stimmlagen umgeschrieben worden), dann hören Sie sich ➱Tito Schipa an.
Che farò senza Euridice, J'ai perdu mon Eurydice oder auf Deutsch Ach, ich habe sie verloren (je nach Opernfassung), ist ja ein musikalischer Dauerbrenner, und man wird nicht erstaunt sein, auf YouTube eine Vielzahl von berühmten Namen zu finden. Sogar ➱Fischer-Dieskau ist dabei. Und solch kleine Trouvaillen wie ➱Sigrid Onégin. Natürlich auch ➱Margarete Klose, die in den fünfziger Jahren zusammen mit Erna Berger eine Traumbesetzung für die Oper war. Viele Musikkritiker waren der Meinung, dass Kathleen Ferrier den Part am eindruckvollsten gesungen hat, auch das kann ich Ihnen ➱hier mit einer englischen Version (What is life to me without thee?) anbieten, allein die Anlage, auf der es abgespielt wird, ist es wert, angeschaut zu werden. Und zum Schluss habe ich ➱hier noch eine junge Frau aus Riga namens Oksana Lepska, man kann ja alles ins Netz stellen. Das ist aber weit weg von Margarete Klose oder ➱Martha Mödl. Irgendwie fehlt mir da nur noch Hayley Westenra. Philippe Jaroussky ist leider nicht auf YouTube zu finden. Wenn ich am Anfang schon ein Bild von Sir Edward Poynter serviert habe, dann darf am Ende ein Maler des perfekten Kitsches wie ➱Lord Leighton nicht fehlen.
Ich hätte zum Schluss auch noch einen Literaturtip: Ulrich Schreiber, Die Kunst der Oper. Geschichte des Musiktheaters. Bd. I. Von den Anfängen bis zur französischen Revolution. Über Schreibers Werk geht ja nichts drüber, er hat auch eine sehr ausführliche Interpretation der Oper. Und ich habe, während ich dies hier schrieb, immer wieder ➱Vesselina Kasarova, ➱Jennifer Larmore und ➱Susan Graham gespielt. Waren die ersten CDs, die ich fand, ich weiß nicht, wo die Gesamtaufnahme ist. Lautstärke volle Pulle. Ich mag das. In dem Film von Helmut Dietl wird auch gesungen. Nicht Ach, ich habe sie verloren, sondern Wohin geht die Liebe wenn sie geht. Schauen Sie mal ➱hinein. Schlimmer als ➱Anselm Feuerbach ist es auch nicht.
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