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Sonntag, 5. Januar 2014

Cardigan


Dirk Bogarde beschreibt in seiner Autobiographie An Orderly Man einmal die ersten Rollen, auf die er festgelegt zu sein schien: But in the main it was, apart from the raincoat, what I call a 'cardigan and knitted tie' part, and I had hardly to open my mouth. Which suited me perfectly well. ➱Bogarde hasste diese Rollen. Privat hat er durchaus Strickjacken getragen, wie dieses Photo beweist. Die Strickjacke wird zur Zeit modisch wieder propagiert, natürlich slim fit. Jogi Löw trägt so etwas. Sieht natürlich etwas anders aus als Helmut Kohl. Dessen Strickjacke ist heute im Haus der Geschichte. Und mit Helmut Kohl wird die Strickjacke ja auch häufig assoziiert, weniger mit der Jogi Löw Strickjacke der Firma Strenesse.

Mein Großvater hatte eine graue Strickjacke, die trug er im Haus anstelle des Jacketts. Unter der Strickjacke trug er natürlich Oberhemd und Krawatte, Anzughose und Weste. Wenn er das Haus verließ, zog er seine Strickjacke aus und zog das Jackett an. Anders habe ich ihn nie erlebt. Dass Menschen außerhalb des Hauses, wo man ordentlich zu sein hatte, so herumlaufen könnten, wäre für meinen Opa unvorstellbar gewesen. Aber früher orientierten sich die Konventionen der Kleidung auch noch nicht an Fußballtrainern, die einen Werbevertrag mit einem Bekleidungshersteller haben. Die Bekleidung des Bundestrainers ist offensichtlich ständig Gegenstand des öffentlichen Interesses, auch in diesem Blog wurde sie schon ➱erwähnt. Der Designer Michael Michalsky hat über die Stilikone Jogi Löw gesagt: Wenn die Nationalmannschaft so spielt, wie er sich kleidet, dann müssten wir die EM gewinnen. Wenn wir nicht Weltmeister werden, ist die Firma Strenesse schuld, das merken wir uns mal.

Die Strickjacke heißt im Englischen cardigan. Ich könnte jetzt lang über Lord Cardigan schreiben, aber das möchte ich nicht tun. Die bösen Dinge, die ich in dem Post ➱Raglan gesagt habe, sind noch nicht böse genug. Ein Freund schrieb mir hinterher, dass ich unfair zu Lord Raglan gewesen sei. Mag sein, Christopher Hibbert ist 1961 in seinem Buch The Destruction of Lord Raglan etwas netter. Ich lasse jetzt auch einmal weg, dass ➱Errol Flynn 1936 und Trevor Howard 1968 Lord Cardigan im Film gespielt haben.

Der erste Film hat nichts mit der historischen Wirklichkeit zu tun, der Film von Tony Richardson 1968 (hier in ganzer Länge) schon. Der basiert auf dem Buch The Reason Why der Lieblingshistorikerin von ➱Alan Bennett, Cecil Blanche Woodham-Smith. Das John Osborne dann zu einem Drehbuch umgeschrieben hatte. Wenn Sie einen bitterbösen Antikriegsfilm sehen wollen, 139 Minuten lang mit Starbesetzung, dann kaufen Sie sich Tony Richardsons The Charge of the Light Brigade.

Die amerikanische Filmkritikerin ➱Pauline Kael mochte den Film nicht: Tony Richardson's quasi-absurdist vaudeville-epic-a view of the Crimean War with modern revue humor. It's composed of Victorian vignettes, with fragments of dialogue, mostly a few lines leading to a snapper, schrieb sie. Gab aber auch zu: And at times, the satire of political platitudes is excruciatingly entertaining. Das Wort Vietnam kam in ihrer Rezension nicht vor, obgleich damals jeder wusste, dass dies nicht nur ein Film über den Krimkrieg im Jahre 1854 war. Ich lasse das militärische Desaster des Kriegs (das auch die Basis für Tolstois Krieg und Frieden war) jetzt einmal draußen vor. Vielleicht schreibe ich noch einmal darüber.

Modegeschichtlich beschert uns der Krimkrieg den cardigan, den Raglan Mantel und diese schwarze Skimütze, die gerne von Bankräubern getragen wird. Die heißt im Englischen balaclava, da lebt der Krimkrieg immer noch weiter, vor allem auf den Überwachungsvideos der Banken. Was immer Lord Cardigans Truppen auf der Krim getragen haben, die Strickjacken, wie wir sie heute kennen, sind es bestimmt nicht gewesen. Da kann man alle Photos von Roger Fenton anschauen, man wird dieses Kleidungsstück nicht finden.

Wenn unter der Werbeanzeige der Firma Pringle oben Gentleman's Cardigan steht, dann muss ich leider sagen, dass die Anfänge des Kleidungsstückes wenig mit dem Gentleman zu tun haben. Wir sehen einmal ganz davon ab, dass James Thomas Brudenell, der siebte Earl of Cardigan, kein Gentleman war. Das Kleidungsstück taucht im 19. Jahrhundert zuerst als Weste mit Ärmeln auf. Noch nicht gestrickt, sondern aus Stoff. Und diese Jacke wird von Pferdeknechten und Gepäckträgern in Bahnhöfen getragen. Erst um 1894 taucht die Weste mit Ärmeln in gestrickter Form (oder in dem, was die Engländer Berlin wool nennen) auf. Sagen C. Willett und Phillis Cuningham in ihrem Handbook of English Costume in the 19th Century. Denen kann man nicht widersprechen, wenn die Kostümhistoriker eine Bibel haben, dann ist es dieses Buch.

Mir hat letztens jemand erzählt, dass Strickjacken modisch der letzte Schrei seien. Und hat auf Daniel Craig hingewiesen, der in irgendeinem James Bond Film eine Strickjacke trägt. Aber eigentlich denken wir bei James Bond und Strickenjacken ja immer an ➱Goldfinger und die gelbe Strickjacke von Gert Fröbe, der mit all seinen Klamotten in dem Film die Karikatur eines Engländers ist. Die einzige wirklich abgefahrene Strickjacke (ein Kleidungsstück, dass im 19. Jahrhundert auch Seelenwärmer genannt wurde) im Film ist dieser Cardigan, den Nigel Green in Play Dirty über seiner Uniform trägt. Nachts ist es auch in Nordafrika (wo der ➱Film spielt) kalt. In England ist es natürlich noch kälter, und das erklärt wohl auch, warum die Strickjacke unter dem Jackett getragen von den dreißiger bis in die fünfziger Jahre in England so beliebt ist. Zentralheizung kennen die Engländer damals kaum. Und die Zimmertüren reichen nicht bis zum Boden, wie man in vielen Agatha Christie Filmen sehen kann, wo alle möglichen Dinge unter der Tür hindurchgeschoben werden.

Männer räumt Opas Kleiderschrank aus! Spießige Altherren-Cardigans sind wieder super hip, Schlagzeilen dieser Art kann man immer wieder lesen. Die Modemacher schrecken vor nichts zurück, um das Kleidungsstück zu propagieren, das in den dreißiger Jahren chic war und in den fünfziger Jahren noch lebte. Da galt es noch als chic eine dünne Strickjacke unter dem Jackett zu tragen, wie man auf diesem Photo aus Breakfast at Tiffany's sehen kann. Und damals galt auch Rex Harrison als Stilideal: Who but our beloved Rex could ever make a cardigan seem the heart of chic? fragte sein Freund Brendan Gill. Es gibt natürlich nur eine richtige Antwort: niemand sonst als er.

Aber der cardigan war wieder da, schwappte auch gleich in die Damenmode hinüber. Anne Klein propagierte ihn, und ➱Mary Quant machte ihn richtig peppig. Und wenn Frauen damals ganz, ganz damenhaft aussehen wollten (und in den fifties wollten ja viele junge Frauen partout wie ihre Mütter aussehen), dann trugen sie ein Twinset. Angeblich wurde das von dem Chefdesigner der schottischen Firma Pringle 1934 erfunden. Mit dieser englischen Firma ist es ja immer weiter bergab gegangen, nicht erst seit den neunziger Jahren, als englische football hooligans bevorzugt Pringle trugen.

Am besten war das Twinset natürlich, wenn es aus Kaschmir war. Und mit Perlenkettchen. Dies Photo ist von dem englischen Modephotographen Norman Parkinson, er hat hier seine Gattin portraitiert, die unter ihrem Namen Wenda Rogerson ebenso berühmt war wie ➱Barbara Goalen. Wenn man so aussieht und mit dieser hauteur dasitzen kann, dann kann man tragen, was man will. Aber es ist wie bei Rex Harrison, es steht nicht jedem. Und wenn das Internet vollgepflastert ist mit Werbung für Hollister Cardigans und das Teil bei H+M 19.95 kostet, wir lassen die Finger davon.

Ich muss gestehen, ich besitze gar keine Strickjacke. Bei mir gibt es nur die Wahl zwischen Pullover und Jackett. Wobei diese unstrukturierten Jacketts ja immer strickjackenähnlicher werden. Morgens an der Schreibmaschine trage ich ein altes Sweatshirt. Aber wenn Jogis Jungens in Brasilien Weltmeister werden, dann gehe ich zu diesem eleganten Herrn in den ➱Laden und frage ihn, ob er auch Jogi Löw Strickjacken führt. Mal sehen, was er sagt.


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