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Dienstag, 7. Januar 2014

Robert Nicoll


Es ist ein großes Monument, das man da in Little Tullybelton 1840  für einen kleinen Dichter errichtet hat: Robert Nicoll: One of the Sweetest of Scottish Bards. Man hat Robert Nicoll, der heute vor zweihundert Jahren geboren wurde, einen zweiten Robbie Burns genannt, doch das sind wohl zu große Kleider für einen minor poet. Vielleicht wäre er ja noch ein größerer geworden, aber er ist mit dreiundzwanzig Jahren gestorben. Wenn Dichter früh sterben, sichert ihnen das häufig einen Mythos zu. ➱Thomas Chatterton starb mit achtzehn, Keats mit fünfundzwanzig. Ein amerikanischer Wissenschaftler hat vor Jahren herausgefunden, dass im Durchschnitt Dichter zweiundsechzig Jahre alt werden, während Romanautoren vier Jahre älter werden. Es ist schön, dass es so sinnvolle Untersuchungen gibt. Robert Nicoll hat auch ein Gedicht auf den Tod geschrieben, wahrscheinlich ist Death eins seiner letzten Gedichte.

Wenn ihn auch die meisten englischen Literaturlexika nicht kennen (oder bestenfalls als minor poet erwähnen), in Schottland hat man ihn nicht vergessen, so sagte der Reverend T. Hinks 1850: as a poet, he stands by the side of Burns, of whom, however, he was deemed not a rival, nor indeed and equal; but when Nicoll died, he had written what Burns up to that time had not equalled. Tracing his career through various vicissitudes, at last we find him become editor of the 'Leeds Times' . . . . on the small salary of £100 per year, he made the fortune of that paper, as well as the proprietors . . . . there is no question that his editorial articles were remarkable for extraordinary talent, and there can be no doubt that his writings at this period may be classed among the most brilliant effusions of the provincial newspaper press. But, alas! his unwearied labours broke down his talented and energetic mind. His health became impaired, and sickness overtook him. He returned to his native Scotland and died of consumption at the early age of 23. His poetry is noble and brilliant; his poetical pictures of Scottish scenery are very fine, and his sympathy was readily accorded to all.

Wenn Sie sich jetzt fragen, was das Bild vom heimkehrenden Tiroler Landsturm von Franz Defregger hier in dem Post zu einem kleinen schottischen Dichter verloren hat, dann habe ich dafür natürlich einen Erklärung. Und die heißt Andreas Hofer. Ein Name, der mir (ebenso wie das Bild von Defregger aus Opas großem Buch mit Historienmalerei) seit Kindertagen vertraut ist. Weil das ➱Lied Zu Mantua in Banden (heute immer noch Tiroler Nationallied) das Lieblingslied meines Opas war. Er spielte es mit großer Inbrunst auf dem Klavier. An der Stelle, wo es im Lied heißt Gebt Feuer! Ach, wie schießt ihr schlecht! (was wahrscheinlich die letzten Worte von Andreas Hofer waren), sang mein Opa immer Franzosen, ach wie schießt ihr schlecht! Dass die Franzosen Deutschlands Erbfeind waren, das konnte er nie vergessen. Wenn das Lieblingslied Ihres Großvaters nicht Zu Mantua in Banden Der treue Hofer war gewesen ist, und wenn Sie das Tiroler Nationallied noch nie gehört haben, dann sollten Sie es sich ➱hier (von dem berühmten Emanuel List gesungen) anhören.

Es gibt noch ein zweites Andreas Hofer ➱Lied, das mit den Versen beginnt:

Ach Himmel, es ist verspielt
ich kann nicht mehr lange leben,
der Tod steht vor der Tür
will mir den Abschied geben,
meine Lebenszeit ist aus
ich muss aus diesem Haus

Das soll der Wirt des Sandhofs (der in dem Lied ironisch General vom Sand genannt wird) selbst im Gefängnis geschrieben haben, aber das ist wohl nicht zu beweisen. Ich habe natürlich auch von diesem Lied eine Aufnahme. Bitte klicken Sie ➱hier. Aber es gibt noch ein anderes Lied, eins zu dem es keine Melodie gibt. Und das man in Tirol wahrscheinlich gar nicht kennt. Denn es stammt von dem schottischen Dichter Robert Nicoll. Es heißt The Death Song of Andreas Hofer:

My hour of life is nearly past,—
I shrink not from my doom:
The men of many lands will make
A pilgrim-shrine my tomb;
My name will be in coming time
The watchword of the free;
The mountains of my rugged home
My monuments will be.

I have not borne a tyrant's thrall,
But stood for liberty—
Among our mountains and our rocks,
Where slaves can never be;
I stood, as stood the Switzer bold,
When Uri's horn did swell,—
I fought, I bled—my name will live
With that of William Tell.

Death! what is death in freedom's cause?—
For thee, mine own Tyrol,
Had I a thousand, thousand lives,
O! I would give the whole.
I die, as men should proudly do,
For home and liberty,—
I sow the seed that yet shall grow
And make my country free.

Farewell, my craggy native hills,
My children all, farewell:
That Hofer was your father's name
Full proudly ye may tell.
Farewell ye mountains, heart-enshrined,—
God! shield a freeman's soul!
I die in joy—I die for thee—
My own—my wild Tyrol.

Warum schreibt ein junger Schotte über Andreas Hofer? Robert Nicoll ist nicht nur Dichter und im Alter von zweiundzwanzig Jahren der Herausgeber der Leeds Times, er ist auch Politiker. Anhänger der Radicals, ein Wort, das man nicht so einfach übersetzen kann. Denn diese politische Gruppierung ist kein Haufen blindwütiger Radikaler, das sind die Vorläufer der Liberal Party Englands. Wir wollen lieber nicht darüber reden, wohin der Liberalismus heute verkommen ist, aber damals repräsentierten die Radicals den Fortschritt.

Seinen politischen Überzeugungen verdankt Robert Nicoll auch sein Weiterleben im Internet. Denn sein Werk findet sich auf einer Seite Minor Victorian Poets and Authors, die dem Chartisten Gerald Massey gewidmet ist. Eingeleitet von Herausgeber Ian Pettigrew: Welcome. This web site is dedicated to the life and work of the Chartist, poet, author, and free thinker, Gerald Massey, and to comparable poets and authors of his era, a number of whom by their protests were to influence social reform in Victorian Britain. Most had working-class backgrounds. My aim is to resurrect their writing, much of which has for many decades been unavailable outside of national archives and university libraries, and to place it before a wider audience. 

I have written my heart in my poems; and rude, unfinished, and hasty as they are, it can be read there. Dies Zitat von Nicoll steht über dem ➱Werk von Robert Nicoll. Dank des Internets kann man es heute noch lesen. Für solche Seiten kann man dem Internet dankbar sein. I do not rate my published volume too highly, for I know its defects; but I think that by keeping to Nature—to what Wordsworth has called the 'great sympathies'—I shall yet do better. If I do not, it shall not be for the want of close, strict, untiring perseverance,—or single-minded devotion to literature, schreibt er in einem Brief. Er hat hart daran gearbeitet, ein gutes Englisch zu schreiben. Das Wort grammar taucht immer wieder in seinen Briefen auf. Und so wird in einem Alter, in dem andere eines Tages mit Ach und Krach einen Abituraufsatz zusammenstoppeln, zu einem rhetorisch gewandten politischen Schriftsteller:

From among the People the greatest men of every age have arisen. Those rich in worldly goods rarely find time for aught but luxurious enjoyments; while, among the poor, there are always a few who sanctify the hours saved from toil by striving to attain intellectual excellence. From among those few sometimes arise master-spirits, who give a tone, not only to the age in which they live, and to their own land, but to future generations, and to the whole world. The peculiar greatness of mental power is, that it does not blaze up in a corner, and then become extinct, but enlightens and delights all nations. . . Who can estimate the influence which the life and writings of Robert Burns have exerted on our national character? Who can estimate the good effects which the writings of Sir Walter Scott—so filled with human sympathies and wise examples—may yet exert on the destinies of mankind? We know no more heart-elating enjoyment than to peruse Benjamin Franklin's narrative of his own life: in which he tells of his rise from a runaway printer's boy to be the first philosopher of the day; and one of the founders of an empire the freest and happiest the world ever saw. Is the influence of all the kings that ever reigned to be for a moment compared with the silent mental power possessed by Franklin? . . . But in our day it is comparatively an easy matter for the so-called lower classes to educate themselves. The gates of knowledge—of mental power—stand ever open.

Man könnte das als schöne viktorianische Sonntagsreden abtun, wenn heute einer unserer Politiker das sagen würde, wir würden ihm nicht glauben. Weil wir niemandem mehr glauben. Herrn Pofalla nicht und Frau Merkel auch nicht. Doch der Satz I have written my heart in my poems gilt auch für die politischen Schriften von Robert Nicoll, der bei seinem Kampf für bessere Verhältnisse auf ein unerschütterliches Gottvertrauen bauen kann. Die Professorin Regenia Gagnier hat in dem aufsehenerregenden Buch Subjectivities: A History of Self-Representation in Britain, 1832-1920 (➱hier in Teilen zu lesen) die Autobiographien unter die Lupe genommen, die im viktorianischen Zeitalter geschrieben wurden, diese gefeierten Selbstzeugnisse und Selbstentwürfe der Great Victorians wie Ruskin, John Stuart Mill, Charles Darwin und Beatrice Webb. Das wäre genug für ein Buch. Um das Spiegelbild des Jahrhunderts zu komplettieren, kontrastiert sie diese Selbstzeugnisse des Establishments mit den Autobiographien aus der working class, in denen das Leben anders verläuft und auch die Werte anders sind. Karl Marx hätte das gefallen. Auf diese Weise konstruiert Gagnier unter Herbeiziehung hunderter Autobiographien ein komplexes, widersprüchliches Jahrhundert. Robert Nicoll kommt nicht darin vor, aber er würde in das Buch hineinpassen. Jemand aus der working class, der daran glaubte: The gates of knowledge—of mental power—stand ever open.

The mountains of my rugged home My monuments will be, heißt es in The Death Song of Andreas Hofer. Der Tiroler Nationalheld braucht keine Monumente. Robert Nicoll schon. Aber sein Monument in der Nähe von Tullybelton ist renovierungsbedürftig, das sollten die örtlichen Behörden schnellstens reparieren. Spätestens zum Referendum über die schottische Unabhängigkeit am 18. September 2014 sollte das aber fertig sein.

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