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Donnerstag, 9. Januar 2014

Kieler Frieden


Endlich mal etwas Gutes aus der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt. Nicht diese häßlichen Geschichten über Politiker und ➱Steuerbetrüger. Nein, dies ist ein Tag zum Feiern: heute vor zweihundert Jahren hat die dänische Armee gegen die Invasoren der Nordarmee kapituliert. Fünf Tage später wurde hier der Friede zwischen Dänemark, Schweden und England geschlossen. Im Buchwaldtschen Hof in der Dänischen Straße, den gibt es heute nicht mehr. Er ist einem anderen Krieg als dem napoleonischen Krieg zum Opfer gefallen, die Reste des Hauses wurden nach dem Zweiten Weltkrieg abgebrochen. Der Buchwaldtsche Hof war (wie das Nachbargebäude der ➱Warleberger Hof) das stattlichste Stadthaus in Kiel. Eigentlich hätte die Zeremonie ja im Kieler Schloss stattfinden können, aber das war 1814 zum Lazarett für die Verwundeten des Krieges geworden. Außerdem war es derart baufällig, dass man den Adelssitz in der Dänischen Straße vorzog.

Am ersten Dezember 1813 war der ehemalige französische Marschall Bernadotte, der jetzt als Prinz Karl Johan der Anwärter auf den schwedischen Thron ist, mit einer Armee von 44.000 Mann bei Boizenburg und Artlenburg über die Elbe gekommen, wenig später gehören ihm Lübeck und Kiel. Der kleine Flecken Artlenburg an der Elbe ist immer wieder der Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen gewesen. 1803 hatte hier die hannöversche Armee kapituliert, jetzt ist der damalige Oberbefehlshaber, der Graf von Wallmoden, wieder da. 1945 werden hier die Engländer gegen die Deutschen kämpfen.

Kaum ist Bernadotte in Holstein, erlässt er folgende Proklamation:

Bewohner Holsteins! Erst nachdem Eure Regierung alle wiederholten Vorschläge der Verbündeten Mächte der allgemeinen Sache Europas beyzutreten, verworffen hat, betritt die Vereinigte Armee von Nord-Deutschland Eur Gebith. Die zwischen diesen Mächten geschlossenen Bündnisse vereinigen Norwegen mit Schweden, dagegen waren für Dannemarck Enthschädigungen bestimmt, welche Eure politische Existenz gesichert hätten, die Dänische Regierung hat aber alles verweigert, das Herzogthum Holstein wird also jetzt im Besitz genommen, als ein Unterphand der Abtretung Norwegens an Schweden. Bewohner Holsteins! mischt Euch nicht in die Verhandlungen der Politic! Die friedfertigen Bürger werden beschützt, die Unruhigen werden bestraft werden, die Armee wird die strengste Ordnung beobachten. Eine Provisorische Regierung wird angestellet werden, man wird dazu dijenigen von Euren Mitbürgern berufen, welche durch ihre Talente, ihre Aufführung und ihre Vermögens-Umstände die Angesehensten sind. Ihnen wird die inn're Verwaltung des Landes aufgetragen, und der Beruf für Eur Wohl zu sorgen: Gehorcht den Befehlen wozu die jetzigen Verhältnisse veranlassen werden. Im Haupquartier zu Oldesloh, den 9ten Decbr. 1813

Das Ganze unterschreibt Auf Befehl der Generalleutnant Frh. v. Tawast, Sous-Scheff des General-Staabes der Vereinigten Armee von Nord-Deutschland. Dem schwedischen Baron (später Grafen) Johann Henrik von Tawast vertraut Bernadotte seit Jahren, er wird ihn zu Verhandlungen mit Napoleon und mit den Türken in Istanbul schicken und immer auf seinen Rat hören.

Es war ein klein wenig blöd von den Dänen, dass sie noch vor der Völkerschlacht von Leipzig in Dresden ihr Bündnis mit Napoleon erneuert hatten und ihm zehntausend Soldaten zur Verfügung stellten. Zuvor hatte Graf Christian Günther von Bernstorff in London versucht, mit den Engländern zu verhandeln. Er wollte sich von den Franzosen lösen und dafür die dänische Flotte zurückbekommen, die die Engländer 1807 an sich genommen hatten, nachdem sie Kopenhagen in Brand geschossen hatten (Wellington hatte sein ➱Lieblingspferd damals Copenhagen getauft).

Aber die Engländer lassen Bernstorff abblitzen, sie haben es nicht vergessen, dass er als Außenminister die englandfeindliche Politik Dänemarks bestimmt hatte. Also wirft sich das bankrotte Land wieder Napoleon in die Arme, schließt mit ihm am 10. Juli 1813 ein Trutzbündnis gegen Preußen und Russland und erklärt am 3. September Schweden den Krieg. Die Kriegserklärung an Preußen und Russland folgt am 22. Oktober, angesichts der verlorenen Schlacht von Leipzig etwas erstaunlich. Bernstorff ficht das alles nicht an, fünf Jahre später wechselt er den Arbeitgeber und wird Preußens Außenminister. Wird ein gefügiger Anhänger von Metternichs Restaurationspolitik. Es gibt in Dänemark noch andere Bernstorffs, mit denen man diesen Opportunisten nicht verwechseln sollte. Ich denke da an seinen Verwandten, den Grafen Johann Hartwig Ernst von Bernstorff, den Freund Klopstocks. Der hat sich 1759-1765 in Gentofte von dem Franzosen Nicolas-Henri Jardin dieses bezaubernde Schlösschen bauen lassen, eins der ersten neoklassizistischen Bauwerke, mit denen Jardin Dänemark verzieren wird. Auch Johann Hartwig Ernst von Bernstorff ist ein Staatsmann, aber er ist auch ein Mann der Aufklärung. In der Zeit, in der er Dänemarks Außenminister war, ist es Dänemark wesentlich besser gegangen als zu der Zeit dieses Christian von Bernstorff.

Ein dänischer Untertan spielt bei dem Machtpoker nicht mit. Der junge Graf Wolf von Baudissin weigert sich, den geheimen Staatsminister Frederik Julius Kaas zu dem Treffen mit Napoleon in Dresden zu begleiten. Er schreibt dem dänischen König vom Landsitz Emkendorf aus einen Brief, in dem er um Bestrafung bittet. Er darf sich für einige Monate als Staatsgefangener in die Festung Friedrichsort begeben. Die Haft kann nicht so schlimm gewesen sein, da er von seinen Tanten in Emkendorf und Knoop verzogen ward, versehen mit Musikalien, Büchern, Blumen, Früchten und Besuchen. Die Cousinen in Knoop [hier im Bild] kamen im Boote durch den Kanal in seine Festung. Die Freunde versammelten sich oft bei ihm; und Lob und Liebe erklangen unter den hohen Bäumen in schmelzenden, melodischen Tönen über Wald und Meer. Baudissin wird den diplomatischen Dienst verlassen, wir werden ihm als Übersetzer der Werke ➱Shakespeares wieder begegnen.

Seit dem Dezember 1813 residiert Bernadotte im Haus des königlich dänischen Kammerherrn und Landrats Caspar von Buchwaldt (hier schrieb er auch seinen Brief an die Witwe von ➱Captain Bogue). Er war gekommen, um Norwegen in Holstein zu erobern. Jetzt diktiert er die Bedingungen, die Nordeuropa neu ordnen. ➱Helgoland verlieren die Dänen an England, ihr kleinster Verlust. Aber Norwegen verlieren sie auch, das gehört fortan zu Schweden. Die Faröer, Island und Grönland dürfen sie behalten, die will niemand haben. Ein klein wenig bekommen sie von Schweden auch zurück, Rügen und Vorpommern sind fortan dänisch.

Als Ernst Moritz Arndt davon erfährt, schreibt er: Nein, tausendmal lieber bei den gutmüthigen treuherzigen und pomadigen Schweden geblieben, die Fünf grad seyn lassen, als unter diese Dänen hingeworfen werden, dieses verdrehteste verwehteste krittlichste grittlichste aller Menschengeschlechter, die wir von Großvaters und Urgroßvaters Gedächtniß her nur als Plünderer und Verwüster unsrer Küsten gehört haben. Er konnte sich beruhigen, die Dänen tauschen Rügen und Pommern ein Jahr später gegen Lauenburg ein. All dieses Geschacher führt am Ende zu einer territorialen Unübersichtlichkeit, die eines Tages den englischen Premierminister Palmerston bezüglich der schleswig-holsteinischen Frage sagen läßt: Only three people have ever really understood the Schleswig-Holstein business—the Prince Consort, who is dead—a German professor, who has gone mad—and I, who have forgotten all about it.

Der Winter von 1813 auf 1814 bekommt damals in der Bevölkerung die Bezeichnung Kosakenwinter, weil mit den schwedischen, preußischen und russischen Truppen auch russische Kosaken ins dänische Schleswig-Holstein eingefallen sind. Die Geier der Schlachtfelder nennt man sie und macht sie für alle Schrecken und Plünderungen verantwortlich. Das Bild zeigt das Denkmal, das an das Gefecht von Sehestedt (das letzte Gefecht, das die Dänen gewannen) erinnert.

Aber ➱Tettenborns Kosaken sind nicht für allen Schrecken verantwortlich, um es zurückhaltend zu sagen. Die schlimmsten Übergriffe gehen auf das Konto der vielen Freikorps: Wären es reguläre Preußen gewesen, die zu Euch kamen, so wären wir ohne alle Besorgnis gewesen, denn es ist buchstäblich wahr, daß unsere Soldaten im eigentlichsten Sinn viel zu fromm sind, um auch nur im Geringsten etwas Ähnliches zu verüben, was sie an den Franzosen verabscheuen gelernt haben; aber es kamen von uns nur Freicorps, geworbenes Volk und Fremde, oder Pöbel der Hauptstadt, — und sonst nichts als Fremde, und solche, die sich größtentheils auf Beute gespitzt hatten, schreibt Barthold Georg Niebuhr an seine Schwester. Eins dieser Korps nennt sich nach dem verstorbenen Major Ferdinand von Schill, es wird von seinem Bruder angeführt. Die berühmten ➱Lützowschen Jäger sind nicht in Kiel, die befreien gerade Bremen, die Hauptstadt des Département des Bouches du Weser. Aber Friedrichstadt (hier ein zeitgenössisches Bild von Georg David Thomsen), das haben sie wahrscheinlich angezündet. Vae victis.

Nichts Böses hört man in der Zeit der Kämpfe und der Besatzungszeit über die Engländer. Das hätten wir in diesem anglophilen Blog auch nicht anders erwartet. Die britisch-deutsche Division wird kommandiert von General James Lyon, aber der entscheidende Mann bei allen wichtigen Entscheidungen ist der Colonel Hugh Halkett. Der Sohn eines schottischen Generalmajors war mit Wellington in Spanien gewesen, jetzt ist er in Schleswig-Holstein, ein Jahr später wird er in Waterloo dabei sein und ein Held sein. Er ist schon einmal in diesem Blog erwähnt worden, klicken Sie doch mal ➱Nord Ostsee Kanal an. Halkett, inzwischen General, kommt übrigens Jahrzehnte später nach Schleswig-Holstein zurück. Im Deutsch-Dänischen Krieg von 1848 führt er in hannöverschen Diensten die Truppen des 10. deutschen Armeekorps und schlägt die Dänen bei Oeversee. Der Vollständigkeit halber sollte ich noch einen General nennen, nämlich den Oberkommandierenden. Das ist ein Österreicher (dessen Familie aus Hildesheim stammt) in russischen Diensten, Ludwig Georg Thedel Graf von Wallmoden (oben). Dessen Großvater ganz nebenbei gesagt der englische König war.

Ein Franzose, der schwedischer König wird (aber niemals Schwedisch lernen wird), ein Schotte in hannöverschen Diensten, ein Österreicher in russischen Diensten, es sind seltsame Lebensläufe bei den Beteiligten, die da zusammenkommen. Der europäische Adel, der in Kiel die napoleonischen Kriege beendet, findet sich in allen Armeen wieder, manchmal gehen Trennungen sogar durch die Familie. Ein Jahr nach dem Kieler Frieden wird der Frieden zwischen Deutschland und Dänemark von Vater und Sohn geschlossen werden: auf preußischer Seite steht da Karl August Freiherr von Hardenberg (hier im Bild von Schadow gemalt). Als Vertreter Dänemarks steht ihm sein Sohn, der Graf Christian Heinrich August von Hardenberg-Reventlow, gegenüber. Wenn die Beteiligten in diesem Krieg von überall her kommen, nur nicht aus Schleswig-Holstein, muss man doch den Kommandeur der dänischen Truppen, Friedrich von Hessen-Kassel, als echten Schleswig-Holsteiner bezeichnen. Er wird in Gottorf als Sohn jenes Carl von Hessen-Kassel (nachdem die Carlshütte in Rendsburg heißt), der wurde ➱hier schon einmal erwähnt. Der General wird zuerst 1813 Oberkommandierender der dänischen Hilfstruppen und darf Marschall Davout in Hamburg zur Seite stehen. Nach dem Frieden von Kiel muss der Prinz dann mit seinen Truppen gegen Napoleon ziehen, erst 1818 kommt er aus Frankreich zurück. Er hat die Seiten nicht aus Opportunismus gewechselt wie Bernadotte, er tat das, was sein König ihm befohlen hat.

Der Friedensschluss von Kiel bedeutet auch, dass ein toter König von Dänemark und Norwegen nach Hause kommt. Das ist Christian VII, der 1808 in Rendsburg gestorben war. Dort war er in einem Mausoleum aufgebahrt gewesen, jetzt holt ihn sein Sohn nach Roskilde zurück, wo alle dänischen Könige ihre Grabstätte gefunden haben. Als er 1808 starb, hatte er längst keine Macht mehr, er war schon früh geisteskrank geworden. Wenn Sie alles darüber wissen wollen, dann lesen Sie den schönen Roman Der Besuch des Leibarztes von Per Olov Enquist. Übersetzt von Wolfgang Butt, der beim Übersetzen mehr Freude hatte, als wenn er ➱Henning Mankell übersetzen muss.

Der Kielfreden ist auch die Geburtsstunde Norwegens, und deshalb ist der norwegische Botschafter Sven Erik Svedman am 14. Januar in Kiel. Die Feier in Kiel ist für Norwegen der Auftakt zu den Feiern des Jubiläums des norwegischen Grundgesetzes. Man hatte damals am 14. Januar 1814 in Kiel vergessen, die Übergabemodalitäten detailliert zu regeln. Und so ist Norwegen für kurze Zeit unabhängig. Gibt sich ratzfatz in einer Nationalversammlung am 17. Mai 1814 in Eidsvoll eine Verfassung, die mit leichten Änderungen heute immer noch gilt. Und deshalb kommt am 14. Januar der norwegische Botschafter mit einer Regierungsdelegation am Vormittag mit einer Fähre der Color Line hier an.

Die Delegation reist am Nachmittag wieder ab. Zusammen mit vielen betrunkenen Norwegern. Betrunkene Norweger gehören hier zum Stadtbild, die torkeln an jedem Nachmittag völlig duhn aber gesittet zurück zum Norwegenkai oder zum Oslokai. Wenn Deutsche betrunken sind, dann fangen sie an zu singen. Oder sie randalieren und kloppen sich. Die Norweger nie, die marschieren mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht zum Fährschiff. Nirgendwo in Deutschland fühlt sich ein Norweger so zu Hause wie in Kiel! hat der norwegische Botschafter gesagt. Wie recht er hat.

Im Warleberger Hof wird am 14. Januar die Ausstellung Der Kieler Frieden. 1814 - ein Schicksalsjahr für den Norden eröffnet.

1 Kommentar:

  1. 2013 ist vorbei. Aber Jay macht munter weiter mit Napoleon. (Kleiner Scherz)
    Das ist mal wieder ein interessanter Artikel über Geschehnisse, die man kaum kennt. Also außer den Bernadotte natürlich. Und Lützow, Schill, und die Familie Hardenberg...

    Viele Grüße zu Beginn des Jahres, gepaart mit den besten Wünschen für 2014 und viele neue Blogideen.

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