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Sonntag, 3. August 2014

Michael Drayton


William Shakespeare kommt ja recht selten in diesem Blog vor. Nicht, dass ich ihn nicht mag, aber er gehörte früher zu meiner beruflichen Tätigkeit. Und von der wollte ich eigentlich wenig in meinen Blog nehmen. Aber am 450. Geburtstag von ➱William Shakespeare (den konnte ich nicht auslassen) schrieb ich: Und für den Shakespearefreund, der schon alles hat, habe ich hier noch einen ganz schrägen Tip: ... lesen, wie krass schön du bist konkret. Sie haben richtig gelesen, das ist der Buchtitel. Der Untertitel sagt schon etwas mehr: William Shakespeare, Sonett 18 vermittelt durch deutsche Übersetzer. Erschienen bei der ➱Edition Signathur. Lesen Sie ➱hier mehr dazu.

Das war vielleicht etwas wenig, ich hätte das das wirklich originelle Buch etwas lauter anpreisen sollen: ein Sonett (Nummer 18) und 155 deutsche Übersetzungen, alles annotiert und mit Erklärungen versehen von dem Shakespeare Fachmann Jürgen Gutsch. Es gibt Computerübersetzungen, eine in Kanak-Sprak getürkt, es gibt die Klassiker der Shakespeare Übersetzung. Aber auch Paul Celan, Wolf Biermann und Hans Magnus Enzensberger. Mehr geht nicht.

Ich schickte damals den Post über Shakespeare an die Edition Signathur und bekam umgehend eine ganz reizende E-Mail von Bruno Oetterli, der sich als Schriftsteller Bruno Oetterli Hohlenbaum nennt. Hier auf dem Photo ist er mit der Schweizer Philosophin Bernadette Straessle, die er auch verlegt hat. Seinen nom de plume hat er sich nach einem Stadtteil von Schaffhausen gewählt, weil es offensichtlich zu viele Bruno Oetterlis in der Schweiz gibt. Dass die ➱IWC in Schaffhausen beheimatet ist, brauche ich in diesem Blog wohl nicht zu betonen. Bruno Oetterli besitzt natürlich eine IWC Taschenuhr, das habe ich schon mit ihm geklärt.

Unsere E-Mail Korrespondenz endete aber nicht mit einer Fachsimpelei über Schweizer Uhren. Bruno Oetterli entdeckte in meinem Blog erstaunliche Dinge. Wie er den Professor Ernst Leisi, der einmal sein Lehrer war, so schnell gefunden hat, das weiß ich jetzt nicht. Ein wenig in die Zeit zurück, als der Schweizer Ernst Leisi in Kiel war, führte mich auch eine Neuerscheinung des Verlages, die er mir freundlicherweise zuschickte. Es war ein Buch über den englischen Dichter Michael Drayton, und über den hatte ein damals an meiner Uni neu berufener Professor ein dickes Buch geschrieben. Was er selten zu erwähnen vergaß. Ich wurde eines Tages sein Assistent und habe höflichkeitshalber sowohl sein Buch als auch Draytons Poly-Olbion gelesen (letzteres diagonal. Sehr diagonal). Das Poly-Olbion (oben eine Illustration des Buches von William Hole) ist ein Werk, das man nicht unbedingt als Lesetip weiterempfehlen kann. Eine Geschichte von England und Wales (Märchen, Sagen und Anekdoten inklusive) in Alexandrinern, beinahe 15.000 Verse lang. Wir vergessen das schnell wieder. Wenn Sie wollen, können Sie ja ➱hier ein wenig drin lesen. Wenn Sie ein ganz langes Buch aus der elisabethanischen Zeit lesen wollen, dann lesen Sie Sir Philip Sidneys Arcadia (Sir Philip hat ➱hier natürlich schon einen Post).

Aber das Buch von ➱Günter Plessow (Bild), das ich von Bruno Oetterli zugesandt bekam, das kann man weiterempfehlen. Es hat den Titel Ideas Spiegel: Amores in Vierzehnzeilern. Und es hat noch, das klingt jetzt etwas verwirrend, einen zweiten Titel: Sonettseptette: Studien zu Hermeneutik und Struktur elisabethanischer Sonettsequenzen. Genau genommen sind es zwei Bücher. Das erste enthält fünfzig Sonette, die der ein Jahr vor Shakespeare geborene Drayton 1594 veröffentlichte. Er hat seine Gedichte immer wieder überarbeitet, das ist ein sehr interessantes Phänomen. Wenn ➱Walt Whitman sein ganzes Leben lang seine Gedichte bis zur sogenannten deathbed edition überarbeitet, wird das immer als eine Besonderheit herausgestellt. Aber hier ist Jahrhunderte zuvor ein Schriftsteller am Werk, den man als den ersten professionellen Autor bezeichnen könnte. Sein Zeitgenosse John Donne hatte seine Gedichte nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, Drayton will gedruckt sein. In immer neuen Überarbeitungen.

Er ist in seiner Zeit, vor allem als Elizabeth I an der Macht war, ein berühmter Mann gewesen. König James hält nichts von ihm, der protegiert lieber John Donne. Und William Shakespeare, dessen Theatertruppe er den Titel The King's Men verleiht. Der König kann sich seine literarischen Günstlinge aussuchen, die englische Literatur hat niemals wieder eine solche Blüte in dieser Zeit. Drayton ist ein sehr patriotischer und konservativer Engländer (sonst hätte er das Poly-Olbion wohl nicht geschrieben), aber in der Vorrede zu der zweiten Ausgabe der Ideas sagt er dem Leser, dass er kein langweiliger Puritaner sei. Er sei ein libertine, ständig auf der Suche nach Neuem:

Into these Loves, who but for Passion looks;
At this first sight, here let him lay them by!
And seek elsewhere in turning other books,
Which better may his labour satisfy. 


No far-fetched Sigh shall ever wound my breast!
Love from mine eye, a Tear shall never wring!
No “Ah me!”s my whining sonnets drest!
A Libertine! fantasticly I sing! 

My Verse is the true image of my Mind,
Ever in motion, still desiring change:
And as thus, to variety inclined;
So in all humours sportively I range! 

My Muse is rightly of the English strain,

That cannot long one fashion entertain.

Wir sollten libertine hier wohl noch mit Freigeist übersetzen, nicht mit dem Wüstling, wie er uns in dem schönen ➱Theaterstück The Libertine von Stephen Jeffreys entgegentritt. My muse is rightly of the English strain That cannot long one fashion entertain, Richard Helgerson sagt dazu in Forms of Nationhood: The Elizabethan Writing of EnglandDrayton mocks both himself and the English for their lack of any single fixed identity. Yet in this self-mockery there is also pride. Drayton's very mobility, his ready adaptability, is presented as quintessentially English. Drayton ist jetzt ständig auf der Suche nach adligen Gönnern. Und auf der Suche nach neuen Themen. Wenn er von der Expedition nach Virginia hört, schreibt er sofort ein Gedicht. In To the Virginian Voyage (➱hier im Volltext) preist der Mann (der natürlich nie in Amerika war) den brave heroic minds worthy your country's name das neue Land als eine Art Schlaraffenland an. Ein Land, wo Milch und Honig fließen:

And ours to hold
Virginia,
Earth's only paradise.
Where nature hath in store 
Fowl, venison, and fish,
And the fruitfull'st soil
Without your toil
Three harvests more,
All greater than your wish.

Muss ich betonen, das nichts davon wahr ist? Vielleicht hat es da ein wenig so ausgesehen wie in ➱Terrence Malicks Film The New World, aber Draytons Voraussage, winter's rage That long there doth not live erweist sich natürlich als falsch. Sie könnten jetzt den Wikipedia Artikel Starving Time lesen, dann wissen Sie mehr. Angeblich sollen die Siedler auf den Schiffen Godspeed, Discovery, und Sarah Constant während der ganzen Überfahrt To the Virginian Voyage gesungen haben. Aber ich glaube, das ist auch nicht wahr. J.R. Fancher hat auf der interessanten Website ➱Naperville Chorus die Ode als das erste musikalische commercial bezeichnet, das finde ich sehr witzig. Und wenn Sie die Ode auch noch gesungen hören wollen, dann klicken Sie ➱hier.

Die 1594 als Ideas: Mirror veröffentlichten Sonette  - die man, wie Günter Plessow es tut, als sieben Septette plus ein Schlussgedicht ordnen kann - bieten auf den ersten Blick Bekanntes. Die angebetete ferne Geliebte darf, (wie Petrarcas Laura oder Shakespeares dark lady of the sonnets) hier natürlich nicht fehlen. Vielleicht ist es Anne Goodere gewesen, die Tochter von Sir Thomas Goodere, wir wissen das aber nicht genau. Wir wissen sowieso sehr wenig über Michael Drayton. Wahrscheinlich hat Drayton eins seiner berühmtesten Sonette (LXI), das in Anthologien häufig mit dem nachträglich hinzugefügten Titel The Parting versehen wurde, geschrieben, als Anne Goodere Sir Henry Rainsford heiratete:

Since there’s no help, come let us kiss and part.
Nay, I have done, you get no more of me;
And I am glad, yea glad with all my heart,
That thus so cleanly I myself can free.

Shake hands for ever, cancel all our vows,
And when we meet at any time again,
Be it not seen in either of our brows
That we one jot of former love retain.

Now at the last gasp of Love’s latest breath,
When, his pulse failing, Passion speechless lies;
When Faith is kneeling by his bed of death,
And Innocence is closing up his eyes—

Now, if thou wouldst, when all have given him over,
From death to life thou might’st him yet recover!


Es gilt vielen Literaturkritikern als eins der schönsten englischen ➱Sonette. Ich erlaube mir, an dieser Stelle, alles über Petrarcas Laura und die Pest des Petrarkismus (wie Ernst Robert Curtius das so schön nannte) wegzulassen. Das steht schon alles in den Posts ➱Petrarca, ➱Laura (und ➱Lonnie Donegan), ➱Jungfrauen und ➱Anne Boleyn. Aber ich will doch eine herzerfrischende Übersetzung vom Sonett LXI hinzufügen, die Plessow im Anhang seines Buches gibt:

Da hilft nichts, laß, komm, küß mich, und hallo!
Mehr hab ich nicht, mehr kriegst du nicht von mir,
und ich bin froh, ja froh, von Herzen froh,
daß ich so rein mich lösen kann von dir.

Gib mir die Hand, vergessen wir den Schwur!
Und treffen wir uns wieder irgendwann:
kein Jota unserer Liebe, keine Spur
auf unserer Stirn, nichts sehe man uns an!

Jetzt - Amor keucht; wenn er doch Atem hätt!
Der Puls versagt, und still liegt die Passion,
die Treue kniet an seinem Sterbebett,
die Unschuld schließt ihm seine Augen schon:

jetzt, völlig aufgegeben, brächtest du
vom Tode ihn zum Leben - möchtest du?

Die Sonette von 1594 werden in Ausgaben von Draytons Werk häufig in einen Band mit dem Titel Minor Poems gepackt (➱hier im Volltext). Doch Literaturwissenschaftler haben ihnen immer etwas abgewinnen können. So Michael Wentworth, der in seinem Aufsatz in dem Buch Subjects on the World's Stage: Essays on British Literature of the Middle Ages and the Renaissance sagt: 'Ideas Mirrour', whatever its shortcomings, is a well-rehearsed performance. In spite of occasional grammatical and syntactic misfires, Drayton has his lines down pat. Und ➱Kathleen Tillotson (die ➱A.J.P. Taylor the cleverest woman I have known genannt hat), die Herausgeberin des letzten Bandes von Drayton Werken sagt über sie: Derivative in substance, often weak in grammatical and logical structure these sonnets may be; but of the strange wild beauty of their style, and its novelty among Elizabethan sonnets, there can be no doubt. Und dann könnte man natürlich noch den wilden Gedanken wagen, dass das ➱Sonett 24 die Keimzelle für das Poly-Olbion gewesen sein könnte.

Günter Plessow ist in seinem Berufsleben Architekt gewesen, er hat sich aber immer für die englische Lyrik interessiert. England liegt nahe, am Royal College of Art in London hat er mal studiert. Seit den siebziger Jahren schrieb er architektursatirische Gedichte, seit 1999 übersetzte er englische und amerikanische Lyrik. Und träumt von einer Neuübersetzung von Faulkners Absalom, Absalom. Das erste ➱Kapitel hat er schon fertig. Aber vielleicht stellt er sich am besten selbst in einem Gedicht vor:

Unzulässiger Vergleich

Wie Goethe in Italien lag,
nur ohne großen Hut,
so liege ich am Nachmittag
––die Pose tut mir gut––
im Dünengrase ausgestreckt
hoch über Sand und Meer,
ein tatenloser Architekt,
der gerne Dichter wär.

Sein Horizont: die Hügel Roms
––ich kenne nur Veduten,
die Steingestalt des Petersdoms
––ich kann sie nur vermuten.
Mein Horizont: ein weißer Kreis.
Ich lasse mich umschließen
von Himmelsweiß und Meeresweiß,
die ineinanderfließen.

Ich finde das sehr charmant. Ich war versucht, hier Tischbeins Bild von Goethe abzubilden, aber das kam ➱hier schon vor. Da habe ich lieber den Andy genommen, der Tischbeins Goethe ja auch recycelt hat. Günter Plessow hat kein dickes Buch über Drayton geschrieben wie einst mein Professor, und doch kennt er sich in der Welt der Elizabethaner hervorragend aus. Und man ist bei seinen Studien zu Hermeneutik und Struktur elisabethanischer Sonettsequenzen wirklich dankbar, dass hier ein Leser, ein Übersetzer und Dichter schreibt und kein Anglistikprofessor. Das ist kein akademische Pflichtübung, das ist a labour of love.

Die Vermittlung von Gedichten ist in Schule und Universität selten gut aufgehoben. Mein Deutschlehrer in der Oberstufe (den ich schon in dem Post ➱Thomas Moore erwähnt habe und in dem Post ➱Feuer endgültig abservierte) war ein Versager - ich nahm mir ➱Ezra Pound als Lehrer und begann, sein ABC of Reading zu lesen. An der Uni war das nicht viel besser, aber glücklicherweise traf ich auf die Freiin ➱Gisela von Stoltzenberg. Nachdem ich mir in den letzten Wochen alles über Günter Plessow - der von der elisabethanischen Lyrik über ➱Shelleys Adonais bis zu ➱e.e. cummings eine Vielzahl englischer und amerikanischer Dichter übersetzt hat - angelesen habe, wünschte ich mir, dass Menschen wie er an den höheren Bildungsanstalten Lyrik vermitteln würden.

Am Ende von Ideas: Mirror steht die Verzweiflung, mit einem gewagten couplet, das an ➱John Donne gemahnt (diese contradictio in adiecto ist ja etwas, was die Zeit liebte):

When first I ended, then I first began;
The more I trauell, further from my rest;
Where most I lost, there most of all I wan;
Pyned with hunger, rysing from a feast.

Mee thinks I flee, yet want I legs to goe,
Wise in conceite, in acte a very sot;
Rauisht with ioy amidst a hell of woe,
What most I seeme, that surest I am not.

I build my hopes a world aboue the skye,
Yet with a Mole I creepe into the earth:
In plenty am I staru'd with penury,
And yet I serfet in the greatest dearth.

I haue, I want, dispayre, and yet desire,
Burn'd in a Sea of Ice, and drown'd amidst a fire.

Sollen wir unseren elisabethanischen Verbalerotiker bemitleiden? O, eine sterbende Liebe ist schöner, als eine werdende, heißt es bei Büchner. Wir brauchen uns um die Dichter nicht zu sorgen. Die müssen weiterdichten, solange irgendwo eine Laura frei herumläuft. Und sie klammern sich an dieses kleine bisschen Hoffnung: Now, if thou wouldst, when all have given him over, From death to life thou might’st him yet recover!

Vielleicht sollten all die Petrarca Nachfolger mal François Villon lesen. Der wusste das besser:

Es ist schon besser, wenn man unbeweibt
auf dieser Welt als Mann sein Wesen treibt.
Die Weiber haben alle nur den einen Dreh:
daß es allein der Mann sei, der zu schenken hat,
was er an Fleisch et cetera pepe
verdecken muß mit einem Feigenblatt.
In diesem Leben ist's nun einmal so,
deshalb wird man der Lust auch nur Minuten froh.

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