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Mittwoch, 31. Dezember 2014

Jahreswechsel


Ein neues Buch, ein neues Jahr

Ein neues Buch, ein neues Jahr
Was werden die Tage bringen?!
Wird's werden, wie es immer war,
Halb scheitern, halb gelingen?

Ich möchte leben, bis all dies Glühn
Rückläßt einen leuchtenden Funken.
Und nicht vergeht, wie die Flamm' im Kamin,
Die eben zu Asche gesunken.

So steht es überall im Internet zu lesen. Aber: so hat es Theodor Fontane eigentlich nicht geschrieben. Das Gedicht sieht im Original etwas anders aus. Fontane hat es immer wieder bearbeitet, eine andere Fassung findet sich in der ➱Sammlung Unterwegs und wieder daheim. In seinem Tagebuch aus der Zeit in London können wir lesen:

Sonnabend d. 22. Dezember Brief vom Reg. Rath Zitelmann aus Frankfurt a. M. Wohlwollende Rathschläge und Aufforderung zur Mitarbeiterschaft an der Minerva. Miß Miriam kennt weder Trafalgar-Square noch Whitehall. Verabredungen mit Schweitzer wegen des Weihnacht-heilig-Abends. Nach Haus.

Am Kamin.

Ein neues Buch, ein neues Jahr
Was werden die Tage bringen?! 
Wird's werden wie es immer war. 
Halb scheitern, halb gelingen?

Wird es mit Sammt mir streicheln die Haut, 
Oder wird es in Lohe mich gerben? 
Gleichviel was es im Kessel braut. 
Nur wünsch' ich nicht zu sterben.

Ich mag noch nicht von hinnen gehn, 
Wie's oft die Kämpfenden müssen; 
Ich möchte mein Weib noch wiedersehn 
Und meinen Jungen küssen.

Ich möchte noch wieder im Vaterland 
Die Gläser klingen lassen 
Und möchte noch wieder des Freundes Hand 
Im Einverständnis fassen.

Ich möchte noch wirken und schaffen und thun
Und athmen eine Weile, 
Denn um im Grabe auszuruhn,
Da ist nicht Noth, nicht Eile.

Ich möchte leben, bis all dies Glühn 
Rückläßt einen leuchtenden Funken
Und nicht vergeht, wie die Flamm' im Kamin, 
Die eben zu Asche gesunken.

Da das Gedicht von Fontane hier schon einmal stand, und die Silvester Posts ➱Tucholsky und ➱Dinner for One, die ich noch anbieten könnte, auch nicht wirklich neu sind, und weil dieser Blogger immer auf der Suche nach dem Neuen ist, gibt es heute noch etwas wirklich Neues. Es ist ein Gedicht von Kay Hoff, das Meditation zu Ende des Jahres heißt. Dr Kay Hoff ist am 15. August dieses Jahres neunzig geworden, eigentlich wollte ich über ihn schreiben (er ist in diesem Blog immerhin schon dreimal erwähnt worden), habe es dann aber leider vergessen. Vergessen ist der Autor nicht, seine Heimatstadt Neustadt hat ihn an seinem Geburtstag mit einem ➱Festakt geehrt.

Seinen Lesern wird er immer durch seinen Erstlingsroman Bödelstedt oder Würstchen bürgerlich in Erinnerung bleiben. Der Roman erschien zuerst 1966 bei Hoffmann und Campe, und obwohl er wohlwollend von der Kritik besprochen wurde, ist er heute leider ein wenig in Vergessenheit geraten. Völlig zu Unrecht, wie jede erneute Lektüre beweisen wird, denn dieser Roman kann sogar neben Günter Grass' Blechtrommel bestehen. Im Rahmen einer Gesamtausgabe seines Werkes ist der Roman 2002 vom Siegener Carl Böschen Verlag wieder aufgelegt worden.

Hier greift ein geborener (und gebildeter) Erzähler auf Konventionen des Romans des 18. Jahrhunderts wie Herausgeberfiktion und Motto für jedes Kapitel zurück, um die Geschichte des fiktiven Örtchens Bödelstedt in Schleswig-Holstein und seiner Bewohner im Dritten Reich im Krieg und bei Kriegsende zu erzählen. Es hätte nicht Schleswig-Holstein sein müssen, Bödelstedt ist überall. Hoffs Roman ist damals von den Kritikern in die Nähe zu Jean Paul und Thomas Mann gerückt worden, und solche Verweise sind sicherlich berechtigt. Satire und Ironie gehören zum selbstverständlichen Handwerkszeug des Autors. Vielleicht lässt sich die Zeit auch nicht anders schildern. Am Anfang des Romans steht die Geschichte vom Schäferhund Botho, den man darauf abgerichtet hat, das ihm hingeworfene Fleisch nur zu fressen, wenn ihm Ist vom Arier! zugerufen wird. Als die ersten englischen Panzer ins Dorf rollen, muss man den Hund leider töten. Das satirische Panorama des Ortes Bödelstedt wird uns erzählt aus der Perspektive eines ewig Gestrigen, und die Unzuverlässigkeit seines Erzählens macht sicherlich auch den Reiz dieses deutschen Sittenbildes aus.

Der Lyriker Kay Hoff ist weniger bekannt geworden, und deshalb tippe ich heute aus dem Band Zeit-Gewinn: Gesammelte Gedichte 1953-1989 (ich habe natürlich ein signiertes Exemplar) dies Gedicht ab:

Eingeholt, endlich: da
bin ich, noch immer, bist du,
Winter, in mir, außer Atem, 
und ich habe vergessen, warum:
du frierst mich, frierst mir
Eis in die Fenster, ermattet,
und ich fliehe nicht mehr:
mit blind geschliffenen Gläsern
suche ich Spuren und Schatten,
taste Erinnerungen ab,
finde nur wieder, flüchtig,
dein Weiß: sprödes Gezweig,
und keine Bewegung mehr.

Ich wünsche all meinen Lesern alles Gute für das neue Jahr.

Dienstag, 30. Dezember 2014

Eleonore von Aquitanien


Ich weiß nicht, woher die Bücher alle kommen, die jetzt bei meinem Hinterhofhöker auftauchen. Nagelneu und ungelesen, interessante Titel. Und jedes Buch ein Euro. Ich sollte es mal lassen, da jede Woche vorbei zu schauen. Aber dies Buch musste ich mitnehmen, Amy Kellys Eleanor of Aquitaine and the Four Kings. Es war nicht die Originalausgabe der Harvard University Press aus dem Jahre 1950, dies war ein Book of the Month Club Buch von 1996. Aber hardcover, und natürlich identisch mit der Originalausgabe. Wer Eleonore von Aquitanien war, das wusste ich. Über die Autorin Amy Kelly wusste ich nichts.

Der deutsche Wikipedia Artikel zu der Herzogin von Aquitanien, die Königin von Frankreich und von England wurde, kennt das Buch der amerikanischen Professorin nicht (der englische schon), zitiert dafür ausführlich eine Dissertation von Daniela Laube, die bei Peter Lang erschienen ist. Wenn ich den Namen Peter Lang lese, bekomme ich immer Hautausschlag. Hier kann jeder sein Buch drucken lassen, wenn er es bezahlt. Zugestanden, es gibt da mal ein gutes Buch dabei, aber das ist nicht die Regel. Um bei der Harvard University Press gedruckt zu werden wie Amy Kelly, da muss man schon ein wenig mehr vorweisen.

Amy Ruth Kelly, die Tochter eines Richters, hat wie ihr Vater am Oberlin College studiert und dann am Wellesley College ihren Magistertitel erworben. Dort ist sie auch Professorin geworden. Um dann nach sieben Jahren die Leitung der Bryn Mawr School in einer für die Schule schwierigen Zeit zu übernehmen. Nach elf Jahren in Baltimore kehrte sie nach Wellesley zurück, wo sie 1943 pensioniert wurde. Und endlich die Zeit fand, das Buch zu vollenden, an dem sie seit Jahrzehnten arbeitete (und für das sie von in den Ferien auf den Spuren der Königin von Frankreich bis zum Heiligen Land gereist war). Es war ein Buch, das diese Fürstin einem größeren Publikum näher bringen würde. Natürlich nicht in dem Maße wie Katharine Hepburn das in The Lion in Winter geschafft hat (James Goldman, der Autor des Theaterstücks, hatte das Buch von Amy Kelly sehr genau gelesen). Aber als das Buch 1950 erschien, war es ein Bestseller.

Im Gegensatz zu dem phantasievollen Kleidungsstück von Miss Hepburn ist dieser Fuß einer Vase etwas Echtes, was man mit Eleonore verbindet: ein Geschenk von ihr an ihren Gatten Louis VII. Als die Harvard University Press 1948 das Manuskript einer älteren Dame vom Wellesley College auf den Tisch bekam, war man nicht unbedingt begeistert. Doch als das Buch auf die Bestsellerliste der New York Times gelangte und dreizehn Wochen auf dieser Liste blieb, da war man glücklich, dass man das Manuskript angenommen hatte. Es war das erste Buch der Harvard University Press, das es jemals auf diese Liste geschafft hatte. Als man 2013 zur Hundertjahrfeier der University Press eine Liste der hundert wichtigsten Bücher des Verlags veröffentlichte, stand Eleanor of Aquitaine and the Four Kings auf dieser Liste.

Der einflussreiche Literaturkritiker Orville Prescott schrieb damals in seiner Rezension in der New York TimesA chronicle written with a dash and spirit, but with no fictional lapses... As a history of the violent, vigorous, brutal, treacherous, idealistic and generally spectacular twelfth century in Western Europe, Kelly's book is absorbing... I found every bit of it fascinating. Und Thomas Caldecot Chubb urteilte im New York Times Book ReviewAmy Kelly writes truth for truth. When she does not know, she says so. When she guesses, she says she is guessing. She makes no 'attempt to fictionize.' Yet her book reads like colorful romance... rich and stimulating. Das Buch erlebte acht Auflagen innerhalb der nächsten zwölf Jahre und ist heute immer noch lieferbar. Es kostet als Taschenbuch 24,75 €, aber man kann es antiquarisch preisgünstiger bekommen. Die Dissertation von Daniela Laube kostet 44,99 €. Das Buch Eleonore von Aquitanien: Königin der Troubadoure von der französischen Historikerin Régine Pernoud (das wahrlich nicht schlecht ist) kann man als dtv Taschenbuch schon für einen Cent bekommen.

Als Amy Kelly ihr Buch vollendet hatte, ist sie nach Miami zu ihrer jüngeren Schwester gezogen, sie ist nie mehr nach Wellesley oder Bryn Mawr zurückgekehrt. Ein Berufsleben an Amerikas vornehmsten Bildungsanstalten hatte ihr gereicht, obgleich sie dort viele Freunde zurückließ (denen sie aber immer brieflich verbunden blieb). Einer von ihnen war Vladimir Nabokov (seine Frau Vera hatte die Korrekturen von Eleanor of Aquitaine and the Four Kings gelesen), der 1950 an Katharine White vom New Yorker schrieb: I wonder if you have had an opportunity to glance at Amy Kelly's charming and scholarly book, Eleanor and the Four Kings?Amy Kelly ist 1962 im gesegneten Alter von 85 Jahren in Miami gestorben. Der Nachruf im Miami Herald hatte den Titel She Was Amy of Aquitaine und war von keiner Geringeren als von Marjory Stoneman Douglas geschrieben. Als Königin hatte Amy Kelly ihr akademisches Leben begonnen: sie war im Jahre 1900 Queen of the May in Oberlin gewesen.

Heute heißen die Bestseller nicht mehr Eleanor of Aquitaine and the Four Kings sondern The Summer Queen und sind Book of the Year der New York Times. Wenn es ganz schlimm kommt, dann heißt das Buch Die Löwin von Aquitanien und ist von Tanja Kinkel. Das Buch wird, wen sollte es wundern, in dem deutschen Wikipedia Artikel erwähnt. Ich habe einmal einen halben Roman von Tanja Kinkel gelesen, habe dann aber vor Lachen aufhören müssen. Dagegen ist Trude Wehes ➱Roman Vryheit do ik ju openbar: Roman aus dem alten Bremen ja beinahe schon hohe Literatur. Das Mittelalter hat seit Jahren Konjunktur, ob in den Fantasy Filmen (zu denen es ➱hier einen langen Post gibt) oder in historischen Romanen, die selten das Niveau von Umberto Ecos Der Name der Rose erreichen. Wenn die Geschichte des Mittelalters einer größeren Öffentlichkeit nahegebracht werden soll, dann sind Tanja Kinkel und Guido Knopp bestimmt nicht die richtigen Wegführer.

Was man natürlich lesen kann, wenn man einen schönen Roman aus der Provence im 12. Jahrhundert sucht, ist Wolf von Niebelschütz' Die Kinder der Finsternis. Fand ich auch für einen Euro bei meinem Hinterhofhöker. Was ist das nur für ein Roman! Allein der Anfang: Es lag ein Bischof tot in einer Mur am Zederngebirge fünf Stunden schon unter strömenden Wolkenbrüchen. Die Mur war hinabgemalmt mit ihm und seinen Karren und seinen Maultieren und seiner Geliebten, unter ihm fort, über ihn hin, als schmettere das Erdreich ihn in den Schlund der Hölle, kurz vor Anbruch der Nacht.
     Fünf Stunden donnerten die Gießbäche, Felsen und Schuttlawinen; die Bergflanke bebte. Fünf Stunden kauerte die Geliebte neben dem Gehaßten, unverletzt, naß bis zur Haut, frierend, obwohl es warm war. Fünf Stunden schrien und keilten hufoben die Mulis und rüttelten durch das verknäulte Geschirr den Wagenkasten, der ohne Räder hintüber auf dem Steinmeer saß, bedeckt von grauenvoller Dunkelheit.
     In der sechsten hob sich die Regenbank, der Mond jagte hinter finsteren Schleiern und bestrahlte im Winkel den weich lehnenden Leichnam, dessen Blicke erglitzerten, loschen, glitzerten. Sein höhnisch zudringliches Schillern steigerte die Angst der Verlassenen. Aus Angst, er sei nur betäubt gewesen, wagte sie nicht, ihm die Lider zu schließen; aus Angst vor den Muren wagte sie keine Flucht... Zwar hat der zu Unrecht ein wenig vergessene deutsche Schriftsteller ➱hier schon einen Post, aber ich glaube, ich schreibe noch einmal über ihn.

Als der Kunsthistoriker ➱Wolfgang J. Müller den Hörern seiner Vorlesung empfahl, das gerade erschienene Buch des französischen Historikers Jacques Le Goff über das Hochmittelalter zu lesen, habe ich das getan. Die Literaturhinweise von Müller waren immer fruchtbringend (ebenso wie die Lesetips meines Freundes Peter), durch ihn bin ich auf Erwin Panofsky und ➱Aby Warburg gekommen. In den Lehrveranstaltungen von Professor Tintelnot bekam man keine fruchtbringenden Leseempfehlungen. Tintelnot war der Ordinarius, Müller nur Wissenschaftlicher Rat und außerplanmäßiger Professor. Es war das erste, was ich an der Universität lernte: dass Titel und höhere Bezahlung keine Garantie für Qualität der Lehre waren.

Den französischen Historiker Georges Duby habe ich schon in den Posts ➱Marschälle und ➱Charlemagne erwähnt. Ich zitiere einmal daraus einige Sätze: Der berühmteste Ritter in der Zeit, Guillaume le Maréchal, ist aber kein Marschall von Frankreich, der dient allen englischen Königen aus dem Hause Plantagenet. Der französische Historiker Georges Duby hat ein wunderbares Buch über ihn geschrieben. Für das Mittelalter sind die französischen Sozialhistoriker in der Nachfolge von Lucien Febvre, ob nun Jacques le Goff oder Georges Duby, Spitzenklasse. Man kann sie lesen und verstehen, was man von deutschen Historikern nicht unbedingt sagen kann.

Die Wege von Guillaume le Maréchal und der schönen Eleonore werden sich immer wieder kreuzen, nicht nur deshalb kann man das Buch Guillaume le Maréchal oder der beste aller Ritter hier empfehlen. Aber Georges Duby ist auch einer der wenigen Historiker, der in seinem Werk Women of the Twelfth century versucht hat, die Bedeutung der Frauen im Mittelalter zu verstehen. Ich muss das auf Englisch zitieren, weil ich die englische Ausgabe habe (natürlich gibt es das Werk als Frauen im 12. Jahrhundert auch auf Deutsch):

The middle ages were resolutely male. All the opinions that reach and inform me were held by men, convinced of the superiority of their sex. I hear only them. Nevertheless, I listen to them speaking here about desire, and consequently about women. Men were afraid of them and, to reassure themselves, despised them. My aim is to reveal the hidden part, the feminine. To find out what women were in those distant times, that is my present endeavour.

Wir haben nicht viel an wirklichen Quellen über das Leben von Eleonore, rarely in the course of historical endeavor has so much been written, over so many centuries, about one woman of whom we know so little, sagen John Carmi Parsons und Bonnie Wheeler im Vorwort von Eleanor of Aquitaine: Lord and Lady. Wir wissen aber, wie ihre Zeitgenossen über sie dachten, ein schlechter Ruf verbreitet sich schnell. Auch im Mittelalter.

Im übrigen war Eleonore um 1190 bereits an allen Höfen die legendäre Heldin einer Skandalgeschichte, schreibt Duby in Frauen im 12. Jahrhundert, wo wir auch lesen können: Wer immer damals von Eleonore reden hörte, dachte an Sex. Sex, das Hauptthema des Roman de Renard in den sprühendsten Teilen seiner Gesellschaftskritik. Eleonore alias Ermeline, alias Fière, alias Hersent - diese Frau ist die Inkarnation der Wollust, der 'Schleckerei'. Sie denkt nur an das Eine, und im Grunde soll es den Männern recht sein, da die Frau aus ihrer Sicht ein Spielzeug ist, umso anziehender, je mehr sie von Begierde brennt.

Und diese Legenden von der sexbesessenen Königin greifen die Autoren von historischen Romanen gerne auf, Sex sells. Sie soll es ja mit jedem treiben, auf dem Kreuzzug sogar mit Sarazenen. Schon die Autoren des Mittelalters verbreiten diese Geschichten. Nur ➱Katharina der Großen wird ein Sexleben von ähnlichen Dimensionen angedichtet. Über die gibt es schon einen Porno (Katharina und ihre wilden Hengste), das ist Eleonor glücklicherweise erspart geblieben. Bisher. Romantitel wie Die Königin und die Hure gibt es allerdings schon.

Auch mit einem ihrer Hofdichter, nämlich Bernart de Ventadorn, soll sie eine Liebesaffäre gehabt haben. Lassen Sie mich von diesem Troubadour einmal ein berühmtes Gedicht zitieren - in der schönen Übersetzung von ➱Ezra Pound:

The Lark

When I see the lark a-moving
For joy his wings against the sunlight,
Who forgets himself and lets himself fall
For the sweetness which goes into his heart;
Ai! what great envy comes unto me for him whom I see so rejoicing!
I marvel that my heart melts not for desiring.
Alas! I thought I knew so much
Of Love, and I know so little of it, for I cannot
Hold myself from loving
Her from whom I shall never have anything toward.
She hath all my heart from me, and she hath from me all my wit
And myself and all that is mine.
And when she took it from me she left me naught
Save desiring and a yearning heart.


Sie können das cançon ➱hier auch im Originaltext hören.

Die Vielzahl der Bücher über Eleonore - von seriösen historischen Darstellungen bis zu romanhaften Schmonzetten - täuscht darüber hinweg, dass wir, wie schon gesagt, nicht sehr viel über die Frau wissen (auf diesem Bild soll sie die linke der beiden Personen sein). Dass ihre Großmutter wirklich Dangereuse hieß, das ist wahr. Wir wissen aber nicht, ob Eleonore wirklich als Amazone verkleidet auf einem weißen Pferd durch Vézelay geritten ist und dem Abbé Bernhard von Clairvaux tausend Vasallen für einen Kreuzzug offerierte. Die französischen Chronisten ihrer Zeit sind merkwürdig schweigsam, erst in den Schriften der englischen Chronisten gewinnt sie Konturen. Und achthundert Jahre nach ihrem Tod bleibt einem Historiker wie Jean Flori in seinem Buch Eleanor of Aquitaine: Queen and Rebel erst einmal die Aufgabe, mit allen Mythen aufzuräumen. So, wie ein Uhrmacher erst einmal die Fehler von vielen Kollegen rückgängig machen muss, bevor er sich an die Reparatur der Uhr macht.

Auf der Suche nach historischer Wahrheit hilft es uns wenig, wenn wir im Stern lesen können: Was für ein Weib! Ein Kämpferherz unter dem aufreizenden Mieder! Ein Verstand, der schärfer schneidet als das Schwert Excalibur. Süßes Gift und Grande Dame. Ihre Schönheit, die sie noch mit weißem Zopf begehrenswert macht, steht ihrer Machtgier in nichts nach. Mit ihrem gnadenlosen Ehrgeiz hat sie sich Männer, Mönche und Monarchen zu Geliebten oder Todfeinden gemacht: den König von Frankreich, ihren ersten Gemahl, mit seinen besten Männern betrogen, gegen den zweiten, den König von England, Rebellionen geschürt! Und dieses ➱Buch wird man auch nicht unbedingt empfehlen können, aber der Bestsellerstatus ist garantiert.

Als Ludwig der Dicke (der im Französischen le Gros, im Englischen the Fat heißt) seinen Sohn aus dem Kloster holt, um ihn mit der Tochter des verstorbenen Herzogs von Aquitanien zu verheiraten, da hat er nur den Machtzuwachs im Kopf. Denn Aquitanien (hier hellrot) ist ein ziemlicher Batzen von Frankreich. Seinen Sohn, Ludwig VII, hatte er in die Obhut von dem Abt Suger in der Kathedralschule von Saint-Denis bei Paris gegeben. Den kannte er, sie waren auf der selben Schule gewesen. Suger von St Denis (der ➱hier schon erwähnt wird), ist ein mächtiger Mann, wenn Ludwig VII mit Eleonore zum Kreuzzug aufbricht (im Bild weiter oben können wir die Trauung und den Aufbruch zum Kreuzzug sehen), wird er Suger zum Regenten Frankreichs bestimmen.

Im Waschzettel zu dem Buch von Georges Duby Mütter, Witwen, Konkubinen: Die Frau im zwölften Jahrhundert heißt es über die Rolle der Frau: Mit dem Ende der Kindheit – spätestens mit 14 Jahren – wurden sie verheiratet und hatten zur einzigen Aufgabe, möglichst viele Kinder in die Welt zu setzen. Wenn diese Rolle als Mutter „ausgereizt“, ihre Reproduktionsfähigkeit erschöpft und ausgebeutet war, zogen sich die Frauen – häufig verwitwet – in die Rolle der Matrone zurück. In dieser Position entfalteten sie erstaunliche Macht über die – im Adel ja immer auch politisch und finanziell bedeutsamen – Familienangelegenheiten. Sie wird ihrer Rolle gerecht, sie wird Königin von Frankreich und dann Königin von England. Sie wird zehn Kinder gebären, von denen ihre Söhne Richard Löwenherz und Johann Ohneland die berühmtesten werden.

Romanautoren wie Tanja Kinkel wissen natürlich mehr als die seriösen Historiker: An dem Abend, als die zukünftige Erbin von Aquitanien gezeugt wurde, gab es weder Gewitter, seltsame Vogelflüge noch sonstige ausdeutbare Vorzeichen. Man könnte allerdings einen äußerst heftigen Zornesausbruch ihres Großvaters dafür in Anspruch nehmen. Doch die Höflinge um Guillaume IX waren seine Wutanfälle ebenso gewohnt wie sein schallendes Lachen, seinen funkelnden Witz oder seine Lieder. So sahen sie auch jetzt nicht beunruhigt, sondern milde belustigt zu, wie der Herzog von Aquitanien, Herr über die Gascogne, das Poitou, die Auvergne, Angouleme und Dutzende weitere Domänen, auf seinen ältesten Sohn und Erben einschrie, der den gleichen Namen trug. »Hölle und Teufel, Guillaume, ich werde mir das nicht länger anhören! Was ich tue und mit wem ich ins Bett gehe, entscheide alleine ich!« Guillaume der Jüngere sah unglücklich drein. Er besaß die riesige Gestalt seines Vaters, doch längst nicht dessen hitziges Gemüt, und obgleich ihm niemand mangelnde Tapferkeit nachsagen hätte können, haßte er im Grunde seines Wesens Streitereien. Gleichzeitig war er bei aller Friedfertigkeit aber auch halsstarrig, und wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, hielt er mit der Zähigkeit eines unbeweglichen Menschen daran fest. »Euer Gnaden«, entgegnete er nun, »es geht mir nur darum, daß Ihr sie behandelt, als wäre sie die Herzogin selbst und dadurch meine Stiefmutter. Unser ganzes Haus wird beschämt.« »Was die Ehre unseres Hauses betrifft«, gab der Herzog gereizt zurück, »bestimme ich. Und bei Gott, mein Sohn, die Dame ist deine Schwiegermutter, also erweise ihr gefälligst den gebührenden Respekt und sprich mir nicht von Familienehre! Schließlich bist du mit ihrer Tochter verheiratet. Auch wenn man«, schloß er mit einem sarkastischen Unterton, »bis jetzt nicht viel davon merkt.« Guillaume errötete bis an die Wurzeln seines ebenfalls roten Haares. Er zwang sich, ruhig zu bleiben, und erwiderte: »Genau darum geht es, Euer Gnaden. Diese Frau, die in den Augen der heiligen Kirche so gut wie Eure Schwester ist, zu Eurer Geliebten zu machen, ist Gott und den Menschen ein Greuel und...« »Halt den Mund!« donnerte der Herzog.... Das musste mal eben zitiert werden. Für so etwas müssen in Finnland Bäume gefällt werden.

Wie soll ein Biograph schreiben? Nicht wie Tanja Kinkel, das ist uns klar. Aber wohl auch nicht so, dass man das Buch gleich verfilmen könnte. Simon Schama, der immer sehr lebendig schreibt, hat in seinem ➱Essay Clio at the Multiplex im New Yorker dazu einiges zu sagen. Macaulay empfahl seinen Kollegen, die historischen Romane von ➱Sir Walter Scott zum Vorbild zu nehmen. Heute gibt es Profis wie Helen Sword, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den Stil akademischer Publikationen zu verbessern. In ihrem Buch Stylish Academic Writing sagt sie: Stylish academic writing can be serious, entertaining, straightforward, poetic, unpretentious, ornate, intimate, impersonal, and much in between. Auf Amy Kelly trifft das alles zu.

Sonntag, 28. Dezember 2014

Weihnachtskarten


Früher habe ich Weihnachtskarten gekauft, meist von Unicef und anderen karitativen Organisationen. Dann fand ich das nicht so originell und habe begonnen, Karten zu zeichnen und zu kolorieren. Der Begriff Künstlerpostkarte wäre jetzt zu hoch gegriffen. Das war aber à la longue zu aufwendig, und so verschickte ich Kunstpostkarten.

Womit ich nur meinen Freund Peter nachahmte, der das schon seit Jahrzehnten macht. Der weiß, dass ich seit dem Studium diesen Zettelkasten habe, in den ich alle Kunstpostkarten hinein tue. Früher haben wir uns in den Semesterferien abgefragt. Jeder hatte seinen Zettelkasten, und dann ging es los. Das übt das Sehen ungemein. Die Bilderflut, die uns aus dem Computer entgegen strömt, gab es damals noch nicht. Wir schulten unser Bildergedächnis (➱Aby Warburg hätte seine Freude daran gehabt) an Postkarten. Im Rigorosum kriegte ich einen kleinen Bilderschnipsel vorgelegt, keine drei Quadratzentimeter groß. Ich guckte einmal hin und sagte: Rogier van der Weyden. Das beeindruckte ➱Wolfgang J. Müller wohl so sehr, dass er auf weitere Tests verzichtete. Dies hier ist ein früher Lenbach: Dörflicher Friedhofseingang, das Bild kannte ich noch nicht. Ist natürlich auf der Qualtätspostkarte von Peter viel besser als diese Abbildung.

Als ich 2011 über ➱Lenbach schrieb, habe ich zu diesem Bild (das fünf Jahre nach der Friedhofsmauer entstand) gesagt: Dabei hatte der junge Franz Seraph Lenbach, der heute vor 175 Jahren geboren wurde, einmal ganz anders angefangen. Als Deutschlands erster plein air Maler, wie man auf diesem Bild aus dem Sommer 1859 sehen kann. Nimmt sozusagen den Impressionismus vorweg. Aber wenn man viel Geld verdienen will und ein Münchener Malerfürst werden will, ist Impressionismus nicht so gut. Da sind Reichskanzler und Hirtenknaben schon eine sichere Bank. Dies ist der Augenblick, wo sich talentierte Maler entscheiden können: gehen sie den Weg der Lichtmalerei oder malen sie totes Zeug wie Genremalerei, Historienmalerei und Promi-Portraits? Die meisten deutschen Maler entscheiden sich für den zweiten Weg. Ähnliches steht auch in dem ➱Lenbach Post aus dem Jahre 2014.

Dies ist kein Lenbach, die ist ein Landschaftsbild von Giorgio Morandi. Guck Dir das gut an, Georg, das war Deine Weihnachtskarte. Ist unglücklicherweise in dieser vorweihnachtlichen Verpackungshysterie in das Päckchen von Peter geraten. Von wo sie wieder zu mir kam. Jetzt behalte ich sie. Tue sie in meinem Zettelkasten. Ich finde manche seiner Landschaften sehr schön, viel besser als seine ganzen Bilderserien von Flaschen, Krügen, Bechern und Schalen.

Ich habe auch eine Karte aus der Gothic Ausstellung der British Library bekommen. Wenn Sie den Post ➱Gothick gelesen haben, dann werden Sie sich schon denken können, von wem die kam. Sehr hübsch war auch diese Karte von Raoul Dufy, die aus Frankreich kam. Wenn da etwas mehr Sonne drauf wäre, hätte ich die Abbildung noch in den Post der ➱Strandbilder getan. Noch schöner als die Karte war natürlich das Buch, das sie begleitete: ein Buch über den Strandmaler Eugène Boudin. Der hier in den Posts ➱Eugène Boudin und ➱Le Tréport natürlich schon einmal vorkommt.

Ich bekomme natürlich nicht nur Weihnachtskarten zum Fest. Ich bekomme auch schöne Bücher (viel zu Proust), ausgesuchte Bremensien (wie ein Biographie des Bremer Bürgermeisters ➱Johann Smidt), ausländische Düfte, kanadischen (!) Single Malt Whisky und einen hundert Jahre alten Katalog der Firma Ellwood Hats in London, die offensichtlich einmal der führende Hersteller von ➱Tropenhelmen waren. Jetzt kann ich anfangen, mich zu bedanken. Natürlich auf Kunstpostkarten. Und wenn Sie jemals solch eine Dose geschenkt bekommen: stellen Sie sie irgendwo hin. Aber machen Sie sie nicht auf.

Freitag, 26. Dezember 2014

Fremdenlegion


Mit kleinen, gut getarnten Kommandounternehmen hielt Giap die Franzosen immer wieder so auch am 24. Dezember, bei schlechter Laune. Dazu ein kalter Nieselregen, dem sogenannten 'Crachin', verdarb den Truppen die Stimmung auf Nüsse, Kekse und Glühwein, welcher extra von Hanoi herbeigeflogen wurde. Navarre ist zu der Feierlichkeit angereist, um der Garnison zu zeigen, wie er zu der Truppe stehe. Nicht Cogny, sondern er sei der Chef von allen. De Castries und Navarre besuchten die einzelnen Bataillone auf einer Visite, gaben mal hier, mal da ein mitgebrachtes, feines Fläschchen aus. Einige Kompanien hatten provisorische Christbäume aufgestellt, welche eher skurril und schrill auf den Befestigungen wirkten als weihnachtlich. Aus Bambusrohren zusammengebastelte Weihnachtsbäume, als Lametta musste der überall rumliegende Stacheldraht herhalten und eingefärbte Eierhandgranaten sollten wohl den Zweck von Weihnachtskugeln liebevoll erfüllen.

Aus vielen Palettenbrettern, bunten Fallschirmen wurde neben dem Hauptquartier von den Pionieren der Fremdenlegion ein Baldachin mit einem Altar zusammengebastelt, der von sieben großen Kerzenhaltern mit brennenden Kerzen flankiert wurde. Lange, mystisch anmutende Schatten wurden so gegen die aufgespannten Fallschirme geworfen, welche eine gewisse Spannung unter den Beteiligten aufkommen ließ. Der Eindruck wurde noch durch das große Kruzifix aus Bambushalmen verstärkt, welches sich wie ein Wächter über den Altar schützend stellte.

Ob Schwarzafrikaner, Indochinesen, Europäer und sogar Araber lauschten bei dem wieder eingesetzten, jedoch mildem Nieselregen wie die frommen Schäflein ihrem christlichen Hirten. Die Gedanken der anwesenden Soldaten verflogen, als nun Navarre, de Castries, sein marokkanischer Bursche und seine Sekretärin auftauchten. Madame Pauline Bourgeade hatte sich extra sauber rausgeputzt, trug ihrem Chef seine Reitergarde mit schwarzen, ledernen Handschuhen. Knallrote Lippen, grelle, blaue Schminke, extravaganter, tiefausgeschnittener Tarnoverall, zierte die nicht gerade weihnachtlich gestylte, aufreizende Sekretärin. So blickte sie mit verschränkten Armen, Zigarette im Mund, die Reitergarde unter ihrer Achsel geklemmt, etwas entfernt vom Altar, streng auf das Tun des Predigers. Die Legionäre wussten nicht, wohin sie zuerst schauen sollten. Zum Prediger oder zur Sünde.

War es so? Der Text, der Weihnachten in Dien Bien Phu betitelt ist, findet sich auf einer Internetseite. Allerdings war der Autor nicht dabei, im Gegensatz zu Peter Scholl-Latour, der über seine Erlebnisse als Fallschirmjäger in Indochina in Tod im Reisfeld geschrieben hat, war dieser Autor niemals in der Fremdenlegion. Er war nicht einmal bei der Bundeswehr, wie er auf seiner Seite gesteht. Man wüsste es auch so, dass der Text etwas nachträglich Verfertigtes ist. Zu viele Adjektive und Adverbien. Die zu zählen ist immer ein guter Test für schlechte Literatur. Der Detailreichtum beeindruckt. Nicht nur Sätze über Colonel de Castries wie: im Schlepptau seine adrette, gut proportionierte und grell geschminkte 28jährige Sekretärin Pauline Bourgeade, die von einem grellen Gepfeife der Kolonialsoldaten begrüßt wurde, nein, auch die Badewanne von de Castries wird nicht vergessen.
 
Die hatte der Mann aus einer alten Adelsfamilie für sich einfliegen lassen, es ist ein wenig absurd. Rundherum sterben die Soldaten, und der Colonel sitzt im Bunker und hat eine Badewanne. Die Geschichte mit der Badewanne kennt auch Rainer Calmund, dessen Vater in Dien Bien Phu gefallen ist. Der Colonel de Castries ist noch während der Schlacht von Dien Bien Phu zum General ernannt worden, ähnlich wie man Paulus während der Schlacht von Stalingrad zum Feldmarschall gemacht hat. Aber das hat nichts geholfen, Dien Bien Phu bedeutet das Ende der französischen Kolonialherrschaft in Indochina.

Ich konnte den fremden Ortsnamen schon früh ausprechen, wenn Jängjängfu die richtige Aussprache ist. Auf jeden Fall klang das so im Radio. Ich hatte bei uns im Keller einen alten Volksempfänger gefunden, der erstaunlicherweise noch funktionierte. Die Senderzahl war begrenzt, AFN und BFN konnte ich leider nicht empfangen. Aber die Schlacht um Dien Bhien Phu und das Schicksal der Frau, die man den Engel von Dien Bhien Phu nennt, die verfolgte ich jeden Tag. Ich bangte um das das Leben von Geneviève de Galard-Terraube. Bemühte mich, ihren Namen richtig auszusprechen. 

Später sah ich sie in der Wochenschau, als Präsident Eisenhower ihr einen Orden verlieh, da trug sie eine weiße Uniform. Eisenhower hat bei der Ordensverleihung gesagt: Mademoiselle Geneviève de Galard-Terraube, French Airborne Nurse, by her ministrations to the sick and wounded at Dien Bien Phu, inspired and heartened the entire free world. Her service to her comrades, marked by the courage of a woman in battle and by the devotion of a nurse to her sworn duty, has been unsurpassed in this century. Her supreme fortitude in hours of peril, her unfaltering dedication to her mission reflected the greatness of spirit manifested on many fields, in many centuries, by the soldiers of France.

Da war der Krieg schon zu Ende. Wer nicht in Gefangenschaft geraten war, kam mit der Pasteur zurück. Hier ist sie auf dem Weg nach Saigon, die képis blancs der Fremdenlegionäre kann man gut erkennen. Wenige Jahre später lag die Pasteur, die jetzt Bremen hieß, bei uns in der Weser. Wurde beim Bremer Vulkan umgebaut, ich konnte sie täglich sehen.

Als sie ankam, hatte sie nichts mehr von einem stolzen Passagierschiff an sich. Als sie den Vulkan verließ, galt sie als das schönste Schiff seiner Zeit. Das Piano im großen Salon war schneeweiß. Das hat mir Peter erzählt, der die Bremen dank einer Führung des Direktors vom Vulkan besichtigte, bevor sie abgeliefert wurde. Ich hätte dabei sein können, war es aber nicht. Ich konnte diesen Direktor des Bremer Vulkans nicht ausstehen.

Auf der alten Bremen, dem Stolz des Norddeutschen Lloyds, hatte Opa einmal in den dreißiger Jahren eine Schiffsreise für sich und Oma gebucht. Von Bremerhaven nach Southampton, Touristenklasse. Zurück ging's mit Fähre und Bahn. Er hatte eine Speisekarte von dieser Reise aufbewahrt, die meine Mutter blöderweise der Reederei der neuen Bremen geschenkt hat.

Sie kriegt einen Dankesbrief dafür und einen bunten Prospekt. Ich fand das richtig doof, eine originale Speisekarte von einem Bremer Schiff wegzuschenken, welches einmal das Blaue Band errungen hat. Dass die Pasteur zuvor kein Passagierschiff mehr war, sondern nur noch ein Truppentransporter, wusste ich damals nicht, aber Hans Fander hat mir erzählt, dass er mit diesem Schiff nach Frankreich zurückgekommen ist (lesen Sie mehr in dem letzten Absatz von Monte Carlo, or Bust!).

Die Schlacht von Dien Bien Phu kam auch noch einmal in mein Leben zurück. Nicht nur bei den Bildern von der Vicomtesse in der Wochenschau, als sie damals heiratete. Nein, das war 1964 in Frankreich in La Courtine, als der patron der kleinen Gaststätte unten im Ort, der mit der Legion in Dien Bien Phu gewesen war, uns beim Abendessen davon erzählte. Sie können die Geschichte in dem Post Élysée Vertrag lesen, der ruhig noch einige Leser bekommen könnte. Der ehemalige Legionär hatte aus Indochina seine Frau mitgebracht, aber Madame kochte jetzt französisch. Spezialitäten aus ihrer Heimat habe ich da nie auf der kleinen Speisekarte gesehen.

Was damals nicht auf den Tisch kam, war ein Wein der Fremdenlegion. Ja, das gibt es. Weiß ich auch erst seit Weihnachten, weil ich da drei Flaschen davon von Hans Fander geschenkt bekommen habe. Der als junger Mann mal in der Legion war. Und dann gleich in Indochina. Ach, da auf dem Bahnhof stand ein Zug voll mit jungen Leuten, da bin ich einfach eingestiegen, hat er gesagt, als ich ihn einmal fragte, wie er in die Legion gekommen sei. Das kann natürlich nicht die ganze Geschichte sein. Ich hoffe, dass er sie einmal auf seiner Seite selbst erzählt. Um einen Eindruck von seinen Geschichten zu bekommen, sollten Sie hier einmal Der Weg nach Barbarenque von ihm lesen. Die Bilder auf der Seite sind auch von ihm.

Wenn Sie mich jetzt fragen, was das Bild von Manet von der Erschießung des Kaisers Maximilian an dieser Stelle soll, dann habe ich natürlich eine Antwort. Natürlich ist es auch da, um auf den Post Edouard Manet hinzuweisen, in dem sich eine lange Interpretation des Bildes findet. Und um auf die französische Einmischung in Mexiko hinzuweisen. Denn die kostet nicht nur den Kaiser Maximilian das Leben, sondern auch den Capitaine Jean Danjou von der Fremdenlegion. Für die im Jahre 1831 von Louis-Philippe (einem König, der die Fremde nur zu gut kannte, war er doch einmal Tanzlehrer in Friedrichstadt) gegründete Legion ist der Capitaine Jean Danjou heute noch ein Held. Als man die Institution des Invalides de la Legion Etrangère neunzig Jahre nach dem Gefecht von Camerone gründete, gab man der Domäne, auf der man heute den Wein anbaut, den Namen Capitaine Danjou.

Und das Gefecht von Camerone im Jahre 1863 ist für die Franzosen so etwas Ähnliches wie der Alamo für die Amerikaner. Nur dass es nicht so viele Filme über Capitaine Danjou und Camerone gibt, wie es die über die Colonels James Bowie, William Barret Travis und Davy Crockett gibt. Aber die Legion ehrt ihren Helden jedes Jahr wieder, defiliert an der Prothese seiner Hand vorbei. Sehen Sie hier einen kurzen Film zum 150. Jahrestag der Schlacht von Camerone. Und es fällt jetzt nicht so schwer, beunruhigende Analogien zwischen Camerone und Dien Bien Phu zu finden. Die Legion schickt man immer dorthin, wo gestorben wird, im Krimkrieg waren sie auch dabei.

Filme über die Legion und Legionäre gibt es genug, aber die haben meistens sehr wenig mit der Elitetruppe der französischen Armee zu tun, über die der Marschall Hubert Lyautey sagte: On ne saurait proclamer trop haut les mérites de cette troupe admirable et la bonne fortune que c'est pour la France d'en avoir une telle à son service. In der Phantasiewelt Hollywoods trägt dann Gary Cooper das weiße Képi und flirtet in Morocco mit Marlene Dietrich. Beau Geste lassen wir einmal unerwähnt.

In seinem Buch Visions of Yesterday hat Jeffrey Richards ein langes Kapitel, das The Cinema of Empire heißt. Gäbe es ein französisches Äquivalent zu diesem Buch, dann würde das Kapitel viel kürzer ausfallen. Morocco und Beau Geste sind keine französischen Produktionen. Französische Filme über Indochina oder die Legion, die kann man zählen. Die französische Kolonialarmee kommt in dem bezaubernden kleinen Film Ein Affe im Winter vor, Indochine gewann (wahrscheinlich wegen der Deneuve) einen Oscar. Im gleichen Jahr hatte Pierre Schoendoerffer Dien Bien Phu: Symphonie des Untergangs gedreht, ein Film der hierzulande kaum bekannt wurde. Vielleicht schreibe ich ein anderes Mal noch einmal zu dem Thema Indochina und Popular Culture. Etwas muss aber hier noch erwähnt werden: Edith Piaf hat ihr berühmtes Chanson Non, je ne regrette rien der Fremdenlegion gewidmet. Und die Legion, deren Fallschirmjäger 1961 an dem Putsch gegen de Gaulle teilgenommen hatten, hat das begeistert gesungen.

Von Schauspielern abgesehen, hat es viel Prominenz in den Reihen der Legion gegeben: Louis II. von Monaco, Prinz Aage von Dänemark (der über seine siebzehn Jahre in der Legion in A royal adventurer schrieb. Hier links auf dem Photo neben Oswald Bjerring) und Prinz Louis Napoléon. Manche waren nur ganz kurz in der Legion wie Ernst Jünger oder Arthur Koestler (in Nordafrika desertiert). Blaise Cendrars, der im Krieg einen Arm verlor (und der hier schon einen Post hat), war in der Legion, ebenso wie der spätere SPD Abgeordnete Philip Rosenthal, der darüber sein Buch Einmal Legionär schrieb. Die Legion führt auch Cole Porter als einen der ihren, obgleich dessen Zugehörigkeit nie so ganz geklärt wurde.

Im Indochinakrieg waren elftausend Legionäre gefallen. Darunter auch viele Deutsche, wie der Vater von Rainer Calmund. Aber der Krieg ist mit Dien Bien Phu für die Legion noch nicht zu Ende. Der Krieg ist nie zu Ende. Als wir 1959 in Paris waren, habe ich mich in ein Algerierviertel verlaufen. Die menschenleere Straße da hinein war mit Sandsäcken abgeschirmt. Maschinengewehre obendrauf, ich habe das damals photographiert. Und natürlich war es wieder die Legion, die in Algerien war. Dorthin transportiert von der Pasteur. Wir haben im Juli 1959 (lesen Sie hier mehr dazu) den kleinen blonden Dieter B. in Paris verloren, da hatte unser Diakon Klaus Nebelung schon Angst, dass er der Fremdenlegion in die Fänge geraten wäre. Vor unserer Fahrt hatte man uns Schauergeschichten erzählt, ganz Paris schien nur aus Werbebüros der Legion zu bestehen, die darauf aus waren, blonde Deutsche anzuheuern. Nichts davon war wahr.

Die Amerikaner haben aus den französischen Verlusten nichts gelernt, als sie in Vietnam einmarschierten. Wie sang Tom Paxton so schön: Lyndon Johnson told the nation, "Have no fear of escalation. I am trying everyone to please. Though it isn't really war, We're sending fifty thousand more, To help save Viet Nam from Viet Namese." Die Fremdenlegion hatte auch hohe Zahlen von Verwundeten, und für die wurde die Institution des Invalides de la Legion Etrangère geschaffen. Um die Invaliden, die die Helden der Grande Nation sind, muss man sich kümmern, und das tut man auch. Wein anzubauen, ist vielleicht nicht die schlechteste Beschäftigung. Wundern Sie sich nicht über den Bart dieses Winzers, die Legion ist der einzige Teil der französischen Armee, in der Bärte getragen werden dürfen.

Die Gewinne aus dem Weinverkauf bessern die Kasse der Institution des Invalides de la Legion Étrangère etwas auf. Man braucht nicht wie Hans Fander in der Legion gewesen zu sein, man kann ihn hier in der Boutique de la Légion Étrangère bestellen. Oder man bekommt ihn zu Weihnachten geschenkt, dann schreibt man als kleines Dankeschön einen Post der 'Fremdenlegion' heißt.

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Mittwoch, 24. Dezember 2014

Weihnachtsgeschichte


Wir kennen die Geschichte, sie wird jedes Jahr wieder erzählt. Es wird, wie bei allen Geschichten, immer etwas dazu getan, etwas weggelassen. Vieles sind auch Übersetzungsfehler, die ganze Bibel ist voll davon. Studenten der Kunstgeschichte lernen schon im ersten Semester, dass Moses keine Hörner gewachsen sind, wenn er vom Berg Sinai herabsteigt. Auch wenn der Moses von Michelangelo Hörner hat. Die professionellen Exegeten des Textes tun das ihre zu der Geschichte, um sie ihrem Glauben anzupassen. Und die Maler verwandeln die Erzählung, dass sie in ihr Bild passt. So, dass wir uns das vorstellen können. Dass wir das begreifen können, was da geschehen ist. Das Unbegreifliche wird zu einem Bild.

Der Evangelist Lukas versichert uns: Schon viele haben versucht, die Ereignisse zusammenhängend darzustellen, die Gott unter uns geschehen ließ und mit denen er seine Zusagen eingelöst hat. Diese Ereignisse sind uns überliefert in den Berichten der Augenzeugen, die von Anfang an alles miterlebt hatten und die den Auftrag erhielten, die Botschaft  Gottes weiterzugeben. So habe auch ich mich dazu entschlossen, all diesen Überlieferungen bis hin zu den ersten Anfängen sorgfältig nachzugehen und sie für dich, verehrter Theophilus, in der rechten Ordnung und Abfolge niederzuschreiben. Du sollst dadurch die Zuverlässigkeit der Lehre erkennen, in der du unterwiesen wurdest.

Wie immer die Stadt Davids vor zweitausend Jahren ausgesehen haben mag, auf den Bildern sehen wir ganz andere Landschaften im Hintergrund. Bei Pieter Brueghel findet die Schätzung, die der Kaiser Augustus befohlen hat (zur zeit da Kyrenius Landpfleger in Syrien war), im Winter statt, doch bei Lukas und Matthäus finden wir keine Jahreszeit. Bethlehem sieht hier aus wie ein holländisches Dorf im Schnee, Teiche und Flüsse sind zugefroren. Es könnte das gleiche Dorf sein, das wir auf dem ➱Bild Winterlandschaft mit Eisläufern und Vogelfalle sehen.

Den Hirten auf dem Felde wird die Botschaft von der Geburt Christi zuerst verkündet: VND es waren Hirten in der selbigen gegend auff dem felde / bey den Hürten / die hüteten des nachts jrer Herde. Vnd sihe / des HERRN Engel trat zu jnen / vnd die Klarheit des HERRN leuchtet vmb sie / Vnd sie furchten sich seer. Vnd der Engel sprach zu jnen. Fürchtet euch nicht / Sihe / Jch verkündige euch grosse Freude / die allem Volck widerfaren wird / Denn Euch ist heute der Heiland gebörn / welcher ist Christus der HERR / in der stad Dauid. Vnd das habt zum Zeichen / Jr werdet finden das Kind in windeln gewickelt / vnd in einer Krippen ligen. Vnd als bald ward da bey dem Engel die menge der himelischen Herrscharen / die lobten Gott / vnd sprachen / Ehre sey Gott in der Höhe / Vnd Friede auff Erden / Vnd den Menschen ein wolgefallen.

Irgendwann kommen die drei Heiligen Könige, die wohl gar keine Könige sind. Im griechischen Text heißen sie magoi apo anatolôn, Magier von Osten. Magier, Priester, Sterndeuter, Philosophen, was immer sie sein mögen. Bei Luther sind sie die Weisen aus dem Morgenland: Da Jhesus geborn war zu Bethlehem / im Jüdischenlande zur zeit des königes Herodis / Sihe / da kamen die Weisen vom Morgenland gen Jerusalem / vnd sprachen / Wo ist der newgeborne König der Jüden? Wir haben seinen Sternen gesehen im Morgenland / vnd sind komen jn an zu beten. Dass sie Caspar, Melchior und Balthasar heißen, und dass einer von ihnen schwarz ist, davon finden wir nichts in der Bibel.

Immer wieder wird die Geschichte von den Königen und der Krippe erzählt, meistens von der Kanzel herab. Das klingt dann in den Worten eines englischen Bischofs so: Last we consider the time of their coming, the season of the year. It was no summer progress. A cold coming they had of it at this time of the year, just the worst time of the year to take a journey, and specially a long journey. The ways deep, the weather sharp, the days short, the sun farthest off, in solsitio brumali, the very dead of winter. Venimus, we are come, if that be one, venimus, we are now come, come at this time, that sure is another. Das ist eine Predigt aus dem 17. Jahrhundert, aber sie klingt schon beinahe modern. Das war es wohl auch, was ➱Eliot daran gereizt hat, dieses A cold coming they had of it von Lancelot Andrewes in sein Gedicht Journey of the Magi hinein zu schreiben.

Lancelot Andrewes ist einer der Väter der englischen Bibelübersetzung gewesen, die wir als Authorized Version oder King James Version der Bibel kennen. Wenn wir einmal einen Blick auf Lukas 2 in der King James Version werfen: And it came to pass in those days, that there went out a decree from Caesar Augustus that all the world should be taxed. (And this taxing was first made when Cyrenius was governor of Syria.) And all went to be taxed, every one into his own city. And Joseph also went up from Galilee, out of the city of Nazareth, into Judaea, unto the city of David, which is called Bethlehem; (because he was of the house and lineage of David:) To be taxed with Mary his espoused wife, being great with child. And so it was, that, while they were there, the days were accomplished that she should be delivered. And she brought forth her firstborn son, and wrapped him in swaddling clothes, and laid him in a manger; because there was no room for them in the inn.

Es ist diese einfache Klarheit der Sprache, die nach vierhundert Jahren immer noch eindrucksvoll ist. Das Englische dieser Bibel hat Generationen von Schriftstellern geprägt. Vor allem in Amerika. Ich weiß nicht, wer über Hemingway gesagt hat, dass sein Stil eine Mischung aus der Sprache der Bibel in der King James Version und dem Telegraphenstil von Western Union ist, aber es passt doch gut. Das sagt auch Robert Alter, der Autor von Pen of Iron: American Prose and the King James Bible (Princeton University Press). Auf die Frage Is there a particular essence of the style of the KJV—or its effect on the reader—that is passed down through American prose? antwortete Alter: I don't believe that the effects of the KJV can be reduced to a single “essence.” Different writers have taken away different things from the KJV—for Melville, it was the power of biblical poetry; for Hemingway, the parallel syntax and the attachment to plain language; for Faulkner, certain key biblical terms around which he organized his vision of history and human life. Sogar der Stil von ➱Cormac McCarthy wird bei Robert Alter berücksichtigt.

Wenn man die Bibel in englischer Sprache lesen will, dann hätte ich noch eine Literaturempfehlung. Es ist The Bible Designed to be Read as Literature von Ernest Sutherland Bates, seit 1936 ein kleiner Klassiker. Ich habe es vor Jahren von Georg zu Weihnachten bekommen, ich lese immer darin. Es ist die alte King James Version, allerdings befreit von unnötigem Ballast. Doch die altertümlichen Wendungen wie die schönen thous sind geblieben. Aber wenn man Sprache und Stil der englischen King James Version lobt, sollte man doch unsere Lutherbibel nicht kleinreden. 

Auch sie hat eine große sprachliche Kraft, die die deutsche Sprache und Literatur geprägt haben. Es gilt sicherlich das Wort von Johann Gottfried Herder: Er ists, der die deutsche Sprache, einen schlafenden Riesen, aufgewecket und losgebunden; er ists, der die scholastische Wortkrämerei, wie jene Wechslerische, verschüttet; er hat durch seine Reformation eine ganze Nation zum Denken und Gefühl erhoben. Und Goethe sagt im Gespräch mit Eckermann: Wir wissen gar nicht, was wir Luthern und der Reformation alles zu danken haben. Wir sind frei geworden von den Fesseln geistiger Borniertheit, wir sind in Folge unserer fortwachsenden Kultur fähig geworden, zu Quelle zurückzukehren und das Christentum in seiner Reinheit zu fassen.

Luther schreibt schon frühneuhochdeutsch. Einige Sprachstufen zurück, im Gotischen, hätte die Weihachtsgeschichte in der Bibel des Wulfila so ausgesehen: Warþ þan in dagans jainans, urrann gagrefts fram kaisara Agustau, gameljan allana midjungard. soh þan gilstrameleins frumista warþ at (wisandin kindina Swriais) raginondin Saurim Kwreinaiau. jah iddjedun allai, ei melidai weseina, ƕarjizuh in seinai baurg. Urrann þan jah Iosef us Galeilaia, us baurg Nazaraiþ, in Iudaian, in baurg Daweidis sei haitada Beþlaihaim, duþe ei was us garda fadreinais Daweidis, anameljan miþ Mariin sei in fragiftim was imma qeins, wisandein inkilþon. warþ þan, miþþanei þo wesun jainar, usfullnodedun dagos du bairan izai. jah gabar sunu seinana þana frumabaur jah biwand ina jah galagida ina in uzetin, unte ni was im rumis in stada þamma. 

Ich habe im Studium ein Gotisch Proseminar besucht, weiß aber nichts mehr davon; weiß nur noch, dass ahak die Taube heißt, weil das das erste Wort im Lexikon war. Und selbst wenn wir das Warþ þan in dagans jainans verstehen können, den Rest können wir nicht lesen. Und deshalb gibt es den Anfang der Weihnachtsgeschichte nach Lukas noch einmal im frühneuhochdeutschen Original:

Es begab sich aber zu der zeit / Das ein Gebot von dem Keiser Augusto ausgieng / Das alle Welt geschetzt würde. Vnd diese Schatzung war die allererste / vnd geschach zur zeit / da Kyrenius Landpfleger in Syrien war. Vnd jederman gieng / das er sich schetzen liesse / ein jglicher in seine Stad. Da machet sich auff auch Joseph / aus Galilea / aus der stad Nazareth / in das Jüdischeland / zur stad Dauid / die da heisst Bethlehem / Darumb das er von dem Hause vnd geschlechte Dauid war / Auff das er sich schetzen liesse mit Maria seinem vertraweten Weibe / die war schwanger. Vnd als sie daselbst waren / kam die zeit / das sie geberen solte. Vnd sie gebar jren ersten Son / vnd wickelt jn in Windeln / vnd leget jn in eine Krippen / Denn sie hatten sonst keinen raum in der Herberge.

Ich wünsche all mein Lesern ein frohes Weihnachtsfest, auch wenn das Wetter mit Dauerregen und frühlingshaften Temperaturen keine ➱Weihnachtsgefühle aufkommen lässt. Aber das hat es auch schon einmal gegeben. So notierte der Pfarrer Gilbert White am 27. Dezember 1768 in seinem Tagebuch: Weather more than April than the end of December. Hedgesparrow sings.

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