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Samstag, 25. April 2015
Fickfackerei
Hilde Goldschmidt, die das Gymnasium in Elberfeld besuchte, erinnerte sich später daran, dass in ihrer Familie immer Thomas Mann gelesen wurde: Das war Tradition in der Familie. Wenn man zu einem Geburtstag eingeladen war, schenkte man ein Buch von Thomas Mann. Mein Vater sagte immer: ‚Gib Buddenbrooks.' Sie wollte Jura studieren, aber dann kam Adolf Hitler, und Hilde Goldschmidt verließ die Schule. Sie war deutsch und blond, aber sie war jüdisch. Sie lernte Stenographie (deutsch, englisch und französisch) und Schreibmaschine und heiratete einen Dr Heinz Kahn. 1937, da war sie zwanzig Jahre alt, emigriert sie nach Amerika. Und wird eines Tages die Sekretärin des Mannes, den sie zuvor mit Begeisterung gelesen hatte. Tippt seine Korrespondenz und seine Romane. Ich war ihm nah, er wirkte weit weg, hat sie einmal gesagt.
Nach der ersten Begegnung in ➱Pacific Palisades hielt sie fest: Seine schlanke Gestalt, sorgfältig, aber bei weitem nicht teuer oder vom Maß-Schneider gekleidet, das Diplomatengesicht mit den leuchtenden blauen Augen und den grauen Schläfen zu den sonst noch ganz schwarzen Haaren. Wenn sie sich da mal in Bezug auf die Anzüge nicht täuscht, die sehen mir immer nach Schneiderarbeit aus. Der Schriftsteller hält es in Bezug auf die Mode mit den Sätzen, die sich in Tonio Kröger finden: Ach, lassen Sie mich mit meinen Gewändern in Ruh, Lisaweta Iwanowna! Wünschten Sie, daß ich in einer zerrissenen Sammetjacke oder einer rotseidenen Weste umherliefe? Man ist als Künstler innerlich immer Abenteurer genug. Äußerlich soll man sich gut anziehen, zum Teufel, und sich benehmen wie ein anständiger Mensch.
Hilde Kahn wird kein Teil der Familie, sie ist auf keinem Photo (auch auf diesem nicht, das Farbphoto unten zeigt Susanne Schäfer, die in dem Film Die Manns: Ein Jahrhundertroman Hilde Kahn spielt), man hält die Kahn auf Distanz. Erst am Ende der zehn Jahre, die sie für den Schriftsteller arbeitet, versteht sich Katia Mann zu der Anrede Hilde. Ansonsten bleibt sie ohne Vornamen, in den Tagebüchern ist immer nur von die Kahn die Rede. Sätze wie Nach dem Thee: Diktate an die Kahn sind typisch.
Die Teesorte, die immer um halb fünf mit Ingwerkeksen serviert wird, ist natürlich Earl Grey. Thomas Mann erscheint als letzter, nach seiner Mittagsruhe von seinem im zweiten Stock gelegenen Schlafzimmer wie vom Olymp herabsteigend, erfrischt und neu belebt, umduftet von einem zarten Hauch von Veilchenwasser. Er erklärte mir einmal, daß auch Goethe den Veilchengeruch geliebt habe. Über die Nebensächlichkeiten wissen wir viel, aber der Mensch Thomas Mann bleibt ein Rätsel. Ich habe die Biographien von Peter de Mendelssohn und Klaus Harpprecht (und viele andere) gelesen, ich kenne ihn immer noch nicht. Ich weiß jetzt nicht, ob Veilchenwasser wirklich der richtige Duft für den Herrn ist. Ich würde ja eher ➱Penhaligons Blenheim Bouquet (oder das preiswerte Wellington von Trumper) nehmen.
Die jüngsten im Haushalt verehren Hilde Kahn, Thomas Mann sagt ihr eines Tages: Also, der Frido hat sich ganz in Sie verliebt, er hat gesagt: 'Die Frau hat Locken'! Der Frido wird seine Zeit in der Familie eines Tages als Hölle bezeichnen, da ist es doch schön, wenn da mal ein blonder Engel auftaucht: Es gibt für mich allerdings noch eine ganz besondere Hausgenossin, die oft am Nachmittag auftaucht. Es ist die auch aus Deutschland emigrierte Sekretärin meines Großvaters, Hilde Kahn, eine feine, attraktive junge Dame mit glänzender Gesichtshaut und stark geschminktem Rosenmund. Sie ist mein erster erotischer Schwarm. Ich fühle mich von der sich immer diskret im Hintergrund haltenden, schönen Frau früh verzaubert. 'Die Frau Kahn hat schöne Beine', bekenne ich als Sechs- oder Siebenjähriger... Thomas Mann schreibt die Kahn eines Tages in das Manuskript von Die Entstehung des Doktor Faustus als die hübsche, intelligente, treue Hilde Kahn. In der Endversion hat er dann allerdings hübsch und intelligent gestrichen. So ist der Mann nun mal, den man den Zauberer nennt. Als die Familie Mann 1953 Pacific Palisades verlässt, hat er keinen Händedruck für Hilde Kahn übrig. Er gratuliert ihr aber, als sie im Oktober 1953 heiratet, mit Meinen herzlichen Glückwunsch. Ihr alter Boss, Thomas Mann.
So gut die Zusammenarbeit mit dem Boss ist, manchmal gibt es Probleme. Zum Beispiel bei dem Manuskript zu Der Erwählte. Aber lassen wir Hilde Kahn selbst sprechen: Ich tippte das Manuskript und bin vor Lachen fast vom Stuhl gefallen. Da kommt doch die Mutter von dem Mann, der gerade Papst geworden ist, und fragt, ob denn ‚die ganze Fickfackerei‘ ihres früheren Lebens ihr verziehen werden kann. Als ich die Abschriften zurückbrachte, fragte Thomas Mann, ob es mir gefallen habe. Ich sagte, es sei ganz wunderbar, nur dies eine Wort sei etwas drastisch. Und jetzt müssen Sie sich Katia vorstellen ... Wie, was, man wagte, den Gatten zu kritisieren? Die Haare standen ihr zu Berge. Er sagte: ‚Na, um welches Wort geht es denn?“ Ich sagte: ‚Nun ja, Fickfackerei, das ist doch sehr deutlich, auf deutsch und auf englisch.‘ ‚Aha‘, sagt Mann, ‚ich sehe, was Sie meinen; nun sehen Sie, dieses Wort ist ein altes Lutherwort. ‚Ja, was will sie denn?‘ sagt darauf Katia. ‚Nun ja‘, sagt Thomas, ‚sie denkt an das Wort ficken‘ – ‚Ficken?‘ sagt Katia. ‚Habe ich noch nie gehört, was bedeutet das denn?‘ Darauf er: ‚Ficken, das bedeutet, sexuellen Verkehr zu haben.‘ – Ich wäre am liebsten in den Boden versunken. Er ging ganz nachdenklich in sein Zimmer, und was passiert? Er hat die ganze Seite neu geschrieben; es wurde: ‚die Fickfackerei meines Herzens‘, und er hat mir nämlich erklärt, Fickfackerei, das bedeutet sich etwas vormachen, sich anlügen.
Früher tauchte die Etymologie von Wörtern wie Fickfackerei (hängt mit Faxen zusammen) oder Matjes (was mit Mädchen zu tun hat) in einem Grundkurs Germanistik auf. Früher war es selbstverständlich, dass man Kluges Etymologisches Wörterbuch benutzte. Es geht viel verloren. Ich wage manchmal kaum, ein schönes Wort aus dem 18. Jahrhundert zu benutzen, weil mein Korrekturprogramm sofort in Schwulitäten kommt. Der Duden im Internet kennt Fickfackerei immerhin noch als Betrügerei, Unsinn. Und für Flügels Englisch-Deutsches Wörterbuch war es 1858 eine Selbstverständlichkeit, Fickfackerei: (w)f. intrigue, trick aufzunehmen. Wenn man bei Googles Bildersuche das Wort Fickfackerei eingibt, bekommt man nur Bilder von Pornos.
Gedichte sind nicht die Sache von Thomas Mann, aber einige hat er doch geschrieben. So das kleine Gedicht Siehst du, Kind, ich liebe dich, das im Januar 1885 in der frisch gegründeten Zeitschrift Die Gesellschaft erschien. Wir wollen mal hoffen, dass es ohne die Fickfackerei meines Herzens geschrieben wurde:
Siehst du, Kind, ich liebe dich,
da ist nichts zu machen;
wollen halt ein Weilchen noch
beide drüber lachen.
Aber einmal, unverhofft,
kommen ernste Sachen ,-
siehst du, Kind, ich liebe dich
da ist nichts zu machen!
Mehr zu Hilde Kahn und Thomas Mann findet sich in dem vierzigseitigen Interview, dass Hilde Kahn-Reach Heinrich Breloer (in dem Buch Unterwegs zur Familie Mann) 1998 gegeben hat.
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