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Dienstag, 29. November 2016

1970


Es gab im Jahre 1970 Annäherungen zwischen der BRD (ich weiß jetzt nicht mehr, ob man damals überhaupt diesen fiesen DDR Begriff überhaupt verwenden durfte) und der DDR. Zum einen trafen sich Willy Brandt und Willi Stoph, zum anderen sendete der NDR am 29. November den ersten Tatort, der Taxi nach Leipzig hieß. Die Hauptrolle in dem Film spielte ein Hamburger Kommissar namens Trimmel. Der sich mit seinem Kollegen in der DDR (den er noch aus den Tagen des Reichskriminalamts kennt) sehr gut verstand. Wahrscheinlich besser, als sich Willy Brandt und Willi Stoph verstanden haben. Der Grundlagenvertrag ließ noch auf sich warten, aber immerhin war Wandel durch Annäherung angesagt. Vielleicht hat der erste Tatort auch ein klein wenig zu diesem Wandel durch Annäherung beigetragen. Falls Sie heute Abend noch nichts vorhaben, schauen Sie sich doch ➱hier den deutsch-deutschen Kriminalfilm an.

Die Sendung Tatort ist die am längsten laufende Reihe im deutschen Fernsehen, der Polizeiruf 110 des DFF kam erst ein Jahr später. Warum brauchte man im Arbeiter- und Bauernparadies überhaupt eine Krimisendung, wo es doch im ganzen sozialistischen Land kein Verbrechen geben konnte? Rulo Melchert wusste in seinem Artikel Hauptsache, es ist ein Krimi: Chancen einer Romanform 1966 die Antwort: Warum ein Gebiet unserer Literatur vernachlässigen, das bei den Lesern viel gelesen wird, auf sie so großen Einfluß nimmt? Warum an einer Stelle ausschalten, wo sich sonst Ideologie westlicher Himmelrichtung breit macht?

Man suchte in der ARD damals nach einer Nachfolgesendung für Jürgen Rolands Stahlnetz (eine hervorragende Reihe mit den Drehbüchern von Wolfgang Menge) und wollte der Konkurrenz des ZDF und deren Reihe Der Kommissar etwas entgegensetzen. Nicht mehr in dem altbackenen Schwarz-Weiß, in dem die auch die ➱Edgar Wallace Filme daherkamen, sondern gleich in Farbe.

Als die ARD Oberen überraschend beschlossen, das von dem Theaterwissenschaftler Gunther Witte (der mit dem ganzen Krimigenre ➱nichts am Hut hatte) entwickelte Konzept in die Tat umzusetzen, hatte man allerdings außer den Plänen nichts vorzuzeigen. Es sollte für jedes Land einen Kommissar geben, und es sollte Lokalkolorit in die Sendung kommen. Da nahm man, sozusagen aus Verlegenheit, den gerade beim NDR abgedrehten Film Taxi nach Leipzig und verpasste ihm das Etikett Tatort. Gunther Witte gab der Reihe kein langes Leben, die Rede war damals von zwei, vielleicht fünf Jahren.

Das Drehbuch zu Taxi nach Leipzig hatte Friedhelm Werremeier (Bild) zusammen mit dem Regisseur Peter Schulze-Rohr geschrieben. Vielleicht hat der Produktionsleiter des Films Dieter Meichsner noch daran mitgewirkt. Der war ja für seine Drehbücher berühmt, ich nenne nur mal den Dreiteiler Der Stechlin (Fontanes Romanvorlage hat ➱hier einen Post) und die achtzehn Teile der Serie ➱Schwarz-Rot-Gold mit Uwe Friedrichsen als Zollfahnder Zaluskowski. Leute wie Dieter Meichsner und Wolfgang Menge findet man beim Fernsehen nicht mehr. Dafür verdient aber der NDR Intendant Lutz Marmor heute über 300.000 Euro im Jahr, soviel Geld haben diejenigen, die einmal Qualitätsfernsehen gemacht haben, wahrscheinlich nicht in zehn Jahren bekommen. Das ist eine seltsame Entwicklung: das Programm wird immer schlechter, irgendwann gibt es nur noch den Degeto Mansch, aber die Intendanten verdienen sich dumm und dösig.

Die Schauspieler des Films kamen, nicht wie heute aus irgendwelchen läppischen Fernsehserien des Vorabendprogramms, die kamen alle vom Theater. Walter Richter, der den mürrischen Trimmel gab, war ja ein berühmter Mann gewesen. Günter Lamprecht, der einen Grenzbeamten spielt (was uns immer an den Satz Gänsefleisch mal `n Kofferraum uffmachen? denken lässt), stand am Anfang seiner Karriere. Hans-Peter Hallwachs hatte ich zu Peter Zadeks Zeiten noch auf der Bremer Bühne gesehen, er steht auch ➱hier im Blog mit einer kleinen komischen (aber wahren) Geschichte drin.

Die weibliche Hauptrolle in Taxi nach Leipzig spielte Renate Schroeter, für die schwärmte ich damals. Ich besaß zwar als Student damals kein Fernsehgerät, aber den Film habe ich trotzdem gesehen. Wegen Renate Schroeter. Und wegen Paul Trimmel, denn Werremeiers ersten Roman Ich verkaufe mich exklusiv (der unter dem Titel ➱Exklusiv nachträglich in die Tatort Reihe aufgenommen wurde) hatte ich damals schon gelesen. Ich las viele Krimis, meistens ➱englische Krimis, sie waren wichtig zum Ausgleich für das Studium. Genauso wichtig wie Westernfilme, die damals neue Formen annahmen, der Spätwestern (der ➱hier einen langen Post hat) hatte begonnen.

Damals war beinahe alles neu. In Frankreich gab es die ➱Neue Welle in Kino und Roman, in Deutschland gab es den Neuen deutschen Kriminalroman. Auf jeden Fall hieß die Tagung im Kloster Loccum so, wo jeder war, der damals in der Krimiszene irgendwas bedeutete. Denn Autoren wie Werremeier und -ky (und wie sie alle hießen) veränderten die Krimilandschaft. Viele deutsche Autoren versuchten allerdings nur, Georges Simenon, ➱Sjöwall Wahlöö, Nicolas Freeling (der ➱hier einen Post hat) oder Janwillem van de Wetering zu imitieren, aber so gut wie die waren sie nie.

Womit ich kein böses Wort über Friedhelm Werremeier sagen will, man kann seine Trimmel Romane nach Jahrzehnten immer noch lesen. Ich habe es getestet. Und auch kein böses Wort über den Rendsburger Studiendirektor Dr Edward Hoop, der unter dem Pseudonym Paul Henricks bei Rowohlt eine Menge durchaus seriöser Romane schrieb. Sein Lektor Richard K. Flesch bei Rowohlt schätzte ihn sehr. Henricks Sieben Tage Frist für Schramm war ein Bestseller. Wurde schlecht verfilmt mit Joachim Fuchsberger und Horst Tappert. Wenn Sie den Film sehen wollen, klicken Sie ➱hier. Aber gucken Sie sich lieber Taxi nach Leipzig an. Modehistorisch interessant ist allerdings der British Warm Offiziersmantel von Joachim Fuchsberger, während Tappert den stereotypischen ➱Trenchcoat eines Fernsehkommissars trägt. Fuchsbergers Mantel muss Tappert schwer beeindruckt haben, denn was trug er bei seinem ersten Auftritt als Derrick? Richtig, einen ➱British Warm.

Man konnte die neuen deutschen Krimis mit den Romanen der Schweden, Holländer, Engländer und Franzosen vergleichen, denn bei Rowohlt hatte Richard K. Flesch (manchmal Leichen-Flesch) genannt, eine Krimireihe hochgezogen, die sicherlich das Beste war, was es damals gab. Von Richard K. Flesch gibt es kein Bild im Internet, man könnte glauben, dass er ein Phantom sei. Aber es hat ihn wirklich gegeben, ich habe ihn mal einen Nachmittag lang interviewt. Er hatte eine angebrochene Flasche Whisky vor sich auf dem Tisch, der mit Manuskripten beladen war. Er bot mir einen Whisky an, aber ich wollte nachher noch auf die Autobahn. Nüchtern. Ich habe noch ein Dutzend Briefe von ihm, alle mit grüner Cheftinte unterschrieben. Heute gibt es Leute wie ihn auch wohl nicht mehr. Und gute Tatort Sendungen sind auch rar geworden. Sehr rar.

Man hat den tausendsten Tatort auch wieder Taxi nach Leipzig genannt, doch den habe ich mir nicht angeguckt. Aber den alten Film aus dem Jahre 1970, den lege ich heute Abend in den DVD Player.


Es gab in diesem Blog schon zwei Posts, die ➱Tatort und ➱Tatorte heißen. Und dann gibt es natürlich den Post Botulismus, der von einem ganz bescheuerten Tatort handelt. Und dann hätte ich da noch für Krimifreunde anzubieten: Maj Sjöwall, Sjöwall Wahlöö, Henning Mankell, Tulpen, Englische Krimiserien, Inspector Gently, Klaus Wennemann, Traumwagen

1 Kommentar:

  1. Mein Freund Hannes Hansen wollte einen Kommentar schreiben, ist aber nicht bei Google angemeldet. Ich stelle das mal ein, was er sagen wollte: Lieber jay,
    sehr schön über den "Tatort". Der wird auch immer bescheuerter. Ich habe da das, was Hemingway einen "built-in shit detector" nannte. Das geht so: Am Anfang gibt es einen schwer Verdächtigen. Nach einer Viertelstunde stellt sich heraus, er war's nicht. Am Ende war er's doch. Für wie blöd halten uns die Fernsehfritzen eigentlich?
    Allgemein zum Kriminalroman: Hammett und Chandler sind mir zu kompliziert. Wer kapiert schon, was im "Malteser Falke(n)" vor sich geht? Sjöwall / Wahlöö mit dem öden Martin Beck lass ich gelten. Sogar die Filme mochte ich so lange, bis besagte Fritzen den Gunvald rausgeschrieben haben. Der befriedigte auf einzigartige Weise meine atavistischen Gelüste nach Rache und Gewalt, wenn er diversen Halunken mal den Scheitel gerade zog. Geht natürlich nicht, weiß ich, aber Krimi ist Märchen, und im Märchen darf man alles. Im Übrigen aber: Simenons Maigret und Léo Malets Nestor Burma reichen mir.
    Bin über Deinen Tatort-Blog noch mal über den zum Western gekommen. Schön, dass Du "Liberty Valance" Gerechtigkeit angedeihen lässt. Er zeigt den Mythos als eben das, als Mythos, lässt ihm aber seine Kraft. Nicht desavouierend, sondern verständlich machend. Kitsch natürlich, aber doch, na ja, man fühlt sich gleich rechtschaffener. Die ganzen Spätwestern dagegen: meistens Quatsch, Quentin Tarantino natürlich ausgenommen. Aber dieser Hochglanz-Unfug "Spiel mir das Lied vom Tod"? Der Film geht mir am Allerwertesten vorbei. Schade nur, dass man ihn sich mit Hochglanz nicht abwischen kann. Kitsch as Kitsch can, nämlich das, was Hans Egon Holthusen sel. "sauren Kitsch" nannte, ist natürlich Ennio Morrricones Jaulmusik.
    So viel für heute. Mach weiter so zu meinem und anderer Leute Vergnügen.
    Gruß, Hannes Hansen

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