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Samstag, 24. Dezember 2016

Bremer Stadtmusikanten


Bei Janosch sehen sie ein wenig anders aus, diese Bremer Stadtmusikanten. Und im Laboratorium Theater in Oldenburg auch. Da hätten sich die Brüder Grimm gewundert. Aber nur bei ihnen lesen wir: »Ei was« sagte der Esel, »zieh lieber mit uns fort, wir gehen nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du überall. Du hast eine gute Stimme, und wenn wir mitsammen musizieren, wird es gar herrlich klingen.« So steht es 1819 in der zweiten Auflage der Kinder- und Hausmärchen (die Variationen des Märchens in den verschiedenen Auflagen von 1819 bis 1857 finden Sie hier). Angeblich soll der Ortsname Bremen in der Urfassung gar nicht erwähnt worden sein. Und dabei hatte man sich im Bremer Umland von Syke bis Kirchlinteln schon daran gewöhnt, dass die Tiere von hier auf ihre Reise nach Bremen aufbrechen. Wohin sie ja überhaupt nicht kommen, weil diese Vorläufer von Stadtguerillas und Hausbesetzern ein Räuberhaus in Beschlag nehmen und dort bleiben. Als einzelne sind sie verloren, gemeinsam sind sie stark.

Räuber gibt es immer in Märchen. Damit wir uns von klein auf daran gewöhnen, dass die Welt böse ist. Selten werden Räuber gute Menschen, wie in dem Märchen vom Räuber und seinen Söhnen. Wo der alte Räuber sagt: Ach liebe Kinder warum wollt ihr nicht ruhig leben und mit wenigem zufrieden sein. Ehrlich währt am längsten. Die Räuberei ist eine böse und gottlose Sache, die zu einem schlimmen Ende führet: an dem Reichtum, den ihr zusammenbringt, habt ihr keine Freude: ich weiß ja wie es mir dabei zu Mut gewesen ist. Ich sage euch, es nimmt einen schlechten Ausgang. Der Krug geht so lange zum Wasser bis er bricht: ihr werdet zuletzt ergriffen, und an den Galgen gehenkt.

In Bremen steht diese Plastik von Gerhard Marcks neben dem Rathaus (es gibt an anderen Stellen auch zwei Plastiken von meinem Onkel, dem Bildhauer Karl Lemke). Die Beine des Esels sind ganz hell, immer wieder ist Touristen erzählt worden, dass es Glück bringt, wenn man seine Beine berührt. Das ist so ähnlich wie bei dem Trevi Brunnen in Rom, da soll es ja auch Glück bringen, wenn man eine Münze hineinwirft. Allerdings sind die Schweine in der Sögestraße auch schon ein bisschen blankgestreichelt, und da behauptet niemand, dass das Glück bringt. Die Bremer mochten die Plastik (von der es Abgüsse in der Harvard University und in Milwaukee gibt) zuerst nicht, weil sie ihnen zu abstrakt und nicht lustig genug war. Aber inzwischen sind die bronzenen Musikanten nach dem Roland das beliebteste Denkmal der Stadt. Den Rosselenker von Louis Tuaillon lassen wir mal weg.

Dies hier ist das Schloss Thienhausen, das einmal im Stil der Weserrenaissance umgebaut wurde. Es gehört dem alten Adelsgeschlecht der Haxthausen, nach vierhundert Jahren verkauft es die Familie gerade. Das Schloss liegt nicht im Bremischen, und auch Syke und Kirchlinteln, von wo die Stadtmusikanten angeblich aufbrechen, sind da nicht in der Nähe.

Eher Paderborn. Die Grimms haben in ihrem Manuskript an den Rand der Erzählung von den Stadtmusikanten aus dem Paderbörnischen geschrieben. Ein Viertel der Märchen ihrer Sammlung kommt aus dieser Gegend. Paderborn ist ein Ort, bei dessen Erwähnung mein Opa nie den Spruch Der Herrgott schuf in seinem Zorn Sennelager bei Paderborn zu erwähnen vergaß. Jahrzehnte später wusste ich, was er damit meinte. Ein Herbstmanöver der Bundeswehr bei Schietwetter und dann die rote Erde von Sennelager. Brrrrr. Die rote Erde kommt auch bei Annette von Droste-Hülshoff vor, die Gedichte zu Producte der Rothen Erde – Westfälisches Jahrbuch beigesteuert hat. Sie hat übrigens auch etwas mit diesem Schloss zu tun, denn ihre Mutter war eine geborene von Haxthausen.

Und der Freiherr August Franz von Haxthausen, der ein erstaunlicher Mann war, hat auch die literarische Karriere seiner Nichte gefördert. Und er hat ihr die Geschichte erzählt, aus der dann Die Judenbuche entstanden ist. Die sind da ja alle große Märchenerzähler, mein Opa, der auch ein großer Märchenerzähler war, kam auch aus dieser Gegend. Axthausen sammelte Volkslieder, und er erzählte den Grimms die Geschichte mit den vier Außenseitern der Gesellschaft, die den Tod vor Augen haben. Bis der Esel sagt: Wir gehen nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du überall. Bremen, die große Hoffnung auf ein besseres Leben. Auch wir kleinen Nikoläuse wollten in unseren Lieder immer nach Bremen: Halli, halli, hallo, nu geiht nach Bremen to.

Dies hier ist das Schloss Bökerhof, das Haxthausen bewirtschaftete, bevor er Thienhausen kaufte. Hier traf sich der Bökendorfer Romantikerkreises (heute ist es ein Literaturmuseum), hier gingen die Grimms bei Werner und August Franz von Haxthausen ein und aus. Der Bremer Journalist Gerrit Reichert hat mal auf die Landkarte geschaut und herausgefunden, dass in nächster Nähe des Schlosses eine Ortschaft namens Bremerberg ist. Die früher einmal die Namen Breme, Bremen oder Lüttekenbremen trug. Muss man noch mehr sagen? Muss die Plastik von Gerhard Marcks jetzt in Bremerberg aufgestellt werden?

Aber vielleicht war ja alles ganz anders. Mein Freund Ekke Dahle, dessen Cartoons hier schon häufig die Leser erfreut haben, hat sich an unsere Jugendzeit erinnert. Damals, als es noch (wie im Märchen) richtige Winter gab. Als man noch Schlittschuhlaufen konnte (lesen Sie mehr dazu in dem Post Schlittschuhlaufen). Auf dem Krümpel, auf der Aue, auf dem Teich vor dem Schönebecker Schloss, auf Hamme und Wümme. Und er hat unsere Bremer Stadtmusikanten auf das Eis versetzt. Da jagen sie dahin, in eine ungewisse Zukunft. Ist aber alles besser, als von der Herrschaft erschlagen oder ersäuft zu werden.

Die Geschichte der Bremer Stadtmusikanten ist eigentlich ein Weihnachtsmärchen, hat Gerrit Reichert gesagt. Wir lassen das einmal so stehen, weil am Ende alles gut ist: den vier Bremer Musikanten gefiels aber so wohl darin, daß sie nicht wieder heraus wollten und der das zuletzt erzählt hat, dem ist der Mund noch warm. Ich wünsche meinen Lesern ein frohes Weihnachtsfest. Und einen gedeckten Tisch mit schönem Essen und Trinken, wie ihn die Musikanten in dem verlassenen Haus vorfinden. Und keine Räuber.

Das Kunstwerk im zweiten Absatz wurde vom Kindern einer Gundschule erschaffen, es steht jetzt im Gerhard Marcks Haus.

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