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Sonntag, 11. Dezember 2016

Friedrich Ahlers-Hestermann


Ich wusste gar nicht, dass Sie an der Milchwirtschaft interessiert sind, sagte ➱Friedrich Hübner zu mir. Wir standen im ➱Antiquariat Eschenburg, ich hatte ein Buch von Friedrich Ahlers-Hestermann in der Hand. Das mit der Milchwirtschaft war nun sehr witzig, weil das Buch von Ahlers-Hestermann den Maler Thomas Herbst zum Thema hatte. Und der hat ja gerne Kühe gemalt. Der Hamburger Maler und Kunstschriftsteller Friedrich Ahlers-Hestermann (hier ein Selbstportrait) ist am 11. Dezember 1973 im Alter von neunzig Jahren gestorben. Er kam aus einer feinen Hamburger Kaufmannsfamilie (sein Vater war der Leiter der Deutsch-Amerikanischen Petroleum Gesellschaft), aber für die Ahlers-Hestermanns galt nicht, was ➱Ascan Klée Gobert über das Hamburger ➱Patriziat geschrieben hatte: Von den Vätern wurde - parallel dem anonymen Kapitalismus - die Initiative zugunsten der soliden Tradition ausgeschaltet, womöglich noch den Söhnen, denen man jede freie Berufswahl ohne Erörterung versagt hatte, jeder fortschrittliche Gedanke als unehrlich verwehrt.

Man erlaubt dem Filius, Malerei zu studieren. Auf diesem Bild seines Lehrers Arthur Siebelist ist er ganz rechts mit einem modischen Strohhut zu sehen. Die Engländer nennen so etwas einen boater und banden im 19. Jahrhundert ihre ➱Clubkrawatten um den Hut. Der Hamburger Kunsthallendirektor Alfred Lichtwark (der ➱hier einen Post hat) hatte Ahlers-Hestermann geraten, zu Siebelist zu gehen. Die heutige Hochschule für bildende Künste Hamburg am Lerchenfeld (lesen Sie ➱hier mehr) steckte damals noch in den Anfängen. Siebelists Bild ➱Meine Schüler und ich wurde in Hittfeld gemalt, wo der Maler eine kleine Künstlerkolonie gegründet hat. Im Sommer wurde draußen gemalt, im Winter traf man sich in Siebelists Atelier in der Mönckebergstraße.

Lichtwark wollte - vielleicht nach dem Vorbild von ➱Worpswede - eine Schule von Hamburger Malern heranbilden: Meine Herren, malen Sie hamburgische Landschaften, hat er ihnen zugerufen. Lichtwark stand zu seinem Hamburg: Wäre ich Maler und hätte dann auch noch das Glück, Hamburger zu sein, keine Macht der Welt brächte mich über die Grenzen des einzigen Gebietes in Deutschland, das einen im edelsten Sinn malerischen Charakter hat.

Nicht alle Schüler von Siebelist teilten Lichtwarks Meinung, so sagte Ahlers-Hestermann: Wir wollten keine harmlosen Wald- und Wiesenmaler werden, keine Heimatkünstler, die versonnen und beschaulich das naheliegende mit immer dünner werdendem Gefühl abmalten... In einer Welt, wo vor bald zwanzig Jahren van Gogh diese Bilder gemalt hatte, war es unmöglich, vor der eigenen Staffelei so zu tun, als wenn nichts geschehen wäre - das war ungefähr der Sinn meiner drängenden Gefühle und überhaupt das Fazit der ganzen Zeit seit dem letzten Sommer.

Lichtwark hätte es auch gerne gehabt, dass man die jungen Hamburger Künstler (hier das Bild einer Hamburger Vorstadt von Ahlers-Hestermann) fördert und sammelt. Er richtet immer wieder Appelle an Hamburgs Millionäre: nicht nur ein pärrisch Leben, sondern auch Kunst sammeln. In Deutschland ist die bewahrende und sichtende Arbeit des Sammlers von Kunstwerken allein schon deshalb wichtiger als in irgendeinem anderen Lande, weil die deutsche Kunst heute noch das dunkelste Gebiet der Kunstgeschichte bildet, schrieb er in seinem Aufsatz ➱Der Sammler.

Doch als die acht jungen Maler des Hamburgischen Künstlerclubs von 1897, die er gefördert hatte, zum ersten Mal ihre Bilder ausstellten, stießen sie nur auf Unverständnis. Von Schmieralien und Farborgien war die Rede. Die helltonigen Bilder wurden als Spinat mit Ei bezeichnet, man glaubte, dass sie alle verrückt seien. Dazu passt sicher die schöne Anekdote, wo ein Hamburger Senator eine Kunstausstellung eröffnet. Er begrüßt die Besucher aus der Reichshauptstadt Berlin und sagt dann, dass man in Hamburg etwas weniger von Kunst verstehe als in Berlin. Aber dafür mehr vom Kaffee. Lichtwarks Kollege ➱Gustav Pauli hatte es in Bremen leichter, die Bremer Kaufleute zum Kauf französischer Kunst zu überreden. Viele der Millionäre handelten mit Rotwein, die kannten ihr Frankreich.

In der feinen Hamburger Gesellschaft sah man damals so aus wie auf Ahlers-Hestermann Bild Jünglinge im Gartenpavillon von 1904. Einem der beiden Herren ist der Maler übrigens 1945 wieder begegnet, als er von Berlin nach Bad Oldesloe gezogen war. Da hatte sich das Hamburg, aus dem beide kamen, zur Unkenntlichkeit verändert. Nach dem Krieg ist Ahlers-Hestermann als Leiter der Landeskunstschule am Lerchenfeld berufen worden, dort hatte ihn ➱Horst Janssen (der ihn 1963 zeichnete) kennengelernt. Im hohen Alter wurde Ahlers-Hestermann noch Direktor der Abteilung Bildende Kunst an der Akademie der Künste in Berlin.

Dass er mit seinen Malerfreunden aus dem Hamburgischen Künstlerklub Franz Nölken, Walter Alfred Rosam und Gretchen Wohlwill 1909 an die Académie Matisse nach Paris geht, war für ihn gar nicht so selbstverständlich: Die Wahrheit zu gestehen, hatten wir gar keine Lust, nach Paris zu gehen und sahen dem mehr wie einer Kur entgegen, die einem verordnet ist und deren Notwendigkeit man einsieht. Wir bildeten uns ein, von neuer französischer Kunst alles Kennenswerte gesehen und begriffen zu haben, außerdem waren wir mit tausend Fäden an Hamburg geknüpft, womit ich hier nicht die unterbewußte Heimatsliebe meine... 

Wäre er nicht immer wieder nach Paris gegangen, hätten wir dieses schöne Sommerbild mit der Seine nicht. Er stellt in Paris in einem Antiquitätengeschäft aus, und der Salon d'Automne nimmt ein Bild von ihm an: Der Salon d'Automne hatte auch von mir ein Bild angenommen, und meine femme de menage hatte mir einen Glückwunsch geschrieben mit dem lapidaren Schlußsatz: Vous voilä entre dans le chemin de la gloire!

Ebenso wie Lichtwark fühlt sich Ahlers-Hestermann als Hamburger, so schreibt er in seiner Autobiographie: Die damalige Zeit war ja äußerlich für Deutschland die eines allgemeinen Wohlergehens, einer erreichten Höhe. Die Väter hatten eigentlich alles geleistet, es würde nun schon so weitergehen. Wir liebten die kaiserliche Fassade nicht, uns entging nicht die groteske Häßlichkeit des in die Höhe geschossenen Berlin, wir fühlten uns als Hamburger und Republikaner zur nahen Reichshauptstadt in einem Gegensatz, dessen leichte Verachtung nur dadurch gemildert wurde, daß wir die ungeheure geistige Regsamkeit dieser Stadt erkannten und anerkannten.

Die Begegnung mit Matisse und Cézanne hat dem Hamburger, der in Paris den ➱Dômiers angehört, zu seinem eigenen Stil verholfen. Die beiden Zitate oben finden sich in Ahlers-Hestermanns Autobiographie Pause vor dem dritten Akt, die 1949 erschien. Das Buch hat ein Vorwort von Carl Georg Heise, den die Nazis seines Amtes als Direktor des Lübecker St Annen Museums enthoben hatten. Glücklicherweise hat die Hamburger Kunsthalle Carl Georg Heise 1945 als Direktor berufen. Man mochte 1933 nicht, dass er die moderne Kunst förderte - ähnlich war es ja auch Gustav Paulis Assistenten ➱Gustav Friedrich Hartlaub ergangen.

Moderne Kunst ist immer für viele ganz schrecklich, für das Hamburger Bürgertum 1895 und für die Nazis 1933. Von der AfD wollen wir jetzt lieber nicht reden. Die Hamburgische Sezesssion wird sich 1933 weigern, ihre jüdischen Mitglieder auszustoßen. Zwei Jahre zuvor hatte Gustav Pauli bei der Eröffnung des neuen Gebäudes des Hamburger Kunstvereins gesagt: Eine Schwalbe heißt es, macht noch keinen Sommer, aber angesichts so vieler Schwalben darf man wohl von einem Hamburger Kunstfrühling sprechen. Der Kunstfrühling wird genau zwei Jahre lang dauern. Die Kunstschule von Gerda Koppel, an der Ahlers-Hestermann einmal unterrichtet hatte, wird geschlossen, von dem Hamburger ➱jüdischen Kulturleben wird nichts übrig bleiben

Über dieses Bild schrieb die Zeit 1963: Aus dem gleichen Jahr [1932] stammen die „Gärten der Kindheit“ von Ahlers-Hestermann, das Bild steht in keinem Zusammenhang mit den damaligen Stiltendenzen, aber in der deutschen Malerei unseres Jahrhunderts wird man kaum ein zweites Bild finden, das so viel Poesie, so viel künstlerischen Charme enthält (in der reliefartig aufgerauhten Oberfläche sind sogar gewisse malerische Errungenschaften der fünfziger Jahre vorweggenommen). Gerade das Werk von Ahlers-Hestermann wird heute (etwa im Vergleich mit Hans Purrmann, der neuerdings erstaunlich hoch geschätzt wird) entschieden unterbewertet.

In dem Post ➱Arthur Illies habe ich vor drei Jahren gesagt: über die Gründungsmitglieder des Hamburgischen Künstlerclubs wie Thomas Herbst, Ernst Eitner, Arthur Illies und Arthur Siebelist schreibe ich irgendwann noch einmal. Vielleicht sollte ich das wirklich mal wahr machen. Immerhin kann ich sagen, dass ➱Thomas Herbst hier einen wirklich viel gelesenen Post hat. Und dass Ernst Eitner in den Posts ➱Franco Costa und ➱Lilli Martius vorkommt. Das hier abgebildete Buch von Carsten Meyer-Tönnesmann Der Hamburgische Künstlerclub von 1897 ist immer noch lieferbar. Es ist im Verlag Atelier im Bauernhaus in Fischerhude erschienen (es ist eine Kurzfassung der gleichnamigen umfangreichen Dissertation des Verfassers, die bei Christians in Hamburg erschienen ist). Die sind da in Fischerhude sehr rührig, als sie meinen Post Thomas Herbst gelesen hatten, boten sie mir gleich eine Publikation an.

Ich schrieb dem Verlagschef (der übrigens selbst ➱malt), dass ich mit dem Verlassen der Uni geschworen hätte: keine Vorträge mehr, nie wieder akademische Publikationen, nie wieder Verlage. Ich sei jetzt Blogger und sei damit ziemlich glücklich. Wolf-Dietmar Stock antwortete postwendend: Wenn Sie nicht so verbloggt wären, hätten Sie morgen einen Verlagsvertrag auf dem Tisch. Das war sehr witzig und deshalb gibt es für den Verlag und sein ➱Angebot hier ein wenig Werbung. Zumal sie auch das Buch Thomas Herbst von Ahlers-Hestermann als Reprint im Programm haben. Es war das erste Buch, das über den Maler Herbst geschrieben wurde (Ahlers-Hestermann hat auch den NDB Artikel zu Herbst geschrieben).

Der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer hatte Ahlers-Hestermann 1928 nach Köln geholt. Die Nazis haben ihn 1933 entlassen, angeblich, weil er sich geweigert hatte, ein Portrait von Göring nach einem Photo zu malen. Ahlers-Hestermann taucht ab in die innere Emigration, er schreibt jetzt sehr viel. Dem Buch Thomas Herbst Ein Malerleben von 1848 bis 1915 (1939) folgte 1941 Stilwende: Aufbruch der Jugend um 1900, ein Klassiker der Literatur zum Jugendstil. Und dann die Autobiographie Pause vor dem dritten Akt. Sehr persönlich und nicht ohne Humor.

In einer Welt, wo vor bald zwanzig Jahren van Gogh diese Bilder gemalt hatte, war es unmöglich, vor der eigenen Staffelei so zu tun, als wenn nichts geschehen wäre, ich zitiere den Satz noch einmal. Fritz Ahlers-Hestermann weiß, als er das nach dem Zweiten Weltkrieg schreibt, dass er beim Beginn der Moderne dabei gewesen ist: Damals wurde ein Anfang gemacht und schlechthin alles Heutige, was nicht Nachahmung alter Vorbilder ist und was wir als gut und unserer Zeit Ausdruck gebend betrachten dürfen in Gerät, Möbel, Druckwerk und wesentlichen Teilen der Baukunst, geht stammbaummäßig auf jene Jahre zurück.

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