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Freitag, 20. Januar 2017

Inauguration


Inauguration ist ein Wort, das aus dem Lateinischen kommt; wo man den Vogelflug deutete, bevor man Auguren in ihr Amt einführte. Das tut man heute nicht mehr, aber die Inauguration gibt es heute immer noch. Zum Beispiel bei der Inauguraldisssertation. Oder bei der ➱Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten, bei der der neue Präsident eine Rede hält. Die wohl kürzeste Rede - ein Vorbild für alle Twitter Fans - hat George Washington bei seiner zweiten Amtseinführung gehalten:

Fellow Citizens: I am again called upon by the voice of my country to execute the functions of its Chief Magistrate. When the occasion proper for it shall arrive, I shall endeavor to express the high sense I entertain of this distinguished honor, and of the confidence which has been reposed in me by the people of united America.
       Previous to the execution of any official act of the President the Constitution requires an oath of office. This oath I am now about to take, and in your presence: That if it shall be found during my administration of the Government I have in any instance violated willingly or knowingly the injunctions thereof, I may (besides incurring constitutional punishment) be subject to the upbraidings of all who are now witnesses of the present solemn ceremony. 


George Washington ist kein Intellektueller wie ➱Thomas Jefferson gewesen. John Adams hat über ihn gesagt: That Washington is not a scholar is certain. That he is too illiterate, unlearned, unread for his station is equally beyond dispute. Wir lassen das mal so stehen, ➱Washington ist nicht ➱Adams und nicht Jefferson. Aber so doof wie Trump, der schon zu Recht seinen Goldenen Vollpfosten gewonnen hat (hören Sie doch mal eben bei Carolin Kebekus hinein), ist der erste Präsident nie gewesen. Washington hat das Amt des Präsidenten nicht gewollt, Trump wollte es unbedingt. Doch Trump kann reden und twittern wie er will, niemand wird ihm je glauben. Alles was er kann, ist herumpöbeln und Gegner beleidigen und angreifen. Das hat er von Roy Cohn gelernt, dem Henkersknecht von Senator McCarthy, der einmal sein Rechtsanwalt und Berater war.

Ein moralisches System, wie es ➱Benjamin Franklin in seinen Schriften für seine Landsleute konzipierte, gilt in diesen postfaktischen Zeiten (wer hat dieses bescheuerte Wort nur erfunden?) für Amerika nicht mehr. Die Gründerväter Amerikas mögen ihre Fehler gehabt haben, aber sie waren ernsthafte Männer, die an ihre Ideale glaubten, für sie eintraten und für sie kämpften. Sie waren Männer der Aufklärung - zu diesem beinahe vergessenen Begriff zitieren wir doch eben einmal ➱Immanuel Kant: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Das sind Sätze, die für Donald Trump nichts bedeuten werden, er würde sie auch nicht verstehen, wenn er sie bei Twitter in Kurzform lesen würde. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer.

Einen Mann müssen wir allerdings von den Lobpreisungen der Gründerväter ausnehmen, obgleich er es trotz aller Skandale dreimal zum Oberkommandierenden des amerikanischen Heeres gebracht hat. Und das ist ein gewisser James Wilkinson (er kommt schon in den Posts ➱Saratoga und ➱Winfield Scott vor), über den Teddy Roosevelt gesagt hat: In all our history, there is no more despicable character. Dieser ➱Wilkinson könnte uns als Beispiel dafür dienen, dass auch ein Donald Trump in den Gründungstagen der amerikanischen Republik eine Chance gehabt hätte.

Donald Trump, der Shakespeare des Tweets, möchte eine sehr kurze Rede halten, die ein wenig etwas von Ronald Reagan und von John Kennedy haben soll. Ein glow from that fire can truly light the world wird die Rede wohl nicht sein. Aber lang soll sie auf keinen Fall sein, man wolle die Leute nicht frieren lassen. Und man wolle auf keinen Fall dem Beispiel von William Henry Harrison folgen, der 1841 in einem Schneesturm eine Stunde und fünfundvierzig Minuten lang gesprochen hat. Und sich eine Lungenentzündung zuzog und einen Monat später starb. Das wollen wir Donald Trump nicht wünschen.

Im 19. Jahrhundert reden Politiker gern ➱lange. Der Gouverneur ➱Edward Everett, der als offizieller Festredner auf das Schlachtfeld von ➱Gettysburg eingeladen worden war (President Lincoln war nur als Gast dort), sprach über zwei Stunden. Für ihn hatte man neben dem Rednerpodium ein kleines Zelt aufgebaut, damit er eine Pinkelpause machen konnte. Lincoln sprach nur zwei Minuten, er brauchte nur ➱269 WörterI should be glad if I could flatter myself that I came as near to the central idea of the occasion, in two hours, as you did in two minutes, hat Everett dem Präsidenten später geschrieben.

Für seine Amtseinführung im Jahre 1961 hatte John F. Kennedy den greisen Dichter Robert Frost eingeladen, damit er das Ereignis mit einem Gedicht verzieren sollte:

Summoning artists to participate
In the august occasions of the state
Seems something artists ought to celebrate.
Today is for my cause a day of days.
And his be poetry's old-fashioned praise
Who was the first to think of such a thing.
This verse that in acknowledgement I bring
Goes back to the beginning of the end
Of what had been for centuries the trend;
A turning point in modern history. 

Doch das Gedicht blieb ungelesen. Frost hatte von der Kälte Tränen in den Augen, die Sonne blendete ihn. Richard Nixon versuchte vergeblich mit seinem Zylinder Schatten zu spenden, das können Sie ➱hier sehen. Damals trug man noch ➱Zylinder, auch Kennedy, der Hüte hasste, hat das getan (hat den Zylinder aber bei dem Amtseid und seiner ➱Rede nicht getragen). Robert Frost verzichtet auf Nixons Schatten, legte sein Manuskript zur Seite und rezitierte sein Gedicht The Gift Outright, das konnte er auswendig:

The land was ours before we were the land’s.
She was our land more than a hundred years
Before we were her people. She was ours
In Massachusetts, in Virginia,
But we were England’s, still colonials,
Possessing what we still were unpossessed by,
Possessed by what we now no more possessed.
Something we were withholding made us weak
Until we found out that it was ourselves
We were withholding from our land of living,
And forthwith found salvation in surrender.
Such as we were we gave ourselves outright
(The deed of gift was many deeds of war)
To the land vaguely realizing westward,
But still unstoried, artless, unenhanced,
Such as she was, such as she would become.


Seit Kennedy haben die amerikanischen Präsidenten, die der Demokratischen Partei angehörten, Poeten zur Inaugurationsfeier eingeladen. Bei Donald Trump wird es wohl kein Gedicht geben, das im Internet kursierende Gedicht von ➱Joseph Charles McKenzie wird auf keinen Fall vorgelesen werden. Man fand in Amerika keine Dichter von Rang, die Trump bedichten wollten. Und auch für das Konzert am Vorabend der Amtseinführung fanden sich nur B-Promis. Alec Baldwin hatte sich über Twitter angeboten: I wanna perform at Trump's inauguration. I wanna sing 'Highway to Hell'.

Die Feier der Amtseinführung ist ein großer Tag für die ➱Ghostwriter. Als Präsidenten ihre Reden noch selbst schrieben, konnte man Sätze hören wie: With malice toward none, with charity for all, with firmness in the right as God gives us to see the right, let us strive on to finish the work we are in, to bind up the nation's wounds, to care for him who shall have borne the battle and for his widow and his orphan, to do all which may achieve and cherish a just and lasting peace among ourselves and with all nations. Das ist natürlich Abraham Lincoln, und er ist unübertroffen. Die Freiheit mit einem Papierdrachen zu vergleichen (For democracy belongs to us all, and freedom is like a beautiful kite that can go higher and higher with the breeze) war dem Ghostwriter von George Bush eingefallen, das ist aber nicht so überzeugend wie Lincoln.

Die neuen Präsidenten können So help me God sagen, sie brauchen es aber nicht. Viele Präsidenten haben zu der Zeremonie ihre Familienbibel mitgebracht. Dwight D. Eisenhower hatte die Bibel von George Washington in der Hand, Barack Obama die von Abraham Lincoln. Sie brauchen aber keine Bibel in die Hand zu nehmen, irgendein Buch genügt. Es kursieren Gerüchte, dass Trump gerne seine Autobiographie The Art of the Deal bei der Vereidigung in der Hand halten möchte. Aber das sind wahrscheinlich auch wieder nur fake news. Darauf müssen wir uns jetzt einstellen, dass wir nur noch tweets und fake news bekommen. Doch die amerikanische Geschichte hat mit der Geschichtsfälschung begonnen.

Was ist mit der Unabhängigkeitserklärung von ➱Mecklenburg County? Und warum steht in allen Schulbüchern, dass die Declaration of Independence am ➱4. Juli 1776 von allen Delegierten unterschrieben wurde? Schon John Adams fürchtete sich davor, dass die Geschichtsschreibung der USA von Mythen beherrscht wird: I'll not be in the history books. Only Franklin. Franklin did this, and Franklin did that, and Franklin did some other damn thing. Franklin smote the ground, and out sprang General Washington, fully grown and on his horse. Then Franklin electrified him with that miraculous lightning-rod of his, and the three of them – Franklin, Washington, and the horse – conducted the entire War for Independence all by themselves.

Da kommt uns dieser Typ mit den seltsamen Haaren doch gerade Recht: The final key to the way I promote is bravado. I play to people's fantasies. People may not always think big themselves, but they can still get very excited by those who do. That's why a little hyperbole never hurts. People want to believe something is the biggest and the greatest and the most spectacular. I call it truthful hyperbole. It's an innocent form of exaggeration — and a very effective form of promotion.

Amerika gibt es nicht, sagte der alte Italiener, als er am Ende des 19. Jahrhundert nach Italien zurückkehrte. Ich weiß es, denn ich bin dagewesen. Er meinte nicht, dass es die Vereinigten Staaten von Amerika nicht gebe, er wollte sagen, dass die Idee von Amerika als einem Land der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten tot sei. Aus dem American Dream ist längst der American Nightmare geworden, den letzten Funken des Feuers, das die Welt erleuchten kann, den wird Trump wohl mit seinen Füßen austreten.

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