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Freitag, 2. Juni 2017

Benno Ohnesorg


Heute vor fünfzig Jahren wurde der Student Benno Ohnesorg in Berlin von dem Westberliner Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen. Oder sollten wir sagen ermordet? Kurras, der auch von der Stasi bezahlt wurde, sammelte Waffen, verbrachte den größten Teil seiner Freizeit auf dem Schießstand. Der schießwütige Oberwachtmeister galt als einer der besten Schützen der Westberliner Polizei. Als sein Sohn zehn wurde, soll er ihm eine Pistole geschenkt haben. Wenn man sich seine Lebensgeschichte anschaut, kann man nur staunen, dass solche Menschen im Staatsdienst waren. Der Tod von Ohnesorg war der traurige Höhepunkt der Demonstrationen gegen den Besuch des persischen Schahs. Es war ein Ereignis, das die Republik veränderte.

Zusammen mit den Bremer Schülerunruhen 1968, die der Bremer Polizeipräsident Erich von Bock und Pohlach niederknüppeln ließ, markiert das tragische Berliner Ereignis mit seiner Polizeiwillkür und den Prügelpersern den Beginn einer Radikalisierung der Studenten: Wir haben die Bilder im Fernsehen nicht für möglich gehalten. Diese sogenannten Jubelperser, die mit langen Latten, ohne von der deutschen Polizei daran gehindert zu werden, auf die Demonstranten eingeprügelt haben. Es herrschte absolutes Entsetzen, daß so etwas möglich ist in Deutschland, hat Malte Goosmann gesagt. Er war damals siebzehn, kam aus einer sozialdemokratischen Familie, seinen Opa hatten die Nazis 1933 aus dem Schuldienst entlassen. Malte Goosmann musste 1968 bei den Bremer Schülerprotesten, denen sich auf die Arbeiter der Bremer Werften anschlossen, einfach dabei sein. Er ist später noch Schulleiter eines Bremer Gymnasiums geworden.

Mit Hermann Rademann, dem Wortführer der Schülerbewegung, der den Bürgermeister Koschnik öffentlich herausforderte und in die Knie zwang, war ich auf der Schule und in der ▹Evangelischen Jugend gewesen. Er ist zwanzig Jahre später elendiglich an seiner Rauschgiftsucht gestorben. Der Erfolg vom Januar 1968 und seine kleine Rolle in Zadeks Film Ich bin ein Elefant, Madame waren ihm zu Kopf gestiegen. Als ich ihn einmal bei Dr ▹Otto Proksch traf, tat er zuerst so, als würde er mich nicht kennen. Da war er, wie viele 68er Revolutionäre, schon weit weg von der Welt. Vielleicht war er auch ein Opfer von 1968.

Wasserwerfer und Knüppel waren für Bremen damals neu, in den Universitätsstädten kannte man das ansatzweise schon. In Kiel sah die Polizei besonders abschreckend aus. Während die Bremer und Hamburger Polizei ein beinahe vornehmes dunkles Blau trugen, trägt die schleswig-holsteinische Polizei eine grau-grünliche Uniform, die mit Knobelbechern und Koppel den Naziuniformen sehr ähnlich sieht. Auf meiner ersten Demonstration gegen die NPD vor dem Kieler Eichhof musste ich fassungslos mitansehen - ja, so naiv war man damals - dass die Staatsmacht mit aller Gewalt die Neonazis schützte und uns harmlose und idealistische Demonstranten verprügelte.

Das geschieht jetzt überall in Deutschland, mehr als Prügeln fällt dem Staat nicht ein. Und für die Zeitungen Axel Springers, die damals die deutsche Meinung bestimmten, sind wir keine harmlosen und idealistischen Demonstranten. Wir sind der StudententerrorEl sueño de la razón produce monstruos. Die Hilflosigkeit der Polizei macht ihre Strukturkrise offenbar. Die Polizei hat in ihrer Führungsspitze zu viele Offiziere, die ihre Planstelle einem Parteibuch der Nazis verdanken und seitdem nichts in Bezug auf Menschenführung dazu gelernt haben. Erich von Bock und Polach war zuvor SS-Standartenführer gewesen. Vor ihm war der ehemalige SS-Sturmbannführer Karl Schulz, der Adjudant von Karl Nebe, Bremer Kripochef gewesen. Muss man mehr dazu sagen?

Fasce heißt Rutenbündel. Rutenbündel, wie sie zu öffentlichen Auspeitschungen benutzt wurden, wurden im alten Rom den Likturen, den Polizeipräsidenten vorangetragen; und von diesem Brauch leiteten die italienischen Anhänger Mussolinis 1920 ihren Namen 'Faschisten' ab. Faschismus heißt, ganz wörtlich, Prügelherrschaft. Ein faschistischer Staat ist ein Staat, der seine Untertanen mit Prügeln regiert und das auch ganz offen proklamiert. Eine faschistische Partei ist eine Partei, die den Prügelstaat will. Wie sie sich nennt, ist dabei gleichgültig. Sie kann sich auch NSDAP nennen; auch CDU oder SPD. Prügel müssen immer her, wenn es keine Argumente mehr gibt. Eine herrschende Klasse braucht den Prügelstaat immer dann, wenn sie ihre Herrschaft mit Vernunftgründen nicht mehr rechtfertigen kann. Das steht in keinem kommunistischen Flugblatt aus den 68er Jahren, das schreibt Sebastian Haffner vier Wochen nach dem Tod von Benno Ohnesorg in der Zeitschrift Konkret.

Dass der Tod von Benno Ohnesorg ein Einzelfall blieb, ist eigentlich ein Wunder. Wir hatten glücklicherweise in Deutschland kein Kent State Massaker. Auf meinem Schreibtisch liegt ein großer gelber Kugelschreiber, Kent State steht mit schwarzen Lettern darauf. Professor Sandy Marovitz hat ihn mir geschenkt. Er erinnert mich immer an diesen wunderbaren Melville-Spezialisten, aber er weckt auch andere Erinnerungen. Es geht weltweit damals nicht anders zu als bei uns. Vielleicht sind Kurras, von Bock und Polach und Nguyên Ngoo Loan (Bild) eine Person.

Wenn jetzt der Verteidigungsfall eintreten würde, dann hätte ich als Polizeipräsident automatisch den Rang eines Generals, sagte mir Bock und Polach. Er saß neben mir ihm Auto. Ich hatte als junger Leutnant das Unglückslos gezogen: ich musste ihn in Bremen abholen und zu unserem Bataillonsball bringen. Er wurde da jedes Jahr eingeladen. Nicht weil er der Bremer Polizeipräsident war. Nein, weil er schöne Töchter hatte, beauties and the beast. Er hatte all seine Kriegsorden an einer kleinen silbernen Kette an seinem Smokingrevers und lebte während der ganzen Fahrt in der Dunkelheit seine Militärphantasien aus. Klaus Theweleit hätte seine Freude an dem Monolog gehabt. Es war noch einige Jahre hin bis 1968, aber von Bock und Polachs Ruf war schon zerstört. In dem Bestechlichkeitsprozeß von 1960 konnte er nicht erklärten, weshalb er und all seine Kinder plötzlich kostenlos einen Mercedes-Benz fuhren. Er wurde zwar freigesprochen, musste aber seine Amtsgeschäfte anderthalb Jahre ruhen lassen. Und wurde in einem Disziplinarverfahren zu einer dreijährigen Gehaltskürzung verurteilt. Ich habe meinem Vater nie erzählt, wen ich da am Wochenende in seinem blauen Admiral kutschiert habe.

Der Berliner Polizeipräsident Erich Duensing hatte zur Bekämpfung der Studenten die sogenannte Leberwursttaktik erfunden: Nehmen wir die Demonstranten als Leberwurst, dann müssen wir in die Mitte hineinstechen, damit sie am Ende auseinanderplatzt. Das ist so ähnlich wie die von Bock und Polach ausgegebene Devise: Draufhauen, draufhauen, nachsetzen. Beiden Herren ist als Denkmuster völlig fremd, was der Oberrat im Bonner Polizeipräsidium Tonis Hunold fordert: Wenn durch Besonnenheit, Gelassenheit und Duldsamkeit sich etwas mehr menschliches Denken in den polizeilichen Vorstellungen durchsetzt und hierdurch Provokationen und somit Eskalationen verhindert werden, entspricht ein solcher bewusster Verzicht auf Reaktion eher der freiheitlichen, demokratischen Ordnung, als wenn durch überkommenes Prestigedenken die Voraussetzungen zum harten polizeilichen Einsatz geschaffen werden.

Tonis Hunold wird beim Sternmarsch auf Bonn im Mai 1968, der damals größten Demonstration in Deutschland, der Einsatzleiter sein. Und es passiert nichts. Keine Gummiknüppel, keine Wasserwerfer. Stattdessen De-Eskalation, Flugblätter werden von Polizisten an die Bevölkerung verteilt, auf denen steht, dass Demonstrationen ein Grundrecht der Demokratie sind.

Im Juni 1966 wohne ich in Kiel im vierten Stock eines Hauses am Schrevenpark. Man hat hier einen schönen Blick, der Himmel ist nahe. Eigentlich sollte ich meine Proseminararbeit über Joseph Conrad schreiben und nicht so viel in den Himmel schauen. Oder nicht so häufig den vom Grünspan überzogenen Turm der Lutherkirche zeichnen. Aber der Ausblick ist zu verführerisch, bei jedem Wetter. Aus mir wird kein John Constable, aber die Wolken kann ich stundenlang anschauen. Eines Nachmittags sehe ich unten am Eingang des Parks einen großen schwarzen Hund. Ich weiß nicht, was das für eine Rasse ist. Er ist so groß wie ein Irish Wolfhound, aber er hat glattes schwarzes Fell. Der Hund tut niemandem etwas, er steht nur da. Nach zwanzig Minuten kommt die Polizei und guckt den Hund an. Nach zehn Minuten Palaver mit seinem Kollegen holt ein Polizist seine Pistole aus der Pistolentasche und erschießt den Hund. Drei Schüsse. Einfach so, ohne Grund. Diese Szene, dieses sinnlose Töten, bekomme ich nie wieder aus dem Kopf. Wie das Photo von Nguyên Ngoo Loan. Ein Jahr später wird Benno Ohnesorg erschossen.

Meine subjektive Geschichte der Bremer Unruhen von 1968, die Peter Zadek in seinem Film Ich bin ein Elefant, Madame verarbeitete, steht schon in dem langen Post Heinrich Hannover. Und in den Posts Mai-Unruhen und F.C. Delius steht auch noch etwas zu 1968. Der Schriftsteller Uwe Timm war mit Benno Ohnesorg befreundet, hatte mit ihm über Camus diskutiert. Er hat über Ohnesorg die Erzählung Der Freund und der Fremde geschrieben, aus der Sie ▹hier einen Teil lesen können. Das wäre meine Leseempfehlung für den heutigen Tag.

Meine Arbeit über ▹Joseph Conrads Erzählung ▹Typhoon, die ich 1966 schrieb, habe ich natürlich rechtzeitig bei Professor ▹Peter Nicolaisen abgegeben. Mir gefiel der Kapitän McWhirr in der Geschichte, über den der Erzähler sagt: Having just enough imagination to carry him through each successive day. Aber McWhirr macht genau das Richtige in der schwierigsten ▹Situation, in die ein ▹Kapitän geraten kann. He is the product of twenty years of life. My own life, hat Conrad über seine Romanfigur gesagt. Es wäre schön gewesen, wenn wir 1968 Politiker mit der Charakterfestigkeit von Kapitän McWhirr gehabt hätten. In meine Hausarbeit musste ich damals unbedingt eine kleine Anekdote hineinschmuggeln, die Thomas Mann in Meerfahrt mit Don Quijote erzählt: Iwan Gontscharow wurde während eines Sturmes auf hoher See vom Kapitän aus seiner Kajüte geholt: er sei ein Dichter, er müsse das sehen, es sei großartig. Der Verfasser des 'Oblomow' kam an Deck, sah sich um und sagte: "Ja, Unfug, Unfug.“ Dann ging er wieder hinunter. 

Dieses Unfug, Unfug gilt auch für vieles von 1968. Nicht für den Tod von Benno Ohnesorg, das war eine Tragödie. Alles, was an dem Tag wirklich geschah, ist in Berlin vertuscht worden. Der Todesschütze Kurrass wurde zweimal angeklagt und zweimal freigesprochen. Die Angehörigen von Benno Ohnesorg, seine Frau und ein Sohn Lukas haben niemals eine Wiedergutmachung erhalten. Und das bleibt eine Schande.

1 Kommentar:

  1. Lieber Jay, es ist immer eine Freude, Ihre geschichtsträchtigen Beiträge zu lesen. Mal abgesehen von den 68zigern, da war ich vier in Dresden noch viel weiter weg, muss ich gerade daran denken, das A. Springer laut Teddy Kollek, dessen Biografie als ehemaliger Bürgermeister Jerusalems ich gerade las, viel für für den Aufbau der dortigen städtischen bzw. Uni-Bibliothek getan und gespendet hat.
    Es sind schon seltsame Verbindungen, die durch Lesen entstehen.
    Im Übrigen ist auch der Sechstagekrieg fast genau 50 Jahre her.
    Viele Grüße und schöne Pfingsten,
    Uwe Rennicke

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