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Montag, 30. April 2018

Peter Huchel


In Zahlen ausgedrückt, sah der Poetry Month so aus. Normalerweise habe ich doppelt so viel Leser. Gut, viele Blogger wären dankbar, wenn sie tausend Leser am Tag hätten, aber ich hatte mich inzwischen an andere Zahlen gewöhnt. Es ist Zeit, sich an Bescheidenheit zu üben. Auf der Statistikseite, von der ich dieses Schaubild des letzten Monats habe, geht im Augenblick alles drunter und drüber. Neuerdings ist hier alles in englischer Sprache, und die Suchfunktion kann die Posts aus den Jahren 2010 und 2011 nicht mehr finden. Aber diese Imponderabilien beiseite, heute ist der letzte Tag des Poetry Month. Und der soll dem Dichter ↝Peter Huchel, der am 30. April 1981 starb, zugeeignet sein.

Du, laß dich nicht verhärten in dieser harten Zeit, hat Wolf Biermann gesungen. Er hat es auch 1976 in ↝Köln gesungen, wenig später war er draußen. Dass er zum 25. Jahrestag des Mauerbaus im ↝Bundestag singen durfte, war der AfD gar nicht recht. Biermanns Lied heißt ↝Ermutigung, Biermann hat es für den Dichter Peter Huchel geschrieben, der die DDR schon fünf Jahre vor ihm verließ. Ich habe mir für den Tag Huchels Gedicht Begegnung ausgesucht, ein Gedicht, das er Michael Hamburger gewidmet hat. Der deutsch-englische Dichter und Übersetzer hatte am 3. Januar hier einen langen ↝Post, der von vielen tausend Lesern gelesen wurde. Dass ich meine Erinnerungen an Michael Hamburger am 3. Januar des Jahres veröffentlichte, hat eine kleine symbolische Bedeutung: am 3. Januar 2010 stand hier mein erster Post, der ↝Literatur hieß. Und noch ganz kurz war. Aber nun Peter Huchels Begegnung:

Schleiereule,
Tochter des Schnees,
dem Nachtwind unterworfen,
doch Wurzeln fassend
mit den Krallen
im modrig grindigen Gemäuer,

Schnabelgesicht
mit runden Augen,
herzstarre Maske
aus Federn weißen Feuers,
das weder Zeit noch Raum berührt,

kalt weht die Nacht
ans alte Gehöft,
im Vorhof fahles Gelichter,
Schlitten, Gepäck, verschneite Laternen,

in den Töpfen Tod,
in den Krügen Gift,
das Testament an den Balken genagelt.

Das Verborgene unter
den Klauen der Felsen,
die Öffnung in die Nacht,
die Todesangst
wie stechendes Salz ins Fleisch gelegt.

Laßt uns niederfahren
in der Sprache der Engel
zu den zerbrochenen Ziegeln Babels.

Peter Huchel kennt man in England, weil ihn Michael Hamburger übersetzt hat. Dichter wie Hans Magnus Enzensberger, Günter Eich, Johannes Bobrowski, Paul Celan und ↝Franz Baermann Steiner sind im angelsächsischen Sprachraum nur durch Michael Hamburger bekannt geworden. Und er hat auch das ihm von Huchel gewidmete Gedicht Begegnung übersetzt:

Barn owl
daughter of snow,
subject to the night wind,

yet taking root
with her talons
in the rotten scab of walls,

beak face
with round eyes,
heart-rigid mask
of feathers a white fire
that touches neither time nor space.

Coldly the wind blows
against the old homestead,
in the yard pale folk,
sledges, baggage, lamps covered with snow,

in the pots death,
in the pitchers poison,
the last will nailed to a post.

The hidden thing
under the rocks' claws,
the opening into night,
the terror of death
thrust into flesh like stinging salt.

Let us go down
in the language of angels
to the broken bricks of Babel.

Sonntag, 29. April 2018

Isaac von Sinclair


Er ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Er hat als Diplomat im Dienste seines Landesherrn von Hessen-Homburg beim Wiener Kongress alles erreicht, was man erreichen konnte. Jetzt will er am Feldzug gegen Napoleon teilnehmen, doch dazu kommt es nicht. Isaac von Sinclair stirbt an einem Schlaganfall (es ist nicht der erste, den er erleidet) unter merkwürdigen Umständen: Am 29. April 1815 gegen 8 Uhr abends kam ein unbekannter Herr in die Wohnung des Schneidermeisters Wanka, Stadt, Spiegelgasse Nr. 1168, jetzt Nr. 8 neu, erklärte alsobald sich unwohl zu befinden und verfiel plötzlich in eine Starrsucht, welche drei Stunden anhielt und sohin den Tod zur Folge hatte, ohne daß der Verstorbene seit dem Betreten der Wohnung auch nur einen Augenblick zur wahrnehmbaren Besinnung gekommen wäre.

So kann man es bei Volker Schupp in ↝Sinclair in Wien nachlesen. Varnhagen von Ense, der Hardenberg auf dem Kongress begleitete, verbreitet das Gerücht, Sinclair sei in einem Bordell gestorben. Es gibt da allerdings noch eine andere Version der Geschichte: Sinclair sey nicht in einem Bordell gestorben; er habe eine Maitresse gehabt, die in einem der ersten Gasthöfe Wiens, ohnfern dem 'Stock am Eisen', ihre Wohnung hatte. An einem Abend, wo er ihr wieder seinen Besuch abstatten wollte, überfiel ihn in deren Zimmer [eingefügt: oder Bette?] ein tödtlicher Schlag. Jahrzehnte zuvor begeisterte sich Sinclair noch für die französische Revolution, jetzt ist er auf der anderen Seite. Hochmütig und herrisch soll er gewesen sein, manche versuchen das aus diesem Bild des französischen Miniaturmalers Favorin Lerebours herauszulesen. Man kann auch Melancholie und Traurigkeit in dem Blick des Edelmannes sehen, der sich als Jakobiner geriert. Und der in den Revolutionstagen einen jungen Dichter kennengelernt hat, über den er sagt: Für diese Legion von Bekannten, die ich verlor, habe ich aber die Zeit einen Herzensfreund instar omnium erhalten, den Magister Hölderlin. Er ist Jung und Leutwein in einer Person: seine Bildung beschämt mich, und gibt mir zur Nachahmung einen mächtigen Reiz; mit diesem strahlenden, liebenswürdigen Vorbild werde ich künftigen Sommer auf einem einsamen Gartenhaus zubringen.

Der Dichter beschreibt das Verhältnis als eins der Untertänigkeit:

Euch alten Freunde droben, unsterbliches
Gestirn, euch frag ich, Helden! woher es ist,
Daß ich so untertan ihm bin, und
So der Gewaltige sein mich nennet.

Sinclair mietet im April 1795 ein Gartenhäuschen in Jena für sich und seinen Freund, aber Hölderlin wird das zuviel, im Mai entflieht er der Idylle. Die Männerfreundschaft wird es noch in die Literatur schaffen. Hermann Hesse wird seinen Roman Demian. Die Geschichte einer Jugend unter dem Pseudonym Emil Sinclair veröffentlichen. Isaac von Sinclair hatte hier vor einem Jahr mit ↝Dichterfreund schon einen Post. Damals gab es hier ein Gedicht von Hölderlin, das er mit Scardanelli signiert hatte (wie ich in meinem ersten ↝Post in der Blogosphere). Heute gibt es wieder eins von diesen späten Gedichten, signiert mit Untertänigkeit d. 24 Mai 1748. Scardanelli:

Der Frühling

Der Tag erwacht, und prächtig ist der Himmel,
Entschwunden ist von Sternen das Gewimmel,
Der Mensch empfindet sich, wie er betrachtet,
Der Anbeginn des Jahrs wird hoch geachtet.

Erhaben sind die Berge, wo die Ströme glänzen,
Die Blütenbäume sind, als wie mit Kränzen,
Das junge Jahr beginnt, als wie mit Festen,
Die Menschen bilden mit Höchsten sich und Besten.

War er wirklich so weit weg von der Welt, als er im Tübinger Turm lebte? Ich bin überzeugt, dass Hölderlin die letzten dreißig Jahre seines Lebens gar nicht so unglücklich war, wie es die Literaturprofessoren ausmalen. In einem bescheidenen Winkel dahinträumen zu können, ohne beständig Ansprüche erfüllen zu müssen, ist bestimmt kein Martyrium. Die Leute machen nur eins draus, hat Robert Walser gesagt.


Noch mehr Hölderlin in den Posts: HölderlinDichterfreund, Herbstgedicht, Holterling, Michael Hamburger

Samstag, 28. April 2018

Poems are the MRI's of the soul


MRI ist im Englischen das, was bei uns MRT heißt. Ein Gerät, dessen Bekanntschaft man nicht unbedingt gerne macht. Man wird da hineingeschoben, es macht furchtbaren Krach. Ich war gerade in solch einer Maschine, weil mich mein Orthopäde zu einem Radiologiezentrum geschickt hatte. Es fing vor Monaten mit einem eingeklemmten Ischiasnerv an, den hatte ich schon in dem Post ↝Danke erwähnt. Mein Hausarzt verschrieb hochdosierte Schmerzmittel, es wurde auch besser. Aber irgendwie kam es zurück, jetzt kann ich nicht mehr richtig gehen, schön ist das nicht. Der Mediziner, der mich in die Röhre schob, sah in der Umkleidekabine meine Schuhe und bewunderte sie. Erzählte mir, dass er sich zur ↝Hochzeit ein Paar Schuhe hätte machen lassen, die aber nur einmal getragen hätte. Ich humpelte zur Kabine zurück, holte mein Kärtchen mit der Blogadresse aus der Tasche und gab es ihm. Sagte, er solle mal ↝Herrenschuhe in das Suchfeld eingeben. Wenn er all die schönen Schuhe sieht, wird er bestimmt seine Hochzeitsschuhe wieder tragen.

Den schönen Satz Poems are the MRI's of the soul habe ich auf einer ↝Internetseite gefunden, erstaunlich, wie viele Menschen über ihre Röhrenerfahrung Gedichte schreiben:

Today I had an MRI
Worst thirty minutes of my life
However, my thoughts strayed
From corner to corner of my agile mind
From the beautiful woman in the foyer who spoke about her life
To life and its wonders...
And the statistics of deaths
During an MRI
Irrational thoughts indeed...
But thoughts that are frightening
In that moment of need.
Funny what you think of...
When you don't know what's going on
When you're trapped by a machine
When you're trapped by life...
I wondered...
Will they remember me?
I remember the woman's fascination
With my long, golden locks
That touched my hips softly

Ha, at least they'll remember my hair.
That's something, isn't it?
Being known as the young girl with long, luscious golden locks...
If they don't see my writing.
It's something.

Before the MRI,
They said 'Think of happy things'
And then my thoughts wandered
To you...
Your beautiful smile
The way my heart flutters when you look at me
When you taught me how to dance
And we flowed on the dance floor
When I held your hand
And my heart skipped a beat
When you glanced at me
With such sincerity
And your name repeating in my head...
You, you, you...

My thoughts during an MRI
Are odd
Thoughts of life, thoughts of death, thoughts of remembrance,
Thoughts of long, golden hair
And thoughts of
You.


Steht auf der selben Seite wie Poems are the MRI's of the soul. Ist von einer gewissen Elizabeth Burns, von der Sie ↝hier hunderte von Gedichten lesen können. Ist gar nicht schlecht, kann man lesen. Das Internet bietet ja jungen Dichtern schöne Möglichkeiten, niemand braucht sich wie ↝Thomas Chatterton mehr umzubringen, weil er nicht gelesen wird. Bevor es die CTs und MRTs gab, gab es Röntgengeräte. Und da habe ich ein Gedicht von einer gewissen Gabriele Hermine Josefine Elisabeth von Rochow (was hatten die Damen im 19. Jahrhundert für schöne Namen!), das wohl über hundert Jahre alt ist. Es hat den Titel An Röntgen:

O Röntgen konterfeie
Mein Herz mit deinem X,
Das Beste d'rin bleibt übrig,
Vom Herzen leider nix!

Das Beste ist das Bildnis
Vom schönen Liebchen mein,
Das lacht dir dann entgegen
In deinem Strahlenschein!

Lassen Sie uns die Welt der Röntgenstrahlen und MRTs zum Schluss verlassen, ich möchte Ihnen noch eine andere Dichterin vorstellen. Sie heißt ↝Elizabeth Burns, ebenso wie die Internet Dichterin. Die Schottin, die eine entfernte Verwandte des Nationaldichters Robbie Burns war, ist vor drei Jahren im Alter von 57 Jahren gestorben. Ihr schönes Gedicht Listening to Bach’s B Minor Mass in the kitchen ist vor zwei Jahren in dem Gedichtband ↝Lightkeepers posthum erschienen. Sie können sich, während Sie das Gedicht lesen, Bachs H-Moll Messe anhören. Ich habe die hier einmal vom ↝Bayrischen Rundfunk und einmal von den ↝Proms des Jahres 2012

Listening to Bach’s B Minor Mass in the kitchen

Finally, I’m done with the phone calls and everything else 

and when I switch on the radio it feels like lying in salt water – 
all I need to do is breathe: Bach will keep me afloat. 
I’m mixing yeast into flour, making rolls for my daughter’s 
birthday breakfast in the morning, kneading and kneading 
the dough then setting it to rise; arranging in a glass 
the last of the tiny pink roses with a sprig of green, 
finding the blue candles and ironing the tablecloth, 
the one my granny embroidered, sweeping the floor, 
thinking about the hot August night of the birth, 
and about the people we met on Westray last week, 
and the presents I still need to wrap, and Bach himself 
who is like a mountain covered in wildflowers, 
and the singers in the Albert Hall who, the conductor says, 
get close to godliness through this performance; 
and I’m wondering, as all those voices fill my kitchen 
with the Mass, if this is what he means: the sense 
of time and place dissolving, so what divides us 
from the past and elsewhere, and from each other, 
falls away, and everything’s connected and we are all 
drops of water in this enormous breaking wave.

Dass Bachs Musik like a mountain covered in wildflowers ist, finde ich ein wunderbares Bild.

Freitag, 27. April 2018

Zweiter Klasse


Das heutige Gedicht stammt aus Jürgen Theobaldys Gedichtband ↝Zweiter Klasse. Die Zeit nannte ihn damals eine der großen Begabungen unter den jüngeren Lyrikern. Für den Titel Zweiter Klasse seines Gedichtbandes hatte Theobaldy im Nachwort eine Erklärung: Diese Gedichte sind für alle, die in den Zügen der Deutschen Bundesbahn zweiter Klasse sitzen, auf den vorderen Plätzen im Kino, für alle, die Stehplatzkarten für die Kurve haben, wo der Abstand zum Spielfeld am weitesten ist. Es sind Gedichte für alle, die mit diesen Unterteilungen nicht einverstanden sind. Ich habe sie geschrieben, wenn ich nicht wußte, was ich sonst tun sollte, oder wenn mir das, was ich stattdessen hätte tun können, nutzlos erschien.

Vielleicht ist das der Nutzen dieser Gedichte. Ich hoffe, sie enthalten keine Geheimnisse und machen nichts geheimnisvoll, was in der Wirklichkeit klar vor Augen liegt, denn damit wären sie überflüssig. Lange genug hat die Meinung geherrscht, das Wesen der Dichtung läge darin, möglichst vage, möglichst vieldeutig zu sein. Dagegen schlage ich vor, von der Mehrdeutigkeit der Sprache auszugehen und in der Dichtung den Versuch zu sehen, Klarheit zu schaffen, den Glanz des einfachen, direkten Ausdrucks. Ob Gedichte überhaupt wichtig sind? Solange sie gelesen werden, sind sie wichtig. Sonst wären sie bloß eine private Angelegenheit, wie Zähne putzen. Für meine Gedichte wünsche ich, daß sie etwas von der Haltbarkeit ihrer einfachen Gegenstände sichtbar machen, daß sie sich und ihnen etwas Dauer verleihen in einer Gesellschaft, die nur noch produziert, um vorzeitig wegzuwerfen, Schuhe, Halteschilder, ein Plakat an einem Bretterzaun. 

Rita Hayworth hat mit diesen Ausführungen nichts zu tun, wir brauchen sie aber gleich für das Gedicht Ausflug ins Kino. ↝Jürgen Theobaldy, der in einem ↝Gedicht mit Goethe Auto fährt, hat sich immer wieder zum Thema Dichter und Dichten geäußert. Ich habe hier eine interessante Seite mit ↝Statements zur Poetik der Gegenwartslyrik. Und ich habe natürlich das Kinogedicht:

Als Kind bin ich oft im Kino 
gewesen, jeden Sonntag um 14 Uhr 
gab es eine »Jugendvorstellung« 
im »Capitol« mit dieser Uhr rechts 
neben der Leinwand, und wir tobten, 
trommelten und pfiffen, wenn 
der Zeiger auf 14.01 Uhr rückte, ohne 
daß der Film begonnen hatte. Dann 
wollte ich erwachsen werden und ging 
am Samstag in die Erwachsenenvorstellung, 
obwohl ich noch nicht sechzehn war. 
In diesem Film sah ich Rita Hayworth 
im Badezuber, nachdem Gary Cooper 
sie vor einem Haufen verrückter Indianer 
gerettet hatte. Ich hätte sie gern 
nackt gesehen, aber ich sah nur 
einen Streifen ihres Büstenhalters. 
Am nächsten Sonntag ging ich wieder 
in die »Jugendvorstellung«, und um 14.01 Uhr 
fing ich an zu toben, zu trommeln 
und zu pfeifen, weil der Film 
noch nicht begonnen hatte.

Mehr Rita Hayworth in den Posts Gilda und Rita Hayworth.

Donnerstag, 26. April 2018

Kay Hoff


Stand das hier in der Zeitung? Habe ich das übersehen? Der Schriftsteller Kay Hoff ist am 26. März im Alter von 93 Jahren verstorben. Er war ein Autor, den ich immer geschätzt habe. Vor vielen Jahren hatte mich mein Studienkollege Willy Diercks überredet, für eine Zeitung, deren Chefredakteur er war, über Kay Hoff zu schreiben. Gab kein Honorar - those were the times - aber ich durfte zwei ganze Seiten vollschreiben. Ich glaube, der Autor hat das damals sogar gelesen. Ich würde das ja abtippen, aber ich finde das Heft aus dem Jahre 1990 leider nicht wieder. 

Es ist ein großes Verdienst des 1996 gegründeten Carl Böschen Verlags, dass er in den Jahren 2002 bis 2005 das Gesamtwerk des ein wenig in Vergessenheit geratenen Autors Kay Hoff in einer Studienausgabe wieder aufgelegt hat. Der erste Band dieser Ausgabe war der Roman ↝Bödelstedt oder Würstchen bürgerlich (↜Volltext), sein wohl bekanntestes Werk. Der Roman erschien zuerst 1966 bei Hoffmann und Campe, und obwohl er wohlwollend von der Kritik besprochen wurde, ist er heute so gut wie vergessen. Völlig zu Unrecht, wie jede erneute Lektüre beweisen wird, denn dieser Roman kann sogar leicht und locker neben Günter Grass' Blechtrommel bestehen. Bödelstedt oder Würstchen bürgerlich gehört ebenso wie ↝Rudolf Lorenzens Roman Alles andere als ein Held zu den wichtigsten Romanen der Nachkriegszeit. Auch wenn das Publikum die Romane nicht liebte. ↝Grass sowieso nicht.

In dem Roman, der mit dem Kriegsende beginnt (etwas, was Kay Hoff, der mit 18 Soldat wurde, nur zu vertraut war), greift der Autor auf die Konventionen des Romans des 18. Jahrhunderts (wie Herausgeberfiktion und Motto für jedes Kapitel) zurück, um die Geschichte des fiktiven Ortes Bödelstedt in Schleswig-Holstein und seiner Bewohner im Dritten Reich, im Krieg und bei Kriegsende, zu erzählen. Es hätte nicht Schleswig-Holstein sein müssen, Bödelstedt ist wahrscheinlich überall. Hoffs Roman ist damals von Hilde Domin in ihrer wunderbaren ↝Rezension in der Zeit in die Nähe zu Jean Paul und Thomas Mann gerückt worden. Satire und Ironie gehören zum selbstverständlichen Handwerkszeug des Autors, und vielleicht lässt sich die Zeit auch nicht anders schildern. Am Anfang des Romans steht die Geschichte vom Schäferhund Botho, den man darauf abgerichtet hat, nur zu fressen, wenn ihm Ist vom Arier! gesagt wird. Man muss den Hund leider töten, als die englischen Panzer ins Dorf rollen. Das satirische Panorama des Ortes Bödelstedt wird uns erzählt aus der Perspektive eines ewig Gestrigen, und die Unzuverlässigkeit seines Erzählens macht sicherlich auch den Reiz dieses deutschen Sittenbildes aus.

Natürlich glaube ich immer noch, ein bisschen immer noch, dass Sprache die Welt verändert, und ich glaube, dass man diese Veränderung als Schriftsteller versuchen muss, trotz aller Skepsis, trotz aller offensichtlichen Misserfolge, hat Kay Hoff einmal gesagt.  Es ist ein schöner Gedanke. Heute wird die Welt durch einen twitternden Analphabeten verändert, die Errungenschaften der Aufklärung scheinen vergessen zu sein. Tweets und sapere aude, wie geht das? Kay Hoff ist immer ein unbequemer Schrifststeller gewesen, nicht nur in Bödelstedt oder Würstchen bürgerlich.

Als Kay Hoff (zweiter von rechts) 1965 den Ernst Reuter Preis erhielt, sagte er: Mißtrauen ist notwendig. Mißtrauen und Skepsis gerade auch jenen Menschen gegenüber, die in bester Absicht bemüht sind, das allgemeine Unbehagen mit Worten zuzudecken. Wenn wir nicht aufpassen, werden die Worte sich rächen, so wie sie sich schon einmal gerächt haben. Wenn vor kurzem der Bundespräsident meinte, es sei zu bedauern, daß das Singen vaterländischer Lieder bei der jungen Generation vielfach als veraltet und überholt angesehen werde, dann erscheint mir das einfach töricht zu sein: Die längst entleerten Worte vom Vaterland – vom heiligen Vaterland! –, mit denen unsere Väter und Großväter in den ersten Weltkrieg zogen, und die gleichen Worte, die unsere Väter nach dem ersten Weltkrieg bis zum zweiten Weltkrieg hin nach altem Maß und Klang zusammenreimten, sie sagen uns heute nichts mehr, und es ist deshalb nur zu begrüßen, daß sich bei uns kaum jemand in der jungen Generation bereitfindet, die großen gestrigen Worte vom Vaterland zu sagen und zu singen – Worte, die junge Menschen nur noch als Phrasen verstehen können (hier im ↝Volltext). Das erschien damals in Berlin als Skandal, und für die AfD wäre das sicher heute noch ein Skandal.

1949 wird Kay Hoff an der Universität Kiel mit einer Dissertation über Die Wandlung des dichterischen Selbstverständnisses in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Doktor der Philosophie promoviert, danach ist er erst einmal ein halbes Jahr als Hausmeister tätig. Es wird einige Zeit dauern, bis er von seinen Schriften leben und seine wachsende Familie ernähren kann. Von 1969 bis zum April 1973 ist er der Leiter des Kulturzentrums der Deutschen Botschaft in Tel Aviv, eine wichtige Zeit in seinem Leben. Und eine wichtige Zeit für die deutsch-israelischen Beziehungen. Kay Hoff hat seine literarische Karriere als Dichter begonnen. Der Band Band 9 der zehnbändigen Gesamtausgabe enthält dreihundert Gedichte aus den Jahren 1952 bis 2002, eine Auswahl, die Kay Hoff selbst vornahm. Ich kann Ihnen diese Gedichte alle ↝hier anbieten, manchmal ist das Internet wirklich für etwas gut. Und ich möchte aus der Sammlung drei Gedichte zitieren.

Das erste heißt Heinrich Immel zum Gedächtnis, Hoff hat es einem seiner Lehrer gewidmet: Mich haben meine Lehrer lange begleitet, einige haben mich verfolgt. Einer erschien als Alptraum in einer Erzählung, ein anderer wurde zur negativen Erzählerfigur eines Romans. Für einen aber habe ich ein Gedicht geschrieben, 1969, bei der Nachricht von seinem Tode, und sein Name steht über diesem Gedicht, das so etwas wie einen Dank abstatten wollte: Heinrich Immel zum Gedächtnis.

Streng, sachlich, autoritär,
ein bißchen wunderlich manchmal,
gelegentlich unfreundlich,
dazu ein Scheißliberaler,
von altem Korn: ein Lehrer, 
Geschichte, Latein. Wer
rechnet Güte dagegen auf? 
Unbelehrbar: Er paßte nicht
in die blühenden sechziger Jahre 
unseres großartigen Jahrhunderts, 
auch in die goldenen Fünfziger nicht, 
er traute dem Adenauer-Frieden 
nicht über den krummen Weg,
schon in den tausender Jahren
schien er uns alt: unbelehrbar.
Ohne ihn heulten die Wölfe.
Sein Typ war wenig gefragt.
Aber er fragte uns, immer wieder
in diesen unfreundlichen Zeiten, 
fragte streng, sachlich, wunderlich 
manchmal, unerbittlich:
Wir mußten die Antworten suchen. 
Einige fand ich erst spät,
im fünften, sechsten Jahrzehnt 
unseres unbelehrbaren Jahrhunderts. 
Die Fragen vergesse ich nicht.

Für das nächste Gedicht muss ich Sie ein wenig zurückversetzen in die Zeit als die Filme schwarz-weiß und die Frauen schöner waren. Das Gedicht heißt Film aus den frühen 50ern. Sie wissen, dass ich Ihnen  aus den 50er und 60er Jahren immer wieder Erinnerungshäppchen serviert habe, ich kann nicht anders. Falls Sie das aus irgendeinem Grund verpasst haben sollten: unten in dem Post ↝Claude Lelouch finden Sie alle wichtigen Posts zum französischen Film. Und das Gedicht von Kay Hoff ist hier:

Wieder die Limousinen, Chrom,
schleichend und unerreichbar,
die lockenden Augen wieder
in Wimpernkränzen, und die Väter
mächtig und ehrbar wie je,
strenges Schwarzweiß: Wir kamen
müde aus Kellern herauf,
tauschten uns ein gegen Maisbrot
und harschen Pflaumentabak,
der Tacho kroch mühsam auf 100,
die Kavalierstaschentücher
predigten schuldloses Weiß.
So einfach war Liebe damals.
So lachten wir niemals wieder.
Das Spiel wird nicht wiederholt.

An die Kavalierstaschentücher, die in dem Post ↝Ingeburg Thomsen auch eine Rolle spielen, kann ich mich noch erinnern. Ich trage auf diesem Photo vom ↝Abtanzball (oberste Reihe, zweiter von links) auch so ein Tüchlein. Ob die Liebe damals einfach war, das weiß ich nicht, aber wir glaubten es. Ich habe zum Schluss ein Liebesgedicht, in dem das Wort Liebe nicht vorkommt, wie der Autor gesagt. Es heißt Bescheidene Gabe:

Diesen Himmel schenke ich dir.
Er ist nicht mehr neu.
Ich hab ihn öfters gebraucht,
besonders das Blaue:
Du siehst die Spuren am Einband.
Vom Abendrot sind die Ränder
zurückgeblieben, und der Regen,
du weißt, hat einige Seiten
ganz ausgeblichen. Manchmal
war auch die Sonne zu grell,
da sind mir Blätter vergilbt,
und der Nachtsturm riß eine Seite ein,
damals, da war ich nicht bei dir.
Die Sterne haben Löcher gesengt,
ich habe nicht aufgepaßt, der Mond
hat die Wolken unachtsam verschoben,
das sind die Flecken im Dunkel.
Er ist nicht mehr neu, mein Himmel,
es ist nicht leicht, ihn zu lesen.
Aber die Ränder, die Risse, die Spuren
gehören mir, das verblichene Blau,
und ich schenke ihn dir, diesen Himmel.


Der Berliner Professor Hans Dieter Zimmermann hat am 80. Geburtstag von Kay Hoff eine schöne ↝Rede gehalten, die das Leben und das Werk des Autors würdigt. Inzwischen gibt es auch eine ↝Dissertation über Kay Hoff. Seiner Heimatstadt Neustadt hatte Hoff schon zu Lebzeiten seinen literarischen ↝Nachlass vermacht. Nachdem er so lange kaum beachtet wurde, hat er das Glück, dass beinahe alles von ihm im Internet steht. Man kann sich natürlich auch seine Bücher kaufen.

Dienstag, 24. April 2018

Plattdeutsch


Warum nicht mal wieder ein büschen Platt? Klaus Groth hat heute Geburtstag. Der Dichter, der häufig den Sommer bei den reichen Eltern seiner Frau Doris in meinem Heimatort Vegesack verbrachte, ist schon häufig hier im Blog gewesen. Zum Beispiel in den Posts Klaus Groth und Min Jehan. Mein Opa sprach westfälisches Platt, mein Vater das Platt der schleswig-holsteinischen Westküste. Er liebte Klaus Groth, Fritz Reuter und Theodor Storm. Das habe ich wohl schon in dem Post Theodor Storm geschrieben. Wenn Wochenmarkt auf dem Sedanplatz war, ging mein Vater einkaufen. Er ging sonst nie einkaufen, an den Markttagen immer. Nur weil er dann mit den Bauern auf dem Markt platt snacken konnte.

Ich bin mit der Sprache aufgewachsen, ich höre und lese sie immer gern. Die Sprache wird im Norden auch noch gepflegt, Universitäten bieten Niederdeutsche Philologie an, die örtliche Zeitung offeriert Seiten auf Plattdeutsch. Als ich jung war, habe ich jeden Morgen Hör mal'n beten to im Radio gehört. Das gehörte zum Tagesbeginn dazu, wie die Nebelhörner, die von der Weser her tuteten. Und die Vulkanesen, wie die Arbeiter des Vulkans hießen, mit ihren schweren genagelten Arbeitsstiefeln die Weserstraße entlang zur Arbeit marschierten. Jetzt weiß ich, dass es gleich sieben Uhr sein wird. Das Radio sagt, dass im Hamburger Arbeitsamt in der Admiralitätsstraße noch Schauerleute gesucht werden, jeden Tag. Admiralitätsstraße. Klingt toll, die Wirklichkeit ist nicht so toll. Viele, die in Hamburg hinter den eisernen Gittern aufgereiht in der Schlange stehen, werden keine Arbeit finden. Aber darüber dachte ich damals nicht nach. Jetzt kam im Radio erst einmal Rudolf Kinau mit Hör mal'n beten to. Und dann die Morgenandacht, dann konnte der Tag kommen.

Mein Gedicht für den heutigen Tag ist, passend zum Regen draußen, Klaus Groths Regenleed:

Regen, Regen drus',
Wi sitt hier warm in Hus'!
De Vageln sitt in Bom to kurn,
De Köh de stat an Wall to schurn:
Regen, Regen drus',
Wi sitt hier warm in Hus'!

Regen, Regen rusch,
Wa rükt dat ut den Busch!
De Blöm de hangt so slapri dal,
De Böm de röhrt de Blæd ni mal:
Regen, Regen rusch,
Wa rükt dat ut den Busch!

Regen, Regen sus'
Vun baben op uns Hus,
Vunt Dack hendal in striken Strom
Un lisen ut den Eschenbom:
Regen, Regen sus'
Vun baben op uns Hus.

Regen, Regen rull,
Bet alle Gröben vull!
Denn lat de Wulken æwergan,
Lat de Sünn wedderkam';
Regen, Regen rull,
Bet alle Gröben vull!

Und dann habe ich da noch ein wunderschönes Gedicht von Theodor Storm, das er 1872 für Klaus Groth geschrieben hat:

Wenn't Abend ward,
Un still de Welt, un still dat Hart;
Wenn möd up't Knee di liggt de Hand,
Un ut din Husklock an de Wand
Du hörst den Parpendikelslag,
De nich to Woort keem över Dag;
Wenn't Schummern in de Ecken liggt,
Un buten all de Nachtswulk flüggt;
Wenn denn noch eenmal kiekt de Sünn
Mit golden Schiin to't Finster 'rin,
Un, ehr de Slap kümmt un de Nacht,
Noch eenmal Allens lävt un lacht -
Dat is so wat vör't Minschenhart,
Wenn't Abend ward.

Und zum Schluss habe ich noch ein kleines Schmankerl für die Liebhaber des Niederdeutschen. Nämlich Rudyard Kiplings berühmtes Gedicht Mandalay auf Plattdeutsch.


Montag, 23. April 2018

fliegende Tauben


Ich wollte bei ebay auf dieses Hemd von der italienischen Firma Guy Rover bieten, verpasste aber die Auktion. Weil ich unbedingt etwas schreiben musste und nicht auf den Termin geachtet hatte. Ich fragte die Verkäuferin, ob es eine Möglichkeit zum Sofortkauf gäbe. Sie bejahte. Wenig später bekamen wir eine Abmahnung von ebay, weil man offenbar keine privaten Deals machen darf. Meine Verkäuferin ging zur Geheimsprache über. Als sie mein Geld auf dem Konto hatte, schrieb sie: Der Adler ist gelandet, die Taube fliegt. Die blau-weiße Taube landete dann auch sicher bei mir, ich überlege, ob ich dem Hemd den Namen Taube geben sollte. Oder Wings of the Dove, wie bei Henry James.

Als Kelly in den siebziger Jahren seinen Laden aufmachte, hatte er an Hemdenfirmen Guy Rover, Truzzi und Orian. Später kam noch Luigi Borrelli hinzu. Die Firma Guy Rover war damals ganz neu auf dem Markt. Ich schwöre auf alte Guy Rover und Orian Hemden (trage aber ansonsten auch Fray, Pegaso, R. Böll und Dantendorfer), und wenn so etwas bei ebay auftaucht, bin ich sofort dabei. Man kauft sich ein Stück Vergangenheit zurück. Ich habe noch Hemden im Schrank, die ich vor vierzig Jahren gekauft habe, ich bin Nostalgiker, wenn man die gut pflegt, halten sie ewig.

Die Taube, die ein Etikett von Guy Rover und Uli Knecht hat (der am Anfang ja nur Spitzenfirmen führte), war ein Vintage Modell. Aber ungetragen. Das Hemd hat alles, was ein italienisches Spitzenhemd haben muss: angepasster Musterverlauf, dicke Knöppe und das kleine Dreieck unten in der Naht. Und dann noch das i-Tüpfelchen: das Knopfloch am Ärmel ist horizontal eingesetzt. Wenn Sie nicht wissen, was das bedeutet, dann sollten Sie mal eben den Post Handschuhknopf lesen.

Ich habe auch ein Gedicht für das Hemd. Als ich 2010 ein Vierteljahr im Netz war, gab es hier einen Post, der Oberhemden hieß. Natürlich mit einem Gedicht versehen, weil dies mein erster Poetry Month war. Das Gedicht war von der amerikanischen Dichterin Jane Kenyon, es hieß The Shirt:

The shirt touches his neck
and smoothes over his back.
It slides down his sides,
it even goes down below his belt -
down in his pants.
Lucky shirt.

Mein Gedicht heute heißt schlicht Das Hemd, es findet sich in Ernesto Cansados kleinem Buch Gedichte Gedanken Rezepte: Für´s Leben und den Herd:

Du wolltest mich am Abend besuchen
Es war wie immer.

Ich duschte die Last des Tages aus meinen Poren
Es war wie immer.

Ich zog ein frisches Hemd an
Es war wie immer.

Du küsstest mich freundschaftlich flüchtig
Es war wie immer.

Wir aßen und tranken und redeten
Es war wie immer.

Wir küssten uns plötzlich und unerwartet
Mit geöffneten Lippen und voller Leidenschaft
Unsere Seelen berührten ohne Vorwarnung unsere Körper
Und die Körper umschlangen die Seelen
Es war anders als immer.

Mein Hemd nahm Deinen Geruch an
Es ist resistent gegen Schweiß
Resistent gegen mich und Waschmittel und Weichspüler
Das einzige meiner Hemden das jetzt einen Namen trägt
Nichts ist wie immer.

Sonntag, 22. April 2018

The Yellow Rose of Texas


Am 22. April 1836, einen Tag nach der Schlacht von San Jacinto (die schon in den Posts ↝Donald Trump und ↝Alamo erwähnt wird) haben die texanischen Freiheitskämpfer den mexikanischen General Antonio López de Santa Anna gefangen genommen. Und ihn gezwungen, die Unabhängigkeit der Republik Texas anzuerkennen. Das Photo hier ist aus der 10-teiligen Serie ↝Texas Rising, es zeigt den General Santa Anna und die schöne Emily D. West (die manchmal auch Emily Morgan genannt wird).

Sie ist eine Farbige, die in dem Lied The Yellow Rose of Texas als yellow bezeichnet wird, weil sie einen weißen Vater hat. Es hat sie wirklich gegeben, dies hier ist ihre Unterschrift. Sie können ↝hier mehr zu ihr lesen. Ob es aber wahr ist, dass der General Santa Anna die Schlacht von San Jacinto trotz tausendfacher Überlegenheit vergeigt hat, weil er mit der yellow rose im Bett lag, das ist eine andere Geschichte.

Seit dem Jahr 1836 gibt es das Lied The Yellow Rose of Texas:

There's a yellow rose in Texas
That I am a going to see
No other darky knows her
No one only me 

She cryed so when I left her
It like to broke my heart
And if I ever find her
We nevermore will part.

She's the sweetest rose of color
This darky every knew
Her eyes are bright as diamonds
They sparkle like the dew 

You may talk about dearest May
And sing of Rosa Lee
But the yellow rose of Texas
Beats the belles of Tennessee.

Das ist natürlich nicht politically correct, die darkies darf es nicht mehr geben. Auch in ↝Stephen Fosters ↝My Old Kentucky Home, der Nationalhymne von Kentucky, sind die darkies verschwunden. Im amerikanischen Bürgerkrieg ist The Yellow Rose of Texas mit veränderten ↝Texten gesungen. Die Melodie blieb, die Texte änderten sich. Als ↝Elvis das Lied sang, sah es schon ganz anders aus:

Oh the yellow rose of Texas is the only girl I love
Her eyes are even bluer than Texas skies above
Her heart’s as big as Texas and wherever I may go
I’ll remember her forever because I love her so.

There are so many roses that bloom along the way
But my heart’s in Amarillo and that’s where it will stay
With the yellow rose of Texas so I’d better get there fast
‘Cause I know I was her first love and I want to be her last.


Noch mehr Elvis in diesem Blog: ElvisElvis has left the building!, Ann-Margret, mehr Jazz?, Amazing Grace, Black Watch, Aurora, Sommermode, Ingeburg Thomsen, Elgin Automatic, Steuerschulden, Viva Zapata!, Nina van Pallandt, Gary Glitter, Stromlinie, Method Acting, Wildlederschuhe, Grand Old Opry, Charlie Parker spielt La Paloma, Bremerhaven

Samstag, 21. April 2018

Alltagslyrik: Hans-Ulrich Treichel


Meinen ersten Gedichtband von Hans-Urich Treichel (Der einzige Gast) fand ich bei Eschi im ↝Antiquariat. Ein schmaler grüner Suhrkamp Band, der aus der Bibliothek von Hans-Jürgen Heise stammte. Eschi hat einen großen Teil der Bibliothek gekauft. Das steht schon in dem Post zu ↝Sabine Techel, der vor einem Jahr hier ein richtiger Renner war. Hans-Jürgen Heise hat in den Gedichtbänden, die ihm meistens von den Autoren oder ihren Verlagen zugeschickt wurden, Gedichte, die er bemerkenswert fand, mit kleinen Kreuzen versehen. Die Gedichte mit den Kreuzchen lese ich immer zuerst, stimme aber nicht immer mit Heise überein.

Wenn die Dichter über Nord- und Ostsee, Meer und Strand schreiben, kriegen sie bei dem Kieler Hans-Jürgen Heise immer schon mal einen Sympathiepunkt. Zlatko Krasni hat in einem hübschen Gedicht Heise und die Ostsee miteinander verbunden. Das Gedicht finden Sie ↝hier, wenn Sie sich durch die Uhrenarmbänder gescrollt haben. Heise gefiel Treichels Gedicht Inselmuseum:

Schiffsuntergänge, prächtig
umwölkt, blaue Wale im Abendlicht, 
Eisschollen, darauf zwei träumende 
Bären, und im salzharten Bordbuch 
die zerflossenen Worte: Wetter 
gut. Sicht gut. Aus

Ist nett mit den blauen Walen im Abendlicht, ein klein wenig bemüht und konstruiert. Ich stelle dem Inselmuseum mal eben ein Gedicht mit dem Titel Bootsschuppen gegenüber:

Blechteller mit Pastetenkrümeln sauberster
Gegenstand an diesem Ort, 
Fliegen überall, Hundehaare im Fett, 
rosa schimmert die Haut durch die kahlen Stellen im Fell. 
Über ausgenommenen Makrelen grinst der Bootsverleiher - 
unverändert nach zehn Jahren. 
Wenn du die Küche übernimmst, 
kannst du bleiben

Das bleibt kleben. Wir können nicht anders, wir behalten es im Gedächtnis. Das Gedicht (auch mit dem Heiseschen Kreuzchen versehen) findet sich in Ralf Theniors Gedichtband (der auch Kurzprosa enthält) ↝Traurige Hurras. 1974 hatte die Zeitschrift Literarische Hefte ↝F. C. Delius und Ralf Thenior ihren Jahrespreis verliehen: Seine Stärke — und wir kennen zur Zeit niemand, der das so perfekt kann — sind kleine Prosa-Miniaturen, in denen sich eine ganz eigene, originelle Wahrnehmung von Vorgängen und Situationen ausdrückt, sie überraschen den Leser mit einem lautlosen Knall. So wäre einem das selbst nie aufgefallen, was Thenior da wie selbstverständlich vorführt. — Aber seine Darstellung macht auch unvermutete Vorfälle, Vorstellungen, Wendungen plausibel und reizvoll. Wenn hier von Prosa-Miniaturen die Rede ist, so sind das eigentlich Gedichte. Sagt auf jeden Fall Helmut Heißenbüttel im Nachwort zu Traurige Hurras. Und aus dem Band zitiere ich noch ein Gedicht, das Die Fastfrau heißt. Bekommt bei Heise mehrere Kreuze:

Wenn sie
um die Ecke kommt
mit ihren 14 Jahren
und dem rosa Pullover
etwas schmuddelig
an den Brüsten
hat schon ne Handvoll
sagen die Jungs
wenn sie
um die Ecke kommt
mit der Kaugummiblase
vor dem Mund
PLOPP

Doch zurück zu Hans-Urich Treichel. Bei Suhrkamp schreiben sie für seine Bücher tolle ↝Klappentexte und Waschzettel: Geschult an Heine, Brecht und Benn, spielt Treichel, wie ein Kritiker bemerkte, »virtuos mit Assoziationen und Binnenreim und erreicht ein Höchstmaß an pointierter Schlichtheit, Kunstfertigkeit und Musikalität«, heißt es da. Und seine Gedichte sind lesbar, verwendbar und nachprüfbar. Das prüfen wir doch mal an dem Gedicht Benn nach:

In so vielen Formen zu Hause 
In so vielen Lagen vakant 
Meist Bier und gelegentlich Brause 
Und immer bei klarem Verstand 

Mit allen Wassern gewaschen 
Von mancher Säure geätzt 
Und für die Damen Rosen 
Ein Dutzend grob geschätzt 

Äonische Zeiten beschworen 
Der Rest war Serologie 
Selten die Fassung verloren 
Grundsatz: Einsamer nie

Nett. So etwas konnte man vor Jahrzehnten in Pardon lesen. Ist das große Dichtung? Wir stellen dem mal eben etwas Alltagslyrik von Gottfried Benn (mit herzlichem Dank an JB) gegenüber:

Hör zu, so wird der letzte Abend sein,
wo du noch ausgehen kannst:du rauchst die “Juno“,
“Würzburger Hofbräu“ drei, und liest die UNO,
wie sie der 'Spiegel' sieht, du sitzt allein

an kleinem Tisch, an abgeschlossenem Rund
dicht an der Heizung, denn du liebst das Warme.
Um dich das Menschentum und sein Gebarme,
das Ehepaar und der verhasste Hund.

Mehr bist Du nicht, kein Haus, kein Hügel dein,
zu träumen dich in sonniges Gelände,
dich schlossen immer ziemlich enge Wände
von der Geburt bis diesen Abend ein.

Mehr warst du nicht, doch Zeus und alle Macht,
das All, die großen Geister, alle Sonnen
sind auch für dich geschehn, durch dich geronnen,
mehr warst du nicht, beendet wie begonnen -
der letzte Abend - gute Nacht.


Ich komme ganz schnell durch Treichels ↝Gedichtbände, ich klebe selten fest. Er ist kein ↝Uli Becker, auch wenn er manchmal so klingt. Ein ↝Rolf-Dieter Brinkmann ist er auch nicht. Aber es gibt auch gute Sachen wie dieses kleine Liebesgedicht:

Noch ist alles möglich.
Wir haben uns flüchtig gestreift.
Der Rest: wahrscheinlich tödlich.
Die Kunst: Das man es begreift.

Wir sollten es dabei belassen.
Ein Hauch ist fast wie ein Kuss.
Sich lieben heißt auch sich verpassen.
Auf andere Art. Und Schluß.

Das letzte Gedicht in Treichels Gedichtband ↝Südraum Leipzig (für den er in der Süddeutschen und hier harsche Kritik einstecken musste) hat den Titel Schreiben Sie eigentlich noch Gedichte? Ich zitiere es einmal hier zum Schluss:

Wenn mir was einfällt
Wenn mir was hinfällt
Im Dunkeln
Wenn ich allein bin
Wenn ich sehr allein bin
Für die Katze
Auf Reisen wenn ich Heimweh habe
Zu Hause wenn ich Heimweh habe
Aus Spaß an der Freud
Nur für meine Mutter
Nur gegen meine Mutter
Um Himmels willen
Nur wenn ich will
Nur wenn es sein muß
Sonst nie

Donnerstag, 19. April 2018

Nachdichtung


Am 19. April 1824 ist Lord Byron gestorben. Der Dichter ist in diesem Blog ein häufiger Gast gewesen, ich liste die Posts einmal unten auf. Ich habe in meinem Studium eine viersemestrige Romantik Vorlesung gehört, über Keats, Shelley, Byron, the rest of the guys in the band? wie Sergeant Hathaway in der ↝Lewis Folge ↝And the Moonbeams Kiss the Sea so schön sagt. Lord Byron kam in der Vorlesung so gut wie nicht vor. Wahrscheinlich hatte der ↝Professor Angst vor ihm. Oder der Assistent, der ihm die Vorlesung schrieb (und den er an Kollegen zum Rasenmähen auslieh), hatte Byron schlicht vergessen. Ich vergesse unseren Lord natürlich nicht und habe heute ein Gedicht, das den Titel Abschied von England vor seiner Reise nach Lissabon hat:

Leb wohl! leb wohl! im blauen Meer
Verbleicht die Heimat dort.
Der Nachtwind seufzt, wir rudern schwer,
Scheu fliegt die Möwe fort.

Wir segeln jener Sonne zu,
Die untertaucht mit Pracht.
Leb wohl, du schöne Sonn, und du,
Mein Vaterland - gut Nacht!

Mit dir, mein Schiff, durchsegl ich frei
Das wilde Meergebraus.
Frag nicht, nach welchem Land es sei,
Nur trag mich nicht nach Haus!

Seid mir willkommen, Meer und Luft!
Und ist die Fahrt vollbracht,
Seid mir willkommen, Wald und Kluft!
Mein Vaterland - gut Nacht!

Der Übersetzer ist kein Geringerr als ↝Heinrich Heine, ein Dichter, der Byron verehrt hat: Während ich dieses schreibe erfahre ich daß mein Vetter, Lord Byron, zu Missolungi gestorben ist. So hat dieses große Herz aufgehört zu schlagen! Es war groß und ein Herz, kein kleines Eyerstöckchen von Gefühlen. Ja dieser Mann war groß, er hat im Schmerze neue Welten entdeckt, er hat den miserabelen Menschen und ihren noch miserableren Göttern prometheisch getrozt, der Ruhm seines Namens drang bis zu den Eisbergen Thules und bis in die brennenden Sandwüsten des Morgenlandes. take him all in all, he was a man. Wir werden sobald nicht mehr seines Gleichen sehen. Sie können mehr dazu in dem Post ↝Byron lesen. Allerdings findet sich bei Byron kein vierstrophisches Gedicht, das vom Abschied von England handelt. Woher hat Heine das?

Man muss da schon ein wenig suchen, und ein Puzzle zusammensetzen. Die Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1818 veröffentlichte ein Gedicht von Byron, das zehn Strophen hatte und mit folgenden Sätzen eingeleitet wurde: Unser Reisender – also nicht Held – an idle traveller würde ihn Yorik nennen – geht zu Schiffe. Die Sonne steigt nieder und er singt dem Vaterlande sein Abschiedslied, ein liebliches im ächt romantischen Tone gehaltenes Lied. Diese zehn Strophen waren nichts anderes als der Anfang von Byrons Childe ↝Harold's Pilgrimage. Heinrich Heine macht jetzt - frech oder genial - nichts anderes, als sich zwei Strophen herauszupicken und den Rest wegzulassen, ich habe diese beiden Strophen blau eingefärbt:

Adieu, adieu! my native shore
Fades o’er the waters blue;
The night-winds sigh, the breakers roar,
And shrieks the wild sea-mew.
Yon sun that sets upon the sea
We follow in his flight;
Farewell awhile to him and thee,
My Native Land—Good Night!

A few short hours, and he will rise
To give the morrow birth;
And I shall hail the main and skies,
But not my mother earth.
Deserted is my own good hall,
Its hearth is desolate;
Wild weeds are gathering on the wall,
My dog howls at the gate.

‘Come hither, hither, my little page:
Why dost thou weep and wail?
Or dost thou dread the billow’s rage,
Or tremble at the gale?
But dash the tear-drop from thine eye,
Our ship is swift and strong;
Our fleetest falcon scarce can fly
More merrily along.’

‘Let winds be shrill, let waves roll high,
I fear not wave nor wind;
Yet marvel not, Sir Childe, that I
Am sorrowful in mind;
For I have from my father gone,
A mother whom I love,
And have no friend, save these alone,
But thee—and One above.

‘My father blessed me fervently,
Yet did not much complain;
But sorely will my mother sigh
Till I come back again.’—
‘Enough, enough, my little lad!
Such tears become thine eye;
If I thy guileless bosom had,
Mine own would not be dry.

‘Come hither, hither, my staunch yeoman,
Why dost thou look so pale?
Or dost thou dread a French foeman,
Or shiver at the gale?’—
‘Deem’st thou I tremble for my life?
Sir Childe, I’m not so weak;
But thinking on an absent wife
Will blanch a faithful cheek.

‘My spouse and boys dwell near thy hall,
Along the bordering lake;
And when they on their father call,
What answer shall she make?’—
‘Enough, enough, my yeoman good,
Thy grief let none gainsay;
But I, who am of lighter mood,
Will laugh to flee away.’

For who would trust the seeming sighs
Of wife or paramour?
Fresh feeres will dry the bright blue eyes
We late saw streaming o’er.
For pleasures past I do not grieve,
Nor perils gathering near;
My greatest grief is that I leave
No thing that claims a tear.

And now I’m in the world alone,
Upon the wide, wide sea;
But why should I for others groan,
When none will sigh for me?
Perchance my dog will whine in vain
Till fed by stranger hands;
But long ere I come back again
He’d tear me where he stands.

With thee, my bark, I’ll swiftly go
Athwart the foaming brine;
Nor care what land thou bear’st me to,
So not again to mine.
Welcome, welcome, ye dark blue waves!
And when you fail my sight,
Welcome, ye deserts, and ye caves!
My Native Land—Good Night!

Aus alt mach neu, wir lassen den größten Teil weg, aber auch diese beiden Strophen, die Heine übersetzt, sind ein Stück Literatur.

Noch mehr Lord Byron finden Sie hier: Lord Byron, Byron, Lord Byrons Schuhe, Lord Byron, DrachenfelsDraculaElba, Luxuskutschen, Hellas, hélas, Griechen, Wilhelm Müller, Griechen-Müller, Volkslieder, Thomas Moore, Dante Gabriel Rossetti, Dracula, Touristen, Vulkane, Cricket, William Hazlitt, Lord John Russell, Frederic Raphael, Henry Kirk White, Rahel, Horace Walpole, Thomas Chatterton, Schmutzige Lyrik, Papierkragen, Landleben, Sigrid Combüchen, Waterloo, das Jahr ohne Sommer

Ich bekam gerade als eine Art Kommentar dieses ↝BBC Video geschickt, in dem Philomena Cunk von einem romantischen Dichter namens Ron redet. Man muss das Gedicht des Professors, den sie interviewt, gesehen haben. Die Szene ist gleich am Angang.

Mittwoch, 18. April 2018

verweht


There was a land of Cavaliers and Cotton Fields called the Old South... Here in this pretty world Gallantry took its last bow... Here was the last ever to be seen of Knights and their Ladies Fair, of Master and Slave... Look for it only in books, for it is no more than a dream remembered. A Civilization gone with the wind... Schöne Worte, pathetisch serviert, der Southern Myth in der Kurzfassung. Das ist der Anfang des Filmes ↝Gone With the Wind. Heute vor 54 Jahren starb Ben Hecht, den man den Shakespeare von Hollywood genannt hat, die Sache mit den cotton fields und cavaliers verdanken wir ihm. Sie könnten auch in Büchern wie When Knighthood was in Flower (ein Bestseller im Süden) und ähnlichen Werken stehen. Margaret Mitchell hatte für ihren Roman alternative Titel, ↝Tomorrow Is Another Day war einer davon.

Was Tara still standing? Or was Tara also gone with the wind which had swept through Georgia? steht im Roman, das Gone with the Wind steht nur im Titel. Das hat sie bei dem Engländer Ernest Dowson gefunden. In einem Gedicht, das den Titel ↝Non sum qualis eram bonae sub regno Cynarae hat. Ein Liebesgedicht, wo es in der dritten Strophe heißt I have forgot much, Cynara! gone with the wind. Das war es, was Margaret Mitchell anzog: It was the far away, faintly sad sound I wanted. Ernest Dowsons große Liebe ist elf Jahre alt, eine kleine Tresenschlampe. Er ist dreiundzwanzig, sechs Jahre wird er sie umwerben. Sie wird einen anderen nehmen. Er verfällt dem Alkohol, natürlich ↝Absinth, dem Modegetränk der decadence. Und schreibt wunderbar traurige, melancholische Liebesgedichte: I cried for madder music and for stronger wine, But when the feast is finished and the lamps expire, Then falls thy shadow, Cynara! the night is thine.

Das Gedicht des heutige Tages hat wieder einen lateinischen Titel, schließlich war der Dichter mal in Oxford. Da kann man dann schon Horaz mit Vitae summa brevis spem nos vetat incohare longam zitieren:

They are not long, the weeping and the laughter,
Love and desire and hate;
I think they have no portion in us after
We pass the gate.

They are not long, the days of wine and roses,
Out of a misty dream
Our path emerges for a while, then closes
Within a dream.

Dienstag, 17. April 2018

Pornos


Also, irgendwann ist Schluss. Ich gab bei Google meine Blogadresse ein, um zu sehen, was dann passiert. Vielleicht kann man so den ↝verschwundenen Lesern nachspüren. Manchmal findet man auf diese Weise ja Reaktionen und Kommentare zu meinen Posts, wie zum Beispiel ↝dies hier oder ↝ das da. Oder man findet Seiten, auf denen Posts aus SILVAE recycelt werden, wie zum Beispiel ↝hier. Aber gestern klickte ich etwas an, das silvae: August 2012 - loomings-jay.blogspot.ca hieß. Dachte mir, guck' mal, was im August 2012im Blog los war. Doch da landete ich plötzlich bei nackten Frauen. Seitenlang. Wenn man so etwas anklickt, gelangt man natürlich nicht zu meiner Blogadresse, sondern zu tausenderlei Adressen, die ↝neuemedien online oder so heißen. Und irgendwo auf der Seite taucht in dem Gewusel von photographisch bearbeitetem Frischfleisch meine Blogadresse auf. Zum Beispiel neben dieser Dame, die angeblich Kelly Hargraves heißt, aber bestimmt meinen Blog nicht liest. Wenn sie überhaupt lesen kann.

Es wird viel Schindluder betrieben im Netz. Ich habe auf einer ↝Seite gelesen: Liebe Leser und Leserinnen meines Blogs, mein Blog wurde gekapert. Schon im Frühling dieses Jahres, herausgefunden habe ich es per Zufall im Juni. Kapern bedeutet: ein Blog wird 1:1 kopiert und unter einer neuen Domain veröffentlicht. Der Zweck der Sache ist, in den kopierten Blog Werbung einzufügen und damit Geld zu verdienen, ohne eigene inhaltliche Leistung. Also unter illegaler Verwendung gestohlenen geistigen Eigentums. So etwas gibt es also auch. Nennt sich Content Diebstahl, ist massenhaft verbreitet. Ich sehe schon die Schlagzeilen in der Bild Zeitung: Pornoseiten kapern Kulturblog. Hoffentlich ist auf einer der Seiten, in der sich meine Blogadresse findet, nicht auch noch Donald Trumps Flittchen Stormy Daniels zu finden. Wenn man die Adresse meiner Seite bei ↝DuckDuckGo eingibt, kommt man nicht zu diesen schmutzigen Seiten, mit denen Google offensichtlich sein Geld verdient.

Es stellen sich hier Fragen. Ist das Ganze schon kriminell? Das Kapern sicherlich. Meine Adresse auf einer Pornoseite auch? Erreichen mich meine Leser nicht mehr, weil sie neuerdings nicht mehr bei SILVAE, sondern auf solchen Pornoseiten landen? Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass ich mit dem Ganzen nichts zu tun habe. Wenn es hier Nackedeis gibt wie Ilka Schüttelkorb, dann hat das einen Grund. Sie tauchte in dem Post zu ↝Hugh Hefner zusammen mit einem Gedicht von Matthias Politycki auf:

Da liegt sie hingeweht im Dünenschwung, gereift
zu scheuer Willenlosigkeit, aprilfrisch griffig,
ein sanfter Frühlingshorizont, so wölbungspfiffig!
Warum mein Auge trotzdem in die Ferne schweift?

Weil: Fern im Heft, da liegt und lockt das ganze Land
der unbegrenzten Möglichkeiten, Lee wie Luv,
in einem Frauenleib, den sich ein Faun erschuf,
da bocken selbst die Worte, leisten Widerstand,

wenn man noch reden lange wollte statt zu tun,
ein jeder Satz geht in die Hose, tralala ...
ganz sprachlos steht man, weiß nicht ein noch aus noch ein –
und weiß es doch! Vom Scheitel bis zum Frack, oh ja,
wächst und gedeiht und drängt und drückt das ganze Sein.
Der Frühlingsdünenschwung, der darf inzwischen ruh'n.

Und da ich schon dabei bin erotische Lyrik zu zitieren, mache ich doch mit einem Gedicht von Michael Wildenhain weiter. Es hat den Titel Allerleirauh:

Es sei nicht mehr warm gewesen
Sie habe ein Kleid getragen und Nylons
Er habe vorn auf dem Beifahrersitz
Acht Bottiche Farbe transportiert

Sie habe hinten gesessen er
Habe sie im Rückspiegel gemustert
Was sie tue Künstlerin auch sein Metier sei
Farbe das Wort habe er betont

Manchmal habe er gesagt
Falle ihm Dreck in die Farbe
Muss man sieben habe sie erwidert
Er habe im Rückspiegel genickt

Sieben habe er bestätigt
Und ihre Beine betrachtet
Sehr feine Siebe er habe gelächelt
Und sie am Knie berührt

Sag es nun sag es er habe das Nylon
Zwischen den Fingerspitzen zerrieben
Feinstrumpfhose zerrieben
Feinstrumpfhose habe sie geflüstert
Sieben habe er zu ihr gesagt

Montag, 16. April 2018

Spike Milligan


Heute wäre er hundert geworden, der Terence Alan Milligan, den alle Welt nur als Spike Milligan kennt. Er konnte KBE hinter seinen Namen schreiben, war aber nicht ↝Sir. Weil er Ire und kein Engländer war. Im Zweiten Weltkrieg war er in der englischen Armee, da hätte er eigentlich Engländer sein müssen. Aber sei es, wie es sei, er hat das bestimmt nicht so ernst genommen. Über seinen Krieg hat er immer wieder geschrieben, beginnend mit Adolf Hitler: My Part in His Downfall. Er hatte Freunde im Königshaus, Charles zum Beispiel. Der ihn auch zu seiner ersten Hochzeit eingeladen hatte, wo Milligan in einem Morning Coat, den man zum Pferderennen, aber nicht in der Kirche trägt, einen seiner unnachahmlichen Auftritte hatte.

Denn diese Version des ↝Morning Coat ganz in grau darf, so eine alte englische Benimmregel, nur der Bräutigam (und der Brautvater) oder ein Viscount tragen. Prince Charles liebte The Goons (Spike Milligan, Peter Sellers und Harry Seacombe), ohne die es Monty Python wahrscheinlich nicht gegeben hätte. Einer ihrer großen Hits war der ↝Ying Tong Song, Spike Milligan kann dazu etwas erzählen, was ihm passierte, als er bei Prince Charles eingeladen war: At one point, William and Harry came down in their pyjamas and he said, 'Look Spike, would you sing the 'Ying Tong Song' to them?', and I had to sing this fucking song. I felt such a fool, but then we had a lovely supper.

Er ist in siebzig Filmen zu sehen, aber er hat auch sein Leben lang geschrieben, Schreiben war für ihn eine Therapie gegen die bipolare Depression. Er hat viele Gedichte geschrieben. Sie können ↝hier 51 davon lesen. Viele Gedichte sind Nonsense Gedichte, da haben die Engländer seit ↝Edward Lear eine schöne Tradition. Stephen Fry hat über Milligans Gedichte gesagt: absolutely immortal - greatly in the tradition of Lear. Ich zitiere heute einmal mein Lieblingsgedicht, ich weiß, dass ich das schon in dem Post ↝Theaterschlacht zitiert habe, aber das macht nichts. Es ist immer wieder gut:

Said Hamlet to Ophelia,
I'll draw a sketch of thee,
What kind of pencil shall I use?
2B or not 2B?