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Sonntag, 13. März 2022

Moritz von Strachwitz

Wie sich in den letzten dreißig Jahren innerhalb des Tunnels alles um Scherenberg drehte, so während der kurzen Epoche von etwa 1840 bis 1843 alles um Strachwitz. Er war zu genannter Zeit nicht bloß Mittelpunkt des Vereins, sondern zugleich auch aller Stolz und Liebling. Nach allem, was ich über ihn, namentlich aus Bernhard von Lepels Munde, gehört habe, lag zu dieser ihm eingeräumten Stellung auch die vollste Berechtigung vor, denn er zählte zu den immer nur dünn Gesäten, die nicht bloß Dichter sind, sondern auch so wirken. Er war wie seine Lieder: jung, frisch, gesund, ein wenig übermütig, aber der Übermut wieder gesänftigt durch Humor und Herzensgüte. Das schreibt Theodor Fontane über den Grafen Moritz von Strachwitz, der heute vor zweihundert Jahren geboren wurde. 

Fontane wird heute noch gelesen, aber Strachwitz? Muss man den kennen? Mit zwanzig Jahren hatte er seinen ersten Gedichtband veröffentlicht, der Lieder eines Erwachenden hieß, den hatte er als Gymnasiast geschrieben. Mit sechzehn Jahren schrieb er dieses Gedicht:

Der Schacher und das Memmenthum,
sie spreizen sich allwärts;
wo spricht für Ehr' und Heldenruhm
ein ritterliches Herz?
Doch, wen der junge Thatendrang
zu kecker Wagnis zieht,
der hört vielleicht zum Becherklang
ein altes Heldenlied.

Mein Blut ist warm, mein Herz ist jung,
gern läuft es fort mit mir,
gern schwingt es der Begeisterung
gluthfarbiges Panier;
es wühlt noch gern mit Kindessinn
im alten Sagenwust:
d'rum nehmt sie heut in Frieden hin,
die bunte Märchenlust.

In diesem Gedicht steckt das Programm für seine ganze Dichtung. 1848 erschien der Band Neue Gedichte. Strachwitz, der im Dezember 1847 starb, hat die ersten Exemplare des Buches noch gesehen. Er war in Venedig gewesen, wo er, schon lange kränkelnd, ernsthaft erkrankte. Ich bin so krank und sterben möcht' ich gerne Hier in Venedig, und begraben liegen In dieser Flut, dem Ruheplatz der Sterne! schreibt er in einem Gedicht. Aber es gibt für ihn keinen Tod in Venedig, er stirbt in Wien, im Hause der Gräfin Victoire von Strachwitz. Im Vorwort zu einer Ausgabe seiner Gedichte aus dem Jahre 1899 können wir lesen: 

Seit seinen Jünglingsjahren war Italien das Ziel seiner Sehnsucht und jetzt gewährte die väterliche Liebe ihm die Mittel nzu dieser Reise. Strachwitz reiste über Wien und Triest nach Venedig, von dort nach Mailand. Weiter kam er nicht, schwere Krankheit zwang ihn nach Venedig zurückzukehren. Nach kurzem Aufenthalte reiste er nach Wien zurück und wurde hier vom Typhus befallen. Nach Wochen banger Sorge schien er die Krankheit überwunden zu haben, er schien auf dem Wege der Besserung zu sein und glaubte dies selbst, als eine starke Gemütsbewegung, die seine Umgebung nicht von ihm fern halten konnte, einen Rückfall zur Folge hatte. Er erlag dem neuen Anfall am 11. Dezember 1847 im sechsundzwanzigsten Jahre seine Alters. Eine Verwandte, Victoire von Strachwitz, pflegte seiner mit liebender Hingabe, das letzte Gedicht 'An Victoire', welches er überhaupt dichtete, ist dieser Samariterin gewidmet.   

Strachwitz hat die Balladendichtung von Fontane beeinflusst, das sagen uns die Literaturhistoriker. Und wenn man Gedichte wie Das Herz von Douglas oder Das Lied vom falschen Grafen liest, kann man das nachvollziehen. Verse wie Sie ritten vierzig Meilen fast und sprachen Worte nicht vier oder kurz ist die schottische Geduld und lang ein schottisch Schwert! könnten von Fontane stammen. Allerdings fällt Das Herz von Douglas gegen Fontanes Archibald Douglas stark ab. Die Gedichte von Strachwitz entführen uns in eine seltsame Welt, Romanzen und Historien, furchtbar patriotische Lieder und Gedichte wie Ein wildes Lied, die den Krieg herbeisehnen. So wie Georg Heym sich in dem Gedicht Der Krieg den Krieg herbeisehnt, den er nicht mehr erleben wird. Wenn man die Gedichte von Strachwitz bei Zeno liest, dann fragt man sich, was das alles soll. Ich zitiere einmal eins seiner Reiterlieder:

Den letzten Kuß, den letzten Schluck!
Ich bleibe Dir keines schuldig;
Es schmachtet nach dem Schenkeldruck
Mein Rößlein ungeduldig.

Der linke Fuß im Bügel wiegt,
Der rechte steht im Grase,
Die linke Faust im Zügel liegt,
Die rechte liegt am Glase.

Er sah das Blut der Trauben an
Und stürzt' es wild hinunter,
Der Hengst, er hub zu schnauben an,
Der Säbel klirrte munter.

Er hob sie empor und herzte die Dirn'
Und hob und herzte sie wieder,
Es wogt auf des Mädchens weiße Stirn
Der weiße Helmbusch nieder.

Und wird man mich bringen stumm und blaß,
Und tät' man mich erschießen,
So sollst Du mir ein volles Glas
Auf die blutigen Lippen gießen.

Und sollst Deinen Mund mit heißen Druck
Auf meinen pressen geduldig;
Den letzten Kuß, den letzten Schluck!
Dann bleib' ich Dir Beides schuldig.

Den letzten Kuß, den letzten Schluck!
Wir müssen uns endlich trennen;
Der Hengst bekam den Schenkeldruck
Und streckte sich aus zum Rennen.

Goethe braucht nur zwei Zeilen für den Abschied (Es schlug mein Herz; geschwind zu Pferde! Es war gethan fast eh’ gedacht), Strachwitz viele Strophen. Er ist zwanzig Jahre alt, als er das schreibt, er war nie Soldat; in Schlesien, wo er zuhause ist, ist kein Krieg. Er phantasiert sich ein heroisches Ritter- und Heldentum herbei. In einer illustrierten Ausgabe der Gedichte sah das dann so aus. Ich habe die Abbildung aus dem hervorragenden Artikel im Goethezeitportal, wo einem zehn Bilder zu zehn Gedichten die ganze Strachwitzsche Welt vor Augen führen. Mehr braucht man von ihm nicht zu wissen. Ich bin mit solchen Bildern und solchen Texten großgeworden, das habe ich schon vor elf Jahren in dem Post Moritz von Schwind gestanden: 

Ich bin ein lebendes Beispiel dafür, dass man mit den Bildern von Moritz von Schwind aufwachsen kann, ohne größere Schäden davon zu tragen. Vom lebenslangen Hass auf ihn wollen wir nicht reden. Vom Hass auf Ludwig Richter, Schnoor von Carolsfeld, Rethel, Cornelius - und wie die deutschen Kleinmeister (die das Bürgertum für große Künstler hielt) von Spätromantik und Biedermeier so heißen - auch nicht. Während andere mit Micky Maus Heften aufwuchsen, wuchs ich mit der gezeichneten Märchenwelt der deutschen Romantik auf. Eigentlich war das ja nur eine andere Form der Comics. Denn die Kunst von Moritz von Schwind ist die Kunst des Zweidimensionalen, eine Kunst der Linie und der Koloration. Und damit ist er den Comics näher als der wirklichen Malerei.

Bei manchen Dichtern ist es schon gut, dass man sie vergessen hat. Strachwitz konnte Heinrich Heine nicht ausstehen, aber er bewunderte den Grafen von Platen, dessen Tod er bedichtet. Den ich überhaupt nicht bewundere, das steht schon in diesem Blog. Daß er in seinem Unmuthe sich gegen Heine und dessen Schule gewendet, wird ihm von Allen, so auf denselben schwören, übel genug angerechnet; aber er hatte – und darin war er Vollblut-Aristokrat und mahnt mitunter an den verabschiedeten Landsknecht“ – den Muth, die Wahrheit zu sagen und was ihm als schlecht, als nichtsnutzig erschien, einfach schlecht und nichtsnutzig zu nennen, kann man 1879 im Biographischen Lexikon des Kaiserthums Österreich lesen.

Schluss mit der verquasten patriotischen Neuromantik. Die Familie von Moritz von Strachwitz stammte aus Schlesien, wie Joseph von Eichendorff. Die beiden Dichter aus dem schlesischen Adel haben wenig miteinander gemein. Aber ein Strachwitz hat den Namen Eichendorff angenommen. Die Strachwitz sind heute über die Erde verstreut. Man könnte noch den General Hyazinth Graf Strachwitz erwähnen, aber da ist der amerikanische Musikproduzent Chris Strachwitz viel interessanter. Ich habe hier zum Schluss eine Verwandte aus Wien. Es ist die Gräfin Brigitte Strachwitz, die selbst wohl ein bisschen gemalt hat. Hier ist sie sich 1961 als Dame mit Sonnenhut von Maximilian Florian portraitierten lassen. Und das ist wirklich ein schönes Bild.

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