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Sonntag, 8. Mai 2022

Ubbelohde

Ich hielt die Karte in der Hand und sagte mir: Worpswede. Aber den Maler kannte ich nicht. Der war auch nicht aus Worpswede, der kam aus Marburg. Die Karte kam auch aus Marburg, weil die Claudia da studierte. Kunstgeschichte bei Professor Wolfgang Kemp. Der sei letztens mit solchen Entenjagd Schuhen zu einem blauen Anzug im Hörsaal erschienen, hatte sie mir erzählt. Ich nehme an, dass dieser Aufzug für Marburg eine Sensation war. In New York hätte man damit  kein Aufsehen mehr erregt, die Kombination von Entenjagdschuhen und eleganten Anzügen war damals bei Yuppies gerade modern. Wer Claudias Professor war, das wusste ich, denn ich hatte gerade sein Buch über John Ruskin gelesen, das beste deutschsprachige Werk zu Ruskin.

Ich beschloss, da ich nichts über Otto Ubbelohde wusste, diese Wissenslücke zu füllen. Das erste Buch, das mir in die Hand fiel, war im Worpswede Verlag erschienen, so kamen der Marburger Maler und Worpswede doch zusammen. Es ist von dem Kunsthistoriker Bernd Küster, dessen Buch Worpswede 1889 - 1989: Hundert Jahre Künstlerkolonie bei mir im Regal steht. Meine Assoziation Worpswede beim Anblick der Karte (die sich leider nicht im Internet findet) war doch nicht so falsch gewesen. Bernd Küster hat häufig über Worpswede geschrieben, und er war 1987 Preisträger des neu ausgelobten Otto Ubbelohde Preises. Sein Buch über Ubbelohde aus dem Jahre 1984 war die erste Monographie über den Maler. Da heute der hundertste Todestag des Malers ist, stelle ich noch einmal einen Post ein, der hier schon einmal stand. Der ist nach vier Jahren immer noch gut.

Dieses bezaubernde junge Mädchen kennen Sie schon, es findet sich in dem Post, der Worpswede heißt. Der Maler Otto Ubbelohde, der es gemalt hat, war mit einer Bremerin verheiratet. Deshalb zog es ihn wohl nach Worpswede, allerdings zog es ihn auch häufig in die bayrische Künstlerkolonie Dachau. Otto Ubbelohde kam aus Marburg. Dass es ihn nach Bremen verschlug, hat einen einfachen Grund, es sind verwandtschaftiche Beziehungen.

Denn die Johanna Ernestine (Hanna) aus der Künstlerfamilie Unger, die er heiraten wird, ist seine Cousine. Das verschweigt uns der Wikipedia Artikel. Der Maler hat seine Frau immer wieder gemalt, hier ganz in weiß, ein Bild, das uns an die Skagener Maler denken läßt. Diese Bilder der heure bleue, auf denen weißgekleidete Damen den Strand entlang schweben. Wahrscheinlich sind weiße Kleider weder am Strand noch im Moor sehr praktisch, aber sie sind nun einmal ein Kleidungsstück, mit dem die Bourgeoisie zeigt, dass sie Dienstboten hat, die die Kleidung waschen können. Das gilt auch für die Sportarten Tennis und Cricket, die Ende des 19. Jahrhunderts auch für Damen chic wurden. Die Frau in Weiß ist auch auf dem Cover des Katalogbuches Otto Ubbelohde: Kunst und Lebensreform um 1900 (Darmstadt 2001).

Mit diesem englischen Plaid ist Hanna Ubbelohde natürlich viel praktischer gekleidet, sie geht damit beinahe in der Natur auf. So etwas sieht man heute selten, aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und um 1900 findet man das Plaid häufig beim englischen Landadel und der künstlerischen Bohème. Erstaunlicherweise habe ich in den Ausstellungen Ein Hauch von Eleganz: 200 Jahre Mode in Bremen (Focke Museum Bremen 1984) und Kleid und Bild: Mode und Malerei. Klassizismus bis Art Deco (Hannover 1983) kein einziges Plaid gesehen. Die Kataloge zu beiden Ausstellungen kann man heute noch finden, es sind sehr interessante und schöne Kataloge. Wenn Sie den Post Damenmode anklicken, werden Sie sehen, dass es in diesem Blog nicht nur Herrenmode gibt, wie häufig behauptet wird.

Aber ich komme mal eben zur Herrenmode. Dieses Bild kommt jetzt ein wenig wie ein Schock. Wenn Sie jetzt Aääh, mach das weg!!! stöhnen, haben Sie vollkommen recht. Aber es hat auch etwas mit Mode zu tun. Und damit meine ich nicht die kleinen Jungen in Lederhosen mit Hosenträger (so etwas habe ich auch noch getragen, als ich klein war), sondern das, was der Herr rechts im Bild trägt. Es handelt sich natürlich um Martin Heidegger, der in diesem Blog selten vorkommt. Er hat einen Post, der Heidegger heißt, mehr gibt es zu dem Mann nicht. Wenn er hier auftaucht, dann hat das einen simplen Grund: Otto Ubbelohde hat ihm einen Lodenananzug mit Kniebundhosen entworfen. Die Marburger Studenten nannten den seinen existentiellen Anzug. Dies hier auf dem Photo ist er nicht, ein klein wenig exzentrisch ist er aber auf jeden Fall.

Ubbelohde (hier mit seiner Gattin) hat es nicht mehr erlebt, dass Heidegger den von ihm entworfenen Anzug mit den engen Breeches und dem langen Rock trug, er starb schon 1922 mit 55 Jahren. Dass er einen Anzug entwarf, war kein Zufall, er hatte sich lange mit Gedanken zu einer Reform der deutschen Herrenkleidung beschäftigt. Sein Ideal war, dass sich die Herrenmode wieder der Volkstracht annäherte. Er ist nicht der einzige, der sich solche Gedanken macht. Seit der englischen ästhetischen Bewegung, die Shaw dazu bringt Anzüge von Jaeger zu tragen, hat es immer wieder solche Tendenzen gegeben. Auf dem Monte Verità trägt man keine Straßenanzüge.

Wir vergessen Heidegger schnell wieder und widmen uns einmal diesem wunderbar gemalten Damenhut, den Hanna hier trägt. Erstaunlicherweise ist die Malerei nicht das, womit der Künstler sein Brot verdient - er verdient sein Geld als Illustrator. Er hat Grimms Kinder- und Hausmärchen und tausenderlei Bücher illustriert, Ex Libris und Vorsatzblätter und den Hessen-Kunst Kalender entworfen. Seine letzte große Illustrationsarbeit betraf in seinem Todesjahr das Werk Eichendorffs, Eichendorffs Gedichte mit den Zeichnungen von Ubbelohde gibt es heute noch als Insel Taschenbuch.

Die Worpsweder der Gründergeneration mochten Otto Ubbelohde nicht so sehr, 1889 war er nicht groß aufgefallen, da hatte er sein Studium an der Münchener Akademie noch nicht beendet, aber bei den beiden Sommeraufenthalten 1894 und 1895 kommt es zum Bruch mit den Worpswedern. Obgleich er eigentlich ein Mann der Moderne ist, Mitbegründer der Münchener Sezession ist und sich  an vielen Künstlervereinigungen (wie den Vereinigten Werkstätten für Kunst und Kunsthandwerk) beteiligt, ist er in der Willingshäuser Malerkolonie, wo er seit 1902 ist, besser aufgehoben als in Worpswede.

Ubbelohde ist ein letzter Romantiker, er träumt von der unverfälschten Natur, er trägt Bauerntracht wie Hänsel und Gretel, wenn er sie für Grimms Märchen zeichnet. Es gibt heute noch einen Otto Ubbelohde Preis, dessen Kriterien Denkmalpflege, Heimatkunst, Heimatgeschichte, Pflege des 'heimischen Brauchtums' und Beschäftigung mit dem Werk Otto Ubbelohdes sind. Im Ersten Weltkrieg wird er sich mit patriotischer Propaganda hervortun und eine Vielzahl von Büchlein des Schaffstein Verlags illustrieren. Also solche Büchlein, die Ein Heldentod und Denn wir fahren gegen Engeland! Luft- und Seekriegsgeschichten heißen. Hätte ich das mit dem England Buch vorher gewusst, dann hätte ich das natürlich in den Post gen Engeland hineingeschrieben.

Ubbelohde war ein hervorragender Portraitist (dafür hatte er an der Münchener Akademie eine Auszeichnung erhalten) und ein hervorragender Landschaftsmaler. Was hätte aus ihm werden können, wenn er sich nicht auf die Illustration von Sagen und Märchen und das verquaste deutsche Brauchtum kapriziert hätte? Auf das Sterntaler Bild, das seit den Kindertagen in meinem Kopf ist, könnte ich gerne verzichten.

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