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Montag, 20. März 2023

Das Raubschloß


Der deutsche Schriftsteller H. Clauren (ein Anagramm für Carl Heun) wurde am 20. März 1771 geboren, seinen größten Romanerfolg Mimili bietet der Reclam Verlag nach zweihundert Jahren immer noch an. Man hat dem Roman die Kontrovers-Predigt über H. Clauren von Wilhelm Hauff beigegeben, der einer der schärfsten Kritiker Claurens war. Claurens erotischer Liebesroman aus der Biedermeierzeit war ein riesiger Erfolg, Heinrich Heine sagte über den Roman: Clauren ist jetzt in Deutschland so berühmt, daß man in keinem Bordell eingelassen wird, wenn man ihn nicht gelesen hat. Für Heine war Clauren, wie er im 14. Kapitel von Das Buch le Grand schrieb: der Sänger der Korallenlippen, Schwanenhälse, hüpfenden Schneehügelchen, Dingelchen, Wädchen, Mimilichen, Küßchen und Assessorchen. 

Das Publikum liebte den Roman, es liebte Sätze wie Mimili, das lieblichste Alpenkind des ganzen Erdenrundes, öffnet dir Thüre, Herz und Mieder. Die Kritiker liebten das Buch nicht. Erst in der dritten Fassung des Romans erfahren wir, wie die Liebesgeschichte zwischen dem deutschen Offizier und der Schweizer Sennerin ausgeht. Da wacht der Offizier, den man schon tot geglaubt hat, in der Nacht in der Schlacht von Belle-Alliance unter seinem Pferd liegend auf, und es heißt: vor ihm Paris, hinter ihm Deutschland und die Lazarethe; links die Schweiz. Die rechte Hand vom Sturze gelähmt, in der Brust eine Kugel, im Kopfe eine Hiebwunde, im Herzen Mimili. Das sind Sätze, die muss man erst mal hinkriegen.

Aber es gibt da noch etwas anderes von Clauren, das viel berühmter geworden ist, allerdings unter einem anderen Titel und Namen. Und das ist seine Erzählung Das Raubschloß aus dem Jahre 1812. Ein bisschen eine verspätete Gothic Novel, aber ein Thema, das man immer verkaufen kann. Auch heute noch. Die Geschichte erscheint ohne Claurens Namen 1828 unter dem Titel The Robber's Tower: A True Adventure in Blackwood's Edinburgh Magazine, einer der führenden Literaturzeitschriften der Zeit. Der Übersetzer war ein gewisser Joseph Hardman, der ständig für die Zeitschrift schrieb. Seine Beiträge sind, wie er schreibt: drawn chiefly from German and Danish sources and consisted of romantic and piquant tales, freely altered from the originals and adapted to British taste and feeling. Es ist eine sehr, sehr freie Übersetzung, bei Schauergeschichten kommt es offenbar auf die Originaltreue nicht an. Es war nicht so ganz klar, dass Hardman der Verfasser der Übersetzung war, ein Jahrhundert später nimmt der amerikanische Literaturprofessor John H. Collins an, der Übersetzer sei William Mudford gewesen. 

So weit, so gut, die Geschichte könnte in der Versenkung verschwinden, wenn nicht ein gewisser Edgar Allan Poe sie gelesen hätte. Der liest die Zeitschrift immer, er wird eines Tages auch den satirischen Artikel How to Write a Blackwood Article schreiben. Und er bedient sich für seine Erzählung The Fall of the House of Usher reichhaltig bei The Robber's Tower. Dass Poe für seine Geschichte Elemente von E.T.A. Hoffmanns Das Majorat benutzt hatte, das wusste man seit langem, aber auf Heinrich Clauren war man nicht gekommen. 

Arno Schmidt, der die erste deutsche Übersetzung von Der Untergang des Hauses Usher 1945 in englischer Kriegsgefangenschaft gelesen hatte, legte 1966 die Neuübersetzung unter dem Titel Der Fall des Hauses Ascher vor. Für ihn war der geistige Diebstahl offenbar: Ergebnis: die Identität der Fabel & des Details ist geradezu niederknüppelnd; die für den stillen Umbildner typischen psychischen Mechanismen sind nachweisbar. ( Ei verflucht, schreibt sich das schwer, daß POE ein Dieb sey!).... Ob schon das Primat einwandfrei CLAUREN gehört, und es sich bei POE nicht um ein bloßes kryptomnetisches Versehen handeln kann – vielmehr um ein sich deutlich & mehrfach wiederholendes , asymptotisches Heranschlängeln an eine Vorlage; jedesmal, wie billig, gefolgt von einem schroffen Ausbrechen (wenn's gar zu ähnlich zu geraten drohte) so sei doch eines ausdrücklich betont, nämlich daß hier nur ein immer, und zu Recht wiederkehrender Vorgang vorliegt. Der Text von Das Raubschloß ist auch auf der Seite der Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser zu finden. Und nicht nur das, hier findet sich auch The Robber’s Tower: A True Adventure im Volltext. Das Raubschloß: Eine buchstäblich wahre Geschichte ist vor zehn Jahren wieder neu aufgelegt worden. Das Nachwort zu dem Band schrieb Heiko Postma

Heinrich Clauren, Träger des Eisernen Kreuzes, wie sein Held in Mimili, war ein Vielschreiber. Ich lasse für die Beschreibung seines Werkes mal eben dem Germanistikprofssor Karl Richter das Wort, der in der Deutschen Biographie über den literarischen Edelkitsch schreibt: Nach dem Erfolg des für seine Arbeitsweise charakteristischen Romans „Mimili“ (1816, ⁴1824, zuletzt 1916 und 1919, übersetzt ins Dänische, Englische, Ungarische, Polnische) veröffentlichte C. bei größter Beliebtheit in allen Ständen 1818 6 Bände Erzählungen und bis 1834 alljährlich erscheinend seine Taschenbücher „Vergißmeinnicht“ (26 Bände) und die Sammlung „Scherz und Ernst“ (40 Bände). 

Mit bunter Erfindung bei ständig sich wiederholenden Motiven und Formgesetzen nützte C. raffiniert die zeitlosen Effektmittel des Kitsches: sentimentale Religiosität und Empfindsamkeit (Gustav Adolf, Leipzig 1791), Grausamkeit und Geheimnis des Abenteuers (Das Raubschloß, 1812) und zum Schlüpfrigen neigende Erotik. Begierde durch Eheschließung zu legalisieren, das Abenteuerliche im Traum zu entwirklichen, somit biedermeierlich Erlebnishunger auszuleben und gleichzeitig zu entschärfen, waren dabei die wirkungssicheren Methoden, die seiner restaurativen Zeit besonders entsprachen. Ein füllender Aufputz mit lexikalischem Wissen und patriotischen Tendenzen verbürgten dabei die geforderte Wohlanständigkeit aufgeklärter Bürgerbildung. W. Hauffs entwaffnende Parodie „Der Mann im Mond“ (1826, unter dem Namen C.s geschrieben) demonstriert den Einfluß C.s selbst auf den Stil seiner Kritiker und verschaffte ihm darüber hinaus durch den sich ergebenden Prozeß (vergleiche W. Hauff, Kontroverspredigt) Eingang in die Literaturgeschichte. Seine Theaterstücke bevorzugen simple Situationskomik. 

Hundert Jahre zuvor las sich der Artikel in derselben Quelle so: Clauren’s litterarische Thätigkeit bewegt sich hauptsächlich auf novellistischem Gebiet und zwar mit mehr Glück als Verdienst. Er fand ein sehr dankbares Publicum, wußte dessen Gelüste mit wahrer Virtuosität zu befriedigen, beging aber dabei den großen, von Hauff in einer vernichtenden Satire gegeißelten Fehler, daß er, statt erzieherisch und veredlend auf seine Leser zu wirken, durch theils seichte, theils schlüpfrige und frivole Waare den Geschmack derselben verderbte, ihre niedrigsten Sinne kitzelte und jede Spur eines idealen Bedürfnisses vollends ausrottete. Die Mittel, mit welchen dieser gewandte Novellenfabrikant seine Waare herstellt, sind immer die gleichen und immer gleich ordinär, der Verfasser macht auch keine Ansprüche darauf, ein „höheres“ Bedürfniß und ein feineres Publicum zu befriedigen oder gar seinen Zwecken ein täuschendes idealeres Gewand umzuhängen: er schreibt ohne alles Gefühl für die Würde des Schriftstellers, ohne Ahnung für dessen höheren Beruf, er „liefert“ seine „Waare“ ab „nach Wunsch“, wie ein anderer Lieferant auch, und hat seinen Zweck erreicht, wenn er gelesen und – bezahlt wird. Das ist auch die Beschreibung einer Zauberformel, denn mit schlüpfriger und frivolen Waare kann man immer noch den Geschmack des Publikums verderben.

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