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Sonntag, 24. Dezember 2023

die Weisen aus dem Morgenland


Die Weihnachtspredigt von Lancelot Andrewes ist vierhundert Jahre alt. Und doch erscheint sie, wenn man sie heute liest, beinahe modern. Kurt Vonnegut hat über Andrewes gesagt, er sei the greatest writer in the English language gewesen. Und T.S. Eliot hat über den Bischof, der wesentlichen Anteil an der Entstehung King James Version der Bibel hatte, geschrieben: He takes a word and delivers the world from it. Squeezing and squeezing the word until it yields a full juice of meaning, which we should never have supposed any word to possess. Aus der Weihnachtspredigt des Bischofs vom 25. Dezember 1622 (die es hier im Volltext gibt) hat Eliot einen Absatz genommen: Last we consider the time of their coming, the season of the year. It was no summer progress. A cold coming they had of it at this time of the year, just the worst time of the year to take a journey, and specially a long journey. The ways deep, the weather sharp, the days short, the sun farthest off, in solsitio brumali, the very dead of winter. Venimus, we are come, if that be one, venimus, we are now come, come at this time, that sure is another. Das wandert in sein Gedicht The Journey of the Magi hinein. Das Gedicht habe ich in den letzten dreizehn Jahren schon mehrfach zitiert. 

Jetzt habe ich eine Übersetzung gefunden, die ich bisher nicht kannte. Sie stammt von dem Schriftsteller und Übersetzer Rainer Maria Gerhardt, der hier im Internet eine schöne Seite hat. Man hat den Mann, der Ezra Pound, Charles Olson, Robert Creeley und T.S. Eliot (hier im Volltext) übersetzte, schnell vergessen. Er passte mit seiner Modernität nicht in die Zeit. Er hatte, kaum dass der Krieg zu Ende war, versucht, moderne amerikanische Lyrik nach Deutschland zu bringen. Rolf Dieter Brinkmann wird das Jahrzehnte später gelingen. Alfred Anderschs Nachruf auf der Frühverstorbenen umreißt das traurige Leben Gerhardt sicherlich adäquat: Der ebenso begabte wie gefährdete junge Mann hat sich für die Idee, die Dichtung, und zwar die anspruchsvollste und schwierigste Dichtung der Moderne aller Länder, ins Zentrum des geistigen Lebens zu rücken, buchstäblich aufgeopfert. (...) In dem verzweifelten Wunsch nach Unabhängigkeit hat er alles, was er verlegte, selbst »finanziert« was in seinem Falle hieß, daß er sich ein Leben in bitterstem Elend abforderte. Er besaß nicht einmal die Andeutung einer Wohnung, sondern lebte während neun von zwölf Monaten des Jahres in seinem Zelt an den Landstraßen im Dreieck Paris - Zürich - Hamburg, ein alles andere als romantischer Nomade des Geistes. (...) Nun ist dieses Leben jäh erloschen - ausgelöscht vom eisigen Wind des wirklichen Hungers, der Schulden, der inneren Schwierigkeiten und von der Kälte des Wartens auf ein Echo, das er, ein sehr Ungeduldiger, nicht vernahm. Sein Werk ist weniger als ein Torso, aber mehr als ein »Verlag«. Er hat ein paar Zeichen signalisiert, die wichtiger sind als das meiste, was heute in Deutschland gedruckt wird. Was Gerhardt schrieb, ist nicht verloren. Zu seinem achtzigsten Geburtstag hat Uwe Pörksen das Buch Umkreisung: Das Gesamtwerk herausgegeben,

Als Rainer Maria Gerhard T.S. Eliot übersetzte, war er einundzwanzig Jahre alt. Dies war eine der ersten Übersetzungen von The Journey of the Magi. Gleichzeitig hatte, aber das wusste Gerhardt wahrscheinlich nicht, Erich von Kahler in Princeton das Gedicht übersetzt. Das findet sich aber leider nicht im Internet, deshalb gibt es heute hier Gerhardts Version, auch wenn sie vielleicht Schwächen hat. Ich habe den Text in der ursprünglichen Manuskriptform belassen.

Reise der Drei Koenige

'Einen kalten Weg hatten wir hin, 
Just zur schlimmsten zeit des jahres 
Fuer eine reise, eine so lange reise: 
Die wege tief und das wetter rauh, 
Der allertiefste winter.'

Und die kamele wund, offenfuessig, stoerrisch,
Legten sich nieder in den schmelzenden schnee.
Es waren zeiten, da vermissten wir
Die sommerpalaeste an den bergeshaengen, die terrassen 
Und die seidenen maedchen, sherbet reichend.

Dann fluchten die kameltreiber und murrten
Und liefen davon, hinweg zu schnaps und zu weibern, 
Und die nachtfeuer loschen, und der mangel an obdach, 
Und die staedte feindlich und die orte unfreundlich
Und die doerfer schmutzig und fordernd hohe preise: 
Eine harte zeit hatten wir da.
Schliesslich zogen wir vor, weiter zu reisen bei nacht nur, 
Schliefen stueckweis,
Mit der stimmen singen in unseren ohren, die sprachen 
Dies alles sei torheit.

Dann mit der daemmerung kamen wir hinab in ein mildes tal,
Feucht, unter der schneegrenze, duftend der pflanzenwuchs;
Mit einem eiligen strom und einer wassermuehle die durch die dunkelheit drang, 
Und drei baeumen in tiefhaengendem himmel,
Und ein altes weisses pferd galoppierte davon in die wiese.
Dann kamen wir zu einer schenke hin mit weinlaub ueber der schwelle,
Sechs haende in der offenen tuer wuerfelten um silberstuecke,
Und fuesse traten die leeren weinschlaeuch.
Aber es gab keinerlei auskunft, und so ritten wir weiter
Und kamen am abend, nicht einen augenblick zu frueh
An den ort hin; es war (man darf sagen) befriedigend.

All dies ist eine lange zeit her, ich erinnere mich, 
Und ich wuerde es wieder tun, doch schreibe auf 
Dieses schreib auf
Dieses: wurden wir diesen ganzen weg gefuehrt zu Geburt oder Tod? 
Das war Geburt, gewiss,

Wir hatten beweise und zweifelten nicht. 
Ich hatte geburt und tod gesehen, 
Doch immer gedacht sie seien verschieden; diese Geburt war
Harte und bittere pein fuer uns, wie Tod, wie unser tod.
Wir kehrten zu unserer heimat, diesen Koenigreichen.

Doch nicht laenger zufrieden hier mehr, in der alten ordnung, 
Bei einem entfremdeten volk, das nach seinen goettern greift. 
Ich waere froh ueber einen anderen tod.

Wenn die drei Weisen aus dem Morgenland eine schwierige Reise hatten, heute wäre die Reise unmöglich. Dort, wohin der Stern sie führte, ist heute Krieg und Tod. Die drei Weisen aus dem Morgenland finden sich nicht im Lukasevangelium. Aber die Engel sind da, die den Hirten in der Nacht den Frieden auf Erden verkünden. Auf den können wir nur hoffen.

Ich wünsche all meinen Lesern ein schönes Weihnachtsfest.

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