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Mittwoch, 16. Juni 2010

Goalies


Kennen Sie ihn noch? Ist schon vierzig Jahre her, da war er Torwart der englischen Nationalmannschaft. Damals trugen Torwarte noch gelb oder neongrün, weil man glaubte, die Farben zögen den Ball an. Und die Trikots waren noch nicht mit Werbung bepflastert, nur die drei Löwen von England sind hier auf dem Trikot. Bei uns hat ja heute Mercedes-Benz den Bundesadler abgelöst. Unser Torwart da oben ist natürlich Gordon Banks, er galt damals als bester Torwart der Welt. Das würde über Robert Green, der sich gerade im englischen Tor so furchtbar blamiert hat (Journalisten betitelten ihn umgehend als greenkeeper), niemand behaupten. Da haben sich die Engländer schon nach David Seaman (der mit dem Zopf) oder Peter Shilton zurückgesehnt.

Wenn Sie den noch kennen, dann sind Sie jetzt über hundert Jahre alt. Das ist "Jack" Robinson, der von 1897 bis 1901 für England gespielt hat. Der hat die Robinsonade erfunden, dieses sich flach in die Ecken des Tores Hechten, das hatte vor ihm noch keiner gemacht. Seit Southampton 1897 Wien 6:0 geschlagen hatte, versuchten alle Torhüter aus dem K.u.K. Reich solche Robinsonaden. Irgendwie ist der schöne Begriff heute ausgestorben, vor fünfzig Jahren verwendete ihn noch jeder Sportreporter. Also zu der Zeit als Katze Beara bei Roter Stern Belgrad spielte. Und als Dragomir Ilic bei Werder Bremen so etwas auch konnte. Und natürlich Toni Turek (unten) auch. Wenn es unbedingt sein musste.

Jack Robinson konnte als Torwart noch tragen, was er wollte. Erst 1909 wurde festgelegt, dass Torwarte ein anderes Trikot tragen mussten als die Feldspieler. Erlaubte Farben waren (und das sind alles königliche Wappenfarben) scarlet, Royal blue und white. 1912 kam auch noch Grün dazu. Heute können sie ja alles tragen, was ihnen ihr Sponsor erlaubt. In den fünfziger Jahren trugen viele Torwarte auch noch schwarz (mit einem weißen Kragen). Wie der Teufelskerl und Fußballgott Toni Turek in schwarz. Solch spektakuläre Aktionen waren eigentlich nicht sein Ding, der Toni machte das mit dem Stellungsspiel. Für die Galerie, hieß das früher abschätzig. Jemand mit gutem Stellungsspiel braucht nicht spektakulär durch den Strafraum zu segeln. Das hatte ja (wenn man nicht Ilic oder Radenkovic hieß) irgendwas Südamerikanisches, und die haben ja das Spektakuläre, in Kleidung wie in Showeinlagen, auch zelebriert. Obgleich sie für ihre Torwartleistungen immer das epitheton ornans Fliegenfänger verpasst bekommen. Ich denke hierbei an Torhüter wie Jorge Campos oder René Higuita.

Dies modisch ansprechende Gewand trägt der Mexikaner Jorge Campos. Und falls Sie den berühmten scorpio kick von René Higuita, genannt El Loco (ein bisschen loco muss ein Torwart ja sein), noch nie gesehen haben, sollten Sie das unbedingt auf YouTube nachholen. Ich weiß, dass sich Toni Turek und Gordon Banks bei sowas albern vorgekommen wäre. In Deutschland fand man das ja schon exotisch, wenn Jan Jongbloed (der die Nummer 8 trug, weil damals in Holland die Nummern alphabetisch vergeben wurden) mit nur einer Faust abwehrte. Und da wir gerade bei den Exoten sind, sollten wir noch Julio Iglesias erwähnen, der ja ein guter Torwart war, bevor er Schnulzensänger wurde.

Torwarte waren meine Helden als ich klein war. Also zuerst Hans Stephan vom Bremer Sport Verein (dem Verein, in dem mein Vater vor dem Krieg in einer Mannschaft gespielt hatte) und danach ab 1950 Ilic von Werder Bremen. Damals hieß Werder noch die Texas Elf, nach der Zigarettenmarke der Bremer Firma Martin Brinkmann, die Werder unterstützte. Für mich war das erste Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland identisch mit Fußball. Ich habe sie alle gesehen (in der Wirklichkeit, Fernsehen hatten wir nicht): Uwe Seeler, als er noch für Schüler Hamburg spielte, die Großen von Kaiserslautern (die die Helden von Bern werden sollten) als sie 1:5 gegen Hannover 96 untergingen, den großen Ben Barek bei seinem letzten Spiel und den berühmten Fiffi Gerritzen von Preußen Münster. Das war die Zeit, als die Torpfosten noch eckig waren und Fußballspieler noch mit dem Fahrrad zur Arbeit kamen, nicht im Ferrari. In Bremen träumte man damals davon, dass Bert Trautmann zurück käme. Eine Legende, hatte trotz eines Genickbruchs weiter gespielt. Er kam aber nicht, blieb bei Manchester City, obgleich sich Werder darum bemühte. So blieb uns Dragomir Ilic, seinetwegen gingen damals auch Frauen ins Weserstadion, die auch für den Dragomir Pullover strickten. Dass eines Tages eine Frau wie Nadine Angerer in einem Fußballtor stehen würde, das konnte sich damals keiner vorstellen.

Ich habe den Helden meiner Jugend Jahre später wieder gesehen, wir waren mit der Familie bei Freunden meines Vaters in Bremen am Sonntagnachmittag zum Kaffee. Und da kam auch Ilic (der längst bei Werder aufgehört hatte) mit seiner kleinen Tochter. Wir haben erstmal zum Missvergnügen der Gastgeberin im Garten mit dem Ball gedaddelt. Ich und Ilic auf dem gleichen Rasen! Danach wurden wir von der Gastgeberin zu Kaffee und Kuchen ins Haus gerufen. Und plötzlich ließ Ilic seine Kaffeetasse fallen und machte vom Sofa aus eine Robinsonade durch das Wohnzimmer. Seine kleine Tochter hatte sich den Ball aus dem Garten geholt, ihn in der Mitte der Verandatür plaziert, einen langen Anlauf genommen und ihn ins Wohnzimmer gekickt. Die Parade von Dragomir hat aber nicht genützt, eine Blumenvase war hin. Das war schon sehr komisch.

Eine andere Nummer Eins hat gerade das Trikot ausgezogen, hat zum Abschied einen Großen Zapfenstreich bekommen. Irgendwie bei seiner Leistung ein bisschen unpassend. Wenn die Mannschaft von Hertha BSC vorm Schloß Bellevue auf vuvuzelas getrötet hätte, wäre das genug der Ehre gewesen.

Heute ist in Irland Bloomsday. Aber bevor ich meine Leser damit langweile und beweise, dass ich Ulysses gelesen habe (zumal sich Irland ja leider nicht qualifiziert hat), schreibe ich lieber über Torwarte. Vor allem, weil sich Georg das gewünscht hat. James Joyce hatte ja zum Fußball kein besonderes Verhältnis. Aber ein anderer bedeutender Autor des 20. Jahrhunderts ist in seiner Jugend mal Torwart gewesen, bevor er Schriftsteller und Philosoph wurde. Und deshalb soll Albert Camus heute das letzte Wort haben: Alles, was ich schließlich am sichersten über Moral und menschliche Verpflichtung weiß, verdanke ich dem Fußball.

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