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Donnerstag, 30. Juni 2011

Lena Horne


In der Jugend macht man Fehler. Einer meiner Fehler war, A.E. Hotchners Hemingway Biographie Papa Hemingway zu lesen. Sollte man nicht tun. Lesen Sie Carlos Baker oder Michael Reynolds, aber niemals A.E. Hotchner! Hotchner schwärmt da von einem Besäufnis mit Hemingway, wo er mit dem Schriftsteller über die Filme von Robert Flaherty, den Baseballspieler Ted Williams, Lena Horne, sword-fish Zubereitung, Aphrodisiaka und Indianer redet. Ich fand es damals unerträglich, wie der leicht schweinigelnde Hotchner über Lena Horne, das schwarze Sexsymbol des weißen Amerikas, redete. Ich besaß nämlich eine Lena Horne Platte und schwärmte für sie.

Was vielleicht auch ein Fehler war, ich hatte Sarah Vaughan und Billie Holiday noch nicht entdeckt. Inzwischen habe ich Sarah Vaughan und Billie Holiday beinahe komplett und würde sie jederzeit Lena Horne vorziehen. Die habe ich auch ziemlich komplett, weil ich auf einer Schallplattenbörse mal ein Konvolut nagelneuer Lena Horne Platten gekauft habe. Es ist natürlich alles eine Frage des persönliches Geschmacks, hören Sie doch einmal in die Versionen von Stormy Weather von Lena Horne, Billie Holiday und Sarah Vaughan hinein.

Es ist ein unfairer Vergleich. Sie musste 1943 in dem Film Stormy Weather so singen, wie das Studio es wollte. Obgleich sie nicht alles tun musste, was das Studio wollte. Sie ließ nämlich jeden Vertrag von der National Association for the Advancement of Colored People überprüfen. Eine Nachtklubsängerin spielen: O.K., ein Dienstmädchen: nein. Die Rolle, für die Hattie McDaniel in Gone with the Wind einen Oscar bekommen hatte, hätte sie nie gespielt. Selbst wenn sie ausgesehen hätte wie die stereotype negro mammie Hollywoods, was man von ihr ja nun nicht sagen kann. Sie war bei ihrem ersten Filmvertrag schon lange in der NAACP. Seit sie zwei Jahre alt war. Gut, nicht aus freien Stücken, ihr Großvater hatte sie da angemeldet. Da wurde sie 1919 als jüngstes Mitglied gefeiert. Ihre Mitgliedschaft in der NAACP war nicht nur eine pro forma Sache, sie ist ihr Leben lang kämpferisch für die Rechte der farbigen Amerikaner, sowohl im show business als auch später an der Seite von Martin Luther King und Harry Belafonte. Während des Zweiten Weltkriegs hat sie sich geweigert, Konzerte bei den amerikanischen Truppen zu geben, wenn schwarze Soldaten nicht auch zugelassen würden. Schwarze Soldaten dürfen für Amerika sterben, aber sie dürfen nicht zusammen mit weißen Soldaten Lena Horne hören.

Sie war auch, und das ist bei ihrem Lebensweg kein Zufall, mit Paul Robeson befreundet. Über den werde ich hier gerne noch einmal etwas schreiben. Und wie Paul Robeson geriet sie während des Kalten Krieges, als ganz Amerika einer Paranoia verfiel und überall Kommunisten sah, in das Visier der selbsternannten Hexenjäger. Sie verschwand für Jahre nach Europa oder zog sich, wenn sie in Amerika war, in die Welt der kleinen Nachtklubs zurück. Viele schwarze Jazzmusiker sind in dieser Zeit nach Paris gekommen. Davon handelt Taverniers Film Round Midnight und die Firma Gauloises hatte da mal vor Jahren eine ganz tolle Jazz in Paris Collection, von der ich leider nicht alle besitze. Sie hat für ihren lebenslangen Kampf für die Bürgerrechte nicht die Freiheitsmedaille des Kongresses bekommen. Die große Kämpferin für die amerikanischen Bürgerrechte aus der Uckermark hat diese Medaille natürlich bekommen. Aber es gibt noch Hoffnung: Congressman Alcee L. Hastings hat im letzten Monat den Antrag gestellt, Lena Horne posthum die Goldmedaille des Kongresses zu verleihen. Vielleicht wird das ja noch was.

Als sie 64 Jahre alt war, hatte sie ein großes Comeback (in dem Alter hatte Maxine Sullivan auch noch ein Comeback). Da hat sie wieder Stormy Weather gesungen, beinahe vierzig Jahre nach ihrem Filmauftritt. Nicht so lenorgespült softig, laut und aggressiv. Lena Horne wurde heute vor 94 Jahren geboren, sie ist im letzten Jahr gestorben. Da hatte sie wohl die längste Karriere aller amerikanischen Jazzsängerinnen hinter sich. Beinahe doppelt so lang wie das Leben von Billie Holiday. Mit achtzig war sie noch im Studio. Zum Andenken an sie gibt es heute noch ein Gedicht von Raynette Eitel, die ich schon mehrfach hier im Blog erwähnt habe. Es heißt Remembering Lena Horne:

When she began her ballad,
an invisible torch melted her words,
slurring sex into sultry sounds.

The intimacy in her deep eyes
went straight to every man there.
Even women found themselves
limp with lust lingering on lips.

As she sang each sensual sound,
Her mouth formed words like a kiss.
Men sweated as they dreamed of
taking songs into the caverns
of their body, stalagmites forming
from music and imagination.
Their eyes closed. The dream grew.

Tones caressed shamelessly. Words went
from tongues exploring mouths of listeners,
a flagrant intimacy growing from song.
The spellbound crowd wished her music
would have no end. Each heavy breath
became shallow with expectations.
The final note brought no release.
Instead, the audience was left
with a prurient promise of more to come.

Mittwoch, 29. Juni 2011

Anton Raphael Mengs


Kardinal Alessandro Albani ist einer der wichtigsten italienischen Kunstsammler im 18. Jahrhundert, ohne ihn wäre unser Winckelmann nichts, den füttert er durch. Dafür kümmert der sich zusammen mit seinem Freund Raphael Mengs um die Ausgestaltung der neuen Villa Albani (oben). Es ist eine Tragödie für den Aristokraten und Diplomaten Albani, der nebenbei noch irgendwie Kardinal ist, dass er nun erblindet ist. Ist für jeden eine Tragödie, aber für einen Kunstsammler sicher noch schlimmer.

Er kann den jungen Engländer aus Amerika, der ihm seinen Antrittsbesuch macht, nicht sehen. Er hat da wohl auch etwas verwechselt, er hält ihn für einen Indianer, der nach Rom gekommen ist, um die klassische Malerei zu studieren. Diesem Indianer Stereotyp wird Benjamin West dann auch voll gerecht, wenn er angesichts der Apollo Statue ausruft: My God, how like it is to a young Mohawk warrior! Benjamin West ist in Rom, um die Malerei zu erlernen. Und das tut er bei dem damals berühmtesten Maler in Rom, Anton Raphael Mengs. Über den und über seine einjährige Lehrzeit bei Mengs wird er sich zeitlebens nur positiv äußern. Pompeo Batoni, nach seiner eigenen Ansicht der berühmteste Maler Roms, hat eine ganz andere Meinung über Mengs. Er kann ihn nicht ausstehen. Aber West wahrt seine Distanz zu Batoni, wenn er beklagt, dass die italienischen Malerkollegen talked of nothing, looked at nothing but the works of Pompeo Batoni.

Anton Raphael Mengs ist heute vor 232 Jahren in Rom gestorben. Er wurde 1728 zu Aussig in Böhmen, wohin sich der Vater, wie es scheint, mehr aus Menschenscheu als des Sommeraufenthalts wegen zurückgezogen, geboren. Sein Vater war sächsischer Hofmaler, er war aus Kopenhagen an den Dresdener Hof gekommen. Ismael Mengs war Jude (hatte sich aber protestantisch taufen lassen), das behindert damals seinen Erfolg als Hofmaler nicht. Sein Sohn wird irgendwann zum Katholizismus konvertieren. Ist wahrscheinlich nützlicher, wenn man für den spanischen König arbeitet. Ausserdem wollte seine italienische Gattin das so haben. Ein gewisser Theodor Fritsch schreibt in seinem Handbuch der Judenfrage: Die wichtigsten Tatsachen zur Beurteilung des jüdischen Volkes: Erst mit Anton Rafael Mengs (1728-1779) tritt ein jüdischer Künstler auf, der eine höhere Wertung zuläßt, ohne allerdings eine typisch jüdische Gesinnung im Bildaufbau oder Inhalt erkennen zu lassen. Da kann man nur fragen so what?

Theodor Fritsch ist von Beruf Antisemit gewesen. Friedrich Nietzsche hat sich über ihn notiert: Neulich hat ein Herr Theodor Fritsch aus Leipzig an mich geschrieben. Es giebt gar keine unverschämtere und stupidere Bande in Deutschland als diese Antisemiten. Ich habe ihm brieflich zum Danke einen ordentlichen Fußtritt versetzt. Dies Gesindel wagt es, den Namen Z[arathustra] in den Mund zu nehmen! Ekel! Ekel! Ekel! Dem kann man nur beipflichten, es macht keinen Sinn, wie Fritsch es tut, aus Mengs einen jüdischen Maler machen zu wollen. Für Benjamin West ist seine Herkunft als Quäker sein Leben lang wichtig, für Anton Raphael Mengs sind seine jüdischen Wurzeln kaum von Bedeutung. Selbst seine Feinde unter seinen Zeitgenossen in Rom, die ihm von Trunksucht bis zur unerträglichen deutschen Pedanterie alles mögliche vorwerfen, reden nie von einer jüdischen Herkunft. Wenn etwas für ihn wichtig war, dann war es seine furchtbare Jugend, in der er von seinem Vater (oben) gequält und misshandelt wurde. Diese Zeit hat eine lebenslange Unsicherheit bei ihm hinterlassen. Er hat sogar seinem Vater, als er sein erstes Geld als Maler verdiente, eine von diesem geforderte Aufwandsentschädigung für die Zeit der Prügelei und Züchtigung gezahlt, die Ismael Mengs Erziehung nannte. Dies ist die Zeit, in der Rousseau seinen Emile schreibt. Und seine Kinder im Findelhaus abgibt,

Der Inbegriff aller beschriebenen Schönheiten in den Figuren der Alten findet sich in den unsterblichen Werken Herrn Anton Raphael Mengs, ersten Hofmalers der Könige von Spanien und von Pohlen, des größten Künstlers seiner, und vielleicht auch der folgenden Zeit. Er ist als ein Phoenix gleichsam aus der Asche des ersten Raphael erweckt worden, um der Welt in der Kunst die Schönheit zu lehren, und den höchsten Flug menschlicher Kräfte in derselben zu erreichen. Schreibt Winckelmann (oben) in seiner Geschichte der Kunst des Alterthums im Jahre 1764. Winckelmann und Mengs waren jahrelang unzertrennlich, was Winckelmann über die Kunst schrieb, setzte der Malerphilosoph Mengs in die Kunst um. Ihre Nähe geht sogar so weit, dass Mengs seinem Freund seine eigene Frau anbietet, als der mal kurzfristig Interesse am anderen Geschlecht zeigt.

Oder, wie es eine ältere Quelle beschreibt: Der originelle Mengs, der unsere Helden seiner Gewohnheit zuwider mit Artigkeit empfing,"stand selten vom Tisch auf, ohne berauscht zu sein." Das Bild dieser kleinen Künstlergesellschaft wäre unvollkommen, wenn nicht Mengs' Frau, zugleich sein Modell, die schöne Margaretha Guazzi, eine geborene Römerin, erwähnt würde, mit welcher Winckelmann später, als Mengs in Spanien weilte, ein höchst sonderbares, wenn auch nicht gerade in letzter Instanz ehebrecherisches Verhältnis unterhielt. Winckelmanns Briefe enthalten ausführliche Bekenntnisse über den Handel, in dem auch Mengs eine eigentümliche Rolle spielt und der interessante, allerdings nicht erhebende Einblicke ins Labyrinth der menschlichen Seele gestattet.

Aber dann schreckt Winckelmann doch zurück und kehrt, wie er schreibt, auf den Pfad der Tugend zurück. Sprich, hübschen jungen Italienern. Irgendwann haben sich die beiden Busenfreunde dann entzweit und nie mehr miteinander geredet. Der Anlass dafür war das Fresko Jupiter küsst Ganymed, das Winckelmann sofort als echt antik identifiziert. In Wirklichkeit hatte es sein Freund Mengs im Stil der in Pompeji gefundenen Fresken gemalt. Wahrscheinlich war Winckelmann auch deshalb sauer, weil er geträumt hatte, das Fresko an Friedrich II. von Preußen zu verscherbeln, von dem er glaubte, dass der seine Freude an homoerotischen Themen hätte.

Ossian, Chatterton, Jupiter küsst Ganymed: man lebt in einer Zeit der Fälschungen. Mengs ist beileibe nicht der einzige, der antike Kunst fälscht, das ist in Italien schon ein Volkssport geworden. Von den ganzen gefälschten echt griechischen Plastiken und den gefälschten Salvator Rosas, die die römischen Händler den englischen Bildungsreisenden andrehen, wollen wir nun mal gar nicht reden. Und die ganze Griechenverherrlichung von Winckelmann ist doch auch nur eine Fälschung. Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdrucke, ich kann's nicht mehr hören. Der Mann war nie in Griechenland, hat nie die Originale gesehen, immer nur die römischen Kopien. Aber den Klassizismus hat er erfunden.

Was die Engländer im übrigen neo-classicism nennen. Damit wir die Begriffe noch ein wenig verwirren. Denn vom Klassizismus, den manche auch Pseudo-Klassizismus nennen, des 18. und 19. Jahrhunderts bis zu den spielerischen Formen der Postmoderne ist es nur ein kleiner Schritt auf dem Wege einer definitorischen Verwirrung. Das hier zum Beispiel ist kein englischer neo-classicism des 18. Jahrhunderts. Obwohl es so aussieht. Das ist Quinlan Terrys Richmond Riverside Development, und hinter den Fenstern sind Großraumbüros und Parkplätze. Ich wollte mit diesem Beispiel nur einmal vor Augen führen, dass häufig Klassik nur Fassade ist.

Ganz Europa betrauerte den zu früh verstorbenen Künstler, der zwar nicht das Genie eines Raphaels besaß, aber doch die höchste Vollendung erreichte, die das Studium zu geben vermag; oft war er zu ängstlich in dem letztern, eine Folge seiner sclavischen Erziehung. Das steht dreißig Jahre nach seinem Tod im Brockhaus. Wirkliche Begeisterung klingt anders. Auf diesem letzten Selbstportrait ein Jahr vor seinem Tod blickt uns ein unendlich trauriger Mensch an. Seine Frau ist kurz zuvor gestorben. Es ist ein ausdrucksstarkes Bild, das ist man von Mengs nicht gewohnt. Seine Portraits mögen klassisch oder klassizistisch sein, aber sie leben nicht. Das Shrimp Girl von Hogarth lebt, alle Königinnen und Herzoginnen, die Mengs malt, sind irgendwie tot. Er gilt in Italien als der größte Maler seiner Zeit (wir lassen jetzt mal Pompeo Batoni weg), und er kann doch niemals Menschen so lebendig malen, wie das seine englischen Kollegen Reynolds und Gainsborough können. Die keine Malerphilosophen sind und nicht den Klassizismus erfinden.

Mengs arbeitet langsam, er hat keinen sicheren Strich, das war schon Benjamin West aufgefallen. Vielleicht hat er immer noch Angst, vom Vater verprügelt zu werden, weil es es ihm nicht recht machen kann. Aber kurz vor dem Tod gelingt ihm ein erstaunliches Bild, das schon beinahe aussieht wie ein Modigliani. Das Bild einer unbekannten Dame ist unvollendet geblieben - und das ist auch besser so.

Die Geschichte hat den berühmten Anton Raphael Mengs, der einstmals am spanischen Hof Tiepolo vorgezogen wurde, schnell vergessen. Auch die Kunsthistoriker (mit Ausnahme der Professorin Steffi Roettgen) kümmern sich kaum um ihn. Außer in Dresden, da wo er seine Karriere begonnen hat, da hat es vor zehn Jahren eine Mengs Ausstellung gegeben: Mengs: Die Erfindung des Klassizismus. Der Katalog von Steffi Roettgen ist exzellent, aber leider ziemlich vergriffen. Ich habe natürlich einen, weil mir Astrid einen geschenkt hat. Die weiß schon, dass ich zum Klassizismus eine Hassliebe habe.

Dienstag, 28. Juni 2011

Eric Ambler


Nein, das ist natürlich nicht Eric Ambler. Aber Peter Paul Rubens hat heute auch Geburtstag. Über den hätte ich auch schreiben können, doch zu dem fällt mir nichts ein. Ich mag ihn nicht, obgleich ich weiß, dass er ein großer Maler ist. Das letzte Mal, als ich etwas zu Rubens gesagt habe, hat mich eine ganze Gruppe von Touristen feindselig angestarrt. Geht ihr schon mal vor zu den fetten Weibern, ich guck mir noch mal die kleinen Affen an, hab ich zu Carola und Jimmy im Dahlemer Museum gesagt. Ich wollte mir noch einmal die wunderbaren kleinen Äffchen von Brueghel anschauen und den Saal mit den voluminösen Schönheiten von Rubens vermeiden. Wenn Sie von mir etwas anderes als fette Weiber zu Rubens hören wollen, kann ich nur Simon Schamas hervorragendes Buch Rembrandt's Eyes empfehlen, das auch ein sehr gutes Kapitel über Rubens hat.

Eric Ambler, der heute vor 102 Jahren geboren wurde, gilt als einer der Begründer des englischen thriller. Für manche ist er der Erfinder dieser Gattung. Das ist nicht so ganz richtig, weil es vor ihm schon John Buchan gegeben hat, an dessen Roman The Thirty-Nine Steps man natürlich nicht vorbeikommt, wenn man sich mit dem Genre beschäftigt. Ambler übernimmt von Buchan die Figur des außenstehenden Jedermanns, der (wie Richard Hannay) plötzlich in internationale Intrigen hineingezogen wird. Und auch das Element von flight and pursuit, das wir aus The Thirty-Nine Steps kennen, setzt er zum Beispiel im letzten Drittel von Cause for Alarm effektiv ein. Anders als bei Buchan ist allerdings, dass seine Helden nicht mehr das spätviktorianische englische Empire in England oder Schottland retten, sondern sich in der Zeit des aufblühenden Faschismus in Europa bewähren müssen. Buchans Ideologie in den Richard Hannay Romanen war systemstabilisierend, so wie Richard Hannay der perfekte englische Gentleman war. Ambler schreibt politische Thriller gegen den Faschismus.

Eric Ambler ist allerdings der erste, der sich als Autor professionell mit dem Genre beschäftigt, alle anderen, die zuvor auch Spionageromane schrieben, waren Gentlemen, die das nebenbei betrieben. Ambler war auch einer der wenigen, der keinen Secret Service Background hatte. Denn die meisten englischen Autoren, die über die Welt der Spionage schrieben, waren für den Geheimdienst tätig gewesen: John Buchan, Compton Mackenzie, Graham Greene, Ian Fleming, John le Carré. Um das wettzumachen, legte Ambler sehr viel Wert auf genaueste Recherche. Aber er schrieb (wie Buchan) für den normalen Leser, seine literarischen Ambitionen waren nicht sehr hochgesteckt: In my writing, I'm not trying to reach for intelligent scholars but people who read books and people who go to the movies. Of course, most serious novels have some relevance in a social context.

Die besten Romane von Eric Ambler sind zweifellos seine ersten wie The Dark Frontier, Uncommon Danger, Cause for Alarm und The Mask of Dimitrios. Allerdings muss man ihm bescheinigen, dass er in seiner langen Karriere durchgehend ein hohes Niveau bewahrt hat. Ein Zeichen dafür ist auch, dass es seine Romane in deutscher Übersetzung nicht bei Goldmann sondern bei Diogenes gibt. Gerd Haffmanns, damals noch bei Diogenes, hat einmal einen interessanten Band Über Eric Ambler herausgebracht. Kann man heute ab 0,01 € bei Amazon Marketplace bekommen. Lohnt unbedingt. Und dann gibt es bei Diogenes neben einer Biographie von Stefan Howald noch die Autobiographie Ambler by Ambler, die im Original den doppeldeutigen Titel Here lies Eric Ambler hat.

Ursprünglich war Ambler kein Diogenes Autor, seine Bücher sind nach dem Krieg in zum Teil sehr schlechten Übersetzungen bei einem halben Dutzend Verlage erschienen. Einer dieser Verlage war der heute vergessene Nest-Verlag in Nürnberg, bei dem im Rahmen der Krähen Bücher nach dem Krieg ein erstaunliches Programm von Krimis auf den Markt kam. Von Allingham und Ambler über Chandler bis Dorothy Sayers. Da waren Goldmann, Heyne und Ullstein eines Tages sehr dankbar, als dieser kleine Verlag aufgab. Wenn Sie Krimi Fan sind, sollte Sie dieses kurze ➱Verlagsporträt unbedingt lesen.

Der Verlagsgründer des Nest-Verlags Karl Anders (links) heißt in Wirklichkeit Kurt Wilhelm Naumann, er ist vor den Nazis nach England geflohen. Dank seiner Verbindungen zu englischen Verlegern kann er nach dem Kriege dieses qualitativ erstaunliche Krimiprogramm auflegen. Und so erscheint der Engländer, der Krimis gegen den Faschismus geschrieben hat, im Verlag eines deutschen Antifaschisten. Anders schreibt sogar über den Kriminalroman (in Bücherei und Bildung 5/6 [1952], S. 509-518), ein Beitrag, der in vielen Anthologien nachgedruckt wurde. Und er überredet den Münchener Anglisten Fritz Wölcken, seine Habilitationsschrift doch in seinem Verlag zu veröffentlichen. Wölcken (beinahe gleich alt wie Ambler) hatte einen ähnlich erstaunlichen Lebensweg wie Anders-Naumann.

In China als Sohn eines deutschen Kaufmanns geboren und aufgewachsen, hatte er dort ein vorzügliches Englisch gelernt. Was ihn zu einem Außenseiter unter deutschen Anglistikprofessoren machte (die waren zu Zeiten meines Studiums noch stolz darauf, dass sie die Sprache nicht wirklich sprechen konnten). Dann Abitur in Deutschland, aber erst kein Studium, sondern eine Verlagslehre. Später Studium und Promotion bei Friedrich Gundolf. Vielleicht ist er da Joseph Goebbels begegnet, der ja auch mal bei Gundolf promovieren wollte. Danach war Wölcken an der Odenwaldschule, das darf man ja heute gar nicht mehr erwähnen, aber damals galt das als der Gral der Reformpädagogik. Danach durch Empfehlung von Herbert Grierson Stellen in Edinburgh und Aberdeen, 1937 ein PhD an der Uni Edinburgh. Als er nach Deutschland zurückkommt, weiß er, dass er unter den Nazis keine Chance auf eine Unilaufbahn hat, und so arbeitete er wieder im Buchhandel. Nach Kriegsende arbeitet er in München für die amerikanische Militärverwaltung und bekommt schnell einen Lehrauftrag an der Uni München.

Und schreibt dann Der Literarische Mord: eine Untersuchung über die englische und amerikanische Detektivliteratur. Das war die zweite akademische Arbeit über den englischen Krimi in Deutschland in dem Jahrhundert. 1914 (ein Jahr bevor The Thirty-Nine Steps erscheint) hatte Fritz Depken seine Dissertation Sherlock Holmes, Raffles und ihre Vorbilder veröffentlicht. Wölckens Werk blieb lange Zeit ein Standardwerk, auch aus dem simplen Grund, weil es außer ihm lange Zeit kein deutscher Universitätsanglist gewagt hatte, seine Reputation durch ein Buch über den Krimi zu gefährden. Das galt in akademischen Kreisen damals als Igitt. Hat sich inzwischen geändert.

Diogenes Chef Daniel Keel war durch seinen Mitarbeiter Heinrich Stolz auf Ambler aufmerksam gemacht worden, der dem Verlag im gleichen Jahr (1967) als man Eric Ambler als Autor gewann auch noch Alfred Andersch zuführte. Man war bei Diogenes mit den Übersetzungen nie so recht glücklich gewesen und entschloss sich in den neunziger Jahren, die Übersetzungen radikal zu überarbeiten oder ganze Romane neu übersetzen zu lassen. Denn vieles was nach dem Krieg aus dem Englischen übersetzt worden ist, bedeutete für den jeweiligen Übersetzer Geld zum Überleben, auf literarische Qualitäten wurde nicht so geachtet. Wenn der Name des Übersetzers überhaupt im Buch auftauchte, wurde er sehr klein gedruckt. Häufig fragt man sich, was für Schicksale hinter diesen Übersetzungen stehen. Was bewegt eine klassische Philologin wie Dr. Helene Homeyer, 1947 für den Hera Verlag in Berlin Dorothy Sayers The Nine Tailors zu übersetzen? Diesen Nachkriegsverhältnissen verdanken wir ja auch einige sehr seltsame Moby-Dick Übersetzungen. Und auch in den Jahren darauf sind die Bedingungen für Übersetzer von englischen Krimis nicht gut. Verlage zahlen für Krimiübersetzungen sehr wenig, ich weiß das von Freunden, die während ihres Studiums Krimis übersetzt haben (meist unter einem Pseudonym).

Aber das wurde jetzt bei Diogenes alles anders. Wie es sich für einen Klassiker gehört, urteilte Paul Ingendaay in der Frankfurter Allgemeinen über die neuen Übersetzungen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass zur gleichen Zeit auf dem englischen Markt kein Buch von Ambler mehr lieferbar war. The Care of Time hatte er im Streit mit seinem Lektor zurückgezogen, weil der ohne ihn zu fragen am Manuskript herumgedoktert hatte. Auf die Frage eines Interviewers, ob er das nicht bereue, antwortete er trocken: In der Zwischenzeit bin ich offenbar in Deutschland ein großer Erfolg. Da war er auch längst mit seiner zweiten Frau Joan Harrison (der engsten Mitarbeiterin von Hitchcock) in die Schweiz gezogen. Vielleicht waren ihm seine Romane auch längst egal, ich glaube, dass er mehr Geld mit dem Schreiben von Drehbüchern verdient hat. Why do I write? Because I enjoy it--I don't really need the money, hat er in einem Interview gesagt.

Warum nicht den Thriller verändern, etwas Intelligentes, etwas Kulturelles daraus machen? hat Ambler einmal gesagt. Und das hat der Gentleman mit den guten Manieren getan, der alle Romane mit dem Füllfederhalter geschrieben hat, stets mit dreiteiligem Anzug bekleidet. Irgendwie merkt man das den Romanen an. Wenn man Klassiker des Genres schreibt, dann geht das nur mit dem Füllfederhalter und mit Anzug und Weste. Aber dieser Gentleman mit den guten Manieren ist immer wieder in der Lage, sich (und uns) in seine Romanfiguren hineinzuversetzen. Die nicht so gute Manieren haben: Ich hatte keine andere Wahl: Wenn mich die türkische Polizei nicht verhaftet hätte, so hätte mich die griechische hinter Schloss und Riegel gebracht. Ich musste tun, was Harper mir befahl. Dieser Harper war schuld an allem, was später geschah… Das ist der Anfang von The Light of Day. Wir kennen es als Topkapi, und wir haben den schwitzenden Peter Ustinov (den Ambler gut kannte) mit seinem angeschmuddelten Old Etonian Schlips vor Augen. Ambler ist ein Meister der Verstellung, der Gentleman mit den eleganten Anzügen und dem Füllfederhalter ist nur eine Maske des Meisters der Täuschung.

Zum hundertsten Todestag Amblers im Jahre 2009 hat Penguin die frühen Romane Journey into Fear, Uncommon Danger, Cause for Alarm, The Mask of Dimitrios und Epitaph for a Spy wieder auf den Markt gebracht. Wurde ja auch Zeit. Thrillers… really say more about the way people think and governments behave than many of the conventional novels, hat Ambler der The New York Times in einem Interview 1981 gesagt. A hundred years from now, if they last, these books may offer some clues to what was going on in our world. Für die frühen Ambler Romane gilt das unbedingt.

Ambler hat in einem Interview auf die Frage, ob man seine Romane nun als thrillers, intrigue oder suspense kategorisieren sollte, geäußert: I don't like the word suspense as an adjective. Any novel needs suspense. Graham Greene once labeled his thrillers "entertainments", as if to tell the reader they weren't as important as his novels. I remember talking with Graham about his invention of the word. He had wanted to write his thrillers under a pseudonym. Okay, his publisher told him, in that case I'll give you half the usual advance. Oh, Graham replied, and dropped the idea of using another name and created the word "entertainment" to differentiate them from his other books. It's interesting to note that in his collected edition, Graham took off that label. And, as a matter of fact, by now I can't tell which are "entertainments" and which are not--they're all Greene. Wie Graham Greene hat es Ambler in seinen besten Romanen geschafft, dass sich die klar gezeichneten Grenzen zwischen einem "seriösen" Roman und dem Thriller aufheben.

Montag, 27. Juni 2011

Jacob Cohen Jeans


Eigentlich trage ich ja keine Jeans mehr. Nicht weil ich zu alt dafür wäre, nein, die Dinger ruinieren jeden Sessel, wenn man sie zu Hause trägt. So wie andersherum früher die Mercedes Sitze die maßgeschneiderten Hosen des Herren am Volant ruinierten. Den Bundesminister, der sich im gleichen Schreibtischsessel sitzend, mehrere Hosen ruinierte und die neuen Schneideranzüge dem Steuerzahler in Rechnung stellte, will ich jetzt nicht erwähnen. So softig der Jeansstoff auch aussehen mag, er kriegt à la longue jeden Sessel klein. Aber wenn ich auch keine Jeans mehr trage, habe ich immer noch eine Handvoll alter Levis 501 im Schrank, die ja ein klassenloser Klassiker sind. Auch wenn man vergessen hat, dass es sie jahrelang gar nicht mehr gab, und sie erst durch eine Werbekampagne von den Toten auferweckt wurden. Nachdem sich das Modell vorher überhaupt nicht verkaufte und nur noch das Erkennungszeichen der schwulen Gemeinde von San Francisco war. In einer Zeit, die von der Semiotik der Alltagsobjekte geprägt wird, muss man schon ganz schön aufpassen mit den Sachen, die man anzieht. Aber jetzt ist die 501 natürlich wieder ein Klassiker. Wegen der Werbung.

Ich habe noch meine alte 501 aus dem Jahre 1957 im Schrank, passe ich natürlich nicht mehr rein. Die war noch aus dem Stoff, mit dem man sich vor dem Tragen in die heiße Badewanne setzen musste, damit die Jeans einlief: shrink to fit hieß es so schön in der Werbung. Hinterher nahm man die im Sommer mit an die Nordsee und stellte sich stundenlang in die Brandung, das Salzwasser bleichte dann den Denimstoff so schön aus. Ich habe über diese prägende Erfahrung vor einem Jahr unter dem Thema ➱Kulturwandel hier etwas geschrieben. Heute braucht man das alles natürlich nicht mehr, weil die Jeans im used look geliefert werden, sandgestrahlt und stonewashed. Und Levis hat vor Jahren die gute alte shrink to fit Jeans wieder auf den Markt gebracht, da habe ich aber die Finger davon gelassen.

Dass heute jeder Jeans im used look haben will, aus dem längst ein destroyed look geworden ist, bringt Gefahren mit sich, an die Jeanskäufer kaum denken. Es sei denn, Sie hätten schon einmal versucht, ihre Jeans in der Badewanne mit Domestos zu behandeln und sich dabei Verätzungen der Lunge zugezogen. Wenn die Industrie Natriumhypochlorit verwendet, tut sie letztlich nichts anderes. Und da ich den Namen Domestos schon mal erwähnt habe, Domestos Jeans scheinen neuerdings wieder in zu sein. Auf jeden Fall in bestimmten Kreisen. Wie zum Beispiel Neonazis. Unglücklicherweise bevorzugen Skinheads inzwischen auch schon die Levis 501. Und dann der nächste Horror: Moonwashed, der letzte Schrei der DDR aus den achtziger Jahren, soll auch wieder im Kommen sein. Wenn wir lange genug warten, kommen auch noch die Bundfaltenjeans wieder. Mit Bügelfalte.

Der Preisunterschied liegt in der Waschung, sagte mir ein Verkäufer auf die Frage, weshalb die eine Jeans doppelt so teuer sei wie eine andere des gleichen Herstellers. Da können wir ja nur hoffen, dass die Firma genau diesen Preisunterschied in die Lebensversicherung der Arbeiter einzahlt, die sich beim Hantieren mit den Giften der Waschung und mit dem Sandstrahlen des Denim Stoffes die Gesundheit ruinieren. Das weiß man schon etwas länger, aber wir alle scheinen vergessen zu haben, was uns Naomi Klein vor zehn Jahren mit ihrem Buch No Logo sagen wollte. Und meistens findet das ja in Pakistan statt und ist sowieso Kinderarbeit, da kümmert es uns nicht so sehr. Das bringt nun die italienischen Hersteller von Luxusjeans ein klein wenig in Schwierigkeiten. Um ihre Produkte als made in Italy verkaufen zu können, können sie diesen Teil der Fertigung natürlich nicht in Pakistan erledigen lassen. Aber vielleicht lassen sie italienischen Luxusfirmen, die jetzt ganz groß im Designerjeans Geschäft sind, die schmutzige Arbeit von den Chinesen erledigen, die in Italien schon zu einem Wirtschaftsfaktor geworden sind.

Designerjeans hat es in den achtziger Jahren ja schon einmal gegeben, als amerikanische Firmen wie Jordache und Gloria Vanderbilt auf die Idee kamen, auf ihre Billigjeans große Firmenlogos draufzunähen und die teuer zu verkaufen. Aber die Designerjeans der letzten Jahre sind doch etwas anderes. Teuerste und beste japanische Stoffe und angeblich (so Jacob Cohen) handgenäht. Und schweineteuer. Meine neuen Jacob Cohen Jeans kosten 299 €. Habe ich zum Leidwesen von Michael Rieckhof natürlich nicht bei Kelly's gekauft, sondern bei ebay ersteigert. Für 39 €. Der Preis ist O.K. Eine Woche später ritt mich der Teufel, und ich habe mir noch eine zweite ersteigert. Bei einem österreichischen Händler, bei denen bietet ja keiner (bei ebay ist Krieg zwischen Deutschland und Österreich). Für sechs Euro (plus 13,80 Porto) war sie meine, unglaublich.

Und der Schneider bei mir um die Ecke hat sie mir von einem Tag auf den anderen gekürzt. Den muss ich mal eben erwähnen, weil der ganz toll ist. Zum einen ist das Ehepaar Yesilyurt riesig nett, und zum anderen ist Herr Yesilyurt ein Meister mit Nadel und Faden. Hat mir vor Jahren ohne mit der Wimper zu zucken ein Futter in die Vorderhose eines Savile Row Anzugs genäht. Denn in der Savile Row gibt es ja Firmen, die der Meinung sind, dass gefütterte Hosen etwas für italienische Weichlinge sind. Wenn man als Kind von den Eltern nach Gordonstoun verbannt wurde, wie Prince Philip und Charles, und sich in ungeheizten Schlafräumen den Arsch abgefroren hat, dann mögen ungefütterte Hosen ja O.K. sein. Aber ich möchte doch lieber gefütterte Hosen tragen. Hat Herr Yesilyurt erstklassig hingekriegt. Der kann auch hervorragend die Ärmel von Oberhemden kürzen. Schneidet die nicht nur unten ab, sondern versetzt den Ärmelschlitz mit dem kleinen Knopf weiter nach oben. Dieser kleine Knopf heißt übrigens im Englischen gauntlet button, was mir erst bewusst wurde, als ich in ihn einem deutschen Text als ➱Handschuhknopf wiederfand. Die Schneiderei Yesilyurt ist in Kiel an der Ecke von Esmarchstraße und Feldstraße, gegenüber vom Weinhaus ➱Tiemann, wo toute la Kiel seinen Wein kauft. Hat auch einen Parkplatz vorm Haus (Tiemann natürlich auch).

Dass es die Marke Jacob Cohen gibt, weiß ich seit den achtziger Jahren, weil ich da ein Abo auf die italienische L'Uomo Vogue hatte. Damals waren sie noch nichts besonderes, kein Objekt der Begierde. Und nicht so aasig teuer. Offensichtlich haben sie vor Jahren ein relaunch gemacht und sich nach ganz oben orientiert. Dafür werden die Jeans dann auch innen mit Etiketten vollgepflastert, haben versilberte Nieten und Knöpfe. Und bei irgendeinem Modell kriegt man noch Taschentücher, Nähfaden und einen Bimsstein zum Schmirgeln dazu. Auf der Seite des Herrenausstatters Braun in Hamburg steht noch: Highlight ist das aufgenähte Jacob Cohen Label aus echtem Ponyfell. Aber hallo, ein Highlight. Mit welchen Trivialitäten man doch überteuerte olabukse verkaufen kann! Das Wort olabukse ist norwegisch, schönes Wort. Habe ich im Netz gefunden, wo jemand versicherte, das Jacob Cohen the best olabukse in the world macht. Das Highlight aus Ponyfell ist natürlich schon ab. Erstens zerlegt es sich sowieso nach wenigen Waschgängen. Und zweitens will ich mich von Wanda und Carlo nicht fragen lassen: Hat man für deine Hose ein Pony totgemacht? Aber sonst ist die Jeans gut, sogar sehr gut. Die zweite (die für sechs Euro) sitzt nicht so gut, weil es ein anderes Modell mit einem anderen Schnitt ist, aber was kann man für sechs Euro verlangen? Bei Aldi kosten die Jeans 9,99 € (und da macht auch noch jemand Gewinn).

Jacob Cohen sind nicht die einzigen, die sich im Marktsegment da oben bei 299 € tummeln, da gibt es noch True Religion, Seven for all Mankind, PRPS, Adriano Goldschmied und wie sie alle heißen. Manche sind offensichtlich exklusiver als andere. Von den 172.806 Herrenjeans bei ebay sind 783 von True Religion und 551 von Seven for all Mankind, aber nur zwei von Jacob Cohen. Adriano Goldschmied gibt es schon bei Conleys. Wenn man da gelandet ist oder massenhaft bei YOXX auftaucht, ist man nicht mehr exklusiv. Was natürlich sehr exklusiv ist, ist bei ebay 60.000 Dollar für eine 155 Jahre alte Levis (oben) zu zahlen. Hat 2005 ein anonymer Japaner gemacht. Hoffentlich passt sie. Sonst kann ich mit der Adresse einer sehr guten Änderungsschneiderei aushelfen (siehe oben!). Die Japaner sind sowieso an allem Schuld. Eine Firma wie Kurabo (1889 gegründet) hat ihre alten Webstühle für das ring denim nie ausgesondert, dass zahlt sich aus, wenn bessere Qualitäten gefragt sind. Später haben die Japaner die alten Webstühle von den Amerikaner gekauft, um darauf ihr selvage denim zu produzieren, dann haben sie daraus die ersten wirklich teuren Jeans gemacht. Wie zum Beispiel die Firma Evisu. Ist wohl kein Zufall, dass evisu im Japanischen der Gott des Geldes ist.

In den fünfziger Jahren in Bremen eine Levis 501 (natürlich noch eine Big E) der besten Denim Qualität zu kaufen, war keine Schwierigkeit. Zwar waren wir keine amerikanische Enklave mehr, aber die Amerikaner waren immer noch da, die mochten den port of embarkation Bremerhaven (wo ja auch Elvis ankam) nicht aufgeben. Und es gab auch genügend Läden, die mit army surplus handelten. Dennoch waren Blue Jeans kein dominierendes Kleidungsstück. Kann man auf allen Photos aus dieser Zeit sehen. Und ich hatte auch nur diese eine Levis 501, keine zweite. Die hat aber aufgrund ihrer Qualität erstaunlich lange gehalten. Ich hatte Chinos, Cord- und Flanellhosen, damit kommt man durchs Leben. Fürs Segeln waren Jeans gut, das gebe ich gerne zu. Aber man braucht sie eigentlich nicht wirklich.

Das merkt auch die Firma Levis seit einigen Jahren, die sich in einer schweren Krise befindet. Auch japanische Billigfirmen, die sich auf dem japanischen Markt bekämpfen und Jeans für 5,10 € auf den Markt werfen, kämpfen einen vergeblichen Kampf gegen die chinesische Konkurrenz. Die können das mit Kinderarbeit und der Produktion in Gefängnissen noch unterbieten. There is nothing in the world that some man cannot make a little worse and sell a little cheaper, and he who considers price only is that man's lawful prey. Soll Ruskin gesagt haben (so sicher ist das nicht), aber Ruskin oder nicht, der Satz bleibt wahr. Was hat sich seit den sweatshops der viktorianischen Zeit und Thomas Hoods Song of the Shirt geändert? Der cartoon da oben ist übrigens aus dem Punch des Jahres 1845.

Als ich nicht mehr in meine alte 501 passte, begann für mich eine Odyssee. Oder eine Gralssuche nach der richtigen Jeans. Wann immer man eine gefunden hatte, die gut passte, gab es wenig später das Modell nicht mehr. Das Prinzip der planned obsolescence gilt nirgendwo so wie auf dem Jeansmarkt. Wie gut Jeans sind zeigen sie erst nach Jahren. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass wenn Männer über Jeans reden, sie immer die Vergangenheitsform benutzen? In Sätzen wie: Die Pepe, die ich damals hatte, die war gut. Die überteuerten Designerjeans (und all die anderen Marken, die dadurch berühmt werden, dass sie letzte Woche von Brad Pitt getragen wurden) sind natürlich kein echter Wirtschaftsfaktor. Vielleicht sind sie nur die Götterdämmerung in der Krise der Jeansindustrie. Zu deren Krise ich natürlich beigetragen habe. Weil ich meine Jeans seit Jahren nur noch im Second Hand Laden kaufe.

Und zum Schluss habe ich noch einen Musiktip: die türkische Rockband bANDISTA, die laut und energisch gegen die Bedingungen kämpft, unter denen Jeans in der Türkei hergestellt werden, hat ihren nächsten Auftritt am 30. Juni in Hannover.

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Sonntag, 26. Juni 2011

Karl Philipp Moritz


Da hat es unser kleines Kaff Vegesack einmal geschafft in die große Literatur zu kommen. Der Held des „psychologischen Romans“ Anton Reiser von Karl Philipp Moritz erlebt 1786 den Anblick des Vegesacker Hafens mit den Schiffen als unbeschreiblich ergötzlich: Den Nachmittag erreichte er Vegesack und betrachtete hier mit hungrigem Magen, was er noch nie gesehen hatte, eine Anzahl dreimastiger Schiffe, die in dem kleinen Hafen lagen. – Dieser Anblick ergötzte ihn ohngeachtet des mißlichen Zustandes, worin er sich befand, unbeschreiblich – und weil er an diesem Zustande durch seine Unbesonnenheit selber schuld war, so wollte er es sich gleichsam gegen sich selber nicht einmal merken lassen, daß er nun damit unzufrieden sei.

Viele Reisende werden ihm bezüglich der landschaftlichen Schönheit später zustimmen, zum Beispiel Friedrich Engels, der von 1838 bis 1841 in Bremen lebte. Vegesack ist die Oase in der bremischen Wüste, schreibt er 1841 im Morgenblatt für gebildete Leser nach einer Reise mit dem Dampfer Roland von Bremen nach Bremerhaven. In Vegesack gibt's Berge von 60 Fuß Höhe, und der (Stadt-)Bremer spricht wohl von der 'Vegesacker Schweiz'. Ehe man hinkommt, sieht man eine Menge Schiffsrümpfe in der Weser liegen, teils ausgediente, teils hier neugebaute. Gleich hinter Vegesack versucht das Sandmeer wirklich bedeutende Wellen zu schlagen und senkt sich ziemlich steil in die Weser hinein. Hier liegen die Villen der Aristokraten, deren Anlagen das Weserufer eine kleine Strecke hin wirklich sehr verschönern.

Na ja, Aristokraten sind das ja nicht gerade, Engels übt sich wohl noch in der klassenkämpferischen Terminologie. Pfeffersäcke wäre das passende Wort gewesen. Aber was er hier beschreibt, findet sich ähnlich in einer Vielzahl von Berichten. Wenn man das 1850 gemalte Bild von Vegesack von Carl Justus Fedeler (oben) im Ortsamt Vegesack betrachtet, muss der Ort in der Jahrhundertmitte einen eindrucksvollen Anblick geboten haben. Im 19. Jahrhundert werden die touristischen Schiffreisenden, die Nachfolger der englischen Reisemanie des 18. Jahrhunderts, in dieser Gegend gerne verweilen. Die Geestkante an Weser und Lesum wird flugs in Vegesacker oder Lesumer Schweiz umgetauft. Wenn schon kein Erlebnis des Erhabenen in den Alpen, dann doch das des Pittoresken in der Lesumer Schweiz. Wenn die Bremer sich den Anblick der Gebirgsländer im Kleinen verschaffen wollen, so wallfahrten sie nach St. Magnus urteilt 1822 Professor Adam Storck in Ansichten der Freien Hansestadt Bremen, um wenige Seiten später, ganz im Sinne der Romantik, die Stimmung an der Lesum im Sonnenuntergang mit Sir Walter Scotts The Lady in the Lake zu vergleichen. Ja, die Romantik neigt schon ein wenig zur Übertreibung.

Von der Schönheit des alten Ortes ist wenig übrig geblieben. Die Bremer SPD hat Hand in Hand mit Immobilienspekulanten mit dem Instrument des Städtebauförderungsgesetzes den Ort plattgemacht. Und hinterher sagte der Bürgermeister Hans Koschnik auf einem Wahlplakat: Zugegeben, was in Vegesack passiert ist, war nicht schön. Etwas schlimmer fand das schon der Stern Reporter Günther Schwarberg, der im Stern eine lange, leidenschaftliche Anklage publizierte. Er kommt aus dem Ort, und er hat auch über unseren Kriegsverbrecher Többens geschrieben. Heute ist der Ort, den man früher mit Blankenese verglich, kurz davor, ein Slum zu werden. Soviel zur Städtebauförderung.

Das alles kann der junge Anton Reiser nicht ahnen, wenn er als hungriger Geselle, der entwürdigenden Behandlung in einer Hutmacherlehre entkommen, auf dem Wege nach Bremen zum ersten Mal Vegesack sieht. Anton Reiser ist sicherlich auch ein autobiographischer Roman über einen hoch begabten Heranwachsenden, der viel Leid und Elend erfährt. Eine Seelenzergliederung in Romanform, aber keine from rags to riches Story, es gibt kein happy ending für Anton Reiser. In der Vorrede zum dritten Teil schreibt der Autor: Mit dem Schluß dieses Teils heben sich Anton Reisers Wanderungen und mit ihnen der eigentliche Roman seines Lebens an. Das in diesem Teil Enthaltne ist eine getreue Darstellung der Szenen seiner Jünglingsjahre, welche andern, denen diese unschätzbare Zeit noch nicht entschlüpft ist, vielleicht zur Lehre und Warnung dienen kann. Vielleicht enthält auch diese Darstellung manche nicht ganz unnütze Winke für Lehrer und Erzieher, woher sie Veranlassung nehmen könnten, in der Behandlung mancher ihrer Zöglinge behutsamer und in ihrem Urteil über dieselben gerechter und billiger zu sein!

Der Roman ist nicht ohne Vorbilder (auch wenn noch niemand zuvor den Untertitel Ein psychologischer Roman verwendet hat), eines schreibt Moritz selbst in den Roman hinein, wenn es im Dritten Teil heißt: Zu diesem allen kam nun noch, daß gerade in diesem Jahre die 'Leiden des jungen Werthers' erschienen waren, welche nun zum Teil in alle seine damaligen Ideen und Empfindungen von Einsamkeit, Naturgenuß, patriarchalischer Lebensart, daß das Leben ein Traum sei usw., eingriffen. Der Name Rousseau, dessen Confessions den Roman sicher auch beeinflusst haben, fällt im Text allerdings nie.

Es ist sicherlich für den Leser etwas unbefriedigend, dass der Roman des Autors, der in der Vorrede des Vierten Teils über seinen Helden gesagt hatte: Widerspruch von außen und von innen war bis dahin sein ganzes Leben. – Es kömmt darauf an, wie diese Widersprücke sich lösen werden! diese Lösung der Widersprüche nicht bieten kann. Außer der Erkenntnis, dass es kein richtiges Leben im falschen geben kann. Auch wenn der Roman nicht diese durchkomponierte Geschlossenheit des Werther und der Confessions aufweist und streckenweise auch wohl öde und abstoßend ist (so Moritz' Biograph Hugo Eybisch im Nachwort der alten Insel Ausgabe), bleibt er ein einzigartiges Werk in der deutschen Literatur. Natürlich auch, weil Vegesack drin vorkommt. Das kommt bei Goethe nämlich nicht vor. Obgleich der den Ort durchaus kannte, denn da wohnte sein Brieffreund Albrecht Roth (und mit Nikolaus Meyer hat er noch einen zweiten Bremer Brieffreund).

Karl Philipp Moritz, den Goethe als einen jüngeren Bruder empfand (Moritz ist hier, der uns durch »Anton Reiser« und die »Wanderungen nach England« merkwürdig geworden. Es ist ein reiner, trefflicher Mann, an dem wir viel Freude haben) und den Jean Paul verehrte, ist heute vor 218 Jahren gestorben.

Samstag, 25. Juni 2011

Kurt Hoffmann


Als der deutsche Regisseur Kurt Hoffmann heute vor zehn Jahren starb, war er neunzig Jahre alt, und man hatte ihn schon beinahe vergessen. Seinen letzten Film hatte er zwanzig Jahre zuvor gedreht. Der hieß Der Kapitän, und Heinz Rühmann spielte darin die Hauptrolle. Heinz Rühmann hatte auch die Hauptrolle in den ersten Filmen von Hoffmann dreißig Jahre zuvor gespielt, in Paradies der Junggesellen und Quax der Bruchpilot. Rühmann spielte auch in den beiden Curt Goetz Verfilmungen Dr. med Hiob Prätorius und Hokuspokus - oder: Wie lasse ich meinen Mann verschwinden die Hauptrolle, beides waren Remakes. Bei Hokusposkus im Jahre 1953 hatte Curt Goetz noch selbst die Hauptrolle in dem Stück gespielt, das er selbst geschrieben hatte. Der Film war natürlich viel besser, weil Heinz Rühmann niemals an den Mann herankommt, der die wunderbaren Memoiren des Peterhans von Binningen geschrieben hat. Angeblich hatte sich die Witwe von Curt Goetz Heinz Rühmann als Hauptdarsteller gewünscht. Das Remake von Hokuspokus war nur wegen des coolen Designs und wegen Lieselotte Pulver erträglich.

Was wäre Kurt Hofmann ohne Lieselotte Pulver gewesen? Oder Lieselotte Pulver ohne Kurt Hoffmann? Neunmal haben sie zusammen gearbeitet: Heute heiratet mein Mann (1956), Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (1957), diese ganze Spessart-Trilogie und dann die beiden Curt Goetz Verfilmungen Dr. med. Hiob Prätorius (1964) und Hokuspokus - oder: Wie lasse ich meinen Mann verschwinden (1965). Ich denke of an Piroschka wollen wir natürlich nicht vergessen.

Kurt Hoffmann ist der deutsche Film der fünfziger Jahre. Vielleicht noch die netteste Sorte. Während Frankreich und England mit ihren Filmproduktionen an ihre große Zeit vor dem Krieg anknüpfen können, bleibt uns das verwehrt. Wir haben die Elite der Filmschaffenden aus Deutschland gejagt. Die dann das Niveau von Hollywood gehoben haben. Und weil sich keiner mehr die Finger verbrennen will, geht man bei Filmproduktionen auf Nummer Sicher. Sprich, auf die unterste Stufe des Geschmacks. Heimatfilme (die schlimmerweise häufig noch Remakes von Naziproduktionen sind). Muss man dazu etwas sagen? Müsste man eigentlich, tue ich vielleicht noch mal. Und dann Musikfilme, Peter Alexander und Caterina Valente. Also all das, was die öffentlich-rechtlichen Sender am Sonntag in der Mittagszeit senden, wo außer Ommas und Schwerkranken keiner guckt.

In dem Augenblick, in dem das Amt Blank (das ja offiziell Dienststelle des Bevollmächtigten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen heißt) seine Arbeit beginnt, häufen sich bei uns die Kriegsfilme. Und dann haben wir eines Tages Der Stern von Afrika und Hunde, wollt ihr ewig leben? Alles ein klein wenig kritisch, damit es noch als Anti-Kriegsfilm durchgehen kann. Das ist ein interessantes Phänomen, und eigentlich will ich seit Jahren einmal darüber schreiben, vielleicht kriege ich das in diesem neuen Medium ja noch mal hin.

An diesem Punkt haben wir natürlich unsere Vergangenheitsbewältigung verpasst. Kritische Nachkriegsfilme wie Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns gab es zwar, und irgendjemand hat einmal den schönen Terminus Trümmerfilm dafür geprägt. Es gibt da sicherlich ein halbes Dutzend in den ersten fünf Jahren nach Kriegsende. Wobei vieles auch problematisch ist (ich meine jetzt nicht Hildegard Knef in Die Sünderin). Wenn Wolfgang Liebeneiner Liebe 47 nach Borcherts Draußen vor der Tür dreht, hat man da schon vergessen, dass der Mann ein nicht so kleines Rädchen in Goebbels Maschinerie war?

Aber das lassen wir jetzt mal alles beiseite, wir wollen vergessen, das Wirtschaftswunder kündet sich an. Und was gibt es da Besseres als Lustspiele? Werfen wir doch mal eben einen Blick auf die Filme von Kurt Hoffmann in den fünfziger Jahren: 1951: Fanfaren der Liebe - 1951: Königin einer Nacht - 1952: Klettermaxe - 1952: Wochenend im Paradies - 1953: Musik bei Nacht - 1953: Hokuspokus - 1953: Moselfahrt aus Liebeskummer - 1954: Der Raub der Sabinerinnen - 1954: Das fliegende Klassenzimmer - 1954: Feuerwerk - 1955: Drei Männer im Schnee - 1955: Ich denke oft an Piroschka - 1956: Heute heiratet mein Mann - 1956: Salzburger Geschichten - 1957: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull - 1957: Das Wirtshaus im Spessart - 1958: Wir Wunderkinder - 1959: Der Engel, der seine Harfe versetzte - 1959: Das schöne Abenteuer - 1960: Lampenfieber - 1960: Das Spukschloß im Spessart.

Schlimm? Nicht so schlimm wie die Filme von Hans Deppe. Damit meine ich nicht den hervorragend photographierten Schimmelreiter, sondern Filme wie Grün ist die Heide und Wenn der weiße Flieder wieder blüht. Denn das muss man Kurt Hoffmann lassen, er ist ein hervorragender Handwerker. Und einen Film wie Drei Männer im Schnee kann man sich auch nach einem halben Jahrhundert wieder anschauen. Der Evangelische Film-Beobachter urteilte da 1955: Heiteres Lustspiel nach Kästners Erzählung vom reichen Mann, der sich sein menschliches Herz bewahrt hat. Ob seiner natürlichen Frische als nette Unterhaltung ab 14 gerne zu empfehlen. Nicht so nett verfuhr Joe Hembus mit seiner Generalabrechnung Der deutsche Film kann gar nicht besser sein, ein wunderbares Pamphlet, eine unverfroren gehässige Bestandsaufnahme des deutschen Nachkriegsfilms. Gibt es bei Amazon Marketplace ab 3,69 €, lohnt sich unbedingt.

Reclams Lexikon des Deutschen Films von 1995 geht etwas netter mit dem Regisseur um, wenn es resümiert: Alles in allem ist Hoffmann nach Erich Engel Deutschlands bedeutsamster Lustspiel- und Komödienspezialist, besonders im Zeitraum von 1945 bis zum Ende der sechziger Jahre. Das würde ich ja gerne unterschreiben, wenn man da nicht die Namen verwechselt hätte: der Mann heißt Erich Engels und nicht Erich Engel! Und außerdem hat er ja auch noch Wir Wunderkinder und Das Haus in der Karpfengasse gedreht, Filme, die man durchaus ernst nehmen kann. Im letzten Jahr hat das Deutsche Filminstitut den Regisseur mit dem Buch Der Mann mit der leichten Hand: Kurt Hoffmann und seine Filme gewürdigt. Wurde auch Zeit.

Freitag, 24. Juni 2011

Wuddel



Der Konny aus meiner Abiturklasse hat mir geschrieben, dass unser Klassenkamerad Bernd Wurthmann, den wir alle Wuddel nannten, plötzlich gestorben ist. Konny war unser Klassensprecher, und obgleich er ein berühmter Mann geworden ist, kümmert er sich nach einem halben Jahrhundert immer noch um die alte 10 L1. Gestern ist Bernd auf dem Friedhof von Bremen Grohn beerdigt worden. Er hatte mich letztens im Rahmen seiner Tätigkeit für das Vegesacker Overbeck Museum noch um etwas gebeten, was ich aber nur zur Hälfte erledigt hatte. Den Rest schicke ich Dir später, habe ich geschrieben. Nun braucht er es nicht mehr, und ich habe ein schlechtes Gewissen. Wuddel und ich haben nebeneinander auf der Schulbank gesessen. Jahrelang, in jedem neuen Schuljahr saßen wir wieder nebeneinander. Und dabei waren wir völlig verschiedene Charaktere, schon äußerlich: als er so etwas Ähnliches wie eine Elvis Frisur trug, hatte ich einen crew cut. Aber er war ein zuverlässiger Kumpel, wir haben uns in all den Jahren nie gestritten und niemals gekloppt. Wenn ich nicht Dich als linken und Mille als rechten Nachbarn zum Abschreiben gehabt hätte, wäre ich kein rechtschaffener A-14-Beamter geworden, sondern mit viel Glück vielleicht bei Nehlsens Müllabfuhr untergekommen sein, hat er mir vor kurzem geschrieben. Das fand ich sehr rührend. Er hatte diesen schönen, trockenen norddeutschen Humor. Ich neigte immer zum Abheben, er kommentierte das immer ironisch.

Er hat mir in dem Brief damals auch gestanden, dass er mal hinter der Frau her war, die damals meine Freundin war. Wusstest du übrigens, dass ich damals stocksauer auf dich war, als du mit Renate abschobst? Ich wäre dir gern zuvorgekommen. Zweimal habe ich sie vor einiger Zeit wiedergesehen: Einmal beim Buchhändler und einmal im Grohner Schwimmbad. Also, Renate B., wenn Du das jetzt lesen solltest, dann weißt Du das, dass auch Wuddel hinter Dir her war. Was mag aus ihr geworden sein?

Obgleich Wuddel und ich Kumpels waren, weiß ich über manche Seiten von ihm nichts. Weshalb in der Bierzeitung unserer Lateinklasse 10 L1, in der jeder der Klasse eine Funktion in einem imaginären Zirkus hatte, über ihn gesagt wird: großen Erfolg erzielte er als Initiator einer gegen die Bundesbank gerichteten Bewegung, entzieht sich meiner Kenntnis. Hatte er Zehnmarkscheine gedruckt? Im Sommer 1959 habe ich ihn auf dem Montmartre getroffen, wo er den Malern zuguckte, die blitzschnell Portraits von den Touristen malten. Einen der Maler habe ich photographiert, Wuddel nicht. Ich habe Hallo, Wuddel gesagt, und das war's. Wir waren sehr cool in jenen Tagen. Ich weiß bis heute nicht, wie er nach Paris gekommen war, und was er dort machte (Ende der fünfziger Jahre aus einem kleinen Bremer Vorort nach Paris zu kommen, war schon eine kleine Sensation). Ich habe ihn auch nie gefragt. Damals pflegte man eine große Verschwiegenheit, weil man mit sechzehn sorgfältig dabei war, an der eigenen Selbstinszenierung zu arbeiten. Erst im Alter wird man geschwätzig. Ich hätte ihn ja letztens fragen können, wie er damals nach Paris gekommen ist und ob er zufälligerweise die Adresse von Renate hat, aber ich habe es natürlich gelassen.

Ich habe ihm im letzten Jahr meine immer noch unfertigen Memoiren (die mit dem schönen Titel Bremensien) geschickt. Weil er mehrfach da drin vorkommt (und mein kleines search Feld auf dieser Seite sagt mir, dass er auch schon zweimal in diesem Blog vorgekommen ist). Er ist einer der wenigen Mitschüler aus meiner Gymnasiumsklasse, der in den Bremensien vorkommt. Viele andere waren mir nicht so wichtig. Renate kommt natürlich auch drin vor. Er hat das Leseerlebnis nett kommentiert. Es ist schön, durch Dich die alten Zeiten noch einmal wiederauferstehen zu sehen, obwohl diese natürlich durch verschiedene Brillen gefiltert werden, war sein letzter Satz damals. Ich habe von ihm auch eine Vielzahl von Dingen erfahren, die ich durch meine Brille damals nicht gesehen habe. Habe ich natürlich sofort geklaut und in die Bremensien hineingeschrieben. Wenn man seine Memoiren schreibt, ist man wie ein Vampir und saugt die Erinnerung von anderen aus. Es hat mich in seinem Brief damals etwas gestört, dass er von meiner Karriere bei der Infanterie als den Stoppelhopsern sprach. Aber Wuddel war bei der Luftwaffe, da muss man ihm das verzeihen. Er hat über diese Zeit sehr ironisch gesagt: Meine Leutnantskarriere scheiterte allerdings da dran, dass ich während der entscheidenden Zeit in München-Neubiberg war, und in München herrschte zu der Zeit Karneval, sodass für dienstliche Belange eigentlich wenig Zeit blieb. Zudem kotzte mich das Offiziersgetue ohnehin schon an. Heute finde ich auch, dass das alles ein großer Unsinn war, aber ich habe länger gebraucht als er, um zu dieser Erkenntnis zu kommen.

Auf seine Armbanduhr war ich damals neidisch, er auf meine grünen englischen desert boots, die er aus irgendeinem Grund meine golly Schuhe nannte. Seine Uhr war viel eindrucksvoller als meine Konfirmations-Junghans. Und sie wurde eines Tages in der ganzen Schule berühmt, weil der Geigerzähler von Humbert Settler im Physikunterricht einen hundertfach höheren Wert an ihr als an dem Demonstrationsteil eines schwach radioaktiven Elements maß. Ich höre heute noch das Geräusch des Geigerzählers neben mir. Es stellte sich danach heraus, dass die Firma, die den silbernen Kasten in der Größe einer Gefriertruhe mit dem schwach radioaktiven Element geliefert hatte, vergessen hatte, das schwach radioaktive Teil in den Kasten zu packen. Ja, Physik ist das, was nie gelingt.

Wuddel war Photoamateur, wie viele von uns damals, und wir haben eine Vielzahl von Stunden zusammen in der Dunkelkammer verbracht. Ich will jetzt nicht von den Geheimnissen eines Perutz Pergrano Schwarzweiß-Films, von Neofin Blau und anderen Dingen aus der Rotlichtwelt der Dunkelkammer reden (ich habe gerade bei ebay reingeschaut und mein altes Liesegang Vergrößerungungsgerät wiedergesehen, Nostalgie, Nostalgie!). Das sagt Leuten, die eine DigiCam haben oder mit dem Handy photographieren, sowieso nichts. Aber es ist ein Hobby, das Menschen verbindet. Tat es auf jeden Fall in den fünfziger und sechziger Jahren. Wir konnten stundenlang über Kameras reden, da wir alle den Photo Porst Katalog auswendig gelernt hatten, und wir beobachten ständig die Schaufenster von Maack, Seemann und Hallfeldt. Was wir gerne als Kamera gehabt hätten, war natürlich außerhalb unserer finanziellen Reichweite. Niemand konnte wissen, dass die Objekte unserer Begierde heute zum Dumpingpreis auf Flohmärkten verscheuert werden. Im letzten Jahr habe ich Wuddel noch voller Stolz erzählt, dass ich auf dem Flohmarkt preiswert eine Exakta Varex gefunden habe.

Da Wuddel ein richtiges Ass in allen Photodingen war und auch einen Filmvorführerschein bei der Landesbildstelle in Bremen gemacht hatte (sodass er in der Aula die Filme für die Schüler Film Gilde vorführen durfte), hat es niemanden von uns gewundert, dass er nach dem Abi eine Ausbildung zum Photographen gemacht hat. Also, nachdem er bei der Luftwaffe in München-Neubiberg gewesen war. Dann hat er in Hamburg ein Gewerbelehrerstudium absolviert, und hat danach in Bremen Photographen, Photolaboranten und Mediengestalter ausgebildet. Er ist auch Mitglied einer Vielzahl von Jurys und Prüfungsausschüssen gewesen, das hat er immer sehr ernst genommen. Wuddel war nicht der einzige aus der Klasse, der Photograph geworden ist. Der Eberhard ist als Photograph noch ziemlich bekannt  geworden. Ich hoffe nur, dass er jetzt geschmackvollere Socken trägt, als auf dem Photo vom Abtanzball. Ja, guck Dir das ruhig noch mal an, Eberhard!

In den letzten Jahren hat Wuddel ehrenamtlich für das Fritz Overbeck Museum in Vegesack gearbeitet und den ganzen Bestand der Bilder photographiert und archiviert. Dafür werden ihm das Museum und die Overbeck Forscher sicher dankbar sein. In allen Büchern und allen Katalogen, die in den letzten Jahren entstanden sind, steht jetzt sein Name. Im Overbeck Museum hatte er in diesem Jahr auch noch eine große Ausstellung seiner Bilder, Norddeutsche Fotografien, gehabt. Das Photo da oben war auf dem Plakat für die Ausstellung. Die neue Direktorin des Museums Dr. Katja Pourshirazihat hat zur Eröffnung eine ➱Rede gehalten, in der sie eine Menge zum Verhältnis von Fritz Overbeck zur Photographie gesagt hat. Und Susan Sontags On Photography zitiert hat, das macht ja jetzt jeder, der über Photographie redet. Über Bernd Wurthmanns Photographien hat sie relativ wenig gesagt. Ich glaube nicht, dass Wuddel Susan Sontags On Photography gelesen hat, das ist etwas für Theoretiker. Wuddel war Praktiker, und er hatte das Auge eines Photographen. Die brauchen Susan Sontag nicht.

Als er mir vor Monaten erzählte, dass er seine Ausstellung vorbereitete, habe ich mich nicht gewundert, dass es Landschaftsphotos waren. So haben wir in den fünfziger Jahren angefangen, die Lesum- und Weserdeiche entlang, von Moorlosen Kirche bis Hammelwardener Sand. Unser Vorbild war sicherlich, ob wir uns das eingestanden oder nicht, der Bremer Photograph Hans Saebens (oben), der hatte immer wunderschöne Wolken. An dem kam man nicht vorbei. Wir versuchten diese Art der Photographie mit dem Einsatz von Gelbfiltern und langer Belichtung bei ganz kleiner Blende (und natürlich niedrig empfindlichen Perutz Filmen) auch zu erreichen. Das Ideal dieser Photographie sind natürlich die Bilder von Ansel Adams.

Wir guckten uns aber auch immer die Photos im Schaufenster von Photo Maack an, Erich Maack machte Industriephotos, Werften und Schiffe. Hatte aber auch immer schöne Gelbfilterwolken. Irgendwie sind die fünfziger Jahre eine Gelbfilterepoche. Ich habe noch alte Magnum Hefte aus den fünfziger Jahren (die damals natürlich neue Magnum Hefte waren), in denen man das Beste finden konnte, was so photographiert wurde, von Robert Doisneau bis Henri Cartier-Bresson. Leute auf der Straße zu photographieren, wie Doisneau und Cartier-Bresson das taten, trauten wir uns noch nicht. In Paris habe ich das aber 1959 gemacht, ich dachte mir, da kennt mich eh keiner. Meine Photos sehen aus wie etwas mißratene Doisneau Kopien, man entkommt einem Zeitstil nicht. Doch ansonsten war unsere Photographie an unsere norddeutsche Landschaft gebunden, dem entkam man auch nicht. Auch wenn ich jetzt eine viel bessere photographische Ausrüstung habe und mit einem Farbfilm photographiere, irgendwie sehe ich die Landschaft immer noch so, wie sie Hans Saebens gesehen hat. Oder die alten Niederländer.

Tja, Wuddel, das isses. Schöner Himmel, da auf Deinem Bild. Wir denken alle an Dich, manche aus unserer Lateinklasse sind quer durch die Republik gereist, um zu Deiner Beerdigung zu kommen. Vielleicht ist sogar unser alter Klassenlehrer Gustav Renziehausen gekommen, über den ich damals behauptet hatte, dass er der Bruder von Eva Renzie sei. Natürlich war das ein blödes Gerücht, dass ich da in die Welt gesetzt hatte, denn die schönste Frau Deutschland und unser Lehrer sahen sich wirklich nicht ähnlich. Ich hoffe, dass Gustav Renziehausen, der heute in vier Wochen fünfundachtzig wird, mir das verziehen hat. Er ist immer ein grundanständiger und ehrlicher Mensch gewesen, das kann man nicht über so viele Lehrer sagen.

Du hättest nie daran gedacht, einmal Lehrer zu werden, Wuddel, und bist es doch irgendwie geworden. Deine Schüler aus vielen Jahren an der Wilhelm Wagenfeld Schule werden sich hoffentlich an Dich erinnern (das hofft man als Lehrer ja immer), Du hast noch Deine große Ausstellung gehabt. Und jeder, der sich mit Fritz Overbeck beschäftigt, wird Deinen Namen im Werkverzeichnis lesen. Ich hasse es, Nachrufe zu schreiben. Aber man kommt in das Alter, wo Kondolenzbriefe und Nachrufe zu einer ungeliebten Übung werden.

Ich wollte ein Gedicht ans Ende stellen, Gedichte und Goethezitate sind ja immer gut. Zuerst dachte ich an ein Gedicht aus einem kleinen Gedichtband, den Eckehart Dittmann mir mal geschenkt hat Aus der Hand gegeben heißt der Band, und es sind vorne auch schöne Wolken drauf. Eckehart war auch in unserer Klasse (ihm verdanke ich auch eine Adressenliste aller aus der Klasse, die der Achim noch systematisiert hat), er ist schon ein paar Jahre tot. Aber ich fand nichts in dem Büchlein, das mir gefiel.

Ich habe dann den guten alten John Donne wiedergelesen, der eignet sich ja für alles. Wenn man Englisch studiert hat (ich glaube, ich war der einzige aus der Klasse) ist ja auch ein englischsprachiges Gedicht ganz angebracht. Habe John Donne wieder weggelegt. Bei Hemingway hat diese Suche  funktioniert, der hat so den Titel for whom the bell tolls gefunden. Und dann habe ich meinen Lieblingsdichter des 20. Jahrhunderts genommen, den Amerikaner Robert Lowell. Das Gedicht ist eins der letzten, die er vor seinem Tod 1977 geschrieben hat, es heißt Epilogue. Und es hat auch mit dem Gestalten zu tun, dem kreativen Prozess. Dem Sehen des Malers und des Photographen und dem Schreiben des Dichters.

Those blessèd structures, plot and rhyme—
why are they no help to me now
I want to make
something imagined, not recalled?
I hear the noise of my own voice:
The painter’s vision is not a lens,
it trembles to caress the light.
But sometimes everything I write
with the threadbare art of my eye
seems a snapshot,
lurid, rapid, garish, grouped,
heightened from life,
yet paralyzed by fact.
All’s misalliance.
Yet why not say what happened?
Pray for the grace of accuracy
Vermeer gave to the sun’s illumination
stealing like the tide across a map
to his girl solid with yearning.
We are poor passing facts,
warned by that to give
each figure in the photograph
his living name.

Donnerstag, 23. Juni 2011

Mad Men


Als ich jung war, hätte ich gerne ein Hathaway Hemd gehabt, weil ich die Werbung so gut fand. Die waren bei uns aber nicht zu bekommen. Arrow Hemden schon, die hatten ja Jahrzehnte zuvor auch eine tolle Werbung als noch Leyendecker für sie arbeitete. Ich weiß nichts über die Qualität von Hathaway Hemden. Waren sie der Bielefelder Qualitätsware (was man damals in Oberhemden lesen konnte) überlegen? Ich glaubte das zumindest, weil dieser Typ mit der Augenklappe so überlegen aristokratisch aussah. Auch wenn sein Schlips natürlich viel zu kurz ist, aber die waren 1951 nun mal nicht länger. Ich war ein Opfer der Werbung geworden, genauer: ein Opfer von David Ogilvy. Der wurde heute vor hundert Jahren geboren, er war vielleicht der wichtigste Werbe Guru des 20. Jahrhunderts, the King of Madison Avenue. Die Kampagne (wie man unter Werbefuzzis sagt) The Man in the Hathaway Shirt war der Beginn seiner Karriere.

Heute sehen die Werbefuzzis, die sich aus irgendwelchen Gründen als Kreative bezeichnen, ja nicht mehr aus wie Gentlemen. Sie tragen dieses einheitliche Designer Schwarz und tragen alle offene weiße Hemden. Und natürlich keine Schlipse mehr, weil sie ja Kreative sind. Ihre Tussis tragen immer Prada (natürlich auch schwarz) und fahren einen schwarzen Porsche Cayenne. Als ich gestern eine Tussi mit Leoparden Leggings und einem silbernen Top in einen weißen Porsche Cayenne steigen sah, überlegte ich mir, ob das jetzt eine Variante der Prada Tussi oder einfach nur eine Nutte war. Seit uns Roland Barthes beigebracht hat, die Mythen des Alltags zu decodieren, ist man ständig mit solchen Problemen beschäftigt.

David Ogilvy (oben) sah immer aus wie ein englischer Gentleman, auch wenn seine Firma Olgilvy&Mather in New York saß. Man hätte ihn auch als Modell für die Hathaway Reklame nehmen können, da hätte er leicht dem von J.C. Leyendecker erfundenen Männerideal der Firma Arrow Konkurrenz machen können. Denn eigentlich ist sein Hathaway Man nichts anderes als der Arrow Man der zwanziger und dreißiger Jahre, der jetzt an die fifties angepasst worden war. Nur eben mit der Augenklappe. Ohne die wäre er nix gewesen. Die Augenklappen hatte Ogilvy zum Preis von 50 cent pro Stück im Drugstore gekauft.

Auch wenn man in Bremen in den fünfziger Jahren durchaus Arrow Hemden finden konnte (und auch englische Viyella Hemden und schwedische Melka Hemden), Hathaway Hemden gab es nicht. Die Firma aus Waterville in Maine war einfach zu klein. Das sollte sich innerhalb weniger Jahre ändern, dank der Anzeigenkampagne von Ogilvy&Mather stieg C.F. Hathaway zu einer der führenden Firmen Amerikas auf. Der Besitzer von Hathaway hatte Ogilvy gesagt, dass er nur einen ganz kleinen Werbeetat besässe. Und dann hinzugefügt: If you do take on the job, Mr. Ogilvy, I promise you this. No matter how big my company gets, I will never fire you. And I will never change a word of your copy.

Die erste Anzeige erschien vor sechzig Jahren im New Yorker, kostete etwas mehr als 3.000 Dollar und war eine Sensation. Für die highbrow Klientele des New Yorker hatte sich Ogilvy die Zeile The melancholy disciples of Thorstein Veblen would have despised this shirt ausgedacht. Thorstein Veblen ist der amerikanische Soziologe, der in seiner Theory of the Leisure Class den schönen Begriff der conspicuous consumption geprägt hatte. Wenig später gab es im New Yorker einen cartoon: da stehen drei Herren vor dem Schaufenster eines Herrenausstatters (das amerikanische Englisch hat dafür den Terminus haberdasher, den das englische Englisch so nicht verwendet), in einem zweiten Bild verlassen sie den Laden und jeder trägt eine schwarze Augenklappe! Das war schon witzig.

Das hier geht natürlich nun gar nicht, Mr Ogilvy! Conspicuous consumption hin oder her. Kurzärmliges Hemd und Schlips. Und dann noch so ein Phallussymbol in der Hand, von irgendeinem Tier, das auf der Roten Liste der gefährdeten Arten steht. Und das Hemdmodell dann auch noch frech India Ivory nennen. Ich weiß ja, dass Großwildjäger in den fünfziger Jahren als ganz tolle Hechte galten - Hemingway bildete sich das zeitlebens ein - und wir haben ja auch noch eine ganze Menge Urwald in den fünfziger und sechziger Jahren in den Kinos: Hatari, Mogambo und Liane, das Mädchen aus dem Urwald. Also, Elephantenzähne lassen wir noch mal durchgehen, aber bei kurzärmligen Hemden mit Schlips müssen wir eine Grenze ziehen.

Vor allem, wenn man später versuchte, dem Ganzen ein jugendlicheres Image zu geben und andere, jüngere Models zu verwenden. Natürlich wieder mit Augenklappe, da redet die Werbewelt dann schon von einem ironischen Selbstzitat. Der Werbeguru des Jahrhunderts David Ogilvy hätte so etwas natürlich niemals angezogen. Ogilvy hätte auch lieber das originale Modell, einen Baron russischer Herkunft namens George Wrangell weiterbeschäftigt, aber der war 1969 gestorben. Er hatte übrigens nichts mit den Augen, er besaß das, was man im Englischen 20-20 vision nennt.

Zu der schlimmen Anzeige da oben gibt es noch eine Steigerung - wir sind in Amerika, da kann man Geschmacklosigkeiten immer wieder toppen - nämliche diese Anzeige aus den siebziger Jahren. Ach, da sehnt man sich noch nach dem Großwildjäger der frühen fünfziger Jahre zurück. Und dann werden die Teile auch noch damit beworben, dass sie aus einer Polyester-Cotton Mischung sind. Da ist doch der Untergang der Firma vorbestimmt. Es ist tödlicher, da ganz unten gegen die Billigkonkurrenz aus Fernost zu produzieren als irgendwo weit oben einer der letzten Qualitätshersteller zu sein und J. Crew, Brooks Brothers und andere Etablissement zu beliefern. Denn der Ivy League Look findet ja immer seine Abnehmer, das hat uns Ralph Lifshitz aus der Bronx gezeigt. Aber der lässt irgendwo am anderen Ende der Welt produzieren, nicht in Maine. Damit seine Gewinnspanne größer ist, und er sich Bugattis und den Mercedes Graf Trossi kaufen kann. Die haben in Maine in den letzten 15 Jahren ganz schöne Verluste einstecken müssen, was die Qualitätshersteller betrifft: Cole-Haan und G.H. Bass haben auch ihre Fabriken in Maine geschlossen.

Im Jahre 2002 schloss die Firma Hathaway endgültig ihre Werkstore, nachdem sie zuvor schon mehrfach verkauft worden war. Da waren sie noch die letzte Firma Amerikas gewesen, die Etiketten mit Made in USA in ihre Hemden nähte. Ja, gucken Sie mal auf die kleinen eingenähten Etiketten bei ihrem Ralph Lauren Hemd, alle Länder des pazifischen Raumes sind da die Produzenten. Wenn Sie Glück haben, ist es Made in Italy, dann war es sauteuer und stammt aus der Ralph Lauren Purple Collection. Ich weiß aber nicht, was da den Preis von diesen Teilen rechtfertigen soll. Also, wenn man das mal mit einem Hemd von Fray vergleicht, wenn Sie verstehen, was ich meine.

In meinem Schrank gibt es ein Fach, das ich mein Hemdenmuseum nenne. Hemden, die mal Lieblingshemden waren, aber heute nicht mehr passen. Ein Arrow Hemd, 1956 in Amsterdam gekauft. Taillierte Turnbull&Asser Hemden aus den Siebzigern, ein hellblaues italienisches Barba, viel zu lütt. Ein altes Création Otto Hoffmann Hemd, vor einem halben Jahrhundert das Beste, was man in Deutschland kaufen konnte. Und schöne amerikanische Hemden von der Firma Sero (die auch Brooks Brothers belieferten): was waren das bei Sero für Qualitäten! Irgendwann finde ich noch mal in einem Secondhand Laden oder bei ebay ein Hathaway Hemd aus den fünfziger Jahren, das kommt dann auch ins Hemdenmuseum!

David Ogilvy hatte das Glück in einer Zeit als Werbemann tätig zu sein, als Werbung die ganz große Sache war. Als man alles glaubte, was man in der Werbebotschaft las. Diese Zeit, in der die Serie Mad Men spielt. Als man noch nicht glaubte, dass Vance Packard mit The Hidden Persuaders oder Ralph Nader mit Unsafe at any Speed  gegenüber den verführerischen Botschaften der brave new world der Madison Avenue Recht hätten. Wir wissen es inzwischen besser. Augenklappen kann man heute immer noch verkaufen, auf jeden Fall der Klientele auf dem Bild oben.

David Ogilvy hat der Werbewelt eine Vielzahl schöner Weisheiten hinterlassen. Man kann die gesammelten Ogilvy quotations leicht im Internet finden. Am besten gefällt mir: First, make yourself a reputation for being a creative genius. Second, surround yourself with partners who are better than you are. Third, leave them to go get on with it. Die Hathaway Kampagne ist wie die Somewhere West of Laramie Anzeige von Ed Jordan in jeder Geschichte der amerikanischen Anzeigenwerbung. Es gibt aber auch ein ganzes Buch darüber: Douglas Congdon-Martin, Hathaway Shirts: Their History, Design & Advertising. Und schwarze Augenklappen kriegt man in jeder Apotheke. Und ein kleiner Literaturtip zum Schluss:  Natasha Vargas- Cooper, Mad Men Unbuttoned: A Romp Through 1960s America (HarperCollins 2010).