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Samstag, 23. Juli 2011

Courbière


In Bremen versuchte ichs indessen allein auf meine eigene Hand, und es gelang mir am hellen lichten Tage unter ziemlicher Gefahr. Die nächste Veranlassung war ein Gezänk mit dem Feldwebel über Brotlieferung, in welches sich der kommandierende Offizier etwas diktatorisch handgreiflich mischte. Das Gespenst der Preußen saß mir fest im Gehirn; ich hatte ganz gegen meine Gewohnheit ohne alle Absicht in einigen Gläsern Wein mich etwas warm getrunken und machte kurz und gut auf und davon, am Ufer hin, über die Brücke weg, in die Altstadt hinein. Ein guter, alter, ehrlicher Spießbürger mochte mir doch wohl einige Verwirrung ansehen; er kam freundlich zu mir und fragte: »Freund! Ihr seid wohl ein hessischer Deserteur?« »Und wenn ich denn einer wäre?« sagte ich. »Da muß ich Euch sagen, unser Magistrat hat Kartell mit dem Landgrafen.« Und nun –

Mit den Worten und nun bricht die Lebensbeschreibung von Johann Gottfried Seume ab. Das ist etwas unbefriedigend, weil er nun nichts mehr über den General Guillaume René de l’Homme, Seigneur de Courbière sagt, der heute vor zweihundert Jahren starb, der ihm ein hochherzig mitleidiger Vorgesetzter war. Und der ein preußischer General war, der sich niemals Napoleon ergeben hat. Ich mag diesen Mann irgendwie, ich habe ihn ja auch schon mehrfach in diesem Blog erwähnt. Weil er diese Qualitäten hat, die wir an Preußen bewundern. Und die Friedrich II. nicht hat. Denn dessen Büttel sind gerade dabei den armen Seume einzufangen, und ihn in die preußische Armee zu pressen. Was war da noch mit unserer Verherrlichung von einem Herrscher der Aufklärung und einem Freund Voltaires? Wahrscheinlich haben wir zuviel Fontane gelesen oder zuviel Fridericus Rex Filme gesehen.

Lassen Sie uns noch einmal zurückspringen zu diesem und nun. Wir sind in Bremen im Spätsommer des Jahres 1783, Seume ist zwanzig Jahre alt. Genau ein Jahr vorher ist er nach mehrmonatiger Überfahrt über den Atlantik in Halifax gelandet. Als Soldat auf Seiten der Engländer, die gegen ihre eigenen Landsleute im Amerika kämpfen. Auf dem Wege nach Paris hatten ihn die Schergen des Landgrafen von Hessen-Kassel gekascht. Dieser Friedrich II (namensgleich mit dem Preußen) ist jetzt ganz groß im Geschäft mit dem Soldatenverkauf an die Engländer. Sein Sohn Wilhelm, wird ihm darin folgen. Die Wilhelmshöhe und die Rembrandts müssen ja irgendwie finanziert werden.

.... und nun ist Seume von dem amerikanischen Abenteuer zurück. Aber man lässt ihn nicht weg von der Armee. Kaum ist er in Bremen angekommen, will er fliehen. Die braven Bremer helfen ihm, über die Weser zu kommen. Jahrhunderte später wird der Marschendichter Hermann Allmers ein Seume Denkmal spenden (links). Aber es nutzt Seume alles nichts, er wird wieder eingefangen. Diesmal von den Angestellten des anderen Friedrich (diesem Ausbund an preußischen Tugenden). Das hatte Seume nämlich gefürchtet, als das Schiff die Weser herauffuhr: Hier schreckte uns die Besorgnis, daß wir bei Minden würden an die Preußen verkauft werden. Es wurde laut gesprochen, und der bekannte gewissenlose Seelenschacher des alten Landgrafen machte die Sache nicht unwahrscheinlich. Man bringt ihn nach Emden, wo er noch vier Jahre lang dem großen Friedrich dienen darf. Er macht noch mehrere Fluchtversuche, um den entwürdigenden Verhältnissen zu entkommen. Darauf steht der mehrmalige Spießrutenlauf, die Todestrafe. Da hätte der alte Fritz wahrscheinlich keinen Augenblick gezögert. Aber in Emden wird Preußen vertreten durch den Generalmajor Guillaume René de l’Homme, Seigneur de Courbière, und der begnadigt den jungen Seume. Und macht ihn zum Hauslehrer seiner Kinder.

Und wenn er später nicht noch ein deutscher Held geworden wäre und mit 74 Jahren den Franzosen, die ihn zur Kapitulation aufforderten, diesen unsterblichen Satz gesagt hätte Votre Général me dit ici qu'il n'ya plus un Roi de Prusse, puis que les Français ont occupé ses états. Eh bien, ça se peut; mais s'il n'ya plus un Roi de Prusse, il existe encore un Roi de Graudenz. Dites cela à votre général, wir müssten den Wilhelm Courbière schon allein wegen seiner Menschlichkeit gegenüber Seume bewundern. Und deshalb ist es schade, dass Seumes Autobiographie genau an dieser Stelle mit den Worten und nun aufhört und wir von Courbière im Band 11 der Gesammelten Werke von 1837 nur etwas durch das Zeugnis von Seumes Freunden erfahren und nicht durch seine eigenen Worte.

An den 200. Todestag des Edelmannes aus einer hugenottischen Familie, der seinen ehemaligen Untergebenen Seume um ein Jahr überlebte, erinnert heute im Internet nur die SZ Online. Da dachte ich mir: ja bei der Süddeutschen, da hat man noch Stil und Kultur. Aber das war gar nicht die Süddeutsche Zeitung, das war die Sächsische Zeitung. Und die kennen den Baron Courbière nicht wegen des gebürtigen Sachsen Seume, wie ich zuerst dachte, sondern weil es einmal ein preußisches Regiment namens Courbière gegeben hat, das in Görlitz stationiert war. Soviel zum Thema Erinnerungskultur.

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