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Freitag, 4. Januar 2013

Janice Meredith


Ich hatte das Buch beinahe vergessen, aber dann fand ich es beim Aufräumen wieder: Janice Meredith: A Story of the American Revolution. Ich hatte es im Antiquariat gefunden, eine alte hardcover Ausgabe, Dodd & Mead in New York 1899. Enthielt eine kitschige Farbabbildung von George Washington. Hat mich zwei Euro gekostet, da nimmt man so etwas mit. Ich hatte noch nie etwas von dem Autor Paul Leicester Ford gehört, aber Lesen ist immer ein Weg in dunkle Wälder, bei dem man ganz allein ist. Man wurde bei diesem Buch als Leser nicht wirklich gefordert, man kann das so wegschlürfen:

“Janice!” called a voice.
The effect on the reader and her listener, both of whom were sitting on the floor, was instantaneous. Each started and sat rigidly intent for a moment; then, as the sound of approaching footsteps became audible, one girl hastily slipped a little volume under the counterpane of the bed, while the other sprang to her feet, and in a hurried, flustered way pretended to be getting something out of a tall wardrobe.
Before the one who hid the book had time to rise, a woman of fifty entered the room, and after a glance, cried—
“Janice Meredith! How often have I told thee that it is ungenteel for a female to repose on the floor?”
“Very often, mommy,” said Janice, rising meekly, meantime casting a quick glance at the bed, to see how far its smoothness had been disturbed.
“And still thee continues such unbecoming and vastly indelicate behaviour."
“Oh, mommy, but it is so nice!” cried the girl. “Did n’t you like to sit on the floor when you were fifteen?”
“Janice, thou ’t more careless every day in bed-making,” ejaculated Mrs. Meredith, making a sudden dive toward the bed, as if she desired to escape the question. She smoothed the gay patchwork quilt, seemed to feel something underneath, and the next moment pulled out the hidden volume, which was bound, as the bookseller’s advertisements phrased it, in “half calf, neat, marbled sides.” One stern glance she gave the two red-faced culprits, and, opening the book, read out in a voice that was in itself an impeachment, “The Adventures of Alonzo and Amaryllis!”
There was an instant’s silence, full of omen to the culprits, and then Mrs. Meredith’s wrath found vent.
“Janice Meredith!” she cried. “On a Sabbath morning, when thee shouldst be setting thy thoughts in a fit order for church! And thou, Tabitha Drinker!”
“It ’s all my fault, Mrs. Meredith,” hurriedly asserted Tabitha. “I brought the book with me from Trenton, and ’t was I suggested that we go on reading this morning.”
“Six hours of spinet practice thou shalt have to-morrow, miss,” announced Mrs. Meredith to her daughter, “and this afternoon thou shalt say over the whole catechism. As for thee, Tabitha, I shall feel it my duty to write thy father of his daughter’s conduct. Now hurry and make ready for church.” And Mrs. Meredith started to leave the room.
“Oh, mommy,” cried Janice, springing forward and laying a detaining hand on her mother’s arm in an imploring manner, “punish me as much as you please,—I know ’t was very, very wicked,—but don’t take the book away! He and Amaryllis were just—”


Wenn wir diesen Anfang gelesen haben, wissen wir, dass dies keine große Literatur ist. Dies ist ein historischer Herzschmerzroman mit George Washington und allen Schlachten des Unabhängigkeitskrieges als Zugabe, in dem die kapriziöse Janice Meredith -  a heroine of many possibilities, so der Titel des ersten Kapitels - alle Wirren der amerikanischen Revolution meistert. Aber wenn dies auch meilenweit entfernt von Jane Austen oder Sir Walter Scott ist, lesbar ist es auf jeden Fall. Es ist sicherlich ein wenig sehr konstruiert, weil unsere Heldin justament immer dort ist, wo Geschichte gemacht wird. Aber the willing suspension of disbelief gehört nun einmal zum historischen Roman. Und der Roman hat diesen unübertrefflichen touch, dass alles Historische echt klingt. Und auch völlig korrekt ist, der Autor versteht von dem historischen Hintergrund mehr als vom Schreiben von Romanen.

Das liegt daran, dass er wahrscheinlich alle Dokumente aus dieser Zeit einmal in der Hand gehabt hat. Er war Amateurhistoriker. Er hat keine Schule und keine Universität besucht, die Kinderlähmung, die er gehabt hatte (oder ein Unfall als Kleinkind, die Quellen sind widersprüchlich), verhinderte einen geregelten Schulbesuch. Er bleibt sein Leben lang ein kleinwüchsiger Krüppel. Seine Bildungsstätte war die Bibliothek der Familie, 100.000 Bände und 60.000 Manuskripte! Man hat offensichtlich genügend Bücher zu Hause, was vielleicht kein Wunder ist, da Fords Urgroßvater Noah Webster heißt und sein Vater Gordon Lester Ford einer der berühmtesten Büchersammler seiner Zeit ist. Ford ist im jugendlichen Alter schon Gelehrter und Bibliograph gewesen. Mit elf Jahren hat er eine Familiengeschichte, The Webster Geneology (sic) geschrieben. Seine Edition der Schriften von Thomas Jefferson in zwölf Bänden hat heute (trotz der neuen Ausgabe der Jefferson Papers durch Julian P. Boyd) immer noch Bestand.

Janice Meredith: A Story of the American Revolution war ein Jahr nach seinem Erscheinen schon als Bühnenstück zu sehen. 1924 gab es unter dem Titel Janice Meredith (oder auch The Beautiful Rebel) einen Stummfilm (deutscher Verleihtitel Das Heldenmädchen von Trenton). Williams Randolph Hearst hatte das Ganze bezahlt, damit seine Geliebte, Marion Davies, da mitspielen durfte. Janice Meredith war 1899 ein Bestseller, 200.000 Exemplare wurden in den ersten drei Monaten nach dem Erscheinen verkauft. Drei Jahre nach nach dem Erfolg von Janice Meredith war ➱Paul Leicester Ford tot, von seinem Bruder Malcolm - Amerikas berühmtesten Sportler - erschossen. Was für ein Leben! Sein Ruhm als Historiker, Herausgeber und Bibliograph früher amerikanischer Schriften ist ungebrochen, als Romanautor ist er in Vergessenheit geraten. Aber Janice Meredith kann man noch immer antiquarisch finden. Vielleicht nicht die Erstausgabe, aber es hat noch genügend Neuauflagen gegeben. Man kann das Buch natürlich auch ➱hier im Internet lesen.

Ich besitze, wie ich inzwischen festgestellt habe, sogar die Erstausgabe. Und nicht nur das, es ist eine vom Autor signierte Erstausgabe: Captain Barends In memory of our voyage Paul Leicester Ford steht drin. Dieser Kapitän Heinrich Barends kommt aus Hamburg, er ist Jahrzehnte lang für die Hapag gefahren. 1894 konnte er seine hundertste Atlantiküberquerung als Kapitän feiern, das war der New York Times einen ➱Artikel wert. Er hat auf kleinen Pötten angefangen. Mit vierzehn war er von zu Hause weg und schon auf See, mit zwanzig war er auf der Hamburger Navigationsschule. Nach dem Steuermannsexamen fing er bei der Hapag als Vierter Offizier auf der Thuringia an. Dann wird er Kapitän auf der Lessing und schippert Auswanderer nach Amerika. Und dann hat man ihm immer größere Schiffe anvertraut, bis er eines Tages die Augusta Victoria, das größte Schiff der Hapag (und später noch die Deutschland), kommandiert. Jetzt hat er die große Welt an Bord.

Er scheint sich mit seinen Passagieren gut verstanden zu haben. Paul Leicester Ford ist nicht der einzige aus der Welt der Literatur und der Künste, der ihn erwähnt. Barends hat auch einmal ➱Klaus Groth getroffen. Mit dem Hamburger Maler Christian Wilhelm Allers war er befreundet, und der hat ihn einmal gezeichnet. Das Bild findet sich (wie dieses Bild von der Augusta Victoria im Hafen von Piräus) in seinem Buch Bakschisch. Erinnerungen an die Reise der 'Augusta Victoria' in den Orient (das Buch kam in einer Liebhaberausgabe für hundert Reichsmark in den Handel, kostet heute tausend Euro, wenn man eins findet). Da sieht Barends dann so aus, wie man sich einen Hamburger Kapitän um 1890 vorstellt. Ob er jemals ➱Joseph Conrad gelesen hat?

Die im Januar beginnende zweimonatige Reise des Reise des Doppelschrauben-Schnelldampfers 'Augusta Victoria' ins Mittelmeer ist wahrscheinlich die erste Luxuskreuzfahrt der deutschen Handelsmarine. Man hatte bei der Hapag gesehen, dass die schnellen Ozeandampfer in den Wintermonaten nicht ausgebucht waren, also schickte man sie in wärmere Gefilde. Bei dieser ersten Traumschiff Reise ist natürlich auch die Führung der Hapag mit Albert Ballin und Carl Laeisz an Bord. Witzigerweise hat sich auch Friedrich Achelis von der Bremer Konkurrenz des Norddeutschen Lloyds eingeschifft. Wahrscheinlich wollte er sehen, ob das mit den Luxuskreuzfahrten funktioniert. Paul Leicester Ford, der trotz seiner körperlichen Behinderung gerne und weit reiste, steht bei dieser Reise nicht auf der Passagierliste, er muss Captain Barends auf einer anderen Reise kennengelernt haben. Als Barends nach fünfundzwanzig Jahren als Kapitän von Hapag Linern (ohne eine einzige Havarie) die Reederei bat, ans Land versetzt zu werden, war er so berühmt, dass sogar die New York Times 1903 darüber ➱berichtete.

Das Exemplar von Janice Meredith: A Story of the American Revolution hat natürlich im Antiquariat darauf gelauert, dass ich es kaufe. Nimm mich mit, hat es gesagt, finde alles über mich heraus und erzähle meine GeschichteHabent sua fata libelli.


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