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Mittwoch, 6. Februar 2013

Abschiedsgeschenk


Das Ölbild von Jürgen Ovens zeigt einen sehr massiven Herrn. Er steht vor einer schwer definierbaren Landschaft, im Hintergrund ist ein Schloss zu sehen. Nichts im Bilde deutet darauf hin, dass sich hier ein Barockfürst malen lässt, der in einzigartiger Weise Kunst und Wissenschaften gefördert hat. Das, wovor der Herzog Friedrich III. von Schleswig Holstein Gottorf steht, ist beim genaueren Hinschauen dennoch etwas Einmaliges. Es ist der Neuwerkgarten, einer der ersten Terrassengärten des Barock. Eine Universität hatte er auch gründen wollen, war aber an den Querelen zwischen den Interessen der Stände und der Kirche gescheitert. Zudem wollte keine Stadt eine Universität in ihren Mauern haben, das studentische Gesindel hat keinen guten Ruf. Sein Sohn Christian Albrecht wird in diesem Punkt das Werk des Vaters fortführen. Seit 1665 trägt die Universität Kiel seinen Namen. Die neuerdings mit dem Spruch wirbt: Exzellenz im Norden. Seit 1665. Was angesichts des kläglichen Rufes der Universität in den ersten Jahrhunderten (die Jahre der nationalsozialistischen Grenzlanduniversität des nordischen Raumes gar nicht zu erwähnen) ziemlich lächerlich ist.

Der Sohn von dem Herzog Friedrich III. da oben hat sich auch von Jürgen Ovens malen lassen und hat das Bild der Universität geschenkt. Das war so ziemlich das Einzige, was er für die Universität getan hat. Mit der Wissenschaft und den schönen Künsten hatte er nicht so viel im Sinn (obgleich er zu den den Mitbegründern der Hamburger Oper am Gänsemarkt zählt - wahrscheinlich langweilte er sich im Hamburger Exil). Die Allgemeine Deutsche Biographie sagt über ihn: Christian Albrecht war gutmütig, wenig selbständig und schwach begabt. Verdankte er die Früchte von 1689 der Hilfe Schwedens und der ihm günstigen europäischen Situation, so war auch die bedeutendste kulturelle Leistung seiner Regierungszeit, die Gründung der Universität Kiel 1665 vornehmlich das Werk seines Kanzlers und Regierungspräsidenten Kielmansegg. 

Er hat sich hier als siegreicher Feldherr malen lassen, so pompös wie seine Titel: Christian Albrecht, von Gottes Gnaden Erbe zu Norwegen, postulirter Coadjutor des Stiffts Lübeck, Hertzog zu Schlesswig, Hollstein, Stormarn und der Dittmarschen, Graff zu Oldenburg und Dellmenhorst. Er hat zwar keine militärischen Erfolge vorzuweisen, aber dem Maler Jürgen Ovens aus Tönning war das egal. Der Schüler von Rembrandt malt im Auftrag des Hauses Gottorf, was er malen soll. Das Bild hing Jahrzehnte lang in seiner ganzen Schönheit (2,20 mal 1,60) im Treppenhaus der Kunsthalle, bis es in den Keller verbannt wurde.

Ovens malt auch diesen Herrn, der auch im Solde des Gottorfer Herzogs Friedrich steht. Das ist ein gewisser Herr Oehlschlegel (oder Ölschläger), der einer Tradition von Gelehrten seit der Renaissance folgend, seinen Namen in Olearius latinisiert hat. Adam Olearius ist ein Dichter und ein Universalgelehrter (vielleicht schreibe ich noch einmal über ihn), er leitet auch ein Projekt, das eine Idee seines Landesherrn ist: den Bau des Gottorfer Riesenglobus. Wenn der nach vierzehn Jahren fertig ist, wird ihn ganz Europa bestaunen: Zur Ehre Gottes, dem Baumeister von Himmel und Erde. In Bewunderung dieses Werkes, wünschte der Durchlauchtigste und Höchste Fürst und Herr, Herr Friedrich, Erbe des Königreiches Norwegen, Herzog von Schleswig, Holstein, Stormarn und Dithmarschen, Graf in Oldenburg und Delmenhorst, aus einzigartiger Liebe zum Studium der Mathematik, in welchem er sehr erfahren war, dieses Abbild der Natur und des weiten Kosmos herzustellen, welches zugleich ein ewiges, unsterbliches Denkmal seines Ruhmes setzt.

Einer derjenigen, die dieses Schaustück bewundern, ist Zar Peter der Große. Der sich heute vor dreihundert Jahren im Schloss Gottorf mit dem König von Dänemark traf. Seine Bewunderung für das mechanische Kunstwerk war derart enthusiastisch, dass der König von Dänemark gar nicht anders konnte, als ihm den ➱Riesenglobus zum Geschenk zu machen. Halb Kriegsbeute, halb Staatspräsent, wie es im 639-seitigen Katalog Gottorf im Glanze des Barock des Schleswig-Holsteinisches Landesmuseums heißt. Zar Peter war hier, weil er gerade in dem nie enden wollenden Großen Nordischen Krieg die schwedischen Truppen unter Magnus Stenbock im dänischen Tönning eingeschlossen hatte. Da bot sich ein Zusammentreffen unter Alliierten im Schloss Gottorf an. Zumal er ja endlich einmal diesen Globus sehen wollte, von dem ganz Europa redete.

Es ist übrigens dasselbe Tönning, in dem Herzog Friedrich III. bei der Belagerung durch die Dänen 54 Jahre zuvor gestorben ist. Heute merkt man es vielen Orten nicht mehr an, dass sie einmal bedeutend waren. Na ja, es gab auch einmal einen ➱Fürsten von Recklinghausen. Als ich in diesem schrecklichen Kaff Delmenhorst stationiert war, fand ich es immer sehr komisch, dass die dänischen Könige jahrhundertelang den Titel eines Grafen von Delmenhorst führten. Ich glaube aber, die Königin Margrethe macht heute von dem Titel keinen Gebrauch mehr.

Was man heute wieder in Gottorf bestaunen kann, ist nicht mehr das Original. Es ist keine historisch-authentische Rekonstruktion, nur ein schwaches Abbild des Originals, um das die Architekten Hilmer, Sattler und Albrecht ein neues Globushaus gebaut haben. Das Original des Gottorfer Globus ist beim Brand der Kunstkammer der russischen Zaren am 5. Dezember 1747 zum größten Teil verbrannt. An der Rekonstruktion in Schleswig hat man (alle Vorstudien eingerechnet) beinahe genau so lange gebaut, wie die Arbeitsgruppe unter der Leitung von Adam Olearius im 17. Jahrhundert. Für die hatte Friedrich sich von überall her Fachleute geholt. Da war sein Hofuhrmacher Nikolaus Radeloff, der wahrscheinlich mit Olearius entfernt verwandt war und von diesem nach Schleswig gelockt wurde. Daneben gab es noch den Uhrmacher Hans Schlemmer (aus Augsburg), der für den Antrieb des Planetengetriebes (mit Wasserkraft) des sich um die eigene Achse drehenden Globus zuständig war. Die Welt wollte schließlich bewegt werden.

Schlemmer hat auch den Antrieb für diese Armillarsphäre (heute im Schloss Frederiksborg) ersonnen, mit der der Mechaniker Andreas Bösch (der auch die technische Leitung über das Globusprojekt hatte) das kopernikanische Weltbild in ein Modell umsetzte. Andreas Bösch war (wahrscheinlich 1652) aus Limburg gekommen, er brachte eigene Gehilfen mit und bekam eine eigene Werkstatt im Hause des Grobschmieds Petersen auf dem Hesterberg. Er wird manchmal als Büchsenmacher bezeichnet, in Schleswiger Quellen aber als Meister am Globo. Wahrscheinlich ist er auch Uhrmacher gewesen gewesen, denn viele Uhrmachermeister verbanden in dieser Zeit ihr Gewerbe mit dem eines Büchsenschmieds.

Man konnte den Globus betreten (das kann man heute wieder), und innen waren in die Kugel die Sternbilder gemalt, die Sphaera Copernicana. Die Sterne waren vermutlich durch vergoldete achtstrahlige Nägel dargestellt, die man in der hölzernen Unterkonstruktion befestigt hatte. Dass der Globus außen Löcher gehabt hätte, die innen als Sterne schienen, ist ein Ammenmärchen (das sich aber lange hält). Über die Zahl der eingezeichneten Sterne gibt es keine genauen Angaben. Nach der Darstellung von Olearius waren alle bekannten Sterne zu sehen. Ein halbes Jahrhundert nach ➱Adam Elsheimers revolutionärem Bild des Sternenhimmels mit der Milchstraße hat man dank des dänischen Astronomen Tycho Brahe schon ein ziemlich genaues Bild vom Sternenhimmel. Man orientierte sich beim Ausmalen an den Vorlagen von Willem Janszoon Blaeu, der ein Schüler von Tycho Brahe gewesen war (auf einer der Türen im Globussaal, in dem der Globus aufgestellt war, war auch ein Porträt von Brahe zu sehen).

Von außen war der Globus mit dem Bild der Welt bemalt, so wie man sie damals kannte. Man beschäftigte Kartographen und Kupferstecher, und Adam Olearius griff auch selbst zu Feder und Pinsel. Auf dem Globus waren auch, wie bei Karten damals üblich, allerhand Thiere nach Landes art angedeutet. Wenn damals auf einer Karte hic sunt leones stand, dann wusste man, dass hier die Zivilisation aufhörte, dort begann die terra incognita.

Der Schleswiger Globus wird noch einen Teil der abgebildeten Welt, zivilisiert oder nicht, kennenlernen. Nach jenem denkwürdigen 6. Februar 1713 beginnt man erst einmal, einen Teil der Wand des Lusthauses - das auch Globus-Haus oder wegen seines exotischen Anblicks Persianisches Haus heißt - einzureißen. Den Gottorfern bleibt erst einmal nur der leere Saal. Nicht ganz, wie man in Nicolaus Helduaders Chronik der Stadt Schleswig lesen kann: In der Mitte dieser Saaldecke hatte der obere Zapfen des Globus gesessen; der Punct war nach der Wegnahme des Globus mit der Figur einer Nachteule bezeichnet, welches denn bey Manchem meiner Zeitgenossen den Stoßseufzer verananlaßte: Ja! nun sitzt eine Eule da! Der inzwischen in Kisten verpackte Globus tritt jetzt im Nordischen Krieg eine gefährliche Schiffsreise an. Zuerst nach Königsberg, von dort nach Reval. Dort wird das Ganze auf Schlitten umgeladen, angeblich waren bis zu achthundert Bauern (bewacht von dreihundert Dragonern) damit beschäftigt, die Schlitten nach St. Petersburg zu ziehen, wo der Globus nach beinahe vierjähriger Reise eintraf. Dort findet er im Turm der Kunstkammer gegenüber der Eremitage ein neues Zuhause. Bis zu dem Feuer im Jahre 1747. Danach wird der Globus wieder rekonstruiert und restauriert und hat wechselnde Behausungen. 1901 landet er in Zarskoje Selo (wo sich auch das Bernsteinzimmer befand).

Er wird dort nicht bleiben. Er kehrt noch einmal nach Schleswig Holstein zurück. Eine Kunstschutzgruppe (was sicherlich ein schöner Euphemismus ist), die zufälligerweise unter dem Kommando des Schleswiger Denkmalpflegers Helmut Perseke stand, requiriert den Globus, er wird 1942 mit einem Spezialzug nach Neustadt in Holstein zurückgebracht. Bis nach Gottorf hat er er es nicht geschafft, denn jetzt kommen erst einmal die Engländer. Die Leser von Kay Hoff wissen, dass es damals in Schleswig Holstein genau so aussieht wie in seinem Roman Bödelstedt oder Würstchen bürgerlich. Die Engländer geben den Sowjets das Abschiedsgeschenk des Dänenkönigs an den Zaren Alexander wieder zurück. Allerdings nicht ohne ihn zuvor 1946 in der Lübecker Gasanstalt ausgestellt zu haben (hier ein zeitgenössisches Photo).

1947 wird der Globus in Hamburg auf die Stalinabad verladen und tritt eine lange Reise rund um Norwegen nach Murmansk an. Heute ist dieses Abbild der Natur und des weiten Kosmos, welches zugleich ein ewiges, unsterbliches Denkmal des Ruhms von Herzog Friedrich sein sollte, im Dachgeschoss des St. Petersburger Lomonossow-Museums zu sehen. Ich weiß, dass Sie jetzt nach der Lektüre dieses Posts sofort nach Schleswig fahren wollen. Aber das neugebaute Globushaus, das wie ein großer postmoderner Legostein aussieht, ist jetzt geschlossen. Der Barockgarten und alle Häuser in Haithabu auch. Jetzt gibt es da nur die ➱Moorleiche und das Nydam Schiff. Und natürlich Wilhelm Lehmbruck (einer der wenigen Deutschen, der auf der ➱Armory Show präsent war). Aber ab April geht es wieder los. Bis dahin wird die kugelige Welt angehalten.

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