Seiten

Dienstag, 30. April 2013

Richard Wagner


Wagner und kein Ende. Es ist verdächtig viel Wagner im Feuilleton der Zeitungen zu finden, die Kulturredakteure laufen sich offensichtlich schon warm: ein Wagnerjahr ist angesagt. Am 22. Mai ist der zweihundertste Geburtstag des Komponisten. Auf 3sat und ARTE gibt es schon ganze Opern zusehen. Und alle möglichen Wagner Fachleute führen mit ihren profunden Kenntnissen Wagner-Neulinge informativ und unterhaltsam in Wagners Welt ein. Das ist nicht von mir, das ist O-Ton 3sat. Mir wäre es bei dieser vierteiligen Dokumentation über Wagners Ring des Nibelungen lieber gewesen, dass da nicht Christian Thielemann, Elke Heidenreich, Stefan Mickisch, Dieter Borchmeyer und Udo Bermbach zu Wort gekommen wären, sondern dass Loriot den Ring erzählt hätte.

Aber eigentlich ist mir das egal. Ich habe es ja bei jeder x-beliebigen Gelegenheit ungefragt angedeutet, dass ich Richard Wagner nicht mag. Als er zum ersten Mal in diesem Blog erwähnt wurde, hieß der Post ➱bêtes noires. Muss ich noch mehr sagen? Ich war nie in Bayreuth, das überlasse ich ➱Thomas Gottschalk und Angela Merkel. Ich habe auch nur eine Wagner Oper gesehen, aber die gleich mehrere Male. Nicht unbedingt wegen Wagner, sondern weil die gesamte Inszenierung stimmig war. Und das Bühnenbild so toll war. Wenn man aus Bremen kam und Wilfried Minks' Bühnenbilder bewunderte, dann war man ja verwöhnt. Der  Generalmusikdirektor des Kieler Opernhauses hieß damals Peter Ronnefeld, der Komponist  galt als eine große Hoffnung der deutschen Musikszene. Er war Assistent von Herbert von Karajan an der Wiener Staatsoper und dann dort Kapellmeister gewesen. Kaum war er Generalmusikdirektor in Kiel und hatte den Fliegenden Holländer auf die Bühne gebracht, da war er auch schon tot. Er ist nur dreißig Jahre alt geworden. Sein Sohn, der wie der Vater Komponist war, ist tragischerweise auch nicht alt geworden.

Für Wagner Hasser hätte ich heute noch eine Literaturempfehlung: Richard Wagner: The Man, His Mind, and His Music von ➱Robert W. Gutman. Als Gutmans Mozartbuch erschien, fühlten sich manche Rezensenten bemüssigt, auf seine  Wagnerbiographie hinzuweisen, die dann immer mit dem Zusatz controversial versehen wurde. Aber kann man über Wagner schreiben, ohne dass das Endprodukt controversial ist? Was haben diese Kritiker dann zu Ernest Newmans vierbändiger Wagnerbiographie zu sagen?

Robert W. Gutmans Richard Wagner ist 1968 bei Secker und Warburg erschienen und wurde drei Jahre später in die ambitionierte Reihe der Pelican Biographies aufgenommen. Eines der Hauptkriterien dieser Reihe, in der Klassiker der Biographie erschienen sind, war dass die Bände readable and authoritative waren. Gutmans Buch mag in manchen Teilen durch neuere Funde überholt sein, mag Fehler enthalten (das Fehlen von Francis Hueffer, der den Engländern Wagner näher brachte, ist sicher zu beklagen). Aber welche Biographie ist fehlerlos? Dennoch bleibt das Buch zweifellos die beste einbändige Wagnerbiographie, die für einen general reader und nicht für einen Musikwissenschaftler geschrieben wurde. So lesbar geschrieben, dass man das Buch in einem Zug lesen kann.

Gutman ist Professor für Musikwissenschaft in New York gewesen, von Musik versteht er etwas, das werden ihm seine Kritiker nicht absprechen können. Aber neben der Musik gibt es ja immer noch, wie der Titel sagt The Man, His Mind. Untrennbar von der Musik. Und was Gutman hier in der Nachfolge von Ernest Newman sagt, wird vielen nicht gefallen. Das, was von Wagner direkt in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte führt. It ain't over till the fat lady sings, sagen die Engländer. Die Diskussion über Wagner ist nie zu Ende. Aber bevor man mitdiskutiert, sollte man dieses Buch lesen.

Ich könnte natürlich heute den Anfang von T.S. Eliots Gedicht ➱The Waste Land nehmen. Weil da - wie wir alle wissen - gleich am Anfang Wagner zitiert wird:

Frisch weht der Wind
Der Heimat zu,
Mein Irisch Kind,
Wo weilest du?


Und wenige Zeilen später noch einmal so ein Bildungszitat: Oed' und leer das Meer. Aber das verkneife ich mir, obgleich ich schon die Zeile April is the cruellest month auf den Lippen habe. Weil das nämlich automatisch dazu führt, dass ich auch noch den Anfang von Chaucers ➱Canterbury Tales erwähnen muss:

Whan that Aprille, with hise shoures soote,
The droghte of March hath perced to the roote
And bathed every veyne in swich licour,
Of which vertu engendred is the flour...


Nein, der April mit seinen shoures soote geht unwiderruflich zu Ende. Und mit ihm geht der Poetry Month in diesem Blog zu Ende: Und vielen Dank, liebe Leser, dass Sie durchgehalten haben. Im Gegensatz zum letzten Jahr gab es keine Einbrüche bei den Besucherzahlen. Das heutige Gedicht stand ➱hier schon einmal, als ich über Erwin Rennert schrieb. Aber das macht nichts, das Gedicht Fafnir folgt dem Ruf nach Bayreuth ist immer noch gut:

Ich legendäres altes Biest
hiermit nun dem bekunde,
der diese Zeilen freundlich liest:
Mich juckt meine alte Wunde.
Sie stammt von Siegfrieds Ungebühr
(tat mich mein Leben kosten) -
nun winkt in Bayreuth mir dafür
ein krisenfester Posten.


Und irgendwie ist es viel amüsanter als Nietzsches Wagner Gedicht:

Der du an jeder Fessel krankst,
friedloser, unbefreiter Geist,
siegreicher stets und doch gebundener,
verekelt mehr und mehr, zerschundener,
bis du aus jedem Balsam Gift dir trankst –,
Weh! daß auch du am Kreuze niedersankst!
Auch du! auch du – ein Überwundener!

Vor diesem Schauspiel steh’ ich lang,
Gefängniß athmend, Gram und Groll und Gruft,
dazwischen Weihrauch-Wolken, Kirchen-Duft,
mir fremd, mir schauerlich und bang.
Die Narrenkappe werf’ ich tanzend in die Luft,
denn ich entsprang!


Montag, 29. April 2013

William Randolph Hearst


Das ist eins der letzten Bilder des Films Citizen Kane. Der Schlitten, der Rosebud heißt, wird ins Feuer geworfen. Citizen Kane ist mehr oder weniger verhüllt die Geschichte des Multimillonärs William  Randolph Hearst, der mit der Yellow Press reicher und reicher wurde. Der sich ein Schloss baute und sinnlos Kunstschätze anhäufte. Der schöne Satz von ➱Claude Chabrol On ne peut pas tout avoir? Et puis d'abord où le mettrait-on? galt für ihn nicht.

Hearst hat seine eigenen Kunstberater, die für ihn Kunstwerke aufspüren sollen. In einem Falle suchen die monatelang vergeblich nach einem objet du désir, Hearst hatte vergessen, dass es schon seit Jahren in seinem Magazin lagerte. William Hearst kauft natürlich auch bei ➱Joseph Duveen. Die Königin Henrietta Maria von van Dyck hat ihn 375.000 Dollar gekostet (zu einer Zeit, als der Dollar noch etwas wert war). Sie können ➱hier in dem S.N. Behrmann Archiv die ganze Geschichte des Kaufes lesen. Behrmann hat seine Skizzen vom amerikanischen Kunstmarkt, die er für den New Yorker schrieb, 1952 in einem Buch zusammengefasst, das auch nach sechzig Jahren immer noch lesenswert ist. Für Duveen ist Hearst ein kleiner Fisch, er hat bei ihm für vielleicht fünf Millionen Dollar Bilder gekauft. Andere amerikanische Millionäre wie Frick, Huntington oder ➱Mellon lassen mehr Geld bei ihm.

Dies hier auf dem Bild ist William Randolph Hearst. Der kleine schwarze Fleck rechts hinter ihm ist sein Dackel. Der Dackel heißt Gandhi. Hearst ist nicht in einem bayrischen Dorf, sondern in Wyntoon in Kalifornien. Seine Mutter hatte da schon ein kleines ➱Schloss, das ihr der arts and crafts Architekt Bernard Maybeck gebaut hatte.

Hearst reicht so ein kleines Schloss wie Bend Castle nicht aus, er wird sich ein viel ➱größeres bauen. Aber sein Sommersitz wird Wyntoon bleiben, und er verziert den ganzen Ort mit diesem gefälschten Bayern Look. Da hat Rockefeller mehr Stil, wenn er Williamsburg in Virginia wieder ins 18. Jahrhundert versetzt. Aber in Kalifornien haben sie nun mal keinen Geschmack.

Nathanael West wusste schon, wovon er redete, als er in The Day of the Locust Hohn und Spott über die Architektur von Tinseltown ausgoss: He reached the end of Vine Street and began the climb into Pinyon Canyon. Night had started to fall. The edges of the trees burned with a pale violet light and their centers gradually turned from deep purple to black. The same violet piping, like a Neon tube, outlined the tops of the ugly, hump-backed hills and they were almost beautiful. But not even the soft wash of dusk could help the houses. Only dynamite would be of any use against the Mexican ranch houses, Samoan huts, Mediterranean villas, Egyptian and Japanese temples, Swiss chalets, Tudor cottages, and every possible combination of these styles that lined the slopes of the canyon. When he noticed that they were all of plaster, lath and paper, he was charitable and blamed their shape on the materials used. Steel, stone and brick curb a builder's fancy a little, forcing him to distribute his stresses and weights and to keep his corners plumb, but plaster and paper know no law, not even that of gravity. On the corner of La Huerta Road was a miniature Rhine castle with tarpaper turrets pierced for archers. Next to it was a little highly colored shack with domes and minarets out of the Arabian Nights. Again he was charitable. Both houses were comic, but he didn't laugh. Their desire to startle was so eager and guileless. It is hard to laugh at the need for beauty and romance, no matter how tasteless, even horrible, the results of that need are. But it is easy to sigh. Few things are sadder than the truly monstrous.

Hatte ➱Nathanael West, als er Few things are sadder than the truly monstrous schrieb, William Randolph Hearst im Sinn?

Das heutige Gedicht The Song of the River stammt von William Randolph Hearst, der heute vor 150 Jahren geboren wurde. Hearst hat das Preisgedicht auf den McCloud River im Jahre 1941 in Wyntoon geschrieben. Seine Zeitungen haben es nach seinem Tod an jedem Todestag nachgedruckt. Größere Lyrik wird es dadurch nicht.

The snow melts on the mountain
And the water runs down to the spring,
And the spring in a turbulent fountain,
With a song of youth to sing,
Runs down to the riotous river,
And the river flows on to the sea,
And the water again
Goes back in rain
To the hills where it used to be.
And I wonder if Life's deep mystery
Isn't much like the rain and the snow
Returning through all eternity
To the places it used to know.

For life was born on the lofty heights
And flows in a laughing stream
To the river below
Whose onward flow
Ends in a peaceful dream.
And so at last,
When our life has passed
And the river has run its course,
It again goes back,
O'er the selfsame track,
To the mountain which was its source.

So why prize life
Or why fear death,
Or dread what is to be?
The river ran its allotted span
Till it reached the silent sea.
Then the water harked back to the mountaintop
To begin its course once more.

So we shall run the course begun
Till we reach the silent shore,
Then revisit earth in a pure rebirth
From the heart of the virgin snow.
So don't ask why we live or die,
Or wither, or when we go,
Or wonder about the mysteries
That only God may know.

Sonntag, 28. April 2013

Kutusow


Ist der römische Feldherr Quintus Fabius Maximus Verrucosus, den man den cunctator nannte, sein Vorbild gewesen? Ist der russische Edelmann ein genialer Stratege, dessen Plan aufgeht, oder ist er ein zögernder Versager? Für Tolstoi ist die Sache klar, Michail Illarionowitsch Kutusow ist in dem Roman Krieg und Frieden (den wir häufiger als Film besser kennen denn als Buch) sein Held: Diese schlichte, bescheidene und darum wahrhaft majestätische Gestalt ließ sich nicht in jene lügenhafte Form eines europäischen Heros, eines vermeintlichen Lenkers der Menschen bringen, in jene Form, die die Geschichtsschreibung ersonnen hat. Natürlich gibt es in dem Roman auch kleine Helden, wie den Pfeife rauchenden Artilleriehauptmann Tuschin, der mir eine der liebsten Figuren in dem Roman ist: Wohin er feuern solle und mit welcher Art von Geschossen, darüber hatte Tuschin von niemandem Befehl erhalten; sondern er hatte sich mit seinem Feldwebel Sachartschenko, vor dessen Sachkenntnis er großen Respekt hatte, beraten und war zu der Ansicht gelangt, daß es zweckmäßig sei, das Dorf in Brand zu schießen. Vielleicht entscheidet er an diesem Tage eine Schlacht, weil er vernünftig handelt und sich mit seinem Feldwebel berät. Generäle beraten sich nicht mit Feldwebeln.

Die Historiker sind sich in der Bewertung Kutusows, der heute vor zweihundert Jahren starb, ziemlich uneins. Was schon an den Quellen liegt, die sie zur Beurteilung des Schülers von Alexander Suworow heranziehen. Wem kann man glauben? Ein Beispiel dafür mag unser Theoretiker des Krieges (der niemals auch nur eine Kompanie geschweige denn eine Armee im Kampf kommandiert hat) Carl von Clausewitz sein. Er hat die preußische Armee verlassen, weil sein König mit Napoleon paktiert. Nun ist der Oberstleutnant, der kein Wort Russisch spricht, bei der russischen Armee. Zuerst im Stab von General von Phull, danach in verschiedenen Stäben. Also da, wo er kein Unheil anrichten kann. Zuerst heißt es bei ihm über Kutusow: Bisher war es nach der Meinung der Russen sehr schlecht gegangen, jeder Wechsel ließ also schon Besserung hoffen. Der Ruf Kutusows in der russischen Armee war indes nicht sehr groß, so daß es eine Partei gab, welche ihn für einen ausgezeichneten Feldherrn hielt, und eine andere die dies nicht that; aber alle waren darüber einig, daß ein tüchtiger Russe, ein Schüler Suwarows [sic] besser sei als ein Fremder und in diesem Augenblicke sehr Noth thue. (…) Kutusows Ankunft erweckte also in dem Heere ein neues Vertrauen; der böse Dämon des Fremden war durch einen ächten Russen, einen Suwarow in etwas verkleinertem Maßstabe, beschworen. Doch wenig später ist Kutusow für ihn fast eine Null. Er scheint ohne innere Regsamkeit, ohne klare Ansichten der vorhandenen Umstände, ohne lebhaftes Eingreifen, ohne selbständiges Wirken.

Man muss auch bedenken, dass nur wenige Historiker wie Jewgeni Tarle oder Dominic Lieven den Krieg gegen Napoleon aus der Sicht Russlands sehen. Dominic Lieven sagt in seinem Buch Russland gegen NapoleonKein Professor aus einem westlichen Land hat je ein Buch über Russlands Kriegführung gegen Napoleon geschrieben. Ein Grund liegt darin, dass die russischen Militärarchive erst seit 1991 für ausländische Forscher zugänglich sind. Ein wichtigeres Motiv ist jedoch der Glaube, die französische und die preußische Armee stellten viel lohnendere Forschungsgegenstände dar, weil sie moderner erscheinen. Damit hat er wahrscheinlich recht, doch leider ist sein Buch genau betrachtet nicht so gut, wie die Rezensenten es gemacht haben. Lieven zieht in seinem Buch das Resümee: Die historische Gestalt Kutusows verselbständigte sich. Der den Luxus liebende Fürst verwandelte sich in eine Art Bauernführer, der auf unklare Weise in Konflikt mit dem Zaren stehen sollte. Jeder seiner groben Fehler wurde als Kriegslist hingestellt, deren Ziel unbestimmt blieb, und jede hilflose Untätigkeit als genialer Schachzug.

Lieven versteht vielleicht viel von der russischen Aristokratie (da sollte er sich auskennen, kommt er doch aus der Familie der Fürsten Lieven), die er in seinen anderen Büchern behandelt hatte, aber wenig von Militärgeschichte. Ein Genre der Geschichtsschreibung, das eigentlich fest in englischer Hand zu sein scheint, wenn man zum Beispiel an John Keegan denkt. Aber leider nicht bei Dominic Lieven. Und so unterlaufen ihm bei seinem Unterfangen, die Geschichte, wie und weshalb Russland Napoleon besiegen konnte, auf ... wahrhaftigere Weise neu zu erzählen, doch eine Vielzahl von schweren Fehleinschätzungen. Was zum einen daran liegt, dass er keinerlei deutsche Quellen benutzt. Nur so kann er zu einer völlig grotesken Fehlbewertung der militärischen Leistungen von einer Randfigur wie Tettenborn kommen.

Das soll jetzt nicht heißen, dass man den Russlandfeldzug Napoleons nur aus deutscher Perspektive sehen soll, wie es das von Julius Hahn herausgegebene Buch Mit der großen Armee 1812 tat: 'Napoleon oder ich, ich oder er!' das war sein [Kutusows] felsenfester Entschluß. Der Freiherr vom Stein war hierin sein treuer Berater. Im Lager aber stand dem alten Feldherrn der geniale Oberst von Toll zur Seite. Zum genialen Oberst von Toll schreibt übrigens Gneisenau 1813 an Hardenberg: Heute habe ich bei dem General v. Blücher den General Toll, russischen Generalquartiermeister, kennengelernt. Es ist dies ein höchst arroganter Mensch, mit nur ganz gemeinen militärischen Kenntnissen. Für höhere Ideen ist er ganz unempfänglich und unfähig. Die Herren mit den Epauletten auf den Schultern sind sich alle nicht grün. Unglücklicherweise verwenden viele Historiker ungeprüft jeden Schmäh aus der Feder von pensionierten Generälen.

Leider ist Lieven auch einer der vielen Historiker, die sich auf die Aufzeichnungen des Generals Sir Robert Wilson verläßt, der zum Leidwesen des englischen Gesandten in St. Petersburg eine unspezifizierte Rolle als Militärbeobachter hat. An dem Mann ist eigentlich alles falsch. Obgleich er den Titel eines Generals hat, hat er niemals Truppen der regulären englischen Armee kommandiert. Sein Rittertitel ist nicht wie der fehlerhafte englische Wikipedia Artikel behauptet (der auch die Biographie von Michael Glover unterschlägt), ein Knight Bachelor, sondern ein österreichischer Titel, der mit der Verleihung des Militär-Maria-Theresien-Ordens einherging. England hat diesem Mann nie einen Orden verliehen. Wellington hat über ihn gesagt: He is a very slippery fellow who had not the talent of being able to speak the truth upon any subject. Es wäre jetzt etwas gemein, wenn man ihn mit Harry Paget Flashman vergleichen würde, aber er hat viel von dieser bezaubernden Romanfigur. Belassen wir es mal bei dem, ich schreibe irgendwann über Robert Thomas Wilson. Ich liebe solch schräge Existenzen, die durch die Geschichte irrlichtern.

Wilson ist der Hansdampf in allen Gassen, der nach seinen eigenen Ausführungen dafür gesorgt hat, dass Kutusow das Oberkommando bekam, der bei jeder geheimen Besprechung mit dem russischen Zaren dabei war. Und in jedem entscheidenden Augenblick auf jedem Schlachtfeld auftaucht. Der nach Borodino dem Fürsten Bagration am Sterbebett versichert, der Kampf werde weitergehen. Und Bagration sagt ihm: Dear General, you have made me die happy, for then Russia will assuredly not be disgraced. Und der nicht mit gehässigen Bemerkungen über Kutusow spart: He is a sad old rogue, hating English connection, and basely preferring to independent alliance with us a servitude to the canaille crew who govern France and her fiefs. Oder: Marshal Kutusow affords a memorable instance of incapacity in a chief, of an absence of any quality that ought to distinguish a commander. 

Und wenn Napoleon geschlagen ist, gesteht der Zar unserem englischen General, dass er Kutusow nur widerwillig den Titel eines Fürsten von Smolensk verleihen würde: You have always told me truth — truth I could not obtain through any other channel. I know that the Marshal has done nothing he ought to have done — nothing against the enemy that he could avoid; all his successes have been forced upon him. He has been playing some of his old Turkish tricks, but the nobility of Moscow support him, and insist on his presiding over the national glory of this war. In half an hour I must therefore (and he paused for a minute) decorate this man with the great Order of S. George, and by so doing commit a trespass on its institution; for it is the highest honour, and hitherto the purest, of the empire. But I will not ask you to be present — I should feel too much humiliated if you were; but I have no choice — I must submit to a controlling necessity. I will, however, not again leave my army, and there shall be no opportunity given for additional misdirection by the Marshal.  He is an old man, and therefore I would have you show him suitable courtesies, and not refuse them when offered on his part. Können wir das glauben, dass der Zar seine geheimsten Gedanken diesem englischen Münchhausen anvertraut? Wenn man Wilsons Erinnerungen für eine verlässliche Quelle nimmt, dann kann man auch gleich G. A. Hentys Abenteuerroman Through Russian Snows als Geschichtsquelle nehmen.

Als Kutusow den Oberbefehl über die russische Armee bekommt, ist er seit einem halben Jahrhundert in der Armee. Man braucht ihn nicht aus dem Ruhestand zurückzuholen, er hat gerade mit der Moldauarmee die Türken besiegt und den Frieden von Bucharest abgeschlossen. Jetzt ist er wieder einmal Oberbefehlshaber, hat Barclay de Tolly (hier ein Bild von George Dawe) abgelöst. Den mag die Armee nicht, obgleich er wohl der beste Stratege ist, den die russische Armee hat. Aber er ist Balte, also mögen ihn die russischen Generäle nicht. Es gibt da in der Generalität keinen esprit de corps. Die sind alle untereinander zerstritten, Balten, Deutsche (wie Bennigsen) und Russen. Und da ist da noch Bagration, der einzige, vor dem Napoleon Angst hat. Aber der kommt aus Georgien, den mögen die Russen auch nicht wirklich. Dann eher den alten Lebemann Kutusow, der inzwischen so beleibt ist, dass er kaum noch aufs Pferd kommt (Napoleon benutzt übrigens auch die meiste Zeit die Kutsche, aber das wird nie gegen ihn verwendet). Kutusow mag zwar ein Säufer sein, ist aber wenigstens Russe.

Kutusows Ernennung geht eine Art Putsch einer Gruppe von Generälen voraus, die Barclay de Tolly nicht mehr als Oberbefehlhaber anerkennen wollen. Unser General Wilson ist bei all den Intrigen mittendrin. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Generäle den Engländer als Überbringer ihrer Denkschrift an den Zaren auswählen. Der Zar (hier auf einem Bild von Franz Krüger, bei dem man den Eindruck hat, dass sich Krüger mehr für das Pferd als für den Zaren interessiert hat) zögert zuerst.

Er mag diesen Kutusow trotz seiner Verdienste nicht, der war ein Günstling seines Vaters gewesen (also jenes Zaren, den Alexander - hier im Portrait von George Dawe - ermorden ließ). Le public a voulu sa nomination, je l'ai nommé: quant à moi, je m'en lave les mains, soll er gesagt haben. Michail Kutusow mag ein Lebemann und Säufer sein, aber er ist nicht dumm. Dass die Schlacht von Austerlitz eine Katastrophe werden würde, hat er gewusst. Alexander hat ihm Austerlitz nie verziehen. Kutusow hat es Alexander auch wohl nicht verziehen, dass er ihn zu dieser Schlacht gezwungen hat. Das ist ähnlich wie mit Longstreet und Lee bei Gettysburg.

Der Plan, Napoleon immer tiefer in die russische Weite zu locken und ihn da untergehen zu lassen, ist der Plan seines Vorgängers gewesen (aber auch Scharnhorst, Clausewitz und von Phull sind angeblich Väter dieses Plans gewesen). Kutusow weiß, dass Barclay mit dieser Strategie Recht hatte. Als er in der 1770er Jahren in London war, hatte er alle Berichte über General Washington sorgfältig studiert. Sagt Roger Parkinson, der mit The Fox of the North: The Life of Kutuzov eine der wenigen Kutusow Biographien geschrieben hat. Washington hatte der Welt gezeigt, dass man gegen einen überlegenen Gegner einen Krieg gewinnen kann, ohne spektakuläre Schlachten zu gewinnen.

Die russischen Armeen sind weit über das Reich verstreut: Barclay im Norden, Wittgenstein im Baltikum, Bagration bei den Pribet Sümpfen und Tschitschagow muss mit der Moldauarmee erst von der türkischen Grenze zurückkehren. Keine der einzelnen Armeen hätte gegen Napoleon in offener Feldschlacht siegen können, das weiß Kutusow. Und wenn es ihm auch die Patrioten übelnehmen, dass er Moskau und halb Russland preisgibt, am Ende geht sein Plan auf. Da hat Seine Durchlaucht der selige Fürst Michailo Illarionowitsch Golenischtschew-Kutusow-Smolenskij das Bonapartlein mit Gottes Hilfe aus den russischen Grenzen zu verjagen geruht, wie es in Turgenews Aufzeichnungen eines Jägers heißt.

Es wird häufig gesagt, dass Tolstoi den General Kutusow in Krieg und Frieden glorifiziert hätte (also bevor Stalins Propaganda das gemacht hat). Aber so ganz stimmt das nicht. Kutusow ritt ihnen grüßend entgegen, sein ganzes Wesen hatte sich plötzlich verändert. Er hatte das Aussehen eines untergeordneten dienstwilligen Menschen mit affektierter Ehrfurcht, welche augenscheinlich den Kaiser Alexander unangenehm berührte. Der unangenehme Eindruck flog nur flüchtig über das junge und glückliche Gesicht des Kaisers und verschwand. In seinen schwarzen Augen lag zugleich Majestät und Milde und der vorherrschende Ausdruck gutherziger, unschuldiger Jugend. Das ist sicher eine Glorifizierung des Zaren, aber keineswegs eine von Kutusow, der in dem Roman mit all seinen Schwächen dargestellt wird. Reizbar, zornig und giftig sind Wörter, die häufig bei seiner Beschreibung fallen.

Tolstois Kutusow ist (wie sein Hauptmann Tuschin) eine literarische Figur. Er ist aber auch, wie Isaiah Berlin in seinem Essay Der Igel und der Fuchs (hier eine Zusammenfassung des Essays) ausgeführt hat, eine Verkörperung von Tolstois Geschichtsphilosophie: Das ist auch der Grund, warum er einen Kutusow erfindet, der seinem einfachen russischen, ungeschulten Instinkt folgt und die deutschen, französischen und italienischen Fachleute verachtet oder ignoriert, und warum er ihn in den Rang eines Nationalhelden erhebt, der er, auch dank des Tolstoischen Porträts, seither geblieben ist.

Wir haben über Wellington und Napoleon Biographien bis zum Abwinken, Kutusow bleibt ein Puzzle, bei dem einzelne Teile verloren gegangen sind - es ist wohl bezeichnend, dass es nicht einmal gute Portraits von ihm gibt, selbst die Napoleon Collection der McGill University verzeichnet nur eine Handvoll Stiche. Sicher zu Recht kann Jewgeni Tarle sagen, dass die Analyse der riesigen, sehr komplizierten historischen Figur von Kutusow manchmal in der bunten Masse der Tatsachen versinkt.

Der Engländer George Dawe (dem Puschkin das Gelegenheitsgedicht To Dawe Esq. widmete) hat Kutusow nicht gekannt. Als er vom Zaren den Auftrag erhält, die Generäle des Krieges gegen Napoleon zu malen, ist Kutusow schon lange tot. Wenn Sie all die Portraits sehen wollen, die Dawe mit seinen russischen Assistenten Wilhelm August Golike und Alexander Polyakov gemalt hat (es sind mehr als dreihundert), müssen Sie hier klicken. Kutusow bekommt ein lebensgroßes Portrait (das ist nur wenigen Generälen vorbehalten, der Rest bekommt Halbportraits), das ihn in einer Winterlandschaft zeigt. Irgendwie ist die Komposition dieses Portraits ein wenig missraten - ebenso wie so viele Beschreibungen des Feldherrn.

Unser englischer miles gloriosus Robert Wilson bekommt natürlich keinen Platz
in der Galerie. Aber den Herzog von Wellington, den malt Dawe selbstverständlich für den Zaren. Der kleine Hauptmann Tuschin hätte keine Chance gehabt, mit einem Portrait in dieser Galerie zu hängen. Offiziere und Soldaten mögen in diesem Krieg zu Helden werden, aber hier gibt es nur Generäle. Mit einem schönem Sinn für Symbolik hat man nach der Oktoberrevolution die Galerie um vier kleinformatige Bilder von George Dawe vermehrt. Die zeigen keine Generäle, sondern einfache Soldaten der Palastwache.

Ich muss zum Schluss kommen, das ist eh schon zu lang. Für den Schluss habe ich mir das wahrscheinlich lebensechteste Bild von Kutusow aufgespart. Es ist von dem englisches Graveur James Hopwood nach einer Zeichnung von J. Blood. Hier wird die Körperfülle, die George Dawe unter dem pelzgefütterten Mantel verbirgt, nicht kaschiert. Und man kann auch sehen - was die meisten Bilder von Kutusow nicht zeigen - dass er sein rechtes Auge verloren hat. Als der 29-jährige Oberst Kutusow sein Auge verliert, ist der kleine Napoleon gerade mal fünf Jahre alt, als Napoleon zur Militärschule kommt, ist Kutusow schon Generalmajor.

Zum Schluss zitiere ich doch noch einmal ein deutsche StimmeKutusow hätte gewiss die Schlacht von Borodino nicht geliefert, von der er doch wahrscheinlich keinen Sieg erwartete, wenn ihn nicht die Stimme des Hofes, des Heeres und ganz Rußlands dazu genöthigt hätte. Er sah sie vermutlich nur wie ein nothwendiges Übel an. Er kannte die Russen und verstand, sie zu behandeln. Mit unerhörter Dreistigkeit betrachtete er sich als Sieger, verkündete überall den nahen Untergang des feindlichen Heeres, gab sich bis auf den letzten Augenblick den Anschein, als wollte er Moskau durch eine zweite Schlacht schützen und ließ es an Prahlerei keiner Art fehlen. Auf diese Weise schmeichelte er er der Eitelkeit des Heeres und des Volkes; durch Proklamationen und religiöse Anregungen suchte er auf ihr Gemüth zu wirken, und so entstand eine neue Art von Vertrauen, freilich nur ein erkünsteltes, was sich aber im Grunde an wahre Verhältnisse anknüpfte, nämlich an die schlechte Lage der französischen Armee. So war dieser Leichtsinn und diese Marktschreierei des alten Schlaukops in der That nützlicher als Barclays Ehrlichkeit gewesen wäre.(…) kurz der einfach, ehrliche, an sich tüchtige aber ideenarme Barclay, unfähig, diese großen Verhältnisse bis auf den Grund zu durchblicken, wäre von den moralischen Potenzen des französischen Sieges erdrückt worden, während der leichtsinnige Kutusow ihnen eine dreiste Stirn und einen Haufen Prahlereien entgegensetzte und so glücklich in die ungeheure Lücke hineinsegelte die sich bereits in der französischen Armada fand.

Das ist noch einmal Clausewitz. Der dem Leser allerdings wenige Seiten zuvor gestanden hat, dass er Kutusow gar nicht wirklich kennt: Der Verfasser ist diesem Feldherrn zu wenig nahe getreten um über seine persönliche Thätigkeit mit voller Ueberzeugung sprechen zu können. Er hat ihn nur einen Augenblik in der Schlacht von Borodino gesehen. Da ist mir Tolstoi irgendwie lieber.

Natürlich habe ich auch heute ein Gedicht, es ist von Carl Sandburg und heißt ganz schlicht Grass:


Pile the bodies high at Austerlitz and Waterloo.
Shovel them under and let me work—
                                      I am the grass; I cover all.

And pile them high at Gettysburg
And pile them high at Ypres and Verdun.
Shovel them under and let me work.
Two years, ten years, and passengers ask the conductor:
                                      What place is this?
                                      Where are we now?

                                       I am the grass.
                                       Let me work.

Samstag, 27. April 2013

Михаил Илларионович Кутузов-Смоленский


Den kleinen Scherz mit dem Titel da oben musste ich mir mal eben erlauben. Ich habe Leser, die können das glatt lesen. Wenn die Angie meinen Blog lesen würde, könnte die das auch. Eigentlich gibt es heute nix. Weil ich an einem langen Post für den morgigen Tag schreibe, dem zweihundertsten Todestag des Fürsten ➱Michail Illarionowitsch Kutusow-Smolenski. Aber da heute der amerikanische General Ulysses S. Grant Geburtstag hat, dachte ich mir, ich fülle die kleine Lücke mit einem Gedicht auf Ulysses S. Grant.

Gut, ich habe es im letzten Jahr ➱hier schon gebracht, aber es ist eigentlich immer noch witzig. Natürlich nicht so witzig wie der ➱Shakespeare Limerick am Dienstag. Und morgen gibt es Kutusow. Ohne Witze.

My name is Ulysses Simpson Grant
I'm the four star general of Union Armies
No other general is better than me
And I know for a fact that they can't

I won many battles in the civil war,
Shiloh, Chattanooga and many more
I captured fort Donelson on the Cumberland river
I captured Vicksburg on the Mississippi river
From winning battles, I became a star
And being a star got me very far
I was the best American general
And everyone thought so too
people knew that I did great
and I knew what they meant
They voted me president
Of the United states

I didn't do a very good job
being the president
I hired corrupt friends to be politicians
and I didn't use my common sense.

I let prisoners out of jails
for no reason I recall
I wasn't friendly to my cabinet members
they didn't like me at at all.

A lot of scandals
my corrupt friends did do
they would take your money
And buy new pairs of shoes

Sorry America


Freitag, 26. April 2013

Arno Holz


Heute vor 150 Jahren wurde der Dichter und Dramatiker Arno Holz  geboren. Aus dem werde ich nicht schlau. Dass er ➱Een Boot is noch buten! geschrieben hat, verwundert mich immer wieder. Dass er mit ➱Berliner Schnitzel witzige Zeitgedichte schrieb, passt nicht so ganz zu den impressionistischen Skizzen in ➱Phantasus. Theodor Fontane hat den Dramatiker Holz gelobt, als er über Die Familie Selicke. Drama in drei Aufzügen schrieb: Diese Vorstellung wuchs insoweit über alle vorhergegangenen an Interesse hinaus, als wir hier eigentlichstes Neuland haben. Hier scheiden sich die Wege, hier trennt sich Alt und Neu. Was Holz mit Wohlgefallen ➱kommentierteIch citire hier diesen Absatz, weil es uns eine Freude ist, konstatiren zu können, dass es grade Theodor Fontane gewesen, der die jähe Kluft, die uns von aller bisherigen Bühnenproduction trennt, Ibsen nicht ausgeschlossen, als Erster wahrgenommen hat. Ich halte mich aus dem ganzen Streit um den Naturalismus heraus und präsentiere stattdessen ein schönes kleines Gedicht im naturalistischen Sekundenstil von Arno Holz aus dem Phantasus, das die verlorene Kindheit heraufbeschwört:

Rote Dächer!

Aus den Schornsteinen, hier und da, Rauch,
oben, hoch, in sonniger Luft, ab und zu Tauben.
Es ist Nachmittag.
Aus Mohdrickers Gartern her gackert eine Henne,
die ganze Stadt riecht nach Kaffee.


Ich bin ein kleiner, achtjähriger Junge
und liege, das Kinn in beide Fäuste,
platt auf den Bauch
und kucke durch die Bodenluke.
Unter mir, steil, der Hof,
hinter mir, weggeworfen, ein Buch.
Franz Hoffmann. Die Sclavenjäger.

Wie still das ist!

Nur drüben in Knorrs Regenrinne
zwei Spatzen, die sich um einen Strohhalm zanken,
ein Mann, der sägt,
und dazwischen, deutlich von der Kirche her,
in kurzen Pausen, regelmäßig, hämmernd,
der Kupferschmied Thiel.

Wenn ich unten runtersehe,
sehe ich grade auf Mutters Blumenbrett:
ein Topf Goldlack, zwei Töpfe Levkoyen, eine Geranie
und mittendrin, zierlich in einem Zigarrenkistchen,
ein Hümpelchen Reseda.

Wie das riecht? Bis zu mir rauf!

Und die Farben!
Jetzt! Wie der Wind drüber weht!
Die wunder, wunderschönen Farben!

Ich schließe die Augen. Ich sehe sie noch immer.


Donnerstag, 25. April 2013

Groschmann dägi


Falls Ihnen der schöne Begriff Groschmann dägi nichts sagt, ist das nicht so schlimm. Das ist Fachvokabular. Heißt auch eigentlich nicht Groschmann dägi, sondern crochement d'aiguilles und kommt natürlich aus dem Französischen der Horlogerie. Aber die Schweizer Uhrmacher, denen dieses crochement d'aiguilles zu schwierig war, haben irgendwann den Groschmann dägi daraus gemacht. Egal, wie die Sache heißt, es ist schlicht eine Berührung der Zeiger, die den Gang der Uhr stoppt. Kommt bei alten Taschen- und Armbanduhren mit kleiner Sekunde gerne in der Zeigerstellung vor, in der die kleine und die große Hand zur Hölle zeigen. Also um halb sieben. Hatte meine alte Omega letztens. Die genauso aussieht wie das erste Seamaster Modell da links auf dem Photo. Liegt auch in der Referenznummer genau neben der ersten Seamaster.

Es ist noch eine alte Hammerautomatik (Sie können hier zuschauen, wie eine ➱Hammerautomatik zerlegt wird). So etwas hat Omega lange gebaut (nur Jaeger LeCoultre hält noch länger daran fest), da hatten viele Firmen (wie die ➱Eterna) schon die modernere Rotorautomatik. Die schwere Schwungmasse oben schlägt dabei gegen kleine Federn, die hier (unten links) in einem kleinen Tunnel unter der Brücke eingelassen sind. Eine Hammerautomatik ist (trotz des nur einseitigen Aufzugs) sehr wirkungsvoll: morgens umbinden, Kaffee (oder Tee) eingießen und in der Zeitung blättern - und schon läuft sie. So etwas Ähnliches bekam der Feldmarschall Montgomery auch zu hören, als er nach dem Krieg die Omega Fabriken in Biel besuchte und eine Hammerautomatik geschenkt bekam: Il faut se lever de bon heure et bien se secouer. Monty, der den ganzen Krieg über eine Omega trug, wollte mit seinem Besuch 1947 (den er 1949 wiederholte) anerkennen, dass die Firma Omega (die die Wehrmacht nie mit Uhren belieferte) der zuverlässigte Uhrenlieferant für die Engländer gewesen war.

Das mit den ➱Uhrenlieferungen während des Krieges an Deutschland ist ein dunkles Kapitel der Schweizer Uhrenindustrie. Die IWC in Schaffhausen wurde sogar bombardiert, aber die Alliierten wollten die IWC gar nicht treffen, sondern eine kriegswichtige Fabrik daneben. Ja, die Schweiz ist im Zweiten Weltkrieg mehrfach bombardiert worden - wurde hinterher immer als Pilotenfehler deklariert. Im Fall des Rüstungskonzerns Oerlikon wird die Ausrede mit dem Pilotenfehler natürlich ein wenig absurd. Ich lasse das Thema jetzt einmal weg. Und zeige stattdessen die Hammerautomatik, die der Engländer John Harwood in den zwanziger Jahren erfunden hat und sich von der Schweizer Firma Adolf Schildt (die mit dem Handaufzugskaliber ➱AS 1130 auch die meisten Uhrwerke an die Wehrmacht lieferte) hat bauen lassen. Wenn sich auch die Details verändern, das Prinzip bleibt das gleiche.

Hammerautomaten haben ein paar Eigenheiten: man kann sie hämmern hören, wenn man sie ans Ohr hält. Man kann die Schwungmasse beim Tragen auch spüren, was manche Träger damals sehr störte. Als ich meine Omega vor vielen Jahren auf einem Flohmarkt für zehn Euro kaufte, sah sie ziemlich tot aus. Während mir der Händler eine Lügengeschichte nach der anderen erzählte (wenn die das nicht täten, wären sie keine Flohmarkthändler), schüttelte ich die ganze Zeit vorsichtig die Uhr. Und beobachtete die Krone. Die Krone bewegte sich, es war Leben in der Uhr. Bei diesen frühen Hammerautomaten ist die Krone nämlich nicht entkoppelt, wenn der Hammer hämmert, bewegt sich die Krone langsam. Wenn man Hammerautomaten gut pflegt, ihnen von Zeit zu Zeit eine Überholung gönnt (und sie nicht zu stark schüttelt), können sie sehr alt werden. Das erste Automatikwerk von Omega aus den vierziger Jahren hat noch eine Schwachstelle: hier sind die kleinen Federn auf der linkenSeite (wie auch bei dem Werk unten) lediglich verschraubt. Dass die irgendwann abbrechen, ist vorauszusehen. Ab dem Kaliber 342 (28.10) im Jahre 1949 gibt es bei Omega nur noch die verdeckten Prellfedern. Sie sehen an dem ©Rannft, dass ich diese Werksabbildung aus dem wunderbaren ➱Uhrwerke Archiv von Dr. Ranfft entliehen habe.

Dies hier ist übrigens das Werk einer Tissot (so eine trage ich gerade). Sieht aus wie das von Omega, die Uhrwerke sind beinahe baugleich. Das Omega Werk hat lediglich eine qualitativ höherwertige Glucydurunruh. Die Ähnlichkeit ist kein Wunder: Tissot und Omega sind seit Ende der zwanziger Jahre (als Omega in großen finanziellen Schwierigkeiten steckte) praktisch eine Firma. Madame Marie Tissot pflegte noch Jahrzehnte später im Aufsichtsrat die Vertreter der inzwischen mächtigeren Omega daran zu erinnern, wer sie damals gerettet hat. Die Enkelin des Firmengründers, die wie ihr Bruder Paul noch in Russland geboren wurde (damals war Tissot noch groß im Russlandgeschäft), hat fünfundfünfzig Jahre für die Firma gearbeitet, deren Namen sie trug.

Das hier ist eine Cyma mit dem Kaliber 420, das wie die meisten Hammerautomatikwerke im Basiswerk sehr klein ist, den meisten Platz bei diesem Uhrwerkstyp frißt die um das Werk schwingende Pendelschwungmasse. Während meine Cyma aus dem Jahre 1947 heute noch wie neu aussieht, hatte meine schöne alte Omega also diesen Groschmann dägi. Da es im Ort keinen freien Uhrmacher mehr gibt (aber dafür gefühlte tausend Telephonläden und zweitausend Brillenläden), musste ich zu ➱Mahlberg. Die gibt es in meiner Heimatstadt Bremen auch, da heißen sie Meyer. Es ist an sich nichts Böses zu Mahlberg gehen, es ist ein seriöses Geschäft.

Das Ganze ist mir nur etwas zu fein. Und es hat den Nachteil: man kann nicht mehr mit dem Uhrmacher reden. Früher, als sie noch nicht in einem Luxustempel residierten und noch nicht alle Uhrenmarken der Schweiz führten, war das bei Mahlberg anders. Sie alle kennen das Phänomen der Entfremdung von denen, mit denen man eigentlich reden möchte, aus Ihrer Autowerkstatt. Früher kannte man den Meister persönlich, drückte ihm seine ölverschmierte Pfote und klagte ihm sein Leid. Heute sitzen da hochtoupierte Tussis, die je nach Automarke immer vornehmer werden, die pflegen ihre manikürten Finger, lassen den Goldschmuck klingeln und tippen dann irgendetwas in den Computer. Und was man den Damen erklärt und was dann beim Meister ankommt, das ist so ähnlich wie bei dem schönen Spiel, das Stille Post heißt. Ja, da sehnt man sich doch die gute alte Zeit zurück.

Also nicht, dass die da im Laden nicht nett zu einem sind. Die kennen mich da auch. Aber es ist natürlich etwas ganz anderes, wenn man dem Uhrmacher persönlich die Wehwehchen der Uhr erklären kann. Dies hier ist der Geschäftsführer Tim Kleinfeld vor dem Allerheiligsten, wo die Uhren gelagert werden, die so viel wie ein Mittelklassewagen kosten. Aber meistens nicht so interessant sind wie eine alte Omega mit Hammerautomatik. Tim Kleinfeld hat immer Zeit für kleine Fachsimpeleien. Ich weiß nicht ob er Gedichte mag, aber das gibt es heute natürlich auch. Schließlich ist immer noch Poetry Month. Das Gedicht heißt The Watches und wurde von Elizabeth Macklin geschrieben.

Before they became mysterious and quartz, 
we longed to learn 
the workings of watches: eternal spring! 
We knew to rush to make time for things. 
Any delay would make it too late. 
We knew what the hands could say.

Und an dieser Stelle hat das Gedicht, das am 16. März 1992 im New Yorker abgedruckt wurde, einen Groschmann dägi. Es hakt, es geht nicht weiter. Weil ich damals nur diese Zeilen abgeschrieben habe, ich fand den Anfang so toll. Wahrscheinlich ist er das Beste an dem Gedicht, das noch viel länger ist. Auf dieser Seite vom New Yorker (für den Elizabeth Macklin lange gearbeitet hat) sind fünf Strophen, auf der nächsten noch einmal fünf. Das zeigt uns einmal die Grenzen des Internets auf, nicht alles, was jemals gedruckt wurde, ist heute digitalisiert und im Netz. Das ist irgendwie beruhigend, wozu hat man Regale voller Bücher? Ach, ich hätte den New Yorker aufbewahren sollen.

Bevor ich das Geschäft verlassen konnte, zeigte mir Tim Kleinfeld auf seinem Laptop noch ein wunderbares Bild, das ihm ein Kunde gerade geschickt hatte. Ich habe länger als eine Minute gebraucht, um zu sehen, was an diesem Zifferblatt falsch war. Vielleicht sehen Sie es ja schneller. Es ist wirklich sehr witzig. Ist gleich hinter der Stelle, wo die kleine und die große Hand zur Hölle zeigen. Da stimmt jetzt die Zeile We knew what the hands could say aus dem Gedicht garantiert nicht mehr.

Mittwoch, 24. April 2013

Andrew Hudgins


The Glass Anvil heißt ein Buch von Andrew Hudgins. Das klingt so ähnlich wie sein Buch The Glass Hammer. Aber während The Glass Hammer: A Southern Childhood eine Autobiographie in Gedichtform ist (ich hoffe, ich komme irgendwann einmal dazu, darüber zu schreiben), ist The Glass Anvil (erschienen in der Reihe Poets on Poetry) ein Buch von Essays über die Dichtung. Poets on Poetry ist eine renommierte Reihe der University of Michigan Press, hundert Bände sind hier schon erschienen, seit Donald Hall die Reihe begründete. Dichter über Dichtung zu lesen, kann immer spannend sein, denn meistens wissen sie, was sie tun. Bei Literaturkritikern, die keine Dichter sind, ist man da nicht immer so sicher. Harold Pinter bezeichnete Literaturkritiker einmal als einbeinige Weitspringer, die es aber immer wieder versuchten. Die Dichter, die an amerikanischen oder ➱kanadischen Universitäten als poet in residence oder als Professor Literatur vermitteln, kann er damit nicht gemeint haben. In The Glass Anvil schreibt jemand, der etwas zu sagen hat. Und er hat auch über das Dichten und die Gedichte etwas zu sagen, erzählt in Reader to Writer, wie er zur Litertur gekommen ist. Theoriefrei, kein Lacan, Foucault oder Derrida, nur die Stimme der Vernunft. Eine wunderbare Lektüre von einem Autor, den es hierzulande noch zu entdecken gilt.

Andrew Hudgins ist Literaturprofessor, aber er ist auch Dichter. Bescheiden und unauffällig hat sich der Mann aus den Südstaaten über die Jahre ganz nach oben geschrieben, ist schon ganz nahe an den Pulitzer Preis und den National Book Award gekommen. Er war Wallace Stegner Fellow an der Stanford University und Alfred C. Hodder Fellow in Princeton. All seine höchst originellen Gedichtbände von Saints and Strangers (1985) bis Ecstatic in the Poison (2003) lohnen den Kauf und die wiederholte Lektüre. Über den letzten Band hat Mark Strand gesagt: 'Ecstatic in the Poison' is full of intelligence, vitality, and grace. And there is a beautiful oddness about it. Dark moments seem charged with an eerie luminosity and the most humdrum events assume a startling lyric intensity. A deep resonant humor is everywhere, and everywhere amazing. Das Titelgedicht von Ecstatic in the Poison gab es ➱hier schon einmal. Und Andrew Hudgins ist hier schon häufiger erwähnt worden. Vielleicht liest das ja mal jemand beim Hanser Verlag und bringt eine Übersetzung seiner Gedichte heraus. Das wäre schön.

Hier gibt es heute sein Gedicht Steppingstone, das von Montgomery (Alabama) handelt. Da wo Hudgins zur Schule gegangen ist, wo Hank Williams begraben liegt. Wo man sich heute eher unwillig an Martin Luther King und den Sheriff ➱Jim Clark erinnert. Das ist ein Teil der Autobiographie von Andrew Hudgins, wie sein Gedicht ➱Teevee with Grandmomma. Es ist aber auch eine Art von Biographie von Amerika, ist auch ein Gedicht gegen das Vergessen, gegen the acetone of American inattention.

Steppingstone

Home (from Court Square Fountain—
where affluent ghosts still importune
a taciturn
slave to entertain
them with a slow barbarous tune
in his auctioned baritone—
to Hank Williams' headstone
atop a skeleton
loose in a pristine
white suit and bearing a pristine
white bible, to the black bloodstain
on Martin King's torn
white shirt and Jim Clark's baton,
which smashed black skulls to gelatin)
was home, at fifteen: brimstone
on Sunday morning, badminton
hot afternoons, and brimstone
again that night. Often,
as the preacher flailed the lectern,
the free grace I couldn't sustain
past lunch led to clandestine
speculation. Skeleton
and flesh, bone and protein
hold—or is it detain?—
my soul. Was my hometown
Montgomery's molten
sunlight or the internal nocturne
of my unformed soul? Was I torn
from time or was time torn
from me? Turn
on byzantine
turn, I entertain
possibilities still, and overturn
most. It's routine
now to call a hometown
a steppingstone—
and a greased, uncertain,
aleatory stone
at that. Metaphors attune
our ears to steppingstone,
as well a corner-, grind-, and millstone—
all obtain
and all also cartoon
history, which like a piston,
struck hard and often
that blood-dappled town
scrubbed with the acetone
of American inattention. Atone
me no atoning. We know the tune
and as we sing it, we attain
a slow, wanton,
and puritan
grace, grace can't contain.

Dienstag, 23. April 2013

Shakespeare in Love


Im Jahre 2010 habe ich dieses Datum ja noch gefeiert, lesen Sie doch einmal den Post ➱Blankvers. Aber in diesem Jahr wäre dieser Festtag beinahe ungefeiert vorbeigegangen, hätte nicht eben ein Leser das Fehlen von William Shakespeare im Blog moniert. Glücklicherweise war der Mängelrüge ein Shakespeare Limerick beigegeben. Den ich meinen Lesern nicht verheimlichen darf. Ich weiß nicht, ob der Dichter jetzt genannt werden möchte, aber es ist derselbe, der schon mehrere Limericks zu diesem Blog beigesteuert hat. Heute ist er geistvoll und ein wenig bawdy, aber das war Shakespeare auch.

Shakesparents, Shaken

Shakespère to Shakesmère, "Our Willie,
He shaketh his spear willy-nilly,
And with Anne hath a way
That her girth will display
He bangeth and screweth her silly."


Nick Drake


Als ich das Gedicht ➱Falklands, 1982 am Tag der Beerdigung von Margaret Thatcher aus den Collected Poems von ➱P.J. Kavanagh abtippte, musste ich an den Beginn dieses völlig überflüssigen Krieges denken. An die Inseln weit weg von England, 1.800 Einwohner, 400.000 Schafe. Teile der britischen ➱Presse drehten damals völlig durch. Wie die Sun mit ihrer berühmt und berüchtigt gewordenen Schlagzeile Gotcha. Aber es wurden auch andere Stimmen zitiert, die von coolness und indifference sprachen: It is wonderful with what coolness and indifference the greater part of mankind see war commenced. Those that hear of it at a distance, or read of it in books, but have never presented its evils to their minds, consider it as little more than a splendid game. Man musste allerdings bei diesem Zitat erklären, dass es schon über zweihundert Jahre alt war. Es findet sich in Dr Samuel Johnsons ➱Thoughts on the late Transactions Respecting the Falkland Islands aus dem Jahre 1770.

Ich verbinde mit dem Krieg immer den melancholischen englischen Sänger ➱Nick Drake. Ich war mit Freunden im Skiurlaub, obgleich ich so etwas eigentlich hasse. In der Pension war ich vom ersten Tag an unbeliebt. Die Wirtin hatte in der Nacht zur Begrüßung der Gäste die Geschichte von einem holländischen Ehepaar erzählt, die auch in der Nacht angekommen seien. Und als die Ehefrau am nächsten Morgen die Fenster öffnete und sich von Bergen umgeben sah, hätte sie sich so erschrocken, dass sie mittags wieder abgereist seien. Vielleicht war es nicht sehr diplomatisch, dass ich in diesem Augenblick laut mein volles Verständnis für die Holländer äußerte. Ich stehe noch immer zu dem Satz. ➱John Donne bezeichnete Berge als warts and pock-holes in the face of the earth, der gedankliche Sprung von Mountain Gloom zu Mountain Glory (um ➱Marjorie Hope Nicolsons Buch zu zitieren) hat bei mir nie stattgefunden.

Und während der Rest der Gruppe auf ihren am Vorabend frisch gewachsten Brettern die Berge herunterglitten, streifte ich durch die Bergwelt. Irgendwann hatte ich Halt gemacht, was ich aus dem Autoradio hörte, faszinierte mich. Ich stand auf einem kleinen Parkplatz neben einer Gebirgsstraße, hatte den Motor abgestellt und hörte gebannt zu. Es war ein Schweizer Sender, den mir ein Freund empfohlen hatte. Der sendete beinahe den ganzen Tag Jazz. Aber dies war kein Jazz, dies war ein Sänger, von dem ich noch nie gehört hatte. Es war ein junger Engländer, er war offensichtlich schon einige Jahre tot. Den Falkland Krieg, der jenseits der schneebedeckten Berge, weit am anderen Ende der Welt, gerade begonnen hatte, hat er nicht mehr erlebt. Der Krieg interessierte hier in Tirol niemanden. Dass der Harti Weirather aus Reutte Skiweltmeister geworden war, das interessierte hier jeden.

Ich verzichtete an diesem Morgen, auf irgendeinen Berg zu kraxeln und hörte mir das ganze ➱Nick Drake Programm an. Umgeben von einer Postkartenlandschaft, einer Touristenwerbung für Tirol. Die interessierte mich eh nicht, ich habe es in den letzten Jahren wohl schon mehrfach deutlich gemacht, dass die ➱Alpen nichts für mich sind. Und wenn ich irgendetwas aus dem Urlaub mitgenommen habe - außer dem Beginn des Falkland Kriegs - dann war das dieser kleine Parkplatz, die Gebirgsstraße vor mir, das Tal unter mir. Und überall Schnee. Und Nick Drake im Autoradio. Hans Castorp hat in Der Zauberberg andere Gebirgs- und Schneeerlebnisse als ich, meins war Nick Drake. Als ich der Bergwelt entkommen war, kaufte ich alle seine Platten. Ich habe sie immer noch. Es ist eine seltsame, faszinierende Musik.

Man kann sie nicht immer hören. Man kann ➱Johnny Cash immer hören, aber nicht Nick Drake. Das zieht einen runter. Wie die Alpen. Nick Drake hat zu seinen Lebzeiten leider keinen großen Erfolg gehabt. Seinen größten Erfolg hatte er ironischerweise lange nach seinem Tod, als Volkswagen seinen Song Pink Moon für ein ➱Commercial für das Golf Cabrio verwendete. Das wurde schnell zum Commercial of the Decade, und von Pink Moon wurden in kürzester Zeit mehr CDs verkauft als zu Lebzeiten von Nick Drake.

Ich könnte ja nun als Gedicht des Tages einen Text von Nick Drake nehmen. Das frühe ➱Old Black Mountain, wo er wie ein schwarzer Bluessänger aus dem Delta singt oder Voice from the mountain. Aber dann dachte ich mir, wenn ich schon mit den Alpen angefangen habe, will ich auch mit ihnen aufhören. Ich hätte ja ➱Albert von Hallers Die Alpen nehmen können, aber die kamen hier schon einmal vor. So zaubere ich mal einen englischen Dichter der Romantik aus dem Hut, den heute kaum noch jemand kennt.

Er heißt Samuel Rogers (hier eine Zeichnung von ➱Thomas Lawrence), war zu seinen Lebzeiten sehr berühmt. War mit vielen Dichtern (und auch Malern) befreundet. Hat manche durchgefüttert, weil er steinreich war. Er hat alle anderen Dichter der Romantik überlebt. Als Wordsworth starb, hat man ihm den Posten des poet laureate angeboten. Er hat abgelehnt und der Königin empfohlen, Tennyson zu nehmen. Ein dichtender Bankier, davon gibt es in der Geschichte der Literatur nicht so viele. In der dichterischen Verarbeitung seiner Italienreise, ➱Italy: A Poem (die von ➱Turner ➱illustriert wurde), findet sich natürlich auch ein Gedicht, das The Alps heißt:











Who first beholds those everlasting clouds,
Seed-time and harvest, morning, noon and night,
Still where they were, steadfast, immovable;
Those mighty hills, so shadowy, so sublime,
As rather to belong to Heaven than Earth--
But instantly receives into his soul
A sense, a feeling that he loses not,
A something that informs him 'tis an hour,
Whence he may date henceforth and for ever?
To me they seemed the barriers of a World,
Saying, Thus far, no further! and as o'er
The level plain I travelled silently,
Nearing them more and more, day after day,
My wandering thoughts my only company,
And they before me still -- oft as I looked,
A strange delight was mine, mingled with fear,
A wonder as at things I had not heard of!
And still and still I felt as if I gazed
For the first time! -- Great was the tumult there,
Deafening the din, when in barbaric pomp
The Carthaginian on his march to Rome
Entered their fastnesses. Trampling the snows,
The war-horse reared; and the towered elephant
Upturned his trunk into the murky sky,
Then tumbled headlong, swallowed up and lost,
He and his rider. -- Now the scene is changed;
And o'er the Simplon, o'er the Splungen winds
A path of pleasure. Like a silver zone
Flung about carelessly, it shines afar,
Catching the eye in many a broken link,
In many a turn and traverse as it glides;
And oft above and oft below appears,
Seen o'er the wall by him who journeys up,
As if it were another, through the wild
Leading along he knows not whence or whither.
Yet through its fairy course, go where it will,
The torrent stops it not, the rugged rock
Opens and lets it in; and on it runs,
Winning its easy way from clime to clime
Through glens locked up before.
Not such my path!
Mine but for those, who, like Jean Jacques, delight
In dizziness, gazing and shuddering on
Till fascination comes and the brain turns!
Mine, though I judge but from my ague-fits
Over the Drance, just where the Abbot fell,
The same as Hannibal's.
But now 'tis past,
That turbulent Chaos; and the promised land
Lies at my feet in all its loveliness!
To him who starts up from a terrible dream,
And lo the sun is shining, and the lark
Singing aloud for joy, to him is not
Such sudden ravishment as now I feel
At the first glimpses of fair Italy.